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Was Cioran-Leser und Rezensenten in den letzten Jahren - nach Ciorans Tod und nach der Veröffentlichung fast aller Werke auf deutsch - vor allem interessierte, war der braune Fleck auf der weißen Weste des berühmten Skeptikers. Die Deutschlandartikel aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zeigen ihn vor. Voll vitalistischer Emphase stürzt sich der jugendliche Autor auf deutschen Irrationalismus und nazistische »Revolution«. Er wünscht seinem Land eine Diktatur nach Hitlers Vorbild an den Hals. Nur so, argumentiert er, könne Rumänien aus Lethargie und geschichtlichem Abseits…mehr

Produktbeschreibung
Was Cioran-Leser und Rezensenten in den letzten Jahren - nach Ciorans Tod und nach der Veröffentlichung fast aller Werke auf deutsch - vor allem interessierte, war der braune Fleck auf der weißen Weste des berühmten Skeptikers. Die Deutschlandartikel aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zeigen ihn vor. Voll vitalistischer Emphase stürzt sich der jugendliche Autor auf deutschen Irrationalismus und nazistische »Revolution«. Er wünscht seinem Land eine Diktatur nach Hitlers Vorbild an den Hals. Nur so, argumentiert er, könne Rumänien aus Lethargie und geschichtlichem Abseits herausgerissen werden und sich Gestalt, Zukunft, ein Schicksal erobern. Von 1933 bis 1935 hält Cioran sich zu Studienzwecken in Berlin, München und Dresden auf. Bei aller Begeisterung für den Nationalsozialismus beschränkt er sich auf die Rolle des geschichtsphilosophisch interessierten Zuschauers. Borniertheit, Willkür, Gewalt und die Anzeichen dafür, daß alles ein böses Ende nehmen könnte, bleiben ihmnicht verborgen.
Autorenporträt
Cioran, E. M.E. M. Cioran wurde 1911 in Rasinari bei Hermannstadt in Siebenbürgen als Sohn eines griechisch-orthodoxen Priesters geboren. 1928 bis 1931 Studium der Philosophie an der Universität Bukarest. Bis 1939 erschienen fünf Bücher in rumänischer Sprache. 1937 kam Cioran als Stipendiat nach Paris, wo er als freier Schriftsteller lebte. Er starb am 20.6.1995 in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2011

Mystiker mit Vorbehalt

Frühe Faszination für die Kraft gedankenlosen Lebens: Zu seinem heutigen hundertsten Geburtstag erscheinen Emile Ciorans Aufsätze und Artikel aus den dreißiger Jahren.

Zu Beginn der achtziger Jahre war E. M. Cioran in Deutschland "taschenbuchfähig". 1978 hatte die Neuauflage der von Paul Celan übersetzten "Lehre vom Zerfall" die Hochkonjunktur des radikalen Skeptikers und religionskritischen Mystikers eingeleitet, mit der fortschreitenden Erosion gängiger Fortschrittsideologien war sein Denken aktuell geworden. Heute liegen - mit einer Ausnahme - alle rumänischen und französischen Bücher Ciorans auf Deutsch vor, seit 2008 in einem Suhrkamp Quarto-Band vereint. Ausgenommen davon sind nur die "Cahiers", seine Arbeitstagebücher, die 2001 in einer verstümmelten Ausgabe erschienen. An Faszination haben seine Essays und vor allem seine Aphorismen nicht verloren.

Cioran konnte religiöse Institutionen und Glaubenssätze ätzend kritisieren, aber er wollte "nicht in einer Welt leben, die bar jeden religiösen Gefühls wäre", wie im Band "Gevierteilt" zu lesen ist. Das hat kaum zu tun mit dem orthodoxen Pfarrhaus des etwa zwölf Kilometer von Hermannstadt entfernten abgeschiedenen siebenbürgischen Dorfes Rasinari, in dem er am 8. April 1911 als rumänischer Untertan der Habsburger geboren wurde, sondern speist sich eher aus seiner Lektüre christlicher Mystiker.

Allerdings war Cioran in seiner Jugend auch empfänglich für Mystik ganz anderer Art: für jene der faschistischen "Eisernen Garde", aber auch für die nationalsozialistische Mystifizierung von Führer und Nation. Aus den Büchern "Cioran, der Ketzer" von Patrice Bollon (2006 auf Deutsch erschienen) und "Cioran. Porträt eines radikalen Skeptikers" von Bernd Mattheus (2007) kennt man etliche seiner Aussagen über Hitler, doch jetzt kann man sie im Band "Über Deutschland" erstmals in ihrem Kontext auf Deutsch nachlesen. Sie stehen in Artikeln für die rechtsgerichtete rumänische Zeitschrift "Vremea", die Cioran in den Jahren 1933 bis 1935 schrieb, als er sich in Berlin und München aufhielt.

Es fällt auf, dass Cioran schon damals, mit dreiundzwanzig Jahren, über weitläufige Kenntnisse verfügte. So eingehend wie später nie mehr äußert er sich zur Kunstgeschichte - von Dürers "Melancholie" bis zu Bildern von Oskar Kokoschka. Ausführlich geht er auf Hegel ein, aber auch auf die "Psychologie der Weltanschauungen" von Karl Jaspers oder auf Ferdinand Bruckners Drama "Krankheit der Jugend". Auch bei dem Theologen Karl Barth und der Dialektischen Theologie kennt er sich aus.

Und dann diese Sätze: "Es gibt keinen Politiker in der heutigen Welt, der mir größere Sympathie einflößte als Hitler." Oder: "Das Verdienst Hitlers besteht darin, einer Nation den kritischen Verstand geraubt zu haben." Der Artikel endet mit dem Satz: "Wir alle brauchen eine Mystik, weil wir aller dieser Wahrheiten überdrüssig sind, aus denen keine Flammen schießen." Hier zitiert ein überaus belesener Autor einen ironischen Satz Heinrich Heines, "zu fragmentarisch sind Welt und Leben", um sich gegen Heine in die Faszination einer Welt aus einem Guss zu stürzen. Cioran ist sich dabei sogar noch seiner Widersprüche bewusst: "So kannst du an allem zweifeln und dennoch für die Diktatur sein." Doch es kommt noch schlimmer: Nach der Ermordung von Ernst Röhm und anderer SA-Funktionäre durch das Nazi-Regime schrieb Cioran: "Solchen Menschen das Leben zu nehmen, das Blut solcher Bestien zu vergießen, ist eine Pflicht."

Gewiss, Cioran war damals noch jung. Schon drei Jahre später, 1937, schlägt er ganz andere Töne an: "Um in Deutschland nicht vom Hitlerismus vergiftet oder angesteckt zu werden, habe ich begonnen, den Buddhismus zu studieren." Dennoch kommt man um die Frage nicht herum, wie weit Ciorans antidemokratischer Irrationalismus eigentlich reicht. Schließlich beruft er sich auf einen "Kult des unüberlegten Lebens".

Der Blick auf das später entstandene französische Werk zeigt aber klar, wie Cioran nach der Abkehr von seiner Hitler-Faszination sein ganzes Denken umbaut. Man kann es geradezu an einzelnen Begriffen ablesen: "barbarisch" mutiert von einer enthusiastisch positiven zu einer abwertenden Vokabel; der verachtete "Stil" wird für Cioran, seit er Ende der dreißiger Jahre in Paris lebt, zum "Privileg jener Menschen, die in keinem Glauben Ruhe finden"; "Prophet" und "prophetisch", positive Schlüsselwörter des jungen Cioran, sind später mit Verachtung belegt. Auch wenn man Patrice Bollons Ansicht, Ciorans ganze spätere Philosophie sei eine einzige lebenslange Auseinandersetzung mit seinen Jugend-Irrtümern, für überzogen hält, ist doch festzuhalten: Ciorans radikale Skepsis, seine "Übung in Entfaszination", hat etwas zu tun mit den Faszinationen seiner Jugend.

Zwar irritiert, wie Cioran mit seiner Vergangenheit umging: Zeigt sich in den privaten "Cahiers" durchaus Distanz, so spielt er öffentlich seine ehemaligen politischen Überzeugungen herunter oder greift in Neuauflagen früherer Schriften korrigierend ein. Doch offener als sein Landsmann Mircea Eliade, der in den rumänischen Faschismus wesentlich länger und intensiver involviert war, ist er mit seiner Vergangenheit allemal umgegangen. Allerdings fehlen ihm die Kriterien, sie zu analysieren - wie für politische Aussagen überhaupt, denn er kennt nur Nationen als politische Subjekte. In dieser Hinsicht kam er über Oswald Spengler nie hinaus. Die Verschiebung der Gewichte von der Mystik zu der von Anfang an vorhandenen Skepsis ist eine produktivere Auseinandersetzung mit den eigenen Irrtümern als schneller Widerruf oder oberflächliche Reue. Wer sich auf Ciorans bohrende Skepsis einlässt, der muss einige Überzeugungen neu in Augenschein nehmen. Schon darum lohnt es sich, ihn zu lesen.

CORNELIUS HELL

E. M. Cioran: "Über Deutschland". Aufsätze aus den Jahren 1931-1937.

Aus dem Rumänischen und mit einem Nachwort von Ferdinand Leopold. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 232 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2011

Als der Bajazzo Blut leckte
In seinen Jugendschriften schwärmt der Philosophen E.M. Cioran für Nazi-Deutschland
Denker des Abgrunds, Philosoph aus Getriebenheit, wahrer Erbe Nietzsches aus dem Geist der lateinischen Klarheit – so lässt sich die ergriffene Rezeption zusammenfassen, die den aus Rumänien gebürtigen Wahlfranzosen E.M. Cioran, der 1995 in Paris im Alter von 84 Jahren starb, seit den achtziger Jahren begleitet hat. Dass hier mehr Gebärde als Gedanke am Werk war, dass hier einer seine Verzweiflung auf nicht uneitle Weise ausstellte wie eine dunkle Perle, scheint seinem Ruf des Authentischen nicht geschadet zu haben. Wenig wusste man indessen über sein rumänisches Frühwerk, das als einigermaßen verschollen gelten musste. Nun legt Ciorans deutscher Verlag Suhrkamp Teile davon in einem Sammelband vor: „Über Deutschland“.
Die ältesten dieser Aufsätze, verfasst für rumänische Zeitschriften, gehen bis zum Jahr 1931 zurück; da war Cioran gerade zwanzig. Unter jugendlichen Vorzeichen kann man hier vieles entdecken, was auch den älteren Cioran charakterisieren wird. Es regiert ein fuchtelndes Pathos, das Düstere inszeniert sich auf bajazzohafte Weise, die Genauigkeit des Denkens tritt hinter der Intensität des Ausdrucks zurück. Wie in einem Dampfkochtopf wird viel intellektuell Ungares unter hohem Druck zubereitet; so lässt sich der Autor über Kokoschka und Dürer, Jaspers, Hegel und die nordische Kunst vernehmen. „Wohin geht die Jugend?“ fragt er und gibt die Antwort: „Die Jugend ist lebendig kraft der dämonischen Leidenschaft, die sich durch ihr Leben in gefährlicher Höhe verschwendet, wo jede positive Orientierung illusorisch wird und wo jeder Sinn für schöpferische Naivität verschwindet.“
Wer so denkt und redet, konnte für den Nationalsozialismus nicht ganz unempfänglich sein. Von Herbst 1933 bis Sommer 1935 hält sich Cioran dank eines Stipendiums in Deutschland auf, über das er seinen Landsleuten viel zu sagen weiß. Als Zeuge oder Beobachter versteht er sich dabei nicht, sondern macht sich sogleich an „Die Apologie Deutschlands“. Von diesem Land lasse sich nur lyrisch sprechen; drei große Kulturen gebe es überhaupt nur, die indische, die griechische und die deutsche. Seinem rumänischen Publikum musste daran die implizite Geringschätzung Frankreichs auffallen, denn sie waren immer den Franzosen gefolgt – zu Ciorans Schmerz: Er wünscht sich, sein Vaterland, an dessen Kümmerlichkeit er bei allem Patriotismus keinen Zweifel hegt, würde sich sein Vorbild stattdessen rechts des Rheins nehmen.
Die Brutalität der neuen Staatsform sieht er zwar, auch den „kollektiven Größenwahn“ und, interessanterweise, die deutsche Neigung, sich gänzlich über die Figur des Anderen zu definieren, meint aber: „Was bedeutet das schon, wenn Deutschland sich doch unter einem derartigen Regime wohl, frisch und vital fühlt.“ Ihm gefällt „der Kult des Irrationalen, die Verherrlichung der Lebenskraft als solcher, das mannhafte Ausgreifen der Kräfte, ohne kritischen Geist, ohne Vorbehalte und ohne Beherrschung“. Nur selten, aber dann durchaus witzig, wendet er den Blick von der idealen Volksgemeinschaft ab und den real existierenden Volksgenossen zu, so etwa in den „Bayerischen Melancholien“: „Jeden Tag habe ich den Eindruck, dass die Bayern vor zu viel Gesundheit sterben müssen. Feist, befriedigt, mit uninteressantem Gesichtsausdruck, von Bier aufgeschwemmt und gutmütig, bieten sie den Anblick platten und vergeblichen Glücks, schändlicher Ausgeglichenheit und ebensolcher Normalität.“ Aber dann findet zum Glück der Röhm-Putsch statt, für Cioran tief befriedigend: „das Blut solcher Bestien zu vergießen ist eine Pflicht.“
Angesichts solcher Texte bleibt Ferdinand Leopold, dem verdienstvollen Herausgeber und Übersetzer, in seinem Nachwort nur der Stoßseufzer aus tiefster Brust: „Mit seinen Aufsätzen aus den dreißiger Jahren hinterlässt Cioran ein schweres, schwer zu deutendes Erbe.“ Das kann man wohl sagen. Aber ausschlagen und als Jugendsünde abtun sollte man es keineswegs. Die Aufsätze lassen vielmehr eine Möglichkeit dieses Geistes erkennen, die später nicht mehr zum Zuge kam. Ciorans weiterer Lebensweg führte ihn ins Abseits seines Pariser Lebens, wo er sich dem Existenziellen nunmehr ohne politische Beimischungen ergab. Das hätte, fühlt man, leicht auch anders ausgehen können: Ein intellektueller Nationalismus, der für eine kleine Nation brennt, an deren Kleinheit aber leidet und sich kompensatorisch, geradezu masochistisch mit der Gewaltfähigkeit einer größeren identifiziert – da hätte sich unter entsprechenden historischen Umständen leicht auch das Zeug für einen rumänischen Karadzic gefunden. BURKHARD MÜLLER
E.M. CIORAN: Über Deutschland. Aufsätze aus den Jahren 1931-1937. Herausgegeben, aus dem Rumänischen übersetzt und mit einem Nachwort von Ferdinand Leopold. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 232 Seiten, 17,90 Euro.
Zugleich komödiantisch und tragisch wirkte das Greisenhaupt von E.M. Cioran.
Foto: Sophie Bassouls/Corbis
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Keine erquickliche Lektüre kann Cornelius Hell hier annoncieren. E.M. Ciorans Aufsätze über das nationalsozialistische Deutschland erscheinen ihm schlimmer als bisher vermutet. Denn theoretisch von "jugendlicher Faszination" zu wissen, ist doch etwas anderes als sie Schwarz auf Weiß zu lesen: "Es gibt keinen Politiker in der heutigen Welt, der mir größere Sympathie einflößte als Hitler." Allerdings bleibt Hell bei seiner Überzeugung, dass sich Cioran im Laufe der Zeit von seinen faschistischen Überzeugungen distanziert hat. Zwar teile er nicht die Ansicht, dass Ciorans späteres Denken eine einzige Auseinandersetzung mit seinen jugendlichen Irrtümern gewesen sei, dafür fehlten dem Mystiker wie den Skeptiker einfach die politischen Kategorien, aber Hell erkennt doch eine stetige "Übung in Entfaszination".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Empörend, luziferisch, ruchlos und in seiner historischen Analyse hochbrisant: E.M. Ciorans konsequenter Irrweg zum Faschismus. Das Buch macht uns zum Zeugen eines intellektuellen Selbstmords. Es ist dadurch auf verführerische Weise spannend - ein Hitchcock in Worten; denn man liest und liest ... mit steigenden Gruseln, anfangs atmosphärisch gebannt, das Unheil nur ahnend.« Fritz J. Raddatz DIE WELT 20110402