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Geschmeidig, schnell, elegant: Wenn Johann Trollmann boxt, sitzt das Berlin der frühen 30er-Jahre bewundernd am Ring. Er hat nur einen »Fehler«: Er ist Sinto, kein »Arier«. Mit blond gefärbten Haaren undMehl auf seiner braunen Haut steigt er in den Ring, doch die SA-Leute unter den Zuschauern brüllen: »Leg dich, Zigeuner, oder wir holen dich.« Trollmann gehorcht: Besser Boxkämpfe verlieren als das Leben. Als er 1942 ins KZ Neuengamme verschleppt wird, ist ein anderes Sportidol schon da: Tull Harder (1892 1956), Mittelstürmer des Hamburger SV, Nationalspieler und SS-Mann. Er gehört zum…mehr

Produktbeschreibung
Geschmeidig, schnell, elegant: Wenn Johann Trollmann boxt, sitzt das Berlin der frühen 30er-Jahre bewundernd am Ring. Er hat nur einen »Fehler«: Er ist Sinto, kein »Arier«. Mit blond gefärbten Haaren undMehl auf seiner braunen Haut steigt er in den Ring, doch die SA-Leute unter den Zuschauern brüllen: »Leg dich, Zigeuner, oder wir holen dich.« Trollmann gehorcht: Besser Boxkämpfe verlieren als das Leben. Als er 1942 ins KZ Neuengamme verschleppt wird, ist ein anderes Sportidol schon da: Tull Harder (1892 1956), Mittelstürmer des Hamburger SV, Nationalspieler und SS-Mann. Er gehört zum Wachpersonal, später zur SS-Kommandantur des Lagers, in dem bis Kriegsende 55.000 Menschen sterben, unter ihnen auch Johann Trollmann, der 1944 ermordet wird.
Autorenporträt
Roger Repplinger, geboren 1958 in Stuttgart, hat in Tübingen studiert und im Fach Soziologie promoviert. Er arbeitet als freier Autor, wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet und lehrt als Dozent an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Hamburg sowie am Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.05.2008

Der Schläger und der Tänzer
Roger Repplingers Doppelbiographie über Otto „Tull” Harder, Fußballer, Nazi, KZ-Aufseher, und Johann Trollmann, Boxer, Sinto, KZ-Häftling
Otto Harder, Tull genannt, entdeckt zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Fußball für sich. Er stammt aus etwas besserem Hause, in dem der neumodische Fußball abgelehnt wird, und deshalb wird er vom Vater geschlagen, wann immer dieser entdeckt, dass der Sohn gespielt hat.
Johann Trollmann, Rukeli genannt, entdeckt in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts das Boxen für sich, und er entwickelt einen eigenen Stil; viele Zuschauer sehen eher einen Tänzer als einen Schläger vor sich.
Was Roger Repplinger in seiner Doppelbiographie „Leg dich, Zigeuner” wirklich brillant bewerkstelligt, ist, wie er diese beiden Biographien durch die Zeit und aufeinander zu bewegt. Harder nimmt am Ersten Weltkrieg teil, er gewinnt mit dem Hamburger SV die deutsche Fußball-Meisterschaft 1923 und 1928, er trinkt, er säuft, er ignoriert seine Magengeschwüre, er ist nicht ganz dumm und nicht ganz schlau und wird zum Nazi und KZ-Aufseher. Trollmann ist jünger, er wird in Hannover allmählich zu einem Boxer, den man bewundert oder verachtet, je nachdem. Die Frauen bewundern ihn, schreibt Repplinger, und die aufgeschlossenen Männer. Die ihn verachten, sind die, die Boxen als „deutschen Faustkampf” sehen wollen. Wie Repplinger diesen Stil beschreibt, das ist dokumentarisches Erzählen erster Güte: Wie er das Leichte Trollmanns, der Sinto war, gegen all das Schwere setzt, das als deutsch galt, das ist exzellent beschrieben, hier ist die Dokumentation so stark und packend, dass man sich als Leser fragt, warum sich zuvor im Buch so ein großes Problem eröffnen musste.
Dieses Problem ist: Kann man ganz genau wissen, was Otto Harder gedacht hat, als sein Vater ihn schlug? Kann man ganz genau wissen, was Johann Trollmann gedacht hat, als er an einem Regentag zu Hause saß? Natürlich kann man es nicht wissen, aber in Repplingers Buch steht es zu lesen. Harder „stellt sich vor, dass ein anderer geschlagen wird, nicht er. Er sieht zu, wie ein anderer geschlagen wird . . . Er stellt sich vor, dass ein anderer die Schmerzen aushalten muss. Das hilft. Die Zähne zusammenbeißen hilft auch.” Trollmann „könnte Steine übers Wasser titschen lassen. Man muss die Hand in einer bestimmten Weise halten . . . Alleine macht das keinen Spaß. Nein, heute geht er nicht an die Leine. Er bleibt hier. Es ist schöner, dem Regenwasser auf der Straße zuzugucken.”
Repplinger erklärt sich in einem Nachwort: „Die Gedanken von Rukeli Trollmann und Tull Harder kenne auch ich nicht und weiß nicht, was sie gefühlt und gesagt haben. Der Leser muss sich an diesen Stellen darauf verlassen, dass der Autor seine Figuren versteht, sicher kann man sich da nicht sein.” Das ist ein mindestens erstaunlicher Ansatz, denn Harder und Trollmann sind eben nicht „Figuren” des Autors, sie sind Personen, die gelebt haben. Vor allem anderen muss jeder Leser dieses Buchs die Frage mit sich verhandeln, ob er dem Autor dabei trauen will, wie er die Gedanken der Protagonisten nachempfindet oder, ehrlich gesagt: erfindet. Ganz viel in diesem Buch ist exzellent recherchiert und fesselnd aufgeschrieben, aber in diesem Punkt hat sich der Rechercheur und Biograph zum Autor der Figuren aufgeschwungen, die nicht seine sind, er ist ein auktorialer, ein allwissender Erzähler geworden.
Dieses grundsätzliche und tiefgreifende Problem des Buchs muss man erst einmal verdauen, denn Repplinger schreibt seitenlang innere Monologe seiner Protagonisten. Es ist eine gewaltige Anmaßung, durch die der Leser dem Autor folgen muss, bis er zu den wirklich guten Passagen des Buches durchdringt. Das ist bedauerlich, weil die zugrundeliegende Idee das Buch trägt; weil sie ein grundsolides Fundament ist für diese faszinierende Doppelbiographie.
Repplinger schildert die Karrieren der Protagonisten mit Liebe zum Detail, er hat genauestens recherchiert und breitet sein Wissen so gekonnt wie genussvoll aus. 1933 steht Trollmann Adolf Witt gegenüber, es geht um die deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht. Ganz allmählich und ganz genau lässt Repplinger diesen Kampf und die Zeit wieder erstehen. Darf ein Sinto deutscher Meister werden? Die Funktionäre versuchen, das zu verhindern, sie nehmen den Ringrichter in die Pflicht – doch Trollmann ist zu gut. Er gewinnt. Nach großem Hin und Her wird er zum Sieger erklärt, schließlich aber wird ihm der Titel am grünen Tisch wegen „ungenügender Leistung beider Kämpfer” aberkannt. Da war die Nazi-Ideologie bereits am Werk, und es ist eine späte Genugtuung für die Familie, dass Trollmann der Titel 2003 posthum zugesprochen wurde.
Ein Straßenschild in Hannover
Trollmann wurde umgebracht. Auf dem Straßenschild, das es heute zu seinem Gedenken in Hannover gibt, steht, er sei 1943 im KZ Neuengamme gestorben; Trollmann war in der Tat Häftling in Neuengamme, dieser Tod war allerdings zu seinem Schutz vorgetäuscht worden. Repplinger erzählt, wie Trollmann in Wirklichkeit 1944 in Wittenberge erschlagen wurde. Harder gehörte zu denen, die im KZ Neuengamme ihre tägliche Arbeit verrichteten. Wirklich getroffen haben die beiden, Harder und Trollmann, einander nicht, aber ihre Lebenslinien berührten sich im KZ, und das hat Repplinger zum Anlass genommen, diese Lebenslinien nachzuzeichnen.
Ein wenig willkürlich mag es wirken, aus diesem flüchtigen Zusammentreffen eine Doppelbiographie zu bauen. In einem Roman hätten die beiden einander treffen müssen, natürlich, sie hätten vielleicht eine Auseinandersetzung geführt, vielleicht wären sie einander nahe gewesen. Aber das waren sie nicht, denn dies war das wirkliche Leben, das Leben vor dem Krieg in Nazi-Deutschland und das Leben im KZ, in der Hölle auf Erden. Je näher Repplinger diesem Ende seines Erzählens kommt, desto mehr wird sein Erzählen zur virtuosen historischen Nacherzählung und Einordnung. Das Buch wird stetig eindringlicher, je mehr es allein den Fakten vertraut, eben weil der Autor sehr gut recherchiert hat; er braucht seine Nachempfindungen nicht mehr. Wenn er beschreibt, wie Trollmanns Tod im KZ fingiert wird, wie Asche zusammenkehrt wird, um eine Urne zu füllen, dann ist er im besten Sinne ein Erzähler der Geschichte. Und wenn er später schildert, wie Trollmann in Wittenberge erschlagen wird, dann macht er das Grauen der Geschichte auf einfache und unvergessliche Weise greifbar.
Ein seltsames Buch hat Roger Repplinger geschrieben. Erzählerisch flatternd, wenn er glaubt, er sitze in den Köpfen der Protagonisten. Und dann zunehmend ruhig, seinem Wissen vertrauend. Das ist bisweilen brillant, weil Repplinger vom Geschichtenerzähler mit Schmalz zum Geschichtserzähler mit Verve wird. Unerklärlich, dieser Wechsel. Vielleicht sind Otto Harder und vor allem Johann Trollmann dem Autor beim Schreiben allmählich so nahe gekommen, dass er sich von deren vermeintlichen Gedanken lösen konnte, um dann einfach ihre Geschichte aufzuschreiben. CHRISTIAN ZASCHKE
ROGER REPPLINGER: Leg dich, Zigeuner. Die Geschichte von Johann Trollmann und Tull Harder. Piper Verlag, München 2008. 378 Seiten, 22,90 Euro.
Johann „Rukeli” Trollmann, 1933 Deutscher Meister im Halbschwergewicht (links); sein Titel wurde 2003 posthum wieder anerkannt. Rechts Otto „Tull” Harder, 1923 und 1928 Deutscher Fußballmeister mit dem HSV. Fotos: Ullstein, dpa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2008

Unheimliche Begegnung zweier Aufsteiger
Boxer Trollmann und Fußballer Harder im Doppelporträt

Es ist der finsterste Ort der Geschichte, an dem sich diese beiden Lebenslinien für einen Augenblick berühren. Kein Wort haben sie füreinander bei dieser flüchtigen Begegnung im Konzentrationslager Neuengamme, irgendwann im Kriegswinter 1942/43: Otto Harder, der mit dem Hamburger SV in den zwanziger Jahren zweimal die deutsche Fußball-Meisterschaft gewann, und Johann Trollmann, einer der populärsten Boxer in der Weimarer Republik. Zwei echte Sportgrößen ihrer Zeit, weit mehr als regionale Größen, doch die Vergangenheit ist ohne Bedeutung an diesem Ort, an dem der Nationalsozialismus in seinem Rassenwahn die Rollen auf so grausame Art verteilt hat: Für den Sinto Trollmann, in Neuengamme ist er als Häftling nur Nummer 9841, könnte jedes falsche Wort zu einem SS-Mann wie Harder das letzte sein. "Das war auch mal ein großer Sportler", sagt ein Wachposten zum Häftling Trollmann, als er ihn an Harder vorbeiführt. "Tull Harder, Stürmer beim HSV. Schon mal von ihm gehört?" Trollmann sieht nur Harders glimmende Kippe und schüttelt den Kopf.

Ob sie sich nicht kennen oder einfach nicht kennen dürfen in der perversen Auf-Leben-und-Tod-Logik des nationalsozialistischen Lagers, spielt keine Rolle in Roger Repplingers Buch "Leg dich, Zigeuner" - genauso wenig, ob es diese Begegnung tatsächlich gegeben hat oder ob Repplinger sie nur erfunden hat, um die beiden Lebensläufe zusammenzuführen. Was zählt, ist die Möglichkeit, und die Anwesenheit beider in Neuengamme ist historisch gesichert. Ebenso das Ende: Harder wird nach dem Krieg von einem britischen Militärgericht zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, 1951 vorzeitig aus der Haft entlassen und stirbt am 4. März 1956 im Alter von 63 Jahren. Für Trollmann, der nur 35 Jahre alt wird, führt aus Neuengamme kein Weg mehr heraus: Wie erst Repplinger im Zuge seiner Recherchen herausgefunden hat, wird er 1943 von einem Lager-Kapo in einem Racheakt erschlagen.

Warum diese Begegnung? Warum Trollmann und Harder und nicht Trollmann oder Harder, deren Leben doch auch jeweils eine eigene Biographie gelohnt hätten? Da ist der Aufstieg Harders, der seine Laufbahn in Braunschweig im gerade angebrochenen 20. Jahrhundert beginnt, dann unter Umständen, die an manchen Transferpoker unserer Tage erinnern, ins große Hamburg wechselt und dort auf unnachahmliche Art seine Tore schießt. "Tull" heißt er nach Walter Daniel Tull, einem Stürmer der Tottenham Hotspurs, die 1910 in Braunschweig antraten.

Der Krieg ist für Harder die Fortsetzung des Sports mit anderen Mitteln. "Er fühlt sich nicht als einzelner Körper", schreibt Repplinger über ihn. "Er fühlt die anderen Körper neben sich, als ob das sein Körper wäre. Alle Körper sind eins . . . Das ist wie bei einer Fußballmannschaft, nur stärker." Ist der einfache Harder wirklich so einfältig, wie er hier in der Schützengraben-Romantik der Landserhefte porträtiert wird? Ist der Weg in die SS und zum KZ-Aufseher wirklich so logisch, weil "ohne Ball alles fad" ist? Es ist ein gewagtes - und nicht immer geglücktes - Unterfangen Repplingers, das biographische Material nach Belieben mit fiktionalen Elementen anzureichern. Beim Versuch, seinen Protagonisten nahezukommen, überformt er sie manches Mal in ihren Rollen.

Lebendiger, authentischer als Harder wirkt der Boxer Trollmann. Aufgewachsen in den Elendsquartieren der Altstadt von Hannover, findet er früh heraus, dass das Boxen "seinen Mann ernährt", und kämpft sich nach und nach an die deutsche Spitze. Im Ring ist er Schlitzohr und Showmann zugleich: Boxen als Zirkus. Sein Kampfstil - unkonventionell, trickreich und immer auch ein bisschen eitel - begeistert das Publikum, nicht aber die nationalsozialistischen Boxfunktionäre, die ihr Ideal vom "deutschen Faustkampf" verraten sehen. Eindrucksvoll beschreibt Repplinger anhand der Berichte im Fachmagazin "Box-Sport" die zunehmende Diskriminierung des "Zigeuners" Trollmann - die kulminiert, als er nach dem Kampf um die deutsche Meisterschaft am 9. Juni 1933 gegen Adolf Witt, dem wichtigsten seiner Karriere, um den verdienten Titel gebracht wird. Trollmann protestiert auf seine Art: Bei einem späteren Kampf färbt er sich die Haare hell und streicht Puder auf seine Haut, ein anderes Mal erscheint er in SA-Uniform am Ring. Seine Karriere ist ohnehin zu Ende. Im Oktober 1942 kommt er ins Konzentrationslager Neuengamme, wo Harder - wie später als Kommandant in anderen Lagern - so manchen menschlichen Zug zeigt und sich im Gegensatz zu manch anderem eher durch Wegsehen schuldig macht.

Harder und Trollmann - beide mögen bei Repplinger ein wenig zu direkt und ungebrochen als Träger ihrer Rollen wirken. Doch gemeinsam, im Bezug aufeinander, ergeben ihre Biographien ein Zeitgemälde, das drastisch und bedrückend genug ist, um es intensiv zu betrachten. Ganz gleich, ob es diese eine Begegnung wirklich gegeben hat.

CHRISTIAN KAMP

Roger Repplinger: Leg dich, Zigeuner. Die Geschichte von Johann Trollmann und Tull Harder, Piper Verlag, 376 Seiten, 22,90 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dieses Buch gibt Christian Zaschke Rätsel auf. Wie ist es möglich, eine derart gut recherchierte und fesselnd geschriebene Doppelbiografie mit einem so zweifelhaften Auftakt zu versehen? Der Hund liegt für Zaschke da begraben, wo Roger Repplinger dem Fußballer Tull Harder und dem Boxer Johann Trollmann allzu nahe kommt. Dass Allwissenheit im dokumentarischen Erzählen nichts verloren hat, dass ein Biograf nicht die Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonisten in inneren Monologen darstellen darf, ist für Zaschke ausgemacht. Dementsprechend bringen ihn solche Passsagen ins Schleudern. Wenn Repplinger jedoch im Verlauf des Textes zunehmend seinem historischen Wissen vertraut und die beiden im Konzentrationslager endenden Lebenslinien aufeinander zubiegt, wird für Zaschke das Grauen der Geschichte greifbar. Das versöhnt ihn mit dem Buch.

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