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Poststrukturalismus
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Dieser Band bietet eine kritische Bestandsaufnahme und produktive Verarbeitung der Situation der Literaturwissenschaft 'nach dem Strukturalismus' und vor der Etablierung einer neuen Kulturwissenschaft unter den Leitkategorien 'Psychoanalyse', 'Rhetorik', 'Philosophie' und 'Geschichte'.

Produktbeschreibung
Dieser Band bietet eine kritische Bestandsaufnahme und produktive Verarbeitung der Situation der Literaturwissenschaft 'nach dem Strukturalismus' und vor der Etablierung einer neuen Kulturwissenschaft unter den Leitkategorien 'Psychoanalyse', 'Rhetorik', 'Philosophie' und 'Geschichte'.
Autorenporträt
Gerhard Neumann war Professor für Neuere deutsche Literatur an den Universitäten Bonn, Erlangen, Freiburg i.Br. und München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.1998

Unverkrampft im Untergang
Eher fröhlich: Literaturwissenschaft und Poststrukturalismus

Wenn die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein großes Symposion genehmigt, dann gilt das behandelte Thema in der Regel als etabliert. Im Falle des Poststrukturalismus wird solche Anerkennung, der Sigrid Weigel zufolge als Beginn einer Historisierung zu mißtrauen wäre, jedoch im Untertitel - "Herausforderung an die Literaturwissenschaft" - gleich wieder in Frage gestellt. Die Formulierung läßt überdies Hintersinn vermuten: Ob die der Literaturwissenschaft zugestellte Herausforderung dort auch angekommen ist, bleibt offen. Das ist aber - man merkt es an den Scherzen, die mehrere Beiträge mit dem Untertitel treiben - wahrscheinlich ganz im Sinne des Poststrukturalismus, der ohne kämpferischen Nimbus und entlarvende Attitüde nur halb soviel Spaß machen würde.

Der in seinem Fach unbezweifelt anerkannte Herausgeber des gewaltigen Symposionbandes, Gerhard Neumann, sieht die herkömmliche Literaturwissenschaft, "die es mit dem Sichern und Verstehen von Texten und ihren durch die Geschichte der Kultur bedingten Lektüreschicksalen zu tun hat", allerdings tatsächlich "zutiefst" getroffen und vom Untergang bedroht. Wenn die Begriffe des Autors und des Lesers ihren Sinn verlieren, wenn gar der Text sich in eine "nicht arretierbare Folge" von "gleitenden Signifikanten" verflüchtigt, hat eine "durch die Leitvorstellungen von System und Hierarchie bestimmte Institution" zweifellos ihre Aufgabe und ihr Daseinsrecht verloren.

So ernst, wie Neumann die Lage darstellt, ging es aber bei den Diskussionen offenbar gar nicht zu. Ganz unverkrampft wurde über Autoren, Leser, Texte und sogar Werke geredet, freilich bevorzugt in der Form der "Re-Formulierung". Und so wird bei der Lektüre des Bandes sehr schnell deutlich, daß der Literaturwissenschaft die Aufgaben vorerst keineswegs ausgehen. Alles - Schrift, Sprache, Literatur und Geschichte - will neu bedacht sein, überschritten und umgeschrieben werden, und so entsteht der Eindruck, daß es sich bei der poststrukturalistischen Herausforderung um eine großangelegte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme handelt. Drei Strategien lassen sich darin unterscheiden: assoziierendes Fragen, Komplexitätsvermehrung und selbstimmunisierende Problemverschiebung.

Als besonders produktiv erweist sich die seit Jacques Derrida beliebte Kunstübung der sinnentleerenden Fragestellung. Für die herkömmliche Literaturwissenschaft stellt zum Beispiel der per Archiv gesicherte Text Lesbarkeit her. Diese Überzeugung beruht auf einer Sinnvermutung, die Anselm Haverkamp gekonnt beiseite schafft: "Wäre am Ende das Archiv der Ort, an dem die Zeichen und Figuren unentzifferbar würden und die Dokumente unlesbar? Was aber hieße dann im Archiv lesen? Wäre es ,Nothing - no thing at all - that presents itself' im Archiv?" Die Antwort bleibt zukünftigen Forschungen überlassen.

Die Diskussion über die Funktion der Metapher ist bereits in der traditionellen Literaturwissenschaft ziemlich komplex. Konsens besteht jedoch nach Hans Blumenberg darin, daß bildhafte Redewendungen ein "Mehr an Aussageleistung" erbringen. In der "hochdifferenzierten" poststrukturalistischen Metapherndiskussion geht es nicht darum, "den Methaphernbegriff neu zu formulieren, sondern ihn durch die Entfaltung der Lektüre zu überschreiten". Diese Entfaltung hat Komplexitätsvermehrung zur Folge, erbringt aber bei David E. Wellberys de Man-Lektüre ein recht schlichtes Ergebnis. Der Metaphernbegriff wird als "Paradoxie der eigenen Form" überschritten, und dies führt zum "Unlesbar-Werden der Methapher" im Text des Literaturwissenschaftlers. Eine solche Operation muß offenbar so lange wiederholt werden, bis sich alle "Beobachtungen in den Unentscheidbarkeiten des Beobachteten" vollständig verwickelt haben. Erst dann wird es mit der Lesbarkeit der Welt ein Ende haben, was aber so bald nicht zu erwarten ist, zumal Samuel Webers Beitrag zufolge "einmal" durchaus "keinmal" ist. "Dekonstruktion ist insofern Zuversicht in die Beständigkeit des Aporetischen." (Andreas Kablitz)

Nicht nur deshalb läßt der Eisberg des Poststrukturalismus schwer mit sich verhandeln. Da er versucht, "etwas zu denken, das im repräsentierenden Denken keinen Platz hat", läßt sich das "etwas" nur umkreisen, etwa "mit Begriffen wie Theatralisierung und Inszenierung", die aber unter den Bedingungen "telematischer Medien" selbst wieder auf ihre Gültigkeit befragt werden müssen. Wird einmal ein Vorschlag zur Güte gemacht, zum Beispiel der von Lutz Ellrich, "das poststrukturalistische Programm nietzscheanisch als Ästhetisierung zu deuten", so werden prompt immer neue Vorbedingungen erhoben. Der Vorschlag bleibt für Bettina Menke so lange undiskutierbar, "wie er weder zwischen verschiedenen Poststrukturalismen differenziert, noch seine Thesen in der Lektüre eines bestimmten poststrukturalistischen Textes entwickelt". In solcher Undiskutierbarkeit eröffnen sich freilich sofort weitere Problemfelder, so "die längst fällige Debatte über das Verhältnis von Literatur und Philosophie".

Schon gar nicht lassen sich schließlich politische Thesen über das Verhältnis von Literatur und Macht verhandeln. Wolfgang Ernsts Versuch, das Auffinden der frühen konformistischen und antisemitischen Texte Paul de Mans als "Einbruch des Archivs" in die dekonstruktivistische Texttheorie zu deuten, wurde sogleich mit einer Breitseite gekontert. Netter ausgedrückt handle es sich im Falle Paul de Man um "ein kompliziertes Verhältnis der Unbezüglichkeit" (Christoph Menke). Überdies müsse vorher der Begriff des Archivs geklärt werden: "Wenn Dekonstruktion sich als die Analyse der Arbitrarität von Zeichenverknüpfungen versteht, dann wäre zu untersuchen, wie das Schweigen der Archive diese Zeichenverknüpfungen kontrolliert." Das Archiv nämlich ist die "Agentur des Realen" und wahrscheinlich daher "nothing".

Dem distanzierten Leser des Symposionbandes drängt sich im Laufe der Lektüre der Eindruck auf, es sei auf der Tagung zugegangen wie in dem Witz von den Soziologen im Kölner Hauptbahnhof, von denen keiner wußte, wo der Dom steht, die aber froh waren, einmal darüber gesprochen zu haben. Entsprechend heiter scheint es auf der "in so anmutigem, landschaftlich-idyllischem Rahmen" (Steinheim bei Marbach) veranstalteten Tagung zugegangen zu sein. Von Untergang war bei solch fröhlicher Wissenschaft daher nicht die Rede. FRIEDMAR APEL

Gerhard Neumann (Hg.): "Poststrukturalismus: Herausforderung an die Literaturwissenschaft". Verlag J. B. Metzler, Stuttgart und Weimar 1997. 642 S., Abb., geb., 168,- DM.

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