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Grundlage der Studien ist die Wahlverwandtschaft zwischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Denn unser Wissen von der Kulturgeschichte, so die Ausgangsthese des Buches, entspringt der Lektüre. Deren an Texten entwickeltes Vermögen zur Entzifferung wird dabei auf die Signaturen anderer Hinterlassenschaften übertragen: neben dem Archiv schriftlich überlieferten Wissens auch auf bildliche und (ikono-) graphische Darstellungen, auf Topographien, Photos und Überreste: "Umkehr ist die Richtung des Studiums, die das Dasein in Schrift verwandelt" (Walter Benjamin). Betrachtung des Daseins als Schrift…mehr

Produktbeschreibung
Grundlage der Studien ist die Wahlverwandtschaft zwischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Denn unser Wissen von der Kulturgeschichte, so die Ausgangsthese des Buches, entspringt der Lektüre. Deren an Texten entwickeltes Vermögen zur Entzifferung wird dabei auf die Signaturen anderer Hinterlassenschaften übertragen: neben dem Archiv schriftlich überlieferten Wissens auch auf bildliche und (ikono-) graphische Darstellungen, auf Topographien, Photos und Überreste: "Umkehr ist die Richtung des Studiums, die das Dasein in Schrift verwandelt" (Walter Benjamin). Betrachtung des Daseins als Schrift aber heißt: Beerbung philologischer Methoden, Analyse der Figurativität, Ikonographik und Medialität von Darstellungen sowie Aufmerksamkeit für die Bilder und Worte, die den Begriffen vorausgehen und diese erst ermöglichen. Im Unterschied zur Histoire Naturelle geht es der im Buch präsentierten Historie Culturelle weniger um die Ordnung der Dinge als um symbolische Praktiken und Deutungsmuster oder um die Frage, wie kulturelles Wissen entsteht. Jenseits der großen Erzählungen und Entwicklungsgeschichten richtet sich ihr Blick auf exemplarische Szenarien und signifikante Details, auf einzelne Schauplätze und Denkfiguren. Während "kulturalistische" und medientheoretische Betrachtungsweisen sonst oft auseinanderlaufen, spielt in Weigels kulturwissenschaftlichen Lektüren die Spur der Affekte in der Geschichte eine ebenso bedeutsame Rolle wie die Historizität des Wissens und seiner Begriffe, wird dem Umgang mit religiösen Überlieferungen die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet wie dem medienbedingten Wandel von Kulturtechniken. Denn Kulturwissenschaft ist für sie keine neue Disziplin, sondern entspringt einer Arbeit an Übergängen. Insofern stehen Schauplätze und Figuren wie Konversion, Übersetzung und Säkularisierung im Mittelpunkt des Interesses. Und deshalb spielen Autoren wie Freud, Benjamin und Warburg, deren Denken sich an der Schwelle von traditionellen Fächern wie derMedizin, der Germanistik und der Kunstgeschichte zu einer Lektüre der europäischer Kultur ausgebildet hat, eine zentrale Rolle für ihre Methode. Das Buch versammelt Studien zu Shakespeare, Kleist, Freud, Benjamin, Susan Taubes und den aktuellen Cultural Studies. Und es verfolgt kulturgeschichtliche Spuren von Pathos-Passion-Gefühl, von Bild-Leküren und Stadt-Topographien.
Autorenporträt
Sigrid Weigel ist Professorin am Institut für Literaturwissenschaft der Technischen Universität Berlin und Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.09.2005

Wo die Wissenschaft hin will, war Literatur immer schon
Ein gelungenes Versprechen: Sigrid Weigel arbeitet an Übergängen
Kulturwissenschaft boomt! Ein ganzer Chor von Neutönern preist ,,Kulturmarketing” und „cultural engineering”. „Immer höhere Zuwachsraten” scheinen den Kulturwissenschaftsmanagern Recht zu geben. Selbst die honorigen Philologien haben sich längst darauf besonnen, dass sie nie etwas anderes als Kulturwissenschaft getrieben haben. Aber wozu all diese neuen Institute, Zentren, Studiengänge, Studienziele? „Die Aufregung, die der cultural turn der Literaturwissenschaften zuweilen hervorruft, und der Vorwurf eines modischen Trends sind schwer verständlich, weil sich die damit wiederbelebten Verfahren auf altehrwürdige, geradezu klassische Überlieferungen berufen können”, schreibt Sigrid Weigel im Vorwort zu einem Buch, dessen Titel freilich das Reizwort „Kulturwissenschaft” meidet: „Literatur als Voraussetzung der Kulturgeschichte - Schauplätze von Shakespeare bis Benjamin”.
Es ist ein Buch über Literatur: „Gerade aufgrund der ihr eigenen Erkenntnis- und Darstellungsweise, in der Wissen und Erfahrungen im Zusammenspiel und nicht nach Registern und Disziplinen getrennt erscheinen, erweist sich die Literatur als ein Stück Kulturwissenschaft avant la lettre”. In dieser Eigenschaft würde die Literatur sich zwar auch leicht als ein Stück Theologie, ein Stück Philosophie, ein Stück Rechtswissenschaft, Geschichtswissenschaft, Linguistik, Soziologie, Psychologie erweisen lassen, aber Kulturwissenschaft ist sie nach Sigrid Weigel in einem ganz besonderen, emphatischen Sinne. Da „Lektüre” der authentische Umgang mit Literatur ist, und da Lektüre eben darauf zielt, „die historischen, rhetorischen, materiellen Voraussetzungen von Bedeutungen zu verstehen”, ist Literatur so etwas wie eine Proto-Kulturwissenschaft. Kulturwissenschaft ist also „kein neues Fachgebiet, sondern ein Arbeiten an Übergängen”.
Der erste Beitrag „Die Entstehung der Kulturwissenschaft aus der Lektüre von Details - Übergänge von der Kunstgeschichte, Medizin und Philologie zur Kulturtheorie: Warburg, Freud, Benjamin.” praktiziert exemplarisch eine Archäologie des kulturgeschichtlichen Wissens und zeigt, wie die genannten Autoren nach einem neuen und erstaunlich ähnlichen Schema verfahren, ohne sich aufeinander zu beziehen. „Das Detail in eine erkenntnistheoretische Zentralstellung gerückt zu haben”, ist ihr Beitrag zu einem Schritt der Kulturgeschichte, die im Nachhinein anders nicht mehr vorstellbar ist.
In den elf folgenden Kapiteln - es handelt sich um Aufsätze und Vorträge meist jüngsten Datums - bearbeitet die Autorin ihrerseits „Übergänge” und praktiziert Kulturwissenschaft auf Erich Auerbachs Spur in dem Bewusstsein, dass die Wahrheit jeder Gesellschaft (das certum des Renaissancephilosophen Vico) „dem geschichtlichen Wandel unterworfen” ist, und dass es schon deswegen keine unschuldige und wertfreie Kulturwissenschaft geben kann.
Ein Arbeiten an Übergängen kann freilich nicht nur zwischen heute getrennten Disziplinen, sondern vor allem auch an historischen „Umbrüchen in zentralen kulturellen Vorstellungen” ansetzen. Sigrid Weigels Kulturwissenschaft ist immer auch Kulturgeschichte. Die Untersuchungen sind Fallstudien zu solchen Umbrüchen.
Das zweite Kapitel besucht „Schauplätze von Konvertierungen” (Shakespeares Kaufmann von Venedig, die religiöse Konversion, Benjamin in englischer Sprache) , das dritte Kapitel thematisiert das Nachleben der Religion in der Moderne (Benjamin zu Goethes Wahlverwandtschaften, Susan Taubes), das vierte sucht nach der Spur der Affekte in der Geschichte ( Pathos-Passion-Gefühl, Kleists „Findling”) und das fünfte beschäftigt sich mit Bildräumen und Topographien (Links und Rechts im Bild, der cultural turn, Text und Topographie der Stadt).
Sie alle entfalten die weitläufige Belesenheit, die bewunderungswürdige Sachkenntnis, den scharfen kritischen Blick und den Respekt vor akademischen Standards, die man in allen Publikationen der Autorin findet.
Aber obwohl sie ihren Lesern im Vorwort den roten Faden in die Hand gibt und ihn auch immer wieder in hinzugefügten Absätzen in Erinnerung bringt, muss der Leser sich damit abfinden, dass er einen Sammelband liest, dessen Beiträge nicht zu dem Zweck geschrieben wurden, die im Titel und Vorwort in Szene gesetzte Frage zu entfalten, wie konsequent sie auch immer die methodologischen Voraussetzungen selber erfüllen. Abrupt schließt das Buch, und so intensiv die Anstrengung am Anfang gewesen ist, den Untersuchungen eine Einheit und Richtung zu geben, so wenig finden sie nun am Ende auch ein Ziel. Der Untertitel „Schauplätze von Shakespeare bis Benjamin” hatte zwar eine chronologisch-historische Problematik suggeriert, aber die einzelnen Beiträge können ihr nicht gerecht werden und wollten es auch nicht, als sie formuliert wurden (Susan Taubes ist überdies ein Menschenalter nach Benjamin aus dem Leben gegangen, und im Aufsatz zur Topographie schweift der Blick weit hinter Shakespeare bis in die sagenhafte Antike zurück). Die durchaus nützlichen äußerlichen Maßnahmen (Gesamtbibliographie, Gesamtregister, Kapitelgruppierung) stellen nicht nur den Zusammenhang nicht her, sie lassen ihn erst so richtig vermissen.
Über vieles belehrt, von der Richtigkeit des Ansatzes überzeugt, bleibt dem Leser der enttäuschende Eindruck, das versprochene Buch nicht gelesen zu haben. Das gelesene „Buch” spiegelt dagegen wohl Übergänge in der gegenwärtigen Kultur des Wissens: Die Wissenschaftspraxis hat sich ihre eigenen Bedingungen gesetzt, vor allem hat sie je länger je mehr das Veröffentlichen selber zum Zweck erhoben. Auf die angekündigten Bücher über „Heines Werk, das mit seinem Leitmotiv der Lesbarkeit als eine Kulturwissenschaft avant la lettre betrachtet werden kann” und „die Untersuchungen zu Aby Warburg” darf man sich gewiss freuen - und doch bedauern, dass deren anscheinend so wichtiges Zeugnis zur Hauptfrage des vorliegenden Buches einfach „ausgesondert” werden kann, bloß „weil ihr Umfang den Rahmen gesprengt hätte.”
Gerade weil der Ansatz von Sigrid Weigel überzeugend scheint (jedenfalls einem Literaturwissenschaftler), hätte man sich gewünscht, dass sie ihn auch wirklich ausbaut.
HANS-HERBERT RÄKEL
SIGRID WEIGEL: Literatur als Voraussetzung der Kulturgeschichte. Schauplätze von Shakespeare bis Benjamin. Wilhelm Fink Verlag, München 2004. 306 Seiten, 29,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Jochen Hörisch sieht sich in diesem Buch mit "reicher Ernte, ungewohnten Fragestellungen und überraschenden Antworten" beschenkt. Die Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel geht in ihren sorgfältigen und weit gefassten literarischen Studien immer wieder "scheinbar "unbedeutenden Details" nach, die dann auf größere Zusammenhänge verweisen, wie zum Beispiel dem Zusammenhang zwischen "Satzbau und Städtebau" oder "Kognition" und "Emotion", stellt der Rezensent fest, der hierin die "eigentümliche Dialektik" der Darlegungen der Autorin sieht. Er gibt zu, dass so mancher interessanter Gedanke in "Universitätsdeutsch" zu versinken droht, doch das "methodische Prinzip" dieses Buches , betont Hörisch, ist schlicht "sehr viel zu wissen", was er der Autorin auch anstandslos zuerkennt. Vor allem aber sind die Studien Weigels eine "Liebeserklärung an das Medium der schönen wie wissenden Literatur", so der Rezensent abschließend angetan.

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