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Autorenporträt
Johannes Muggenthaler, 1955 geboren. "Die letzte Trauung" ist sein vierter Roman, daneben hat er Erzählungen und Theaterstücke veröffentlicht. Er lebt als Schriftsteller, Photograph und Kurator in der Nähe von München.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wie Annemarie im Donauwasser" ist Rezensent Friedmar Apel in dieser Erzählung versunken, und zwar ganz entspannt im Hier und Jetzt. Das Rezensentenglück verdankt sich einigen Ungewöhnlichkeiten dieses Buches, wozu schon jene Annemarie gehört: wie wir vom Rezensenten erfahren, eine Inderin in Heidelberg, die neben dem Wasser und einer chromblitzenden Limousine die Hauptrolle in diesem Roman spielt. In der Tradition des "Weißbier-Surrealisten Karl Valentin" fand Apel dort noch den größten Baghwan-Humbug mit todernster Miene vorgetragen - und zwar "stellenweise sehr lustig", lesen wir. Eine beträchtliche Könnerschaft sah der Rezensent den im vorliegenden Fall als Autor aktiven "renommierten Fotografen" auch in "gestelztem Ausdruck, einstürzender Semantik und unbezüglichen Metaphern" entwickeln. Im Zentrum des Romans sieht der Rezensent die Nähe von Literatur und Installationswesen stehen: beide hätten mit Schwierigkeiten der Dichtung zu tun. Auch die beigegebenen "fotografischen Meisterwerke" Muggenthalers, "die mit der Erzählung garantiert nichts zu tun haben", haben den Rezensenten seltsam beglückt. Der lässt zudem wissen, dass allein schon die ebenfalls zum Buch gehörende rosa Broschüre den Kauf des "hübschen Buches" lohne. Sie soll Aufschluss geben, wie der "allzeit heitere Leser" künftig kein Geld mehr braucht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2003

Je schöner das Auto, desto häßlicher der Mensch
Rohrbruch nicht ausgeschlossen: Johannes Muggenthalers heitere Erklärung für die Nähe von Installationswesen und Literatur

Alles fließt, nichts bleibt, wie es ist. Wer sollte das besser wissen als ein tüchtiger Installationsmeister? Aber Ludwig Liebknecht hat zuviel Zeit bei seinen Rohren zugebracht und sich nicht nur der "fehlenden Huldigung blonder Schönheit" schuldig gemacht. Er hat sich auch wenig mit der Frage beschäftigt, warum es die Welt gibt und folglich auch ihn selber. Alles war in der guten Ordnung des flüssigen Elements aufgehoben, in deren Schwächen, "Vergänglichkeit des Materials, Rost und Verrottung", der Sinn seines Lebens bestand: "Ein so weit verzweigtes System wie das der Wasserrohre konnte niemals sich selbst überlassen werden. Immer bedurfte es einer Betreuung, seiner Zuwendung. Immer würde er wichtig sein, wohlhabend und gesucht."

Aber, Rohrbruch des Lebens, seine Frau betrügt ihn, und Liebknecht möchte sterben, ins Land der Ruhe gehen, "nun ade, in die weite Welt hinaus". Aber der Installateur überlegt es sich anders, woraufhin ihn eine Verkettung von Zufällen in den Komponisten Silvio Parsefall verwandelt. Der zieht in die Doppelvilla Wahnfried im Vorort Aschenfrost, in deren anderer Hälfte ein Hellseher mit einer Inderin namens Annemarie lebt. In die verliebt sich der Tor, womit weiteren aberwitzigen Zufällen die Schleusen geöffnet werden. Eine ästhetische Hauptrolle spielt dabei neben dem Wasser vor allem eine chromblitzende Limousine: "Wie schön ist das Auto, aber wie häßlich der Mensch, der drinnen sitzt. Das ist Deutschland: vollkommene Autos mit unvollkommenen Menschen." In der Waschanlage als einem Ort des Erhabenen kommen Element und Objekt der Begierde zusammen.

Drum herum zeigt sich nun die verregnete Alltagswelt des Donauraums im planvoll unangemessenen Vergleich als ein unberechenbares System von fließenden Verweisungen. Aber auch das wohlbedachte Kaufhaus wird zum Universum der Orientierungslosigkeit: "Das Glück des Verlorengehens, es lockte geheimnisvoll. Die Substanzen des Allklangs ließen sich im Gewühl nur noch schwer entwirren, flüsternde Winde. Es waren die Stimmen der vielen Menschen, kleine hastige Stimmen. Dazu das Tschirpen der überallhin geschobenen Einkaufswagen, der verschlissenen Räder." Im Irrgarten geheimnisvoller Korrespondenzen kann es sogar vorkommen, daß ein Hellseher "überraschend für sich und die Welt, unvorhergesehen" vom Baum fällt. Wie das Wasser aus den engen Hälsen der Rohre flieht, um frei zu sein, so bricht auch das Leben durch die Wände des Logos. Liebknecht alias Parsefall steht am Ende bei der Quelle, also am Anfang. Er möchte nunmehr etwas beginnen, weiß aber nicht recht, was.

Diese erzählte Welt wäre ziemlich unverständlich, gäbe es nicht die Maximen des Swami Jaroslav Prem, von denen die Inderin aus Heidelberg berichtet. An eine scheint sich auch der renommierte Fotograf Johannes Muggenthaler gehalten zu haben: "Man muß immer das tun, wozu man am wenigsten begabt ist. Alles macht nur Freude, bis man es kann." Freilich entwickelt der Erzähler beträchtliche Könnerschaft in gestelztem Ausdruck, einstürzender Semantik und unbezüglichen Metaphern: "Ihre Haut war makellos, und noch immer hatte sie diese fast virtuell zu nennende Gepflegtheit, mit der sie in jedem Science-fiction-Film den Leutnant hätte spielen können. Hier in der Fensterlosigkeit des städtischen Raumschiffs war sie, so schien es zumindest, ein Teil jener Kraft, die immer Ordnung will und doch nur Chaos schafft." In der Tradition des Weißbier-Surrealisten Karl Valentin trägt der Erzähler noch den größten Baghwan-Humbug mit todernster Miene vor, und das ist stellenweise sehr lustig. Ganz entspannt im Hier und Jetzt versinkt der Leser in der Erzählung wie Annemarie im Donauwasser.

Schließlich erweist sich dann sogar noch die Nähe von Installationswesen und Literatur. Beide haben es mit der Schwierigkeit der Dichtung zu tun: Sie beantwortet uns Fragen, die wir nie gestellt haben, und stopft Löcher, von denen wir nichts wußten. Als Zugabe tauchen fotografische Meisterwerke von Muggenthaler auf, die mit der Erzählung garantiert nichts zu tun haben. Und als ob das alles der überfließenden Großzügigkeit nicht genug wäre, gibt es im Anhang noch die Lösung des Welträtsels vom Swami. Die hat er als Zugeständnis an das schlechte Gedächtnis seiner Zuhörer aufgeschrieben, obwohl er lieber Rollschuh fährt. Die rosa Broschüre allein lohnt schon den Kauf des hübschen Buches, denn bei treulicher Befolgung der goldenen Regeln braucht der fortan allzeit heitere Leser ohnehin kein Geld mehr.

Johannes Muggenthaler: "Regen und andere Niederschläge oder Die falsche Inderin". Roman. Weidle Verlag, Bonn 2002. 192 S., Abb., geb., 19,- [Euro].

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