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Ein Dokument aus nächster Nähe über die letzten Lebensjahre von Stefan GeorgeAm 1. Oktober 1931 traf Stefan George in Minusio ein. Er sollte das Bauerndorf bei Locarno nur noch für wenige Monate verlassen, bevor er dort Ende 1933 starb. Bisher wusste man nur wenig über diese letzte Lebensphase Georges. Clotilde Schlayer berichtet genau von ihr. Fast täglich schrieb sie ihr Erleben Georges in Briefen nieder, aus denen sie nach ihrer Emigration eine Chronik des Lebens im Tessin komponierte. Dieser »Minusio-Roman« stellt dem Leser den alten Dichter in seiner Strickjacke vor Augen, er dokumentiert…mehr

Produktbeschreibung
Ein Dokument aus nächster Nähe über die letzten Lebensjahre von Stefan GeorgeAm 1. Oktober 1931 traf Stefan George in Minusio ein. Er sollte das Bauerndorf bei Locarno nur noch für wenige Monate verlassen, bevor er dort Ende 1933 starb. Bisher wusste man nur wenig über diese letzte Lebensphase Georges. Clotilde Schlayer berichtet genau von ihr. Fast täglich schrieb sie ihr Erleben Georges in Briefen nieder, aus denen sie nach ihrer Emigration eine Chronik des Lebens im Tessin komponierte. Dieser »Minusio-Roman« stellt dem Leser den alten Dichter in seiner Strickjacke vor Augen, er dokumentiert Alltägliches und Weltbewegendes: Georges Herrschaftswille hatte sich auf das Private zurückgezogen, die Gespräche im eng gezogenen Kreis der verbliebenen Freunde befassen sich aber auch mit den kritischen Themen der Zeit und des »Kreises«, etwa dem Nationalsozialismus und der Judenfeindschaft.
Autorenporträt
Clotilde Schlayer (1900-2004), promovierte Hispanistin, übersetzte früh Gedichte Georges in ihre spanische Muttersprache, verbrachte dann einen Großteil seiner letzten Lebensjahre gemeinsam mit dem Dichter in Minusio bei Locarno und berichtete in täglichen Briefen aus dieser Zeit. Nach ihrer Emigration in die USA collagierte sie aus ausgewählten Passagen die Chronik dieser Tage.

Maik Bozza, geb. 1978, studierte Neuere deutsche Literatur, Philosophie und Rhetorik in Tübingen. Von 2005 bis 2007 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter, zunächst am Deutschen Seminar der Universität Tübingen, von 2007 bis 2014 dann am Stefan George Archiv in Stuttgart. Seit 2014 leitet er das Archiv. Mit »Genealogie des Anfangs« wurde er 2015 in Basel promoviert.Veröffentlichungen u. a.:Clotilde Schlayer: Minusio. Chronik aus den letzten Lebensjahren Stefan Georges (Mithg., 2010); Schattenbilder - Lichtgestalten. Zum Kino von Fritz Lang und F. W. Murnau. Filmstudien (Mithg., 2009).

Ute Oelmann, geb. 1949, lehrte in Bristol, Tübingen, Gießen und Stuttgart. Seit 1990 Leiterin des Stefan George-Archivs. Mitarbeiterin bei der Edition der kritischen George-Ausgabe sowie Mitherausgeberin des George-Jahrbuchs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2010

Auf maximale Verehrung eingerichtet

"Ich hab' hier schon sehr viel über die Weiber gelernt": Clotilde Schlayers Aufzeichnungen aus den letzten Lebensjahren Stefan Georges sind ein pikanter Roman.

An einem der ersten Abende kommt das Gespräch auf Karl V. Der Kaiser, von dem es hieß, sein Reich sei so groß, dass die Sonne darin nicht untergeht, hatte 1556 abgedankt und sich in ein Landhaus in Kastilien zurückgezogen. Diesen Entschluss könne er gut nachempfinden, meint George. "Wir sind auch manchmal plötzlich aufgebrochen und haben keine Adresse gelassen und sind fort gewesen ... und es war alles plötzlich so gleichgültig." An solchen Abenden, wenn George sich vergleichend auf eine Stufe mit den Großen der Welt stellt, fühle sie sich manchmal "wie in den Gedichten", notiert Clotilde Schlayer. George spreche dann wie aus großer Ferne, leise, mit vielen Pausen, so, als ob er zum ersten Mal über bestimmte Zusammenhänge nachdenke. Dann sei er ganz bei sich selbst.

Sechs Wochen später macht sich George beim Mittagessen Sorgen wegen der Haushaltsführung, die man auf Dauer wohl nicht werde finanzieren können; so reich sei er nicht - jeden Tag drei köstliche Gänge. Reichtum sei etwas Relatives, bemerkt sein jugendlicher Begleiter Frank Mehnert; Crassus zum Beispiel habe niemanden für reich gehalten, der nicht in der Lage gewesen sei, ein Heer aufzustellen. Und wieder folgt eine jener fast surrealen, vor Selbstbewusstsein strotzenden Feststellungen zur eigenen Person, die keinen Widerspruch dulden: "Ich habe kein Vermögen und habe doch ein Heer aufgestellt - jeder macht's eben anders." Es sind Situationen, denen sich die Zuhörer oft nur durch Flucht in allgemeine Heiterkeit zu entziehen wissen.

Die Aufzeichnungen von Clotilde Schlayer entstanden in den Jahren 1931 bis 1933 während langer gemeinsamer Aufenthalte in Minusio bei Locarno. Sie erlauben nicht nur detaillierte Einblicke in Georges Lebensführung während der letzten Jahre vor seinem Tod am 4. Dezember 1933; in ihrem unprätentiösen Ton heben sie sich auch von jenen oft zwanghaften Stilisierungen des Kreises ab, die das Bild des Dichters in der Öffentlichkeit lange Zeit bestimmten.

Clotilde Schlayer, die in der bisherigen Literatur, wenn überhaupt, bestenfalls als Köchin oder Krankenschwester Georges Erwähnung fand, wurde 1900 in Barcelona als Tochter eines schwäbischen Unternehmers und einer spanischen Sängerin geboren. 1922 war sie ihrem Freund Walter Kempner zum Studium nach Heidelberg gefolgt, wo die beiden unbedingt mit Stefan George in Kontakt kommen wollten. Dem neunzehnjährigen Medizinstudenten gelang dies auf Anhieb, indem er den kürzesten Weg wählte und George einfach auf der Straße ansprach. Clotilde Schlayer wurde erst im Februar 1931 vorgelassen, als sie George in Berlin ihre Übertragungen von Gedichten aus dem "Siebenten Ring" ins Spanische vorlesen durfte. Zwar übernachtete George zu dieser Zeit bereits seit mehreren Jahren regelmäßig in ihrem Haus in Dahlem, aber Kempner, der ihn abends mit dem Wagen in der Stadt abholte, ließ ihn offenbar im Unklaren darüber, wem das Haus gehörte, und Clotilde Schlayer machte sich im Souterrain unsichtbar, wenn er kam.

Als George Mitte September 1931 beim Spaziergang mit Kempner wieder einmal über das trostlos graue Berlin klagte und erwähnte, dass Locarno um diese Jahreszeit wohl ein netterer Ort sei, saß Clotilde Schlayer am nächsten Tag im Zug. Am 19. September telegrafierte sie: "Schadet rauschender Bach? Sonst zuckernes Häuschen 4 Zimmer Garten. Günstig" und meldete ein paar Stunden später Vollzug: "Gemietet. Sonne glüht." Am 1. Oktober trifft George, begleitet von Walter Kempner, im "Molino" ein, und von diesem Tag bis zu Georges Tod - so hat Clotilde Schlayer später gegenüber dem Erben Robert Boehringer betont - sei sie die meiste Zeit mit ihm zusammen gewesen, im Frühjahr und Herbst in Berlin, in den Wintermonaten in Minusio.

Dennoch wird man Clotilde Schlayer nicht die Lebensgefährtin der letzten Jahre nennen wollen. Auch sie musste mit Georges tiefsitzender Abneigung gegen Frauen zurechtkommen, und sie schlug sich wacker. "Sie wissen ja gar nicht, wie Weiber sind", belehrte er sie und meinte es vielleicht sogar als Kompliment. "Allerdings weiß ich's eigentlich kaum", entgegnete sie schlagfertig, "aber ich hab' hier schon sehr viel darüber gelernt."

Georges Bezugspersonen, das waren bis zuletzt Männer: die schon ein wenig älteren Freunde wie Boehringer, Thormaehlen, Berthold von Stauffenberg, die ganz jungen, die nun nach Minusio pilgerten, Cajo Partsch oder Michael Stettler, und, stets an seiner Seite, Frank Mehnert. Ihm galt die besondere Eifersucht Clotildes. Die Herausgeber haben diese strukturelle Gegnerschaft in den Anmerkungen leider fortgeschrieben. Wenn Mehnert kocht - normalerweise ist dafür die aus Berlin mitgereiste Köchin zuständig -, heißt es in der Fußnote, George habe Mehnerts schwere Küche schlecht vertragen (sie schmeckte ihm aber!). Und wenn Mehnert nach München reist, halten die Herausgeber unter Anspielung auf dessen positive Einstellung zum Nationalsozialismus den Hinweis für angebracht, München sei die "Hauptstadt der Bewegung" gewesen.

Überhaupt die Politik. Obwohl sich George durch Zeitungslektüre auf dem Laufenden hält, fehlt es an klaren Stellungnahmen zur Entwicklung in Deutschland. Das liegt zum einen daran, dass seine Freunde zwei unversöhnliche Lager bildeten und der Streit über Hitler stets schnell zu eskalieren drohte, George aber auf Ausgleich bedacht war. Zum anderen hatte er aus seiner grundsätzlichen Verachtung für die Tagespolitik nie ein Hehl gemacht; warum sollte die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler ihn von dieser Haltung abbringen?

"Eine ganz lebhafte Mahlzeit", heißt es am 30. Januar 1933, nachdem Clotilde vor dem Essen noch schnell "die Zeitung mit der Hitlernachricht" geholt hatte. "In bezug auf die Politik doch ein bisschen ,ironisch'. Auch Fr war nur ,angeregt'." Zwei Tage später spricht George "in bezug auf die Politik von der ,nötigen Dummheit, die dazugehört'". Eine Woche nach der Machtübernahme ist das Thema durch: "Über Politik wird zum Glück kaum mehr gesprochen und wenn, dann rä" - was in der Idiomatik Schlayers so viel bedeutet wie kurios, merkwürdig (raro). Das "rä" ist schon so ziemlich alles zu Hitler, und die geringe Ausbeute zählt zweifellos zu den Enttäuschungen der Lektüre.

Der erste Minusio-Aufenthalt erstreckte sich bis Ende April 1932. George blieb also sieben Monate, die längste Zeit, die er es ohne Unterbrechung an einem Ort aushielt. Und das ist auch das Hauptthema der Schlayer-Aufzeichnungen: Bleibt er, oder bleibt er nicht. Abhängig ist das im Wesentlichen von zwei Faktoren, vom Wetter, das die meiste Zeit erfreulicherweise mitspielt, und vor allem von einem abwechslungsreichen Mittagstisch. Jeden Tag lassen sich Frau Schlayer und die Köchin etwas Neues einfallen, um den Gast bei Laune zu halten, der gelegentlich mit einigen größeren Geldscheinen, die er im Kuvert überreicht, zur Haushaltskasse beiträgt. Die Freunde in Berlin und Genf lassen kistenweise "Edelwein" anliefern, Chablis, Graves, Vouvray, den der Meister in gewaltigen Mengen wegtrinkt. Hin und wieder gießt er Frau Schlayer randvoll vom Besten ein - Chateau Yquem oder eine 21er Spätlese vom Rhein -, und wenn er sie vollends glücklich machen will, reicht er ihr zum Abschluss eine selbstgedrehte Zigarette. So luxuriös wie im "Molino", schwärmt George, sei es nicht einmal im "Baur au Lac".

George weiß, dass Clotilde Schlayer in langen Briefen an Kempner, die sie nachts noch zur Bahnpost bringt, alles festhält, was am Tag vorgefallen ist und was gesprochen wurde. Es kennt das Versteckspiel bereits aus seinen früheren Beziehungen zu Sabine Lepsius und Edith Landmann, die ebenfalls den Eckermann gaben. Diesmal erhofft er sich offenbar mehr. Wenn man die Atmosphäre dieser Tessiner Winter richtig einfangen wolle, müsste man eigentlich einen "Molino-Roman" schreiben, heißt es im Februar 1932 mehrmals, da könnte etwas Ähnliches herauskommen wie das, was die Reventlow für das München der Jahrhundertwende so herrlich geleistet habe. Ob die Schlayer es jemals versucht hat?

Nach dem Tod Georges gingen Clotilde Schlayer und Walter Kempner ins amerikanische Exil, die Minusio-Briefe nahmen sie mit als ihren wertvollsten Besitz. In diesen täglichen Notaten kristallisierte sich für sie ihr gemeinsamer Kairos, jene Seinshöhe, die einmal im Leben erreicht zu haben für immer genügen musste. Daran wollten sie niemanden teilhaben lassen, auch nicht die Freunde Georges, die vergeblich versuchten, ihnen Details zu entlocken. Ihre Erinnerungen (wie auch ihre herrlichen Fotos einschließlich der zahlreichen Schnappschüsse aus den letzten Jahren) seien rein privater Natur und gingen die Öffentlichkeit nichts an.

In der Tat enthält die Minusio-Chronik vor allem im zweiten Teil viel Privates, manches wirkt redundant, Wichtiges ist mitunter nur angedeutet; der inflationäre Gebrauch von Deck- und Kosenamen, das verklausulierte Vokabular, die sperrige Syntax, all das macht die Lektüre stellenweise strapaziös. Statt gutgemeinter, aber mit Blick auf die Leserschaft entbehrlicher Fußnoten und manchmal etwas übereifriger, forcierter Interpretationen, insbesondere in politicis, hätte man sich wirkliche Lesehilfen gewünscht. Eine sorgfältige Redaktion hätte dem Text gutgetan. Dann wäre aus einem lebendigen, für die künftige George-Forschung unverzichtbaren Quellenwerk vielleicht doch noch der von George erträumte Minusio-Roman für ein breites Publikum geworden. Wer sich durch die Rohfassung kämpft, wird dennoch sein Vergnügen haben.

THOMAS KARLAUF

Clotilde Schlayer: "Minusio". Chronik aus den letzten Lebensjahren Stefan Georges.

Hrsg. von M. Bozza/ U. Oelmann. Wallstein, Göttingen 2010. 346 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2011

Sein Wille
geschehe
Clotilde Schlayer berichtet über
die letzten Jahre Stefan Georges
Es gibt Momente in Minusio, da ist Clotilde Schlayer richtig frech zum alten Frauenverächter Stefan George (von dem sie nur als Man oder d. M., dem Meister, spricht). „,Die Sache ist die . . .‘“ „,Nein, nein‘, sagte Man gleich, nur ums zu negieren, ,die Sache ist nie die‘.“ „,So?‘ sagte ich darauf ganz sachlich, ,die Sache ist nie die – die Sache ist wohl immer der‘!“ Von dieser gelegentlichen Chuzpe sollte man sich jedoch nicht täuschen lassen. George ist keiner, der sich unter den Pantoffel stellen lässt, im Gegenteil. Wer ihm nah sein will, für den ist sein Wille Gesetz. Das geht so weit, dass man seine Suppe auslöffeln muss. Oder dass man heute keine Butter aufs Käsebrot bekommt. Clotilde Schlayer hält diese Herrschsucht aus, weil sie Stefan George grenzenlos verehrt, ihn vergöttert seit Jugendtagen. „Ich bin dankbar von Natur, auch für Undankbares.“ Von Anfang 1931 bis zum Tod Georges am
4. Dezember 1933 war sie nahezu immer in seiner Nähe, als Mitbewohnerin, Köchin, Krankenpflegerin, Gesprächspartnerin. Was hatte diese Frau in der hermetisch geschlossenen Männerwelt des George-Kreises zu suchen, in dem Misogynie quasi in der Vereinssatzung stand?
Die promovierte Hispanistin war mit ihren Übersetzungen von Gedichten aus dem „Siebenten Ring“ ins Spanische in den innersten Zirkel durchgedrungen. Als George im Herbst 1931 ein Winterquartier sucht, setzt sich Schlayer in den Zug und findet ein schmuckes Häuschen, das „Molino dell’ Orso“ in Minusio, ein Dörfchen am Lago Maggiore nahe Locarno. Hier verbringen Stefan George, Frank Mehnert, Lieblingsknabe und Erster Sekretär der letzten Jahre, und sie die folgenden beiden Winter. Ein kleiner, intimer Kreis. Nahezu jeden Tag schreibt Clotilde Schlayer an ihren Lebensgefährten Walter Kempner, der auch Georges Leibarzt ist. Vor ihrem Tod im Jahr 2004 hat sie eine Auswahl der Briefe getroffen, die jetzt veröffentlicht wurde.
Das Wort Chronik im Untertitel des Bandes trifft das Leseerlebnis ganz gut. Es sind minutiöse Aufzeichnungen des alltäglichen Lebens, das bestimmt ist von der Angst, George könnte allzu bald wieder nach Berlin zurück wollen. Viel wird da über das Tessiner Wetter und die Qualität der opulenten Mahlzeiten berichtet. Auch Schlayers Schreibstil dieses transkribierten Monologs in Briefen (Kempner schreibt so gut wie nie zurück, George nennt ihn deswegen „Faulsack“) ist nicht eben geschmeidig. Hinzu kommen die vielen Abkürzungen, Spitznamen und Anspielungen, für deren Verständnis dem Nicht-Jünger die Voraussetzungen fehlen. Die Herausgeber bemühen sich zwar in vielen Fußnoten redlich, diesen Mangel wettzumachen, doch ist die Gewichtung manchmal fragwürdig. Jeder Wein, der durch Georges kennerische Kehle rinnt, wird mit Herkunftsregion angegeben. Als Schlayer jedoch für einige Tage verreist, erfährt man erst ein halbes Dutzend Seiten später, wo sie überhaupt war.
Neue Erkenntnisse für die George-Forschung fallen auch deshalb nicht ab, weil Clotilde Schlayer auf die vielen interessanten Gesprächsthemen – Philosophisches, die Begegnung Georges mit dem jungen Hugo von Hofmannsthal, die Abkehr Max Kommerells – nicht näher eingeht. Auch über die dringendste Frage, wie denn Stefan George nun tatsächlich zum Nationalsozialismus stand, erfährt man nichts Eindeutiges. Klaus Mann kommentierte 1931 in der Emigrantenzeitschrift Die Sammlung die unklare Position Georges zu den Nazis: „Wir hoffen, dass sein Schweigen Abwehr bedeutet.“ Tagespolitik hat den Lenker seines eigenen Staates, wie der Kreis intern heißt, nie wirklich interessiert.
Ein „Minusio-Roman“, von dem George öfter sagte, er müsse geschrieben werden, ist diese Sammlung nicht. Die große Leistung aber liegt hier darin, Stefan George ins Menschliche, manchmal Allzumenschliche zurückzuholen. Nur Pikantes oder gar Diffamierendes fehlt, da die Hochachtung vor George das nicht erlaubte. So fehlen etwa bewusst die detaillierten Beschreibungen von Georges Krankheitsverlauf. Ansonsten deckt Schlayer die liebenswürdigen Seiten des Gottes der Lyrik und des Geistes auf. Er nennt sie oft „die Zuckerne“, ist nett, belohnt mit „Verdienstzigaretten“ und hält durchaus auf ihre Meinung. Heraus kommt das Bildnis eines alten Mannes, der, mal verschmitzt, mal grantig, sich der Größe und Wirkung seines Werkes bewusst ist.
Die erste Überwinterung 1931/32 in Minusio dauerte sieben Monate. Seit seiner Kindheit hatte es George an keinem Ort so lange ausgehalten. Für Schlayer waren die Jahre mit George das Ereignis im Leben, von dem man ewig zehrt. Obwohl sie sich für Georges Wohlbefinden aufopfert und im Wohnzimmer hinter einem Vorhang haust. Als sie mit Kempner auf der Flucht vor den Nazis in die USA auswandert, sind die Briefe ihr größter Schatz. Die Chronik endet am 24. November 1933, zehn Tage vor des Meisters Tod. Clotilde Schlayer und Walter Kempner ließen sich neben Stefan George in Minusio begraben.
MATTHIAS WAHA
CLOTILDE SCHLAYER: Minusio. Chronik aus den letzten Lebensjahren Stefan Georges. Hrsg. von Maik Bozza und Ute Oelmann. Wallstein Verlag, Göttingen 2010. 348 S., 39,90 Euro.
Er nennt sie „die Zuckerne“
und lässt ab und an eine
„Verdienstzigarette“ springen
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Grenzenlose Verehrung und Treue kann Matthias Waha aus den Briefen von Stefan Georges Pflegerin, Köchin und Übersetzerin Clotilde Schlayer herauslesen, auch wenn er der Schreiberin durchaus eine gewisse Chuzpe dem Meister gegenüber attestiert. Die vorliegende Auswahl der Briefe Schlayers an ihren Mann erscheint Waha als minutiöse Chronik der letzten Lebensjahre Georges, die Mahlzeiten und Wetter festhält und auch sonst eher Menschliches, Allzumenschliches aus der Welt des großen Raunenden berichtet, nichts grundstürzend Neues für die Forschung (etwa Georges Haltung zum Nationalsozialismus betreffend). Für Waha geht das in Ordnung. George ein wenig sympathischer zu machen, wie es der Autorin hier gelingt, scheint ihm auch keine Kleinigkeit zu sein.

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