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»Schon die Entgeisterung in meinem Umfeld, als ich auf mein erstes Udo-Jürgens-Konzert ging! Kaum etwas in meinem Leben hat zu so ambivalenten Reaktionen geführt« - so erinnert sich Andreas Maier, als er zum ersten Mal Udo Jürgens live erlebte. Im November 2014 besuchte er in Frankfurt zum letzten Mal eines von dessen Konzerten. In seinem Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb er, der Künstler Jürgens wisse stets, »wo und in welchen Momenten man sich die Glücksverheißung oder Wahrheitsverheißung vom eigenen, ganz konkreten gesellschaftlichen und privaten Leben abringen kann…mehr

Produktbeschreibung
»Schon die Entgeisterung in meinem Umfeld, als ich auf mein erstes Udo-Jürgens-Konzert ging! Kaum etwas in meinem Leben hat zu so ambivalenten Reaktionen geführt« - so erinnert sich Andreas Maier, als er zum ersten Mal Udo Jürgens live erlebte. Im November 2014 besuchte er in Frankfurt zum letzten Mal eines von dessen Konzerten.
In seinem Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb er, der Künstler Jürgens wisse stets, »wo und in welchen Momenten man sich die Glücksverheißung oder Wahrheitsverheißung vom eigenen, ganz konkreten gesellschaftlichen und privaten Leben abringen kann oder muss«. Nach dem Tod von Udo Jürgens Ende Dezember 2014 entschloss sich Andreas Maier, dem angriffslustigen Sänger noch einmal nahezukommen.
Autorenporträt
Andreas Maier, 1967 im hessischen Bad Nauheim geboren, studierte Philosophie und Germanistik, anschließend Altphilologie. Er lebt in Frankfurt am Main.
Rezensionen
»Es ist ein sehr schönes Buch, eines, das mit charmanter Beiläufigkeit daherkommt.« Julia Encke Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20151220

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Christian Thomas hält diesen abseits von der großen Wetterau-Saga des Autors als Suhrkamp-Logbuch entstandenen Text von Andreas Maier keinesfalls für ein Nebenwerk. Im Gegenteil scheint ihm der Autor hier grundsätzlich und von der Sprache her nicht nur ein radikales Bekenntnis zu Udo Jürgens zu formulieren, sondern auch gleich eins zum Strukturalismus. Dadaistisch und "strukturböse" kann Maier werden in seiner "Jürgens-Stochastik", warnt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.11.2015

Abgesang
Andreas Maiers Bericht über
sein Jahr ohne Udo Jürgens
VON HILMAR KLUTE
Wuchtige historische Ereignisse, besonders die traurigen, bricht man gerne auf das persönliche Lebensmaß herunter, vorzugsweise mit der Frage: Wo warst du am soundsovielten, als das große Unglück geschah? Also zum Beispiel am 21. Dezember 2014, dem Tag, an dem Udo Jürgens plötzlich starb. Bei Andreas Maier lief dieser Sonntag folgendermaßen ab: Um 18.11 Uhr saß er am Stammtisch seiner Lieblingskneipe Buchscheer in Frankfurt, da brummte das Handy, und Maier las eine Nachricht von Nina, der „Lehrerin aus dem Gießener Raum“ – hübsch übrigens, wie klug Maier den formellen Tonfall benützt. Die Nachricht lautete: „Er ist tot“ – Maier wusste sofort, wer gemeint war, und wenn sich ein solcher Instinkt meldet, ist klar: Es muss etwas sehr Tiefgreifendes in einem vorgehen, das einen verpflichtet, andere Menschen zu fragen, wie ihr Leben nach diesem Sonntag weitergegangen ist.
  Andreas Maier hat nach dem Tod des Sängers für das Internet-„Logbuch“ von Suhrkamp eine regelmäßige Kolumne geschrieben: „Mein Jahr ohne Udo Jürgens.“ Das Buch, das am kommenden Montag unter diesem Titel erscheint, ist allerdings keine dieser selbstgefälligen Glossensammlungen, mit denen sich Autoren sonst üblicherweise als gesellschaftliche Pulsmesser empfehlen. Andreas Maier hat eigentlich wieder einen seiner kleinen autobiografischen Romane geschrieben, mit denen er seit ein paar Jahren von seiner Jugend in der Wetterau erzählt – Bücher, die von der Angst des behüteten Kindes handeln und die voller Heimatwunderlichkeiten sind. Die Missdeutungen der Erwachsenenwelt, das Empfinden, in stabilen, aber irgendwie auch schiefen politischen Verhältnissen aufzuwachsen und der komische Zwang, für jeden Alltagskäse ständig ein „Lebensgefühl“ definieren zu müssen – diese Maier’schen Konstanten kommen auch im Udo-Jürgens-Buch vor.
  Der Sänger ist der Stichwortgeber für den Chronisten in eigener Sache. Marcel Proust hat sich Madeleines auf die Zunge gelegt, Andreas Maier bevorzugt Udo-Jürgens-Sätze, um wieder abzutauchen in Kindheit und Jugend, gerne auch ins Kinderzimmer, wo der Junge oft erkältet in seinem Bett lag, weil er im Zuge naiver Abhärtungsübungen im Winter das Fenster offenließ. Und dann sagt Udo Jürgens bei Markus Lanz doch tatsächlich den Satz: „Kalt duschen bringt einen so richtig nach vorn.“ Und was macht Maier, der Jürgens erst relativ spät als Referenzgröße für eigene Befindlichkeiten entdeckt hat? Er fängt selbst damit an, kalt und kälter zu duschen, denkt dabei an den viel älteren Udo und schreibt einen der schönsten Nekrolog-Sätze überhaupt: „Selbst unter der Dusche hat er uns allein gelassen.“
  Andreas Maier hat kein Buch über Udo Jürgens geschrieben. Er hat aus der Blaupause Udo Jürgens eine Erzählung über unsere Ewigkeitssehnsüchte gemacht. Denn Udo Jürgens war immer da, im Bewusstsein der mittleren Generation zumindest. Anders, also mit Andreas Maier gesagt: „Jeder trug einen Udo-Jürgens-Teil in sich, der mit Udo Jürgens Tod verschwand.“
  Natürlich kommt niemand, auch Andreas Maier nicht um die Frage herum: Udo Jürgens gut finden, geht das überhaupt? Immerhin stand der Mann für die himmelblaue Abendunterhaltung, den Mainstream, also für das, was man abschätzig „solche Musik“ nennt. Maier ging es da ähnlich, bis er Jürgens’ Lied „Denn mein Bruder ist ein Maler“ hört, und jetzt geht es schwer kathartisch zur Sache, denn die Musik von Udo Jürgens legte dem überwältigten Maier die Frage vor: „Hörst du, dass du in mir das versteckte andere Abbild deiner selbst hörst?“
  Der pathetische Jürgens peitscht den von Natur aus eher apfelweinstubensoliden Maier manchmal so fulminant nach oben, dass der leider vergisst, von dort ein paar halbwegs verbindliche Wahrheiten mitzubringen. Er macht aus dem Umstand, dass er blöderweise immer mit seifigen Händen nach Udo greift, eine ironische Disziplin: „Ich betreibe seit einem Jahr Udo-Jürgens-Stochastik“, also eine Art methodische Annäherungsmathematik. Dass Andreas Maier ziemlich lange um Deutung gerungen hat, zeigen seine Notizen am Ende des Buchs: „uj ist kommunikationstechnisch wie Apfelwein auf musikalisch.“ Irgendwie denkt man beim Lesen immer: Ja, Maier, ich ahne, was du meinst. Aber irgendwie kriegst du es nicht zu fassen. Und dann beim zweiten Gedanken: Schön, dass du Udo Jürgens nicht zu fassen gekriegt hast, denn deine Stochastik ist, wenn du nicht gerade seitenlang Udo-Jürgens-Liedtexte sezierst, von tröstlicher Unterhaltsamkeit.
Andreas Maier: Mein Jahr ohne Udo Jürgens. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 218 Seiten, 17,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Aus der Blaupause Udo Jürgens
macht Maier eine Erzählung
über unsere Ewigkeitssehnsucht
„Selbst unter der Dusche hat er uns allein gelassen“: Udo Jürgens am Flügel.  Foto: imago stock&people
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2015

Die Nicht-Partei
Der Schriftsteller Andreas Maier hat Udo Jürgens ein liebevolles Buch gewidmet

Als vor einem Jahr, am 21. Dezember 2014, Udo Jürgens starb, es war der vierte Advent, saß der Schriftsteller Andreas Maier an seinem Stammtisch in der "Buchscheer", einer Apfelweinwirtschaft in Frankfurt am Main. "Sehen wir uns vorher noch?", hatten ihn, wie jedes Jahr vor Weihnachten, all jene gefragt, denen er in diesen Tagen über den Weg gelaufen war, ganz so, als gäbe es kein Danach, was dazu geführt hatte, dass er vor dem 24. Dezember eigentlich Tag für Tag in der Wirtschaft saß und Freunde sah. Der 21. Dezember 2014 war also ein "Tag des Hineinfeierns, des Auf-Weihnachten-zu-Feierns, des ,Sehen wir uns vorher noch'-Feierns" - als um 18.11 Uhr sein Telefon brummte und er zwei Nachrichten bekam. Die erste lautete: "Er ist tot." Die zweite lautete: "Udo Jürgens ist tot." Allein die erste aber hätte gereicht. Beim Blick auf die Absenderin war klar, dass "Er" niemand anderes als Udo Jürgens sein konnte, der an diesem Tag bei einem Spaziergang in der Schweiz zusammengebrochen war. Die Nachricht verbreitete sich in der "Buchscheer". An den Tischen fingen sie an, die Lieder zu singen. Es war historisch, und jeder wusste es: "Etwas Großes war gegangen."

Andreas Maier, das muss man wissen, gehört nicht gerade zu denen, die früher schon Udo Jürgens gehört haben. Er und seine Freunde, Anfang der achtziger Jahre war das, hörten selbstverständlich Led Zeppelin, Deep Purple, Motörhead oder Pink Floyd, weil das "unsere Musik" war, "gute Musik", die "für etwas stand", ein "Lebensgefühl oder was auch immer". Und fünfzig Meter weiter saß eine andere Gruppe, die Gegengruppe, und hörte Zeug, von dem Maier und seine Freunde meinten, dass kein Mensch sich das anhören konnte, also Sweet oder Smokie oder T. Rex. Sie hörten es allerdings aus denselben Gründen, weil es "ihre Musik", ihr "Lebensgefühl" war. "Lebensgefühl ist einfach immer Scheiße. Lebensgefühl ist immer Verarsche. Bei Lebensgefühl glaubt man immer, es gehe um Freiheit, aber es geht immer ums Geld", stellt Andreas Maier rückblickend fest und sieht sich die Plattenfirmenbosse von damals die Hände reiben. Aber das ist nicht der Punkt.

Der Punkt ist, dass er die Gruppensituation von damals nimmt, um zu begreifen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass Udo Jürgens in seinem Leben lange gar nicht vorkam. Die Musik von Udo Jürgens, sagt er, habe zu den Dingen, aus denen sich Gruppenzugehörigkeit, Identifikation und Abgrenzung bilden, nämlich nie beigetragen. Sie war immer vollendeter Mainstream. Weil sie für gar nichts Besonderes stand, hatte man den interpretatorischen Umweg erfunden, die Udo-Jürgens-Musik als Schlagermusik abzutun, also als Musik für diejenigen, "die das hören, was man nicht nur selbst nicht hört, sondern gegen das man sich nicht einmal abgrenzen muss, weil es sowieso nicht infrage kam". Deshalb wurde Udo Jürgens nicht gehört. Und diejenigen, die - wie Andreas Maier - später im Leben zu ihm hingingen, machten das vermutlich nicht zuletzt, um "vor dem üblichen Parteiungs-Schwachsinn" einfach mal ihre Ruhe zu haben: "Udo Jürgens, die komplette Nicht-Partei."

"Mein Jahr ohne Udo Jürgens" heißt das Buch zum ersten Todestag, das aus einer Kolumne hervorgegangen ist, die Maier im Logbuch des Suhrkamp-Verlags veröffentlicht hat. Es ist ein sehr schönes Buch, eines, das mit charmanter Beiläufigkeit daherkommt. Ein Buch, das man eine Liebeserklärung an Udo Jürgens nennen kann, das sich aber nicht als Beichte versteht. An keiner Stelle hat man den Eindruck, Andreas Maier wolle gestehen (oder sich ironisch davon distanzieren), dass er Udo Jürgens toll findet.Völlig unironisch findet er ihn toll und versucht zu fassen, was das genau ist, was er da so mag. Eine Art Selbst-Gespräch ist "Mein Jahr ohne Udo Jürgens" deshalb und die Beschreibung jenes Schlüsselmoments, als der Autor das erste Mal "Mein Bruder ist ein Maler" hört und nichts mehr zwischen ihm und dem Lied zu stehen scheint, die Vermittlungsstufen fehlen, und er (immerzu ist Apfelwein im Spiel) in Tränen ist am Ende dieses Lieds.

Dass Maier, wenn er in mehreren Kapiteln eine "Merci Chérie"-Exegese betreibt, ein bisschen ins Oberseminarhafte abdriftet und ihm ab und zu auch diese für das Oberseminar typischen Nonsens-Sätze unterlaufen ("Der Koitus ist hier aber gedacht als etwas, in dem beide Personen sich in gegenseitiger Offenheit, des gesellschaftlichen Rollenspiels entkleidet, als Menschen in ihrem Eigenwert überhaupt erst wirklich begegnen können, und zwar gerade aufgrund des beide Personen gleichermaßen auf Augenhöhe würdigenden Vertragsabschlusses"), man also einfach nur denkt: "Hä?" - dann stört das. Immerhin vergisst man diese Sätze aber schnell, weil beim Weiterlesen die schönen Beobachtungen überwiegen.

Etwa wenn der Autor die Menschen im Publikum eines Udo-Jürgens-Konzerts beschreibt, die man "an gar nichts" erkennt, weil es alle sein können. Wenn er erzählt, wie auf einem dieser Konzerte, obwohl es in Udo-Jürgens-Liedern nie um Sex geht (und übrigens auch nicht um Tod), es ihm so vorkommt, als wollten noch während dieses Konzerts alle unbedingt sofort mit irgendwem ins Bett, auch wenn sie das vielleicht schon seit zwanzig Jahren nicht mehr gemacht hatten oder bislang noch nie.

Oder wenn er den letzten Auftritt von Udo Jürgens zusammen mit Helene Fischer beschreibt, die bei der Show zu seinem achtzigsten Geburtstag für ihn "eine Art Hochleistungssport-Variante" von "Merci Chérie" sang, eine Version, die eigentlich zeigte, dass sie nicht wirklich wusste, wovon sie da sang - während Udo Jürgens auf der Bühne einfach nur sehr verknallt war in Helene Fischer.

JULIA ENCKE

Andreas Maier: "Mein Jahr ohne Udo Jürgens". Suhrkamp-Verlag, 220 Seiten, 17,95 Euro

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