Produktdetails
  • Verlag: Diogenes
  • ISBN-13: 9783257215212
  • Artikelnr.: 25129484
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2018

Die unvorbereiteten Mörder
Der Audio-Verlag lässt parallel zu einer neuen Gesamtausgabe sämtliche Werke von Georges Simenon einlesen
Maigret ist zurück. Der schwergewichtige Kommissar mit der Pfeife im Mundwinkel, der „wie ein Schwamm allmählich alles aufsaugt, was seine Umgebung absondert“, wie es einmal in einem der insgesamt 75 Maigret-Krimis heißt, erscheint seit Oktober im neu gegründeten Kampa-Verlag. Aber nicht nur er allein: Die Schweizer bringen peu à peu den ganzen Simenon heraus. Sehr viele Werke in neuer Übersetzung, manche sogar als deutschsprachige Erstausgabe, etwa die Fälle rund um den rothaarigen Inspektor G7.
Das ist eine Mammutaufgabe, schließlich war der gebürtige Belgier ein manischer Schnell- und Vielschreiber. Neben den Maigrets verfasste er noch 117 weitere dämmergraue Romane, die sogenannten „romans durs“; von den über 150 Erzählungen gar nicht zu reden. Daher holte man sich Unterstützung und kooperiert bei der Edition mit Hoffmann und Campe. Im Herbst 2020 soll das Vorhaben abgeschlossen sein.
Eine Großtat ist die Simenon-Edition auch für den Audio-Verlag, der parallel sämtliche Werke als Hörbücher einsprechen lässt. Nun sind die ersten erschienen und begeistern bereits optisch. Jedes ist mit alten Schwarz-Weiß-Fotografien illustriert und einige sind mit einem ausführlichen Booklet versehen. Darin sind die Nachworte zu lesen, die der Kampa-Verlag eigens von Autoren wie John Banville, Daniel Kehlmann oder Julian Barnes hat verfassen lassen.
Walter Kreye ist der neue Maigret. Bislang sind zwölf Krimis der Reihe, von „Maigret zögert“ bis „Maigrets Pfeife“, erschienen, und schon jetzt kann man sagen, dass er ein würdiger Nachfolger von Paul Dahlke oder Leonard Steckel ist, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die Hörspielstimmen Maigrets waren: Kratzbürstig der eine, heller und freundlicher der andere. Kreye macht sich Maigret nun mit ruhiger, tiefer Stimme, die viel Wärme verströmt, zu eigen. Der behäbige Pariser Kommissar und versierte Menschenkenner nimmt so Gestalt an. Nicht die Tat ist das Entscheidende, sondern der Grund, warum es zu ihr kam. Stets sind die Mörder Menschen, „die eines schönen Tages töten, ohne dass sie darauf vorbereitet gewesen wären“.
Für Fans, die mit Maigret hinlänglich vertraut sind, dürften indes die erstmals auf Deutsch vorliegenden „Vier Fälle für Kommissar G7“ interessanter sein, die Christian Berkel äußerst klar und schlank vorträgt. G7 ist trotz Pfeife in so gut wie allem das Gegenteil von Maigret, dem verheirateten Mann aus dem Volk: jung, schlaksig, den Frauen durchaus zugetan und somit fast so etwas wie das Alter Ego seines Erfinders. Der schaut G7 als Georges Sim über die Schulter, um etwas über Kriminalistik zu erfahren.
Simenon hat G7, dessen Haare so rot sind wie die Dächer der Pariser Taxis der Marke G7, 1929 erdacht; die vorliegenden Geschichten stammen von 1931, dem Jahr also, das auch die legendäre Geburtsstunde von Maigret ist. Die G7-Geschichten, etwa die Eingangserzählung „Die Irre von Itteville“, sind in ihrer Anlage reißerischer als die Maigrets, was ihrer Konzeption für Groschenhefte geschuldet ist. Und doch findet sich schon vieles von dem, was die späteren Bücher auszeichnet: ein pointierter Stil, der es mit wenigen Worten vermag, Schauplätze und Figuren zu zeichnen. Im „Itteville“-Fall regnet es Bindfäden, wabert der Nebel, herrscht also schon Simenon-Wetter. Das kennt zwar auch die Sonne, dann aber gleich als sengende Hitze. Und noch etwas Typisches taucht bereits auf. Der in Haltung und im Gesichtsausdruck sich zeigende Totalzusammenbruch des Täters von einer Sekunde zur nächsten. Er besagt: Ich bin am Ende.
Für Simenons „romans durs“ ist die Crème de la Crème der deutschen Schauspielriege angetreten. Zwei der drei bislang erschienenen Romane sollen hier Erwähnung finden. Wolfram Koch entführt in die sexuell schwer aufgeheizte Atmosphäre des „Blauen Zimmers“. Im Hôtel des Voyageurs zeigt sich die verheiratete Andrée dem ebenfalls verheirateten Tony „so schamlos wie möglich“. Der nackte Mensch, das große Thema Simenons, wird in dem Buch von 1964 also nicht im übertragenen Sinne als scheiternder Kampf des Individuums mit seinen Lebensträumen entfaltet, sondern ganz wörtlich. Das Zimmer ist in dieser aus Rückblicken montierten Geschichte einer gnadenlosen Obsession gleichermaßen Schutzraum für die Lebensgier der Figuren wie klaustrophobischer Ort.
Die entscheidende Frage in dem bereits 1938 geschriebenen Roman „Chez Krull“ lautet: „Was war so besonders an dieser Familie, warum löste sie solche Aggressionen aus?“ Felix von Manteuffel hat das Buch, das man angesichts des rechten Mobs in Chemnitz nicht anders als das der Stunde bezeichnen muss, mit Gespür für seine Abgründe so eingelesen. Julian Barnes, der das Nachwort schrieb, fühlte sich an die Tage unmittelbar nach der Brexit-Abstimmung mit „den Schmierereien an den Wänden, der Zunahme rassistischer Beschimpfungen“ erinnert.
Minutiös erzählt Simenon vor dem Hintergrund eines Mordes, wie es in einem nordfranzösischen Ort zu Ausgrenzung, Hass und schließlich Gewalt gegen Fremde kommt. Als Opfer und Sündenböcke muss hier die vor Jahrzehnten aus Deutschland eingewanderte Familie Krull herhalten: „Sie wussten nur, dass die Krulls Ausländer waren …“
FLORIAN WELLE
Georges Simenon: Das Rätsel der Maria Galanda. Vier Fälle für Inspektor G7. Lesung mit Christian Berkel. 5 CDs, 6h 5min. 19,99 Euro.
Georges Simenon: Das blaue Zimmer. Lesung mit Wolfram Koch. 4 CDs, 4h 31min, 22 Euro.
Georges Simenon: Chez Krull. Lesung mit Felix von Manteuffel. 5 CDs, 6h 19min. 22 Euro.
Alle DAV, Berlin 2018.
Und dann folgt der
Totalzusammenbruch des Täters
von einer Sekunde zur nächsten
„Was war so besonders an
dieser Familie, warum löste
sie solche Aggressionen aus?“
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