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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Peter Sturm ist die vorliegende Mao-Biografie der beiden Historiker V. Pantsov und Steven I. Levine ein Buch über den "bösen Mao". Lesenswert und lesbar findet Sturm den Band, da die Autoren ihrer Abneigung gegen den Großverbrecher, aber auch ihrer Bewunderung über dessen komplexe Persönlichkeit gleichermaßen Rechnung tragen. So sieht Sturm das Wüten Maos beim "Großen Sprung nach vorn" eindringlich dargestellt, aber auch dessen Wandlungen über die Jahre. Dass die Autoren ihre Einschätzungen auf einer breiten Quellenbasis vornehmen, rechnet der Rezensent ihnen an. Maos Strategien als "links" zu bewerten, hält Sturm allerdings für einen Fehler.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2014

Leichen säumen seinen Weg
Ein Markenzeichen der Herrschaft Maos, dessen Aufstieg mehr eine lange Flucht als ein "Langer Marsch" war

Das 20. Jahrhundert hat einige historische Gestalten hervorgebracht, an denen sich Biographen immer wieder abarbeiten. Neben den "üblichen Verdächtigen" Hitler und Stalin gehört auch Mao Tse-tung in diese Kategorie. Heraus kommen - zumindest bei Stalin und Mao - oft entweder hasserfüllte Pamphlete oder apologetische Darstellungen. Beider Erkenntniswert ist überschaubar. Nun also haben sich zwei in den Vereinigten Staaten lehrende Historiker der "komplexen Persönlichkeit" Mao angenommen und dafür Dokumente aus dem ehemaligen Parteiarchiv der sowjetischen Kommunisten herangezogen. Diese zeigen Mao als getreuen Gefolgsmann Stalins und nicht als romantischen Rebellen gegen das Diktat der "kommunistischen Weltpartei" aus Moskau. Das mag richtig sein, obwohl quellenkritisch anzumerken wäre, dass alles, was zu Stalins Zeiten in Stalins Reich zu Papier gebracht wurde, dem Diktator nach dem Munde redete, wollte der Autor nicht buchstäblich seinen Kopf riskieren. Trotzdem ist die breite Quellenbasis des Buches beeindruckend.

Hier begegnet uns ein Mao, der seit frühester Jugend nicht unter mangelndem Selbstbewusstsein litt. Als Vorbild galt ihm unter anderen Napoleon. Vielleicht auch deshalb war er sich zu schade, selbst sein Trinkwasser zu besorgen. Der junge Herr ließ arbeiten und bezahlte dafür. Er hielt sich offenbar schon sehr früh für etwas Besseres. Das passt ins Bild des Despoten, der später für Millionen Chinesen Elend und Tod bedeuten sollte. Da erstaunt es fast, dass der junge Mao auch Freunde gehabt haben soll, wobei "Freundschaft" natürlich ein dehnbarer Begriff bleibt. Einige Feindschaften bildeten sich aber auch schon heraus. Zu einem geplanten Studienaufenthalt des jungen Mao in Frankreich kam es nicht, weil er keinerlei Begabung für fremde Sprachen hatte, es andererseits aber nicht ertragen konnte, irgendwo nicht der Erste zu sein. Deshalb blieb auch ein erster Aufenthalt in Peking - als Hilfsbibliothekar an der Universität - von kurzer Dauer, weil die dortigen Geistesgrößen den kleinen Bediensteten ignorierten.

Die Wandlung Maos zum Marxisten datieren die Autoren auf das Jahr 1920. Vorher sei er ein liberaler Demokrat gewesen. Das mag auf den ersten und zweiten Blick erstaunen, aber Liberalismus wird unter der Lupe von Wissenschaftlern zuweilen sehr "liberal" interpretiert. Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) wurde im Juli 1921 in Schanghai gegründet, unter "Anleitung" von Delegierten der Kommunistischen Internationale aus Moskau. Mao gehörte zu den Gründern. Wie sehr in dieser Frühphase die Geschicke der KP von sowjetischen Staatsinteressen fremdbestimmt wurden, zeigt die von Moskau dekretierte Kooperation mit der Nationalpartei Guomindang. Das entsprach der Komintern-Linie für "Kolonien und Halbkolonien". Hauptgegner waren die westlichen Kolonialmächte. Zu deren Bekämpfung wurden Bündnisse mit "bürgerlichen" Kräften gefordert. Deshalb sollten die Kommunisten Mitglieder der Guomindang werden. Das Problem im Falle Chinas war nur, dass sich das "Wirtstier" Guomindang nicht widerstandslos von den Kommunisten in ihren Reihen aussaugen ließ. 1927 schlug der neue starke Mann der Partei, General Tschiang Kai-schek, militärisch gegen die Kommunisten los, die viele Mitglieder verloren. Tschiang, den sowjetische Medien zuvor sogar "Genosse" genannt hatten, war jetzt der Erzfeind der KPCh.

Bei Mao setzte jetzt ein Umdenken ein. Man habe sich, fand er, zu sehr auf die Stadtbevölkerung konzentriert. Der Schlüssel zum Erfolg liege aber bei den Bauern. Andersdenkende in der Partei nannte er "Konterrevolutionäre". Entscheidend zur Niederlage der Kommunisten hatte auch das sklavische Befolgen der Komintern-Direktiven aus Moskau beigetragen. Mao zog für sich daraus seine Konsequenzen, ohne freilich alle Verbindungen zum "Zentrum der Weltrevolution" zu kappen. Rücksichten nahm er dabei nicht. Schon für dieses Stadium seines Lebens gilt, was später zu einem Markenzeichen seiner Herrschaft werden sollte: Leichen säumen seinen Weg.

Mao hatte das Glück, nicht persönlich an der Arbeit des inneren Führungszirkels der KPCh teilzunehmen. Dieser geriet - wie alle kommunistischen Parteien auf der Welt - in den Jahren nach 1929 in die Mühlen des Kampfes, den in Moskau Stalin gegen wirkliche oder vermeintliche Gegner in der Sowjetunion führte. Und da die Komintern alle Wendungen sklavisch nachvollzog und alle kommunistischen Parteien als Sektionen der "Weltpartei" auf die Komintern hören müssten, herrschte über Strategie und Politik heilloses Chaos. Da war es gut, weit weg vom Schuss zu sein. Während sich die Kommunisten in Debatten um "Abweichungen" aller Art aufrieben, gingen die Truppen der Guomindang gegen sie vor. Entscheidende Siege gelangen Tschiang Kai-scheks Einheiten zwar nicht. Aber im Rückblick erkennt man, dass die KP einige Male der physischen Vernichtung nur knapp entging. Zeitlich parallel führte Japan Krieg gegen China. Durch eine - militärisch weitgehend bedeutungslose - "Kriegserklärung" an den Angreifer erwarben sich Chinas Kommunisten in weiten Kreisen den Ruf, gute Patrioten zu sein, was ihnen noch sehr helfen sollte.

Für Mao führte der Weg zur Macht über den heute legendären "Langen Marsch" der Jahre 1934/35, der zutreffender lange Flucht heißen müsste, weil die Kommunisten der Militärmacht der Guomindang nicht mehr gewachsen waren, ihr aber immer wieder entkamen. Endgültig die Rettung für die bedrängte KP bedeutete die japanische Aggression 1937. Die Guomindang sah sich gezwungen, den Bürgerkrieg im Interesse des Kampfes gegen den äußeren Feind zu beenden. Bis 1940 hatte sich Mao zum unumstrittenen Führer der KP aufgeschwungen. Stalin unterstützte ihn, und Mao eiferte diesem in vielerlei Hinsicht nach, zum Beispiel beim Aufbau eines Personenkults. 1945 verabschiedete ein Parteitag ein Parteistatut, das die Partei verpflichtete, ihre Arbeit am "Denken" Maos auszurichten.

Relevant wurde dieses "Denken" für die meisten Chinesen erst nach Ausrufung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949. "Denker" Mao war zwar eine Leseratte, sein politischer Horizont reichte aber nur bis Stalin. Deshalb verordnete er dem geplagten Land seine Spielart des Stalinismus. Aus Anlass von Stalins 70. Geburtstag 1949 kam es zur ersten persönlichen Begegnung. Der Moskau-Besuch war formal ein Erfolg: Beide Staaten schlossen ein Freundschafts- und Beistandsabkommen. Aber atmosphärisch ließ Stalin seinen Gast überdeutlich spüren, wer "Lehrer" und wer "Schüler" war. Letzterer war aber hochgradig verärgert.

Stalins Tod war für Mao in gewissem Sinne eine Befreiung. Zur Sicherung seiner Macht brauchte er keine Bestätigung mehr von außen. Und weil die Sowjetunion in eine Phase der Unsicherheit geriet, konnte Mao innerhalb Chinas seine Position ungestört ausbauen und alle Rivalen beseitigen. Wozu diese Machtfülle führt, sollten in den nächsten Jahren Millionen Chinesen am eigenen Leib erfahren: Sie kostete das "Mao-Tse-tung-Denken" das Leben, was den Vorsitzenden aber - wie so vieles Menschliche - vollständig kaltließ. Den öffentlichen Personenkult um sich ließ er freilich gerne zu. Das System bekämpfte zwar "Abweichungen" aller Art unter den Funktionären. Gegen den mörderischen Größenwahn des Führers hatte es aber kein Mittel parat.

So eindringlich die Autoren das Wüten zum Beispiel während des verheerenden "Großen Sprungs nach vorn" beschreiben - sie machen doch einen Fehler, der in vielen Büchern über Kommunismus nicht auszurotten ist: Sie ergehen sich in Erörterungen, ob eine Strategie nun "links" war oder "rechts". Der "Große Sprung" gilt demnach als "links". Soll "links" also heißen, dass etwas besonders falsch ist? "Links" muss man dann auch wohl die letzte Katastrophe nennen, in die Mao das Land noch stürzte: die "Große Proletarische Kulturrevolution". Diese kostete nicht nur zahllose Menschen das Leben. Diesmal schaffte es der "Große Steuermann" sogar beinahe, die staatlichen Strukturen komplett aufzulösen. Letztlich war es die Armee, die eine allgemeine Anarchie verhinderte. Die "Roten Garden" hingegen, enthusiastische Jugendliche, die Mao noch vor kurzem zur Rebellion angestachelt hatte, wurden zur verlorenen Generation Chinas. Bildung hatten sie - befehlsgemäß - verweigert. Nun wurde ihnen auch noch die Macht verwehrt. Den Anstifter Mao kümmerte das selbstverständlich nicht.

Die Autoren bewerten Mao mit bewundernder Abscheu: Einerseits sei er ein Großverbrecher des 20. Jahrhunderts, andererseits aber doch vielschichtiger als der primitive Stalin. Mao habe zig Millionen Menschen ungerührt dem Tod überantwortet, politische Rivalen aber meist "nur" zum Gesichtsverlust gezwungen, was in China schon eine schwere Strafe ist. Diesem (soll man sagen humanen?) Charakterzug verdankt Deng Xiaoping sein physisches Überleben. Und ohne ihn wäre vieles in China nach Mao anders gekommen. Nur die Einparteidiktatur hat auch dieser Reformer nie überwinden wollen. Diese Aufgabe harrt noch der Erfüllung. Vielleicht braucht es dafür einen "guten Mao". Über den "bösen" liegt jedenfalls jetzt ein sehr lesbares und sehr lesenswertes Buch vor.

PETER STURM

Alexander V. Pantsov/Steven I. Levine: Mao. Die Biographie. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 992 S., 34,- [Euro].

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die Biografie [...] füllt die Waagschalen von Pro und Contra mit neuen und gewichtigen Belegen. Hannes Schwenger Der Tagesspiegel 20140917