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Auf offener See fühlt sich Herburger heimisch. Das Ahnen ist dort, wo es nichts Gesichertes mehr gibt, eine bedeutsame navigatorische Befähigung. Günter Herburger ist ein Meister in diesem Metier der ganz wenigen ganz Wagemutigen, ein alter schlauer Korsar auf dem salzigen Meer der Trübsal. Und je älter er wird, umso vitaler scheint er zu sein. In ihrer Phantasiefülle und ihrem Witz suchen seine Gedichte in der deutschsprachigen Lyrik seit Günter Eich und Günter Bruno Fuchs ihresgleichen. Es sind Liebesgedichte im umfassenden Sinn und somit für jeden, der sich auf ihre Raffinesse und Kühnheit…mehr

Produktbeschreibung
Auf offener See fühlt sich Herburger heimisch. Das Ahnen ist dort, wo es nichts Gesichertes mehr gibt, eine bedeutsame navigatorische Befähigung. Günter Herburger ist ein Meister in diesem Metier der ganz wenigen ganz Wagemutigen, ein alter schlauer Korsar auf dem salzigen Meer der Trübsal. Und je älter er wird, umso vitaler scheint er zu sein. In ihrer Phantasiefülle und ihrem Witz suchen seine Gedichte in der deutschsprachigen Lyrik seit Günter Eich und Günter Bruno Fuchs ihresgleichen. Es sind Liebesgedichte im umfassenden Sinn und somit für jeden, der sich auf ihre Raffinesse und Kühnheit einlässt, ein lebendiger Schatz. (aus dem Nachwort von Mirko Bonné)
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.07.2016

Langsam hebt sich die Flanke
In seinem neuen Roman und einem kleinen Gedichtband lässt Günter Herburger
die Wildnis singen und das Allgäu, in dem er aufwuchs, an die Anden grenzen
VON TOBIAS LEHMKUHL
Bunte Bentheimer heißt eine aus der niedersächsischen Grafschaft Bentheim stammende Rasse mächtiger, schwarzgefleckter Schweine. Eines dieser Tiere allerdings hat es bis weit in den Süden verschlagen, ins Allgäu oder „Allgaw“, wie es in Günter Herburgers „Wildnis, singend“ heißt, seinem ersten Roman seit siebzehn Jahren.
  Die Bunte Bentheimer lebt dort auf dem Hof des Ehepaars Martin und Eva Kosslowski, auch „Der Athlet“ und „Die Madonna“ genannt. Beide stammen aus Berlin, haben als Röntgenarzt und Psychotherapeutin gearbeitet, bis sie irgendwann entschieden, dieses Leben hinter sich zu lassen und es einmal mit der Natur zu versuchen. Und die strotzt nicht nur in Form der Bunten Bentheimer vor Saft und Kraft: Fast neunzig Tierarten kommen in Herburgers Roman vor, auch wenn manche von eher zweifelhafter Existenz sind, wie etwa der Schrapnellfink, andere erwartet man zumindest im Alpenraum nicht so schnell: Den Kondor, das Vicuña, freilaufende Meerschweinchen.
  Mit ihnen taucht noch ein weiteres ortsfremdes Wesen auf, Ricarda aus Bolivien. Wie vom Himmel gefallen landet sie in dieser Idylle: „Sie lag im Gras und aß, wählte zarte Blättchen, die sie vorsichtig abzupfte, um die Wurzeln nicht herauszureißen, stopfte das hellgrüne, vom Tau noch frische Futter in eine Hand, bis sie voll war, und steckte sich die Speise in den Mund, kaute und mahlte, tat noch ein Gänseblümchen dazu, als sei es Gewürz.“
  So lautet der erste Satz von „Wildnis, singend“, und wer solche Sätze schreiben kann, denkt man, sollte häufiger Romane veröffentlichen als nur alle siebzehn Jahre.
Mit Romanen freilich hat sich Herburger nie zufrieden gegeben: Eine ganze Generation ist mit seinen Kinderbüchern um die alles könnende Birne aufgewachsen, Heerscharen von Freizeitsportlern haben sich an seinen Laufbüchern ergötzt, nebenbei hat Herburger das Genre der Fotonovelle erfunden, und wenn man nicht durch Zufall auf seinen neuen Roman gestoßen wäre, der in dem feinen, aber sehr kleinen Berliner Hanani Verlag erschienen ist, dann hätte man erst recht seinen schon im vergangenen Spätherbst in einem vielleicht, so denn möglich, noch kleineren Kugelberg Verlag erschienenen Gedichtband „Schatz“ übersehen. Und das wäre schade gewesen.
  2008 hatte Herburger für seinen letzten Gedichtband „Der Kuss“ den Preis der SWR-Bestenliste erhalten, und die Liebe, auch die körperliche, hat den inzwischen 84jährigen, der im April 1932 im Allgäu geboren wurde, als Thema offenbar nicht mehr losgelassen. Die romantische Liebe, wie man sie in Gedichten erwartet, kommt in „Schatz“ dagegen eher nicht vor. Liebe heißt bei Herburger vielmehr: Aufeinanderprall. Sie wirft bei ihm so manche Frage auf: „Können sich zwei Jagdbomber,/ auf dem Rücken fliegend,/ mit dem Leitwerk vergnügen?“
  Auch in „Wildnis, singend“, wird die Liebe sehr handfest beschrieben: Wer nicht weiß, was fisten heißt, lernt es hier. Ricarda ist es, die ihre Faust in Eva einführt, und was womöglich etwas technisch und abschreckend klingen mag, wirkt, wenn Herburger es beschreibt, in der Tat völlig natürlich. Ricarda ist das kreatürliche Element, das in der erträumten Wildnis des Allgäuer Bauernhofs noch gefehlt hat. Sie befruchtet, so scheint es, die Liebe der Kosslowskis neu, wenngleich es die Meerschweinchen sind, die sich irgendwann ungehemmt vermehren, und nicht die kinderlosen, zudem als Waisen aufgewachsenen Martin und Eva.
  Für Kinder ist es angesichts des Alters, angesichts von Evas Lithium-Konsum und Martins Impotenz ohnehin zu spät. Auch wenn es so scheint, als würden sie Ricarda an Kindes statt aufnehmen, so ist das, was sie sich wünschen, ein Leben im Einklang mit Tier und Natur und auch mit sich selbst, ein Leben, kurz gesagt, wie im biblischen Paradies, nicht möglich. Denn auch Ricarda ist der Sündenfall eingeschrieben.
  Ihr Vater, erfährt man, ist einst wie Klaus Barbie auf der Rattenlinie nach Bolivien geflohen, ein Nazi, der mithilfe der Kirche die Beute bis hoch in die Anden hinaufschaffte: „Das Geld wurde in die Fugen des Steinhauses eingelagert, und ein paar Goldbarren ruhten noch unter dem Fußboden. Das war die Güte des Kommandaturwesens, die Schönheit des KZ’s gewesen.“
  Mit diesem Geld nun kehrt Ricarda ins Allgäu zurück, nicht nur um zwei Aussteigern Freude zu bereiten, sondern vor allem um sich an ihrem Bruder zu rächen, dem „Großen Peter“, der dem gemeinsamen Vater die Taten nicht verzeihen konnte und ihn vor den Augen der kleinen Ricarda immer wieder schlug und schlug.
  Faszinierenderweise gibt es zwischen Herburgers „Wildnis, singend“ und seinen scheinbar mit leichter Hand geschriebenen und doch aufs Wesentliche kondensierten Gedichten weitere Verbindungen, ja Überschneidungen. Figuren aus dem Roman tauchen in den Versen auf, Tiere und auch die Frage der Schuld: „Schneeglöckchen wachsen/ in dummer Tüchtigkeit/ hinauf bis zu den Anden.// Dort liegt er und grast,/ umschlingt den Huf/ eines Vicuñas und stirbt nicht/ in höchster Höhe, der Schleimbeutel.// Wenn ich ihn so sehe,/ denke ich, ach, wie unschuldig/ sind wir gewesen/ und werden es noch sein.“
  In den Anden war Günter Herburger nach eigenem Bekunden nie, am Ende des Romans dankt er vielmehr der Ethnologin Ina Rösing, von deren Forschungen sein Roman offenbar stark profitiert hat. Die deutsche Linie seiner Geschichte ist ihm dagegen wohlvertraut: In Isny im Allgäu, wo Herburger aufwuchs, war sein Vater Tierarzt und NSDAP-Mitglied. Der Vater starb im Krieg, aufgespießt angeblich von den Hörnern einer Kuh.
  Das klingt nun freilich wieder wie eine Erfindung des Sohnes. Wobei die Tiere in seiner Welt nicht den Tod bringen, sondern vielmehr Trost und Versöhnung. Inbild dessen ist die Bunte Bentheimer, die eigentliche Heldin dieses schönen, schrägen Romans: „Eva und Ricarda schliefen, aneinandergeschmiegt, an der Flanke der großen Sau, die sehr langsam atmete, mächtiges Hebelwerk der Zuversicht.“
Günter Herburger: Wildnis, singend. Hanani Verlag, Berlin 2016. 256 Seiten, 19,50 Euro.
Günter Herburger: Schatz. Liebesgedichte. Kugelberg Verlag, Gerstetten 2015. 118 Seiten, 18,99 Euro.
„Sie kaute und mahlte,
tat noch ein Gänseblümchen
dazu, als sei es Gewürz.“
„Können sich zwei Jagdbomber,
auf dem Rücken fliegend,
mit dem Leitwerk vergnügen?“
„Dort liegt er und grast,/ umschlingt den Huf/ eines Vicuñas und stirbt nicht . . .“: Eine Herde von Vicuñas in den Anden.
Foto: AP/Sebastian Castañeda
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