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Was Ballkünstler wie Messi oder Ronaldo heute mit ihren Teams auf dem Platz vollbringen, hat mit dem ursprünglichen englischen Kick wenig gemeinsam. Ausgehend von der klassischen Anfangsformation mit nur zwei Verteidigern, revolutionierten berühmte Trainer und Spieler immer wieder die taktische Anlage des Spiels und eröffneten ihm mit dem WM-System, dem Riegel oder der Raute völlig neue Dimensionen. Der englische Fußballexperte Jonathan Wilson beschreibt die taktische Entwicklung des Fußballs in einem intelligenten Buch, das in England begeistert gefeiert und als Fußballbuch des Jahres…mehr

Produktbeschreibung
Was Ballkünstler wie Messi oder Ronaldo heute mit ihren Teams auf dem Platz vollbringen, hat mit dem ursprünglichen englischen Kick wenig gemeinsam. Ausgehend von der klassischen Anfangsformation mit nur zwei Verteidigern, revolutionierten berühmte Trainer und Spieler immer wieder die taktische Anlage des Spiels und eröffneten ihm mit dem WM-System, dem Riegel oder der Raute völlig neue Dimensionen. Der englische Fußballexperte Jonathan Wilson beschreibt die taktische Entwicklung des Fußballs in einem intelligenten Buch, das in England begeistert gefeiert und als Fußballbuch des Jahres ausgezeichnet wurde. Ausgestattet mit einem brillanten Schreibstil sowie einem immensen Wissen, liefert Wilson eine fakten- und anekdotenreiche Erklärung dafür, wie der Fußball zu dem wurde, was er heute ist. Wer dieses Buch gelesen hat, weiß, wie er ein Spiel zu lesen hat. Nominiert zum Fußballbuch des Jahres 2011 durch die Deutsche Akademie für Fußballkultur!
Autorenporträt
Jonathan Wilson ist ein englischer Journalist und Buchautor. Als Fußballkorrespondent hat er bereits für diverse englische Zeitungen wie die 'Financial Times', den 'Guardian', 'Independent' oder 'FourFourTwo' sowie für Magazine in Japan, Australien, Indien und Abu Dhabi gearbeitet. Außerdem ist er Herausgeber des von der Kritik gefeierten Fußballmagazins 'The Blizzard'. Als Buchautor veröffentlichte er u.a. 'Behind the Curtain: Football in Eastern Europe', das als Großbritanniens Fußballbuch des Jahres 2006 nominiert wurde, sowie 'Inverting the Pyramid', das im Verlag Die Werkstatt 2011 unter dem Titel 'Revolutionen auf dem Rasen' erschien und in Großbritannien 2008 als Fußballbuch des Jahres ausgezeichnet wurde. In Deutschland wurde der Titel zum Fußballbuch des Jahres 2011 nominiert. 2014 erschien von ihm auf Deutsch "Outsider. Eine Geschichte des Torhüters", ebenfalls im Verlag Die Werkstatt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.05.2011

Wie man die falsche Neun mit der Sanduhr ausschaltet
Es gibt ein Fußballexpertentum, bei dem man wirklich etwas Interessantes erfährt: Über Jonathan Wilsons Buch „Revolutionen auf dem Rasen“
Millionen Deutsche sehen sich ein Fußballspiel nach dem anderen an. Anschließend treten „Experten“ (pundits, wie es im Englischen heißt) wie Franz Beckenbauer oder Oliver Kahn im Fernsehen auf, ordnen das Match den Kategorien „Obergiesing vs. Untergiesing“ (schlecht) respektive „Torschangsen auf beiden Seiten“ (gut) zu oder reduzieren es auf die Einsicht, dass eben die Mannschaft mit dem ausgeprägteren Siegeswillen gewonnen habe. Darüber, was auf dem Platz wirklich passiert ist, erfährt man dagegen wenig.   
Nun ist Fußball lediglich die wichtigste Nebensache der Welt, und natürlich gibt es nicht nur die großen Fernsehsender. Wenn Millionen Menschen sich für ein Thema interessieren, werden Nischenmedien und Fachpublikationen ihre Berichterstattung ausweiten und auch die Nachfrage nach komplexeren Analysen bedienen. So lüftet der Leiter der DFB-Trainerausbildung in der Zeitschrift
11 Freunde Taktikgeheimnisse, und in der Spieltaganalyse von Sport1 sezieren Experten mit Hilfe avancierter technischer Geräte die entscheidenden Spielzüge des Wochenendes. Die interessanteste Gegenbewegung vollzieht sich jedoch unterhalb des Radarschirms der großen Medien: Im Vergleich zu den Deutungen der Lichtgestalt und des Willensmetaphysikers erreichen die von den Usern generierten Taktikanalysen in diversen Fußballforen ein geradezu scholastisches Niveau: Wie viele Pässe passen zwischen einen Abstoß von Barcelona-Torwart Victor Valdes und den Abschluss von Lionel Messi? Einer der Vorreiter dieses Trends ist die Website zonalmarking.net.
Der Autor des im Januar 2010 gestarteten Blogs gibt an, dass ihn zwei Dinge zu seiner Seite inspiriert hätten: das miserable Niveau der punditry (also des Expertendiskurses) im britischen Fernsehen sowie das 2008 erschienene Buch „Inverting the Pyramid – The History of Football Tactics“ des englischen Fußballjournalisten Jonathan Wilson, das nun pünktlich zum Champions-League-Finale unter dem Titel „Revolutionen auf dem Rasen“ mit einer Einleitung von Christoph Biermann auf Deutsch erschienen ist. Wilson erzählt die Geschichte des Fußballs nämlich nicht als Geschichte der großen Spieler, sondern als eine Geschichte systematischer Innovationen: Sein Augenmerk liegt auf der Manipulation des Raumes, also auf der historischen Abfolge taktischer Formationen, die anhand von Zahlenreihen wie 2:3:5 oder 4:4:2 notiert werden (wobei die erste Ziffer für die Anzahl der Verteidiger steht, die zweite für die der Mittelfeldspieler und die dritte für die der Angreifer).
Die Entwicklung beginnt mit der auf englischen Fußballplätzen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominanten 2:3:5-Formation, also einer auf dem Kopf stehenden Pyramide, die im Verlauf der letzten 150 Jahre auf die Füße gestellt wurde, sodass heute beinahe alle Spitzenmannschaften mit einem 4:2:3:1-System oder dem sogenannten Weihnachtsbaum (einer 4:3:2:1-Formation) antreten (die zusätzliche Ziffer, mit der zwischen defensiven und offensiven Mittelfeldspielern unterschieden wird, bringt die zunehmende Komplexität zum Ausdruck). Auf einem Umweg wird Wilsons Buch damit doch zu einer Geschichte der großen Männer, der großen Trainer allerdings, die die Geometrie des Spiels prägten: des Engländers Jimmy Hogan, eines Propheten des Kurzpassspiels, der in seinem Land nie gehört wurde und daher auf dem Kontinent missionierte; seines Landsmannes Herbert Chapman, der in der Zwischenkriegszeit bei Arsenal London den vertikalen Konterfußball und die sogenannte W-M-Formation (ein 3:2:2:3) erfand, indem er, ausgehend vom klassischen 2:3:5, einen Mittelfeldspieler ins Abwehrzentrum und zwei Stürmer ins offensive Mittelfeld beorderte; Helenio Herreras, des Großmeisters des Catenaccio; Rinus Michels’ und Walerij Lobanowskyjs, die in den siebziger Jahren unabhängig voneinander das Pressing optimierten; oder des großen Arrigo Sacchi, der die Abstraktion und Geometrisierung des Spiels auf die Spitze trieb, als er seinen AC Mailand im Training „Schattenspiele“ ohne Ball und Gegner absolvieren ließ.
Der heimliche Held des Buchs ist jedoch der im Westen weithin unbekannte, 1910 in Moskau geborene Wiktor Maslow, der 1964 Dynamo Kiew übernahm und in der Ukrainischen SSR das Fundament des modernen Fußballs legte (Viererkette, Raumdeckung, Pressing). Ihm widmet Wilson, der 2006 mit „Behind the Curtain“ eine Geschichte des osteuropäischen Fußballs veröffentlichte, eine anrührende biographische Skizze, die damit endet, dass Maslow 1970 nach einem Auswärtsspiel von Parteifunktionären entlassen und an einer Moskauer U-Bahn-Station abgesetzt wird. All diese Taktikinnovateure trugen im Verlauf der letzten 150 Jahre zum „Umkippen der Pyramide“ und zur Verwissenschaftlichung des Fußballs bei, einem Aspekt, mit dem sich der Sportjournalist und echte Fußballexperte Christoph Biermann in seinem 2009 erschienenen Buch „Die Fußball-Matrix“ kenntnisreich auseinandersetzt. Wilsons Taktikgeschichte zeigt, dass man die Spielsysteme und die vermeintlich einzigartigen Trainertypen, die sich derzeit im deutschen und europäischen Fußball gegenüberstehen, recht übersichtlich anhand eines Vierfelderschemas sortieren kann: aktiver, horizontaler Ballbesitzfußball (Barcelona, Spanien) vs. reaktiver, vertikaler Konterfußball (Mourinho, eine aggressive, laufintensivere „Vollgas“-Variante praktiziert Borussia Dortmund unter Jürgen Klopp); Ideologen (Maslow, Sacchi, van Gaal) vs. Pragmatiker (Herrera, Hitzfeld, Ferguson). Wilsons Sympathie gehört eindeutig den Ideologen des Ballbesitzes, die allesamt das Kollektiv über die Einzelspieler stellten, der alltäglichen Trainingsarbeit den Vorrang vor teuren Stareinkäufen einräumten und die folgerichtig als Nationaltrainer mehrheitlich scheiterten, weil sie jeden Tag mit den Spielern auf dem Platz stehen müssen, um diesen ihr System einzubimsen.
Louis van Gaal, der mit seiner bisweilen recht arroganten Kauzigkeit und seinen als eigenwillig wahrgenommenen Personalentscheidungen bei den Oberen des FC Bayern und den Medien so lange aneckte, bis er auf einem Golfplatz an der Algarve ausgesetzt wurde, wird in Wilsons Buch übrigens mit keinem Wort erwähnt. Das dürfte damit zu tun haben, dass der Niederländer selbst gar nichts Neues erfunden hat, sondern lediglich konsequent den Weg beschreitet, den Trainer wie Maslow, Michels und Lobanowskyj geebnet haben. Thomas Müller als „falsche Neun“ zwischen Mittelfeld und Angriff? Der Linksfuß Arjen Robben als Rechtsaußen? All das hat Jonathan Wilson in seiner auf der Website des Guardian erscheinenden Kolumne „The Question“ längst vorhergesagt und ausführlich erklärt. Das gilt auch für die umstrittenste Entscheidung van Gaals, nämlich die, „verteidigende Mittelfeldspieler“ wie Anatolij Tymoschtschuk oder Luiz Gustavo als Innenverteidiger bzw. Libero aufzubieten, ein taktischer Schachzug, der aus der Umstellung auf Systeme mit einem klassischen Stürmer und drei offensiven Mittelfeldspielern (vom 4:4:2 zum 4:2:3:1) logisch folgt, deutsche TV-Reporter jedoch schier um den Verstand brachte. Dass der zunehmend glücklose van Gaal die Nerven verlor, wenn er begriffsstutzigen, oder auch einfach tumulthungrigen Reportern solch naheliegende Maßnahmen erläutern musste, belegt die Diskrepanz zwischen dem Stand der punditry im deutschen Sportfernsehen und dem ausdifferenzierten Niveau der zeitgenössischen Fußballtaktik. Wie man letzterem gerecht werden kann, zeigt Jonathan Wilsons Buch.
Wer sich auf das Finale im Wembley-Stadion vorbereiten will, dem sei ein Blick ins Netz empfohlen. Wilson und sein Adept von zonalmarking.net haben das Endspiel von 2009, in dem sich ebenfalls Manchester und Barcelona gegenüberstanden, detailliert analysiert. Da es dem Räderwerk aus Katalonien gelungen ist, den durchschnittlichen Ballbesitz im Vergleich zur Saison 2008/2009 von 66 auf 73 Prozent zu steigern, sind die beiden Engländer freilich reichlich pessimistisch. Um Lionel Messi in seiner zentralen Rolle als „falsche Neun“ auszuschalten, empfiehlt Wilson Sir Alex selbstredend, einen Innenverteidiger durch einen Mittelfeldspieler zu ersetzen und mit einer 3:3:3:1-Formation anzutreten. Er hat ihr den Namen „die Sanduhr“ verpasst.
HEINRICH GEISELBERGER
JONATHAN WILSON: Revolutionen auf dem Rasen. Eine Geschichte der Fußballtaktik. Aus dem Englischen von Markus Montz. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2011. 462 Seiten, 19,90 Euro.
Viererkette, Raumdeckung,
Pressing – Wiktor Maslow
legte das Fundament
Wilsons Sympathie gehört
eindeutig den Ideologen
des Ballbesitzes
4:4:2 oder 2:3:5 oder 3:2:2:3? Jonathan Wilson erzählt die Geschichte des Fußballs als Geschichte taktischer Innovationen. Foto: Stephan Zirwes/Getty Images
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2011

Der Geist, der in die Beine fährt

Wie soll der Ball ins Tor? Jonathan Wilson hat eine exzellente Weltgeschichte des Fußballs geschrieben, die sich um die Entwicklung der Spielsysteme dreht. Nur Deutschland kommt zu kurz.

Das Weltbild des Fußballs, das der englische Sportjournalist Jonathan Wilson in seinem Buch "Revolutionen auf dem Rasen" zeichnet, ist geprägt von einem ewigen Gegensatz - dem zwischen Kunst und Ergebnis. Seit jeher also stehen sich nicht nur in Spanien und Lateinamerika "futebol d'arte" und "futebol de resultados" feindlich gegenüber, seit jeher muss sich, nach einem Wort von Alfred Polgar über den österreichischen Wunderstürmer Matthias Sindelar, auch "der Geist in den Beinen" gegen die Rohheit der Treter behaupten. "Wie wollen wir Fußball spielen?", fragte einst der Franzose Jean Eskenazi: "Als ob wir Liebe machten oder als ob wir den Bus kriegen wollten?" Ist es, so Wilson, das Ziel "der romantischen Idee" vom schönen Fußball, "mehr Tore als der Gegner zu schießen", so war und bleibt für die Rationalisten und Utilitaristen dieses Sports "ein 1:0" allemal "besser als ein 5:4".

Die Ewigkeit des Fußballs wird in Kürze hundertvierzig Jahre alt. Damals, Ende November 1872, gab es in Glasgow das erste Länderspiel zwischen Schottland und England. Es endete null zu null, war aber ein gefühlter Sieg für die Schotten, weil sie den körperlich weit überlegenen Gegner durch ihr flaches Passspiel - wozu bei permanent böigem Wind auch hohe Bälle schlagen? - stets aufs Neue umkurvten und damit dessen Strategie, sich mittels derbem Dribbeln zum schottischen Tor durchzuwühlen, schlicht pöbelhaft erscheinen ließen.

Was fußballhistorisch vor 1872 geschah, ist spieltechnisch finsterstes Mittelalter, darf als zivilisatorische Errungenschaft aber immerhin die Trennung vom Rugby als kollektivem Dauerringen mit Händen und Füßen in Anspruch nehmen. Die Schotten waren es dann auch, die der Welt eine erste taktische Formation, zudem in edler Pyramidengestalt, bescherten, bei dem sich vor dem Torwart erst zwei Verteidiger, dann drei Mittelläufer und schließlich fünf Stürmer gruppierten. Das sogenannte "2 - 3 - 5" sollte seine Ordnungsfunktion bis 1925 bewahren, als man die Abseitsregel änderte.

Damit mehr Treffer erzielt werden konnten, genügten nun einschließlich des Torwarts zwei (statt bisher drei) Abwehrspieler, die näher zum eigenen Tor stehen mussten als der vorderste Angreifer des Gegners. Entwicklungslogisch naheliegend - man wollte vorne mehr Tore schießen, hinten aber den eigenen Laden dichthalten -, zog man nun aus der Pyramide einen Mittelfeldspieler in die Abwehr zurück, teilte das Mittelfeld überdies in einen defensiven und offensiven Part, was zwangsläufig zwei bisherige Stürmer zu Halbstürmern werden ließ: Fertig war das bis weit in die sechziger Jahre hinein maßgebende "3 - 2 - 2 - 3", das sogenannte "W-M-System", das übrigens nichts mit einer WM, sondern mit den Grundpositionen der Spieler zu tun hatte, deren hintere Reihen einem "W" und deren vordere einem "M" glichen.

Es ist durchaus Wilsons Ehrgeiz, auf den vierhundertfünfzig hochkonzentrierten, dabei immer wieder anekdotisch aufgelockerten Seiten so etwas wie die Weltgeschichte des Fußballs in einem Band zu schreiben. Überzeugend gelingt ihm dabei, just jene frühen Phasen lebendig werden zu lassen, zu denen es jenseits der damaligen Berichte in Zeitungen und Fußball-Magazinen kaum Fotos und schon gar keine bewegten Bilder gibt. Gerade weil der Fußball heute längst einem Aktualitäts- und Fernsehwahn unterliegt, lohnt sich der Blick in die Vergangenheit sehr. Vieles, was uns nur für die Gegenwart zu gelten scheint, hat es schon immer gegebenen. Begehrte Profis waren als Söldner schon von Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts an unterwegs, Trainer wurden einst sogar noch viel rascher geheuert und gefeuert als heutzutage.

Methodisch reizvoll ist Wilsons Buch, weil es eben nicht bloß chronologisch voranschreitet, sondern vor allem das Wandern, damit jedoch auch die durch Nationalstile bedingten Varianten von Spielformationen über die Kontinente hinweg beobachtet und beschreibt. Das führt im Kern zu einer Geschichte der großen, prägenden Trainerfiguren. Vom Engländer Jimmy Hogan, dem "Vater des ungarischen, österreichischen und deutschen Fußballs", also spannt sich der Bogen über den Arsenal-Coach Herbert Chapman, den "ersten Fußballmanager moderner Prägung", und Béla Guttmann, den "letzten Kaffeehaus-Trainer", bis etwa zu Rinus Michels, dem Erfinder des holländischen "Totaalvoetbal" der siebziger Jahre, und zu Arrigo Sacchi, der sich beim AC Mailand in den Achtzigern als "Dirigent eines Orchesters" verstand und deshalb nach einem Fußball strebte, der "wie Musik" sein sollte.

Jonathan Wilson ist als Buchautor ein Spezialist für den Fußball zumal in der Sowjetunion und im einstigen Ostblock - "Behind the Curtain: Travels in Eastern European Football" erschien 2006. Ungemein wichtig ist ihm deshalb, den Anteil, den gerade Wiktor Maslow und Walerij Lobanowskyj in Moskau wie in Kiew an der Entstehung des "modernen Fußballs" hatten, immer auf Neue zu betonen - und dabei wohl auch etwas überzubewerten. Alles, was den Fußball letztlich globalisierte, sieht er jedenfalls in der Arbeit der beiden realisiert, zumindest präfiguriert - die Abschaffung erst der Außenstürmer, dann des Liberos und schließlich des Spielmachers alter Prägung, ferner die Raum- statt der Manndeckung, das Engmachen der Räume, also das Pressing, die aggressive Abseitsfalle, das Rasenschach und das Tempo des One-Touch-Spiels, nicht zuletzt die komplette Verwissenschaftlichung des Trainings.

Als Engländer interessieren Wilson überdies die Gründe für das relative Stagnieren der britischen Nationalteams, als objektiver Fußball-Chronist ist er sogar darum bemüht, selbst alle Romantik zersörenden Defensivtrainern wie dem "Catenaccio"-Fanatiker Helenio Herrera oder dessen Schweizer "Riegel"-Pendant Karl Rappan Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und da er weiß, dass gerade der avancierteste Fußballlehrer ohnmächtig wäre ohne jene Spieler, die seine Vorgaben auf dem Platz verwirklichen, paradieren eben auch die Großen der Szene wie Puskás, Pelé, Bobby Charlton, Cruyff, Maradona, Zidane, Cristiano Ronaldo oder Messi vorüber. Im Zentrum dieses Buches stehen ihre Karrieren freilich nicht.

Was Wilson nur ganz am Rand - also im Grunde gar nicht - beschäftigt, sind der deutsche Fußball und dessen Lehrer. Dass Sepp Herberger 1954 im Endspiel von Bern Nándor Hidegkuti, die Schlüsselfigur der Ungarn, durch den jungen Horst Eckel in Manndeckung nehmen ließ und ihn damit neutralisierte, wird registriert, aber eher im Sinn einer Spielzerstörung gedeutet - keineswegs jedenfalls als das taktische Meisterstück, das es war. Kaum anders ergeht es Herbergers Schüler Helmut Schön, der mit der wohl brillantesten deutschen Elf um Franz Beckenbauer und Günter Netzer 1972 Europameister und 1974 Weltmeister wurde, obwohl Netzer dabei fast nur auf der Bank saß. Wilson weiß lediglich zu bemerken, die WM-Siege seien gegen "zwei der besten Mannschaften aller Zeiten" errungen worden und fügt, Rat- wie Ahnungslosigkeit auf die Spitze treibend, auch noch hinzu, man könne die deutschen Triumphe deshalb "Zufall" nennen - "oder auch nicht".

Der dritte WM-Titel, dieses Mal unter Beckenbauer als Teamchef, gibt gar nur eine Zeile her, war doch die WM 1990 für Wilson ohnehin ein ödes Turnier. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe darf der Kölner Fußball-Essayist Christoph Biermann die Ignoranz des Autors immerhin ein wenig korrigieren. Viel hilft das nicht. Wilsons sonstige Hell- und Klarsicht auf die große Linie der Fußballformationen benötigt offenkundig den einen blinden Fleck.

Das Standardsystem bei der WM des vorigen Jahres in Südafrika war ein "4 - 2 - 3 - 1". Als letzte der klassischen Positionen hält Wilson jedoch auch den einzig verbliebenen Stürmer für hoch gefährdet, wenn nicht für obsolet. Einiges deutet für die nahe Zukunft auf ein "4 - 6 - 0" hin. Und was ist mit dem Gegensatz zwischen schönem und ergebnisfixiertem Fußball? 2009 und 2011 hat der FC Barcelona in den Finalbegegnungen der Champions League vorgeführt, dass auch dieses bisher eherne Gesetz kein ewiges sein muss. Kommt, fragt Wilson also zum Schluss, der Fußball ans "Ende der Geschichte", weil ihn eine Mannschaft nun in Vollendung zu spielen versteht? Auch die 49. Saison unserer Bundesliga, die am Freitag beginnt, wird alle eines Anderen, Besseren belehren. Fußball endet nie.

JOCHEN HIEBER

Jonathan Wilson: "Revolutionen auf dem Rasen". Eine Geschichte der Fußballtaktik.

Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2011. 464 S., br., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eines ist sicher, meint Jochen Hieber, nach der Lektüre dieser Weltgeschichte des Fußballs von Jonathan Wilson: Fußball endet nie. Die vom Rezensenten so gelobte Hell- und Klarsicht des englischen Autors aber schon. Und zwar bei den Triumphen deutscher Nationalmannschaften. 1972 und 1974 kommen praktisch nicht vor. Laut Hieber ein blinder Fleck des Autors, die Leistungen der Elf um Beckenbauer und Netzer einfach so zu ignorieren. Dafür lernt der Rezensent vom Sportjournalisten Wilson viel über die Zivilisation des Fußballs vor gerade mal 140 Jahren, die relativ unbekannte Frühzeit, über die Einführung des "W-M-Systems" und, anekdotisch aufgelockert, über Nationalstile, Trainer und Spieler und das ewige Hin- und Her zwischen schönem und effektivem Fußball. Die ein oder andere Unter- oder auch Überbewertung kann Hieber da wegstecken.

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