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Produktdetails
  • Verlag: Residenz
  • ISBN-13: 9783701714094
  • ISBN-10: 3701714096
  • Artikelnr.: 13362996
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.07.2005

Ein sonderbarer Heiliger
Nikolaus Harnoncourt in einer Biographie von Monika Mertl
Ein Kernsatz des Grafen Nikolaus Harnoncourt-Unverzagt passt gut zu seinem Gesichtsausdruck: „Es gibt nichts zu lachen.” Der Mann aus luxemburgisch-lothringischem Uradel ist eine der prägenden Musikerpersönlichkeiten dieser Zeit. Harnoncourt fand gleichsam durch Kampf zum Spiel, hat sich vom Cellisten der Wiener Symphoniker zum Propheten der historischen Aufführungspraxis entwickelt und dann als Dirigent durchgesetzt bis an die Pulte der großen Opernhäuser und Weltorchester. Als leidenschaftlicher Instrumentensammler setzte er von Beginn an nicht nur seine damals knappen Finanzmittel und die seiner Frau Alice ein, sondern bohrte auch Eltern und Verwandtschaft an, um Barockflöten und -oboen, Orgelportative, Cembali, Gamben und Violen zu erwerben. Trotz seiner Ablehnung von wohlfeiler Publicity wurde er zum Star, besser: zum Antistar.
Die Wiener Musikpublizistin Monika Mertl führt laut Klappentext seit „zwanzig Jahren einen ,musikalischen Dialog‘” mit den Harnoncourts. Die Biographie, die daraus hervorging, verdankt ihre Stärken wie ihre Schwächen dem Umstand einer Nähe, die oft ins allzu Private umschlägt. Die Kämpfe und Entscheidungen, durch die Harnoncourt zur Instanz aufstieg, sind bei Mertl manchmal vom Familiären überwuchert; das verunklart jenen Weg, um dessentwillen diese ziemlich dicke Biographie geschrieben wurde. Weniger, und dies auf Laufbahn und Anspruch des Helden konzentriert, wäre entschieden mehr gewesen.
Schiebt man die Ranken des Privatlebens beiseite, wird der Blick aber frei auf einen der anregendsten, streitbarsten und konsequentesten Musiker unserer Tage. Erfreulich, dass auch ein so attitüdenfreier, unglamouröser Mann Weltruhm erlangen kann. Die Klassik-Starlets zeigen es: Der Musikerberuf erfüllt sich erst dann lebenslang, wenn die Musik als nicht von Marketingkompromissen getrübte Quelle der Spiritualität begriffen wird. Dass dem Grafen zwar kaum Eitelkeit, wohl aber ein Gran Rechthaberei eignet, gehört dazu, wenn jemand so hartnäckig das Ziel verfolgt, der Musik früherer Jahrhunderte in ihrer historischen Vielfalt auf die Spur zu kommen, sie als „Klangrede” zu verstehen und diese Erkenntnis als Praktiker und Lehrer zu vermitteln.
Klar, dass Monika Mertl vom Entstehen des Wiener „Concentus Musicus” als einer im Geiste Harnoncourts verschworenen Gemeinschaft berichtet, von der Skepsis, mit der die Kritik in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts diese befremdlich „neuen” alten Klänge wahrnahm. Damals galt der brausende Ton von Karl Richters Passionsaufführungen als Bach-Ideal. Mit dem zarteren, auch kargen, vibratolosen, dafür vielfarbigen und -schichtigen Klang des „Concentus Musicus” konnte und wollte man nichts anfangen. Erst in den Achtzigern und Neunzigern setzte sich Harnoncourt durch. Parallel zu ihm und den Wiener Mitstreitern traten in Holland Gustav Leonhardt oder Sigiswald Kuijken auf, gab es in England das Deller-Consort, in Basel die Schola Cantorum und in Köln August Wenzinger mit der Capella Coloniensis. All diese Gruppen haben dem so genannten Originalklang zum Durchbruch verholfen.
Provokation und Bestseller
Die Geschichte der Begegnung zwischen dem Regisseur Jean-Pierre Ponnelle und Harnoncourt im Zeichen Monteverdis ist einer der Höhepunkte des Buches. Da trafen in Zürich zwei seltene Temperamente und Charaktere zusammen, um einen der größten Musikdramatiker unumkehrbar neu zu entdecken. „Die Arbeit mit ihm ist mir eine Notwendigkeit geworden”, so Ponnelle 1985. Und Harnoncourt über Ponnelle: „Das ist genau der Typ Mensch, der mir liegt.”
Dass heute Händels Opern vor ausverkauften Häusern gegeben werden, Monteverdis Meisterwerke zum unverzichtbaren Repertoire zählen, dass Vivaldi und die Instrumentalmusik des Barock Bestseller auf dem CD-Markt sind, das alles ist ohne den unverzagten Harnoncourt nicht denkbar. Dass sich heute große Geiger wie Maxim Vengerov, Viktoria Mullova oder Thomas Zehetmair, Meistercellisten wie Pieter Wispelwey, Steven Isserlis oder Yo-Yo Ma ohne Zögern mit dem Klang der Barockinstrumente beschäftigen, dass der Begriff „Klangrede” so vertraut ist, verdankt sich dem so segensreichen wie provozierenden Wirken Harnoncourts. Dass seine Dirigate von romantischer und neuerer Musik mit bedeutenden Orchestern allerdings weniger überzeugen als der unvergessliche Zürcher Monteverdi-Zyklus, ändert nichts am Range dieses Musikers.
HARALD EGGEBRECHT
MONIKA MERTL: Nikolaus Harnoncourt. Vom Denken des Herzens. Residenz Verlag, Salzburg 2004. 408 Seiten, 24,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als eine der "prägenden Musikerpersönlichkeiten dieser Zeit" würdigt Harald Eggebrecht den Dirigenten und Cellisten Nikolaus Harnoncourt, der mit seinen historischen Aufführungen von Renaissance- und Barockmusik zu Weltruhm gelangte. So begrüßt er Monika Mertls Biografie über Harnoncourt, die aus einem zwanzig Jahre währenden musikalischen Dialog der Autorin mit dem Musik hervorgegangen ist. Stärken wie Schwächen verdanke die Biografie dieser Nähe, die oft ins allzu Private umschlage. "Die Kämpfe und Entscheidungen, durch die Harnoncourt zur Instanz aufstieg", findet Eggebrecht, "sind bei Mertl manchmal vom Familiären überwuchert". Ansonsten scheint er sich mit dem Buch gut anfreunden zu können. Schiebe man die Ranken des Privatlebens beiseite, erklärt er nämlich, werde der Blick frei auf einen der "anregendsten, streitbarsten und konsequentesten Musiker unserer Tage".

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