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Mit dieser Studie wird die Rolle des Deutschen Bundestages im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren von 1949 bis 1969 untersucht. Hierbei stehen die Funktions- und Arbeitsweise des westdeutschen Parlaments, seine Rolle als Gesetzgeber und als Kontrolleur der Regierung sowie das Mit- und Gegeneinander von Regierungs- und Oppositionsfraktionen im Zentrum der Darstellung. Auch Lebenswelt und Sozialprofil der Parlamentarier werden beleuchtet. Ihre Grundlage bildet der umfangreiche Bestand an Quellen aus dem Parlaments- und den Parteiarchiven, aber auch aus anderen…mehr

Produktbeschreibung
Mit dieser Studie wird die Rolle des Deutschen Bundestages im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren von 1949 bis 1969 untersucht. Hierbei stehen die Funktions- und Arbeitsweise des westdeutschen Parlaments, seine Rolle als Gesetzgeber und als Kontrolleur der Regierung sowie das Mit- und Gegeneinander von Regierungs- und Oppositionsfraktionen im Zentrum der Darstellung. Auch Lebenswelt und Sozialprofil der Parlamentarier werden beleuchtet. Ihre Grundlage bildet der umfangreiche Bestand an Quellen aus dem Parlaments- und den Parteiarchiven, aber auch aus anderen Bereichen.Die Untersuchung zeigt, wie stark sich der neu gewählte Bundestag an überkommenen Traditionen des deutschen Parlamentarismus orientierte, wie er aber auch Impulse und Vorbilder aus dem westlichen Ausland aufnahm. Sie präsentiert ein selbstbewusstes Parlament, das versuchte, sich Freiraum gegenüber Kanzler und Kabinett zu erobern und eigene politische Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen. Damit korrigiert sie das überkommene Bild einer »Kanzlerdemokratie«, in der der Regierungschef zumindest die Mehrheitsfraktionen eng an seine Politik zu binden vermochte, und macht die Abgeordneten als eigenständige politische Akteure sichtbar. Auf diese Weise kann die Arbeit neues Licht auf die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland werfen, zeigt sie doch, welchen Beitrag der Deutsche Bundestag für die Entwicklung des westdeutschen Staates hin zu einem liberalen und demokratischen Gemeinwesen geleistet hat.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2019

Glanzzeit des Parlamentarismus
Der Deutsche Bundestag in der Frühgeschichte der Bundesrepublik

Wollte man die Geschichte der bundesdeutschen Demokratie in Perioden aufteilen, böte sich folgende Dreiteilung an. Von 1949 bis 1969 werden die verfassungs- und demokratiepolitischen Grundlagen gelegt. Diese Periode endet mit dem Machtwechsel von den bis dahin unionsgeführten Regierungen zur sozial-liberalen Koalition, mit dem das parlamentarische System seine - an der Idee der "alternierenden" Regierung festgemachte - demokratische Bewährungsprobe besteht. Die zweite Periode reicht von 1969 bis zur deutschen Einheit 1990. In ihr sind die demokratischen Institutionen fest etabliert. Die Bundesrepublik avanciert nun zu einer Art europäischen Musterdemokratie, die sich einerseits durch ein hohes Maß an Regierungseffizienz und -stabilität auszeichnet, andererseits aber auch in politisch-kultureller Hinsicht zu den älteren westlichen Demokratien aufschließt. Die dritte, bis heute währende Periode beginnt in den neunziger Jahren. In ihr wächst das Regieren aus dem nationalstaatlichen Rahmen hinaus, geraten die demokratischen Institutionen gleichzeitig in eine sich allmählich verschärfende Legitimationskrise.

Am sichtbarsten spiegeln sich die Perioden im Bundestag. Dass das Parlament - wie in anderen verfassungsstaatlichen Demokratien auch - an Bedeutung eingebüßt hat, gilt unter Politikwissenschaftlern und Staatsrechtlern dennoch als unstreitig. Festgemacht wird die "Entparlamentarisierung" zum einen an seiner schwächer gewordenen Position als mitregierender Gesetzgeber - sowohl im Binnenverhältnis zur ihm gegenüber verantwortlichen Regierung als auch im Verhältnis zu anderen an der Gesetzgebung beteiligten (nationalen und europäischen) Institutionen. Zum anderen steht der Bundestag heute nur noch selten im Zentrum öffentlicher Debatten. Hier haben ihm die verschiedenen Formate der Mediendemokratie längst den Raum abgelaufen.

Am besten lässt sich dieser Bedeutungsverlust ermessen, wenn man auf die Rolle blickt, die der Bundestag in der Frühgeschichte der Bundesrepublik gespielt hat. Die Frankfurter Historikerin Marie-Luise Recker hat diese Periode jetzt gründlich aufgearbeitet. Dabei wird die lange Zeit vorherrschende Sichtweise eines von der Exekutive mit dem Kanzler an der Spitze dominierten Regierungsprozesses nachdrücklich korrigiert. Der Bundestag erlangte, wie Recker zeigt, nicht nur deshalb großes Gewicht, weil er ja die Basis seiner eigenen Stellung selbst legen und absichern musste. Er nahm auch auf die großen Gesetzeswerke der Innen- und Außenpolitik maßgeblichen und eigenständigen Einfluss. Dabei entwickelte er die Fähigkeit zum Kompromiss im Sinne eines kooperativen Zusammenwirkens über trennende Parteigrenzen hinweg und den parteipolitischen Streit im Sinne einer klaren Frontstellung zwischen regierender Mehrheit und Opposition.

Nach einem kurzen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des Bundestages wird der Stoff in vier großen Kapiteln entfaltet. Zunächst rücken die Wahlgesetzgebung, die Wahlen und Regierungsbildungen sowie die sozialstrukturelle Zusammensetzung des Parlaments in den Mittelpunkt. Anschließend werden Organisation und Arbeitsweise (Präsidium, Plenum, Ausschüsse und Fraktionen) sowie deren Reform im Zuge der sogenannten "Kleinen Parlamentsreform" von 1969 beleuchtet. Der legislativen Funktion des Bundestages sind Gegenstand zweier Kapitel. Hier richtet die Verfasserin ihr Augenmerk zuerst auf die sozialpolitischen Gesetzesvorhaben und die Mitwirkung des Bundestages in der Außenpolitik und analysiert dabei zugleich dessen Verhältnis zu den anderen an der Gesetzgebung beteiligten Institutionen, also Regierung, Bundesrat und Verfassungsgericht. Im anderen Teil betrachtet sie die Gesetzeswerke, die neben dem Wahl- und Parlamentsrecht die institutionelle Grundlegung des Gemeinwesens betrafen (streitbare Demokratie, Wehrverfassung, Parteiengesetz, Finanzreform, Notstandsverfassung) oder als Reformvorhaben moralisch stark aufgeladen und entsprechend umstritten waren (Verjährung der NS-Verbrechen, Strafrechtsreform), wobei sich in der besonders umkämpften Notstandsverfassung beide Aspekte verbanden. Dass diese zum wichtigsten Katalysator der außerparlamentarischen Protestbewegung gegen die 1966 gebildete Große Koalition wurde, hat deren Verdienste um die in anderen Bereichen eingeleiteten "inneren Reformen" in der historischen Rückschau weitgehend überdeckt.

In allen Teilen der Darstellung nehmen die Betrachtung des Verhältnisses von regierender Mehrheit und Opposition sowie - innerhalb der regierende Mehrheit - des Verhältnisses der regierungstragenden Fraktion zu "ihrer" Regierung breiten Raum ein. Im ersten Fall ergibt sich für die verschiedenen Politikfelder und zeitlichen Phasen ein gemischtes Bild. So gab es trotz der grundsätzlichen Oppositionshaltung der SPD zur Sozialen Marktwirtschaft in der sozialpolitischen Gesetzgebung zunächst ein breites Einvernehmen zwischen Regierung und Opposition, während man sich in der Außenpolitik konfrontativ gegenüberstand. Auch bei den verfassungs- und demokratiepolitischen Gesetzeswerken konnte die SPD durch konstruktive Mitwirkung eigene Vorstellungen einbringen - dies galt selbst für die ihr innerlich eigentlich widerstrebende Wehrverfassung.

Im Binnenverhältnis bestätigt sich das auch von der Politikwissenschaft gezeichnete Bild des Bundestags als "Fraktionenparlament". Weil die regierungstragenden Abgeordneten auf ihre Mitwirkungsfunktion in den Ausschüssen genauso pochen können wie die Opposition, ist die Exekutive gut beraten, sie in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Am greifbarsten war der Einfluss der Mehrheitsfraktionen in der Zeit der ersten Großen Koalition, wo die Vorsitzenden Rainer Barzel und Helmut Schmidt als eigentliche Beweger der Regierungspolitik fungierten - der Kontrast zu den großen Koalitionen nach 2005 könnte kaum größer sein.

Solche oder andere Vergleiche mit der gegenwärtigen Situation muss die Autorin nicht bemühen, da das positive Bild, das ihre quellenbasierte Studie von der Rolle des Bundestages zeichnet, für sich selbst spricht. Entsprechend zurückhaltend bleibt Recker mit eigenen Bewertungen und in der Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur. Manche Aspekte, etwa die Gründe für den Verzicht des Verfassungsgebers auf die Einführung plebiszitärer Elemente, fallen in der Darstellung hinter den Forschungsstand zurück, andere wie das Verhältnis von Traditionslinien und Neuerungen oder die Rezeption des "neuen" Dualismus von regierender Mehrheit und Opposition hätte man gerne ausführlicher behandelt gesehen. Diese Petitessen nehmen dem Werk aber nichts von seiner imponierenden Gesamtleistung, die sich auch in der sorgsamen Edition widerspiegelt. Zu wünschen wäre, dass ähnlich gehaltvolle Bände für die Zeiträume von 1969 bis 1990 und von 1990 bis zur Gegenwart folgen.

FRANK DECKER

Marie-Luise Recker: Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland. Der Deutsche Bundestag 1949 - 1969.

Droste Verlag, Düsseldorf 2018. 726 S., 98,- [Euro].

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