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Produktdetails
  • suhrkamp taschenbuch 3384
  • Verlag: Suhrkamp
  • Originaltitel: Pericle il Nero
  • Seitenzahl: 158
  • Deutsch
  • Abmessung: 10mm x 117mm x 177mm
  • Gewicht: 100g
  • ISBN-13: 9783518398845
  • ISBN-10: 3518398849
  • Artikelnr.: 10289868
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000

Gute Taten, schlechte Taten
Im falschen Film: Giuseppe Ferrandinos "Pericle der Schwarze"

Pericle, wie er ganz unpassend heißt, ist ein Schwein; berufsmäßig. Seine besondere Begabung - Erektionen auf Kommando - empfahl ihn für den Pornofilm. Dann aber kamen die raffinierten Mailänder und verdrängten ihn. Seitdem übernahm er einschlägige Auftragsarbeiten für Luigino Pizza. Wenn jemand in dessen Bezirk nicht "spurt", sorgt Pericle für klare Verhältnisse: Er betäubt die Betreffenden mit einem kleinen Sandsack und sodomisiert sie. Bei einer seiner Ausübungen entdeckt Pericle eine ehrenwerte Person, die er nicht hätte sehen dürfen. Er muß sich entscheiden: sie oder er. Da umbringen nicht sein Metier war, machte er, was er zu machen hatte, schlecht; sie überlebte. In der Nacht kamen sie; er sprang aus dem Fenster; an seiner Stelle werden Onkel, Tante und das Kind umgebracht.

Soweit die Eröffnung von "Pericle, der Schwarze", einem Abenteurerroman von der schwarzen Art. Er wurde 1998 (wieder) veröffentlicht. Der "Corriere della Sera" nannte ihn ein "Meisterwerk", und La Repubblica hielt seinen Autor, Giuseppe Ferrandino, für das "literarische Ereignis" des Jahres. Doch Schlagzeilen gehören zum Geschäft. Womit verdient sich diese spannende, schamlose Geschichte soviel Aufmerksamkeit? Zunächst, gewiß, mit einer Sozialexotik von unten, der grausamen Banalität der Unterwelt. Dann - Ferrandino hat Drehbücher und Comics verfaßt - mit den unverwüstlichen Mitteln von Flucht, Verfolgung und Gefährdung in der Spielart: einer (von der Mafia) gegen die Mafia; alles gut arrangiert und ohne langen Atem durchgeführt.

Was wirklich Interesse weckt, ist jedoch etwas anderes. Der Autor stellt, durch seine Figur hindurch, die Frage nach dem Bösen im Menschen. Und er tut es auf irritierende Weise. Er versagt seinem Protagonisten jegliche Vorgeschichte, die hätte erklären - und entschuldigen - können, wie er wurde, was er ist: Verkörperung des "homo homini lupus". Pericle handelt gewissenlos, weil man ihm jedes Gewissen ausgetrieben hat. Übriggeblieben ist ein menschlicher Rollkörper, der mit fast animalischer Witterung seine Existenz wahrt, mehr nicht.

Dennoch, und hier setzt das Gegenspiel ein, hat er - zumindest - das dumpfe Gefühl, daß nicht alles stimmt, seine Welt, er selbst und die Filme und Videos, mit denen er sich auffüllt (ein sarkastischer Zungenschlag für einen Drehbuchautor und vielleicht ein Motiv seines Romans). Deshalb empfindet er "Haß auf alle", auch auf sich selbst. Aber das ist nur der gestaltlose Ausdruck dafür, daß er keine menschlichen Beziehungen hat. So ist er eigentlich ein schamloser Handlanger, der in einer Art instinktiver Symmetrie andere demütigt, weil Leben für ihn eben Demütigung heißt.

Der mißlungene Mord aber, das ist die finstere Pointe dieser Geschichte, wird zum Wendepunkt dieser Existenz. Der Zufall bringt ihn in einem ganz primitiven Sinne außer sich. Es ist, als ob die Todesangst, die einzige, die er versteht, ihm mitteilt, daß es einen Unterschied macht, ob man lebt oder nicht. Allein, heimatlos fühlt er sich, ist nun plötzlich selbst Opfer der Unordnung, für deren Einhaltung er bisher tätig war. Und unmerklich tritt hinter dem Fall Pericle die Parabel hervor von einem, der auszog, um einzusehen, daß sein Leben eigentlich nichts mit ihm zu tun hat.

Heraus kommt dabei eine Art Entwicklungsroman rückwärts. Der "Held" ist zu Beginn so gut wie erledigt. Erst seine Verbrechenstat ist es, die ihm die Möglichkeit abnötigt, zu sich selbst zu kommen. Etwas Ungewöhnliches geschieht: er beginnt, sich Gedanken zu machen. Er hat schlechte Träume und sieht, wie zum ersten Mal, die Natur. In einer Bar in Pesaro lernt er eine Polin kennen. Außenseiterin auch sie. Zwar behandelt er sie ihm gemäß ("wie ein Tier"). Doch nach und nach denkt er, wenn er an sich denkt, auch an sie.

Mit der Wachheit das Gejagten spürt er, daß sie etwas kann, wofür er bis jetzt keinen Sinn hatte: die Kunst des zivilen Überlebens. Und, vielleicht zum ersten Mal, hat er eine Idee, ja geradezu eine Lebensvorstellung. Er nimmt seine ganze Minderwertigkeit zusammen und riskiert, allein, einen Befreiungsschlag gegen das System. Mit aller Brutalität des Milieus erpreßt er die nötige Summe, entkommt abermals und stellt sich vor, wie es wäre, wenn . . . Etwa mit der Polin in Warschau, wo er ihr das kleine Geschäft ermöglichen könnte, mit vierzig Prozent für ihn natürlich. Am Ende steigen aus ihm, "wie in einer uralten Erinnerung", Umrisse von sozialer Identität auf. Der schwarze Roman hat seine Morgenröte, und der Autor zeigt, daß er eine der Grundrechenarten der Unterhaltungsliteratur beherrscht: Minus mal minus gibt plus (auch in der Auflage).

Was diese Geschichte vor allem eindrücklich macht, ist ihre Sprache. Der Autor wählt die Ich-Form; alles, was zu sagen ist, hat sich deshalb unter die Perspektive von Pericle zu beugen. Wie aber soll sich eine menschliche Ruine wie er äußern? Ihm steht nur eine Trümmerprosa zu. Darin liegt die Stärke und die Originalität Ferrandinos. Kein Adjektiv, keine Konjunktion, kein Wort zuviel. Die Sprache ist abgemagert auf ihr Knochengerüst. Kurze Satzteile, umgangssprachlich, ganz am Vordergründigen entlang, wie eine erzählte Comic-Geschichte. Das muß man Ferrandino lassen: er beherrscht die Kunst des Weglassens. Er erreicht auf diese Weise, daß seine abstoßende Figur schlüssig, ja überzeugend wirkt und mit ihr das Problem, dessen Opfer sie, auf den zweiten Blick, geworden ist.

Die Realität, in die Pericle verwickelt ist, läuft ab wie ein nicht enden wollender Film, der einen nicht losläßt. Er spürt zwar, daß alles um ihn herum falsch ist; es nichts Zutreffendes gibt, man sich selbst nicht einmal trauen kann. Doch was nützt alle wütende Selbstbefreiungstat? Am Ende, als er glaubt, mit dem System gebrochen zu haben, fühlt er sich "noch mehr wie einer von der Camorra"! Es gibt kein Entkommen. Er übernimmt nur eine andere Rolle im selben falschen Film. Wie gesagt, ein böser Roman. Aber doch, sehr diskret, zugleich eine neue Version der Parabel vom indirekten Menschen, an der so viele zeitgenössische Geschichten Maß nehmen.

WINFRIED WEHLE

Giuseppe Ferrandino: "Pericle der Schwarze". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Max Looser. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 159 S., geb., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2000

Ein anderer Mut
Giuseppe Ferrandinos Erstling „Pericle der Schwarze”
Pericle ist einer, der sich nicht verstrickt – das ist er bereits – sondern einer, der sich entstrickt.
Pericle, 38 Jahre alt, bewegt sich am unteren Ende einer mafiösen neapolitanischen Clan-Hierarchie und wird von seinem Patron gelegentlich damit beauftragt, Menschen, die dessen Missfallen erregt haben, sexuell zu demütigen. Bei der Erledigung eines solchen Auftrags entdeckt er zufällig die untergetauchte „Signorinella”, eine im Milieu rundum respektierte Persönlichkeit. Und weil er fürchten muss, sie werde ihn wegen dieser Entdeckung töten lassen, versucht er vorzugreifen und sie seinerseits zu erschlagen. Die Signorinella aber überlebt, und Pericle ist seitdem in Neapel vogelfrei. Er flieht von Versteck zu Versteck. Auf seiner Flucht kommt ihm mehr und mehr die brutale Erbärmlichkeit zu Bewusstsein, die sein Dasein auszeichnet, und er beschließt sich dafür an seinem Patron mit eben dem Dienst zu rächen, für den der ihn ausgehalten hatte. Doch noch im Begriff der Tat wird ihm klar, dass dies nur die Vollendung seiner eigenen Erniedrigung wäre, und er flieht unverrichteter Dinge außer Landes.
Giuseppe Ferrandino – er hat für diesen seinen ersten Roman zu Recht einen Preis erhalten – lässt seinen Helden seine Geschichte selbst erzählen, in knappen, gänzlich nüchternen Sätzen die Atmosphäre abstoßender Gewalt präsentieren. Je mehr Pericle aber von sich und seiner Welt preisgibt, desto deutlicher wird deren Schäbigkeit. Pericle – der Name verweist auf Perikles, der seine Athener dafür lobte, dass sie an die Stelle eines absichtslosen blöden Mutes eine dem Leben dienende Tapferkeit setzten – der kleine bösartige Gauner Pericle hat mit seinem Namenspatron wenig zu tun. Aber doch bewegt er sich von diesem blöden Mut, der sein Leben bestimmte, weg und vielleicht auf einen anderen, sinnvollen Mut zu. Nachdem er die Signorinella glaubt erschlagen zu haben, fährt er ziellos auf seiner Vespa kreuz und quer durch Neapel. Schließlich bleibt er vor einem Kiosk stehen und betrachtet lange die ausgestellten Illustrierten. „Die Photographien oder Zeichnungen auf den Hüllen waren nichtssagend”, erzählt er. „Es war alles frei erfunden, und in mir kam etwas wie Wut darüber hoch, dass niemand darauf acht gab. Es war, als ob es um mich herum nichts Genaues gäbe, als ob du nichts und niemandem trauen kannst. ”
AGNES HÜFNER
GIUSEPPE FERRANDINO: Pericle der Schwarze. Aus dem Italienischen von Max Loose. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000. 160 Seiten, 14 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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