Wirtschaftsunternehmen auftretenden Heilslehre verstehen sollte. Es ist schwer, diesem Zug der Diskussion zu widerstehen. Aber man sollte es versuchen. Nicht nur, weil es das Interesse der Scientologen ist, die Debatten auf den Religionsbegriff zu konzentrieren. Sondern auch deshalb, weil man auf dem Weg der abstrakten, begrifflich hoch ansetzenden Beschreibung schnell die Fühlung zu den konkreten Phänomenen verlieren kann, denen sich die beunruhigten Nachfragen doch verdanken. Es lohnt, nicht zu schnell zu Einordnungen zu greifen und den Beschreibungen den Vorzug zu geben.
Anhand des Buches von Ursula Caberta kann man sich ein gutes Bild machen. Die Autorin leitet die Arbeitsgruppe Scientology bei der Behörde für Inneres in Hamburg und gilt als eine der besten Kennerinnen dieser öffentlichen Geheimorganisation. Die Auseinandersetzungen über den von Scientology angestrebten Status als Religionsgemeinschaft werden von ihr nicht ausgespart. Aber der große Vorzug ihrer bündigen Darstellung liegt in der quellennahen Beschreibung eines Phänomens, dessen Ausläufer sich jederzeit im eigenen Umfeld bemerkbar machen können.
Am Anfang steht ein für manche etwas verwirrt wirkender Science-Fiction-Autor, Ron L. Hubbard (1911 bis 1986), der sich als Heiler geriert. Uraltes wird da aufbereitet, schamlos direkt an die Wünsche nach psychischer und körperlicher Unverletzlichkeit gekoppelt. Eine Drehung weiter, und es ist daraus eine Heilslehre gnostischer Färbung geworden. Das Schwarzbuch zitiert das interne Vokabular: Die Eingeweihten "wissen", all die anderen sind entweder Kandidaten der Teilhabe an diesem "Wissen" oder verblendete Kontrahenten, "Unterdrücker" des wahren Wissens und des Wegs zur Befreiung. Diese Befreiung führt zuletzt aus dem Körper, in den Weltraum, Wiedergeburten eingeschlossen. Dass die Läuterung stufenweise erfolgt - man geht hier durch "Feuerwände" - und jede Stufe ihre Initiationen und Titel hat, versteht sich fast von selbst.
Solche ins Grelle der Science-Fiction umgekippten gnostischen Geschichten könnte man auf sich beruhen lassen. Das wirklich Alarmierende dürfte laut Schwarzbuch sein, dass das Heilsversprechen zum Motor einer Strategie wird, in der es um nichts anderes als um die Durchsetzung der organisierten Gruppe geht. Die Macht wird nicht gesucht, um bestimmte Inhalte gesellschaftlich hoffähig zu machen, wie es die Missionsstrategien diverser religiöser Gemeinschaften anpeilen. Vielmehr erscheinen die krausen Inhalte bei Scientology nur als Kristallisationskeime der Machtsteigerung.
Entsprechend lauten die Handlungsimperative, die für Ursula Caberta den Kern der scientologischen Praxis ausmachen: Mitglieder anwerben, Feinde ausschalten und Geld, mehr Geld machen. Die Organisation ist ein Wirtschaftsunternehmen, dessen Produkt der wirtschaftliche Erfolg ist. Man kann auch an eine Marketingabteilung denken, die mit nichts anderem beschäftigt ist, als das Prinzip Marketing selbst durchzusetzen - ohne noch auf andere Inhalte angewiesen zu sein, die sie vermarkten muss. Es ist, versteht man Ursula Caberta recht, Marketing in Reinform. Genau mit dieser Qualität dürfte zusammenhängen, dass Scientology im modernen Wirtschaftsumfeld und seinen Anforderungen der Selbststilisierung gut gedeihen kann. Das Phänomen Scientology ließe dann gut erkennen, dass dessen ökonomische Rationalität mit Vernunft noch nichts zu tun hat. Fast würde man den Nachweis mit Erleichterung quittieren, dass Leute an der Spitze dieser Organisation sich ordentlich bereichern. Anderenfalls wäre es die reine Dämonie.
Denn die Praxis der Organisation kann man nach Lektüre des Buches nicht anders beschreiben als den Verbrauch der Lebensmöglichkeiten von Menschen, die mit naheliegenden Versprechungen geködert werden, um sich zuletzt in einem hermetisch abgedichteten Weltbild wiederzufinden. Die fundamentale Unterscheidung in diesem Weltbild lautet: Wir gegen die anderen. Die erduldeten Unterwerfungen und harschen Disziplinierungen im Laufe einer scientologischen Karriere sind Ausdruck der ideologischen Durchregulierung aller Lebensverhältnisse. Die Szenarien, die bei Ursula Caberta skizziert sind, prägen sich ein. Anhand von Aussteigerberichten und bekanntgewordenen internen Papieren beschreibt sie die Techniken, mit denen Abhängigkeiten zuerst erzeugt und dann durch ein rigides Kontroll- und Strafsystem intakt gehalten werden.
Bei Erwachsenen ist an der Basisfiktion der Mündigkeit schwer vorbeizukommen. Besonders krass zeigen sich die Rekrutierungspraktiken aber, wenn sie Jugendlichen und Kindern gelten. Sie lassen mit wünschenswerter Deutlichkeit erkennen, dass es der Organisation um den Aufbau einer indoktrinierten Gegengesellschaft geht. Einer Gegengesellschaft, die gleichzeitig alle formalen, wirtschaftlichen und rechtlichen Möglichkeiten zu verwenden weiß, um ihre Einflusssphäre zu erweitern.
Ältestes und Neues sind in den Techniken der Scientologen verschmolzen. Heilsangebote der simplen Art und verlockende Anreize der Machtsteigerung auf der einen Seite, moderne Wirtschafts- und Managementstrategien andererseits. Dazu kommen Praktiken des Psychotrainings und der Beraterkultur, die auf Anhieb gar nicht so leicht von anderen Angeboten auf diesem gut bearbeiteten Terrain zu unterscheiden sind. Und immer wieder neigen wir zum Staunen, dass so etwas wie Scientology "heute noch möglich" ist. Wer das Schwarzbuch liest, wird zur Ansicht kommen, dass es gerade heute sehr gut möglich ist.
HELMUT MAYER
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