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Als Sohn eines Gutsbesitzers geboren und verheiratet mit der Tochter eines reichen Reishändlers, verspielt Fugui schon früh Hof und Äcker in den Spielhöllen der nahegelegenen Stadt. Er wird zum Tagelöhner. Guomindang-Offiziere greifen ihn auf und schicken ihn in den Kampf gegen die Rote Armee, deren Kriegsgefangener er wird. Wieder in Freiheit, kehrt er zu seinem Beruf zurück; durch die Bodenreform kommt er sogar zu etwas Land - das nehmen ihm die Volkskommunen. Nachdem ihm Schicksalsschläge fast die ganze Familie geraubt haben, sieht ihn das Alter auf dem nun wieder privatisierten Acker; ein…mehr

Produktbeschreibung
Als Sohn eines Gutsbesitzers geboren und verheiratet mit der Tochter eines reichen Reishändlers, verspielt Fugui schon früh Hof und Äcker in den Spielhöllen der nahegelegenen Stadt. Er wird zum Tagelöhner. Guomindang-Offiziere greifen ihn auf und schicken ihn in den Kampf gegen die Rote Armee, deren Kriegsgefangener er wird. Wieder in Freiheit, kehrt er zu seinem Beruf zurück; durch die Bodenreform kommt er sogar zu etwas Land - das nehmen ihm die Volkskommunen. Nachdem ihm Schicksalsschläge fast die ganze Familie geraubt haben, sieht ihn das Alter auf dem nun wieder privatisierten Acker; ein Ochse ist alles, was ihm geblieben ist.

Doch sind dies nur die äußeren Begebenheiten dieses Romans. Eine Familie, die Menschen und die wechselvolle Geschichte Chinas sind der eigentliche Stoff der Ereignisse, die in einfachen, eindrücklichen und fast poetischen Worten mitgeteilt werden. So ist ein bewegender und doch nie sentimentaler Roman über die letzten 50 Jahre des Reichs der Mitte entstanden. Der stoische und letztlich triumphierende Lebenswille des einzelnen ist seine Botschaft.

"Leben!" wurde trotz Einwänden der chinesischen Zensur von Zhang Yimou verfilmt, 1994 in Cannes uraufgeführt und mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.1998

Die Schönheit chinesischen Rosts
Wieder etwas dazugelernt: Das "Leben", wie Yu Hua es sieht

Dieser Roman führt uns nach China, in eine ferne und, aus mitteleuropäischem Blickwinkel gesehen, exotische Welt. Wer über jene Welt gern mehr erfahren möchte, als gemeinhin den Zeitungen zu entnehmen ist, wird bei der Lektüre auf seine Kosten kommen. Zielte jedoch das Buch allein auf solche Wissensvermittlung, dann wäre seine Attraktion von geringem Ausmaß. Von einem Roman erwarten wir ja nicht bloß schön verpackte ethnographische und soziologische Auskünfte. Wir wollen eine Geschichte, menschliches Schicksal, dem wir folgen, das wir verstehen können.

Der Romanautor Yu Hua enttäuscht uns weder auf dem einen noch auf dem anderen Gebiet. Er bedient den klassischen Leser mit einer Menschengeschichte voller Saft und Kraft, ohne den lernbesessenen Leser im geringsten zu vernachlässigen. Das Land China mit seinen Wandlungen während der letzten fünf, sechs Jahrzehnte ist nicht bloß Kulisse für Yu Huas Fabel, sondern vor allem auch deren Movens. Das wäre, für sich genommen, nicht mehr, als man von qualifizierter Literatur erwarten darf. Aber Literatur, die unter kommunistischem Regime entsteht, kann nicht einfach für sich genommen werden. Es ist schon erstaunlich, wie relativ unbekümmert der chinesische Autor mit seines Volkes Zeitgeschichte umgehen konnte, ohne daß der Blitz der Zensur ihn traf. Sind Chinas Zensoren mittlerweile lässig oder gar blind geworden?

Sicherlich weder das eine noch das andere. Der deutsche Verlag läßt in seinem Begleittext wissen, es habe sehr wohl "Einwände" gegeben; dennoch sei der Roman 1992 in der Pekinger Zeitschrift "Shouhuo" abgedruckt, der Stoff vom Regisseur Zhang Yimou verfilmt, der Film 1994 in Cannes erfolgreich uraufgeführt worden. Mehr erfahren wir nicht, was wohl irgendwie auch zum Besten des Autors sein mag. Allerdings macht es Yu Hua den ideologischen Wächtern auch nicht leicht, ihm Verstöße gegen Denk- und Redevorschriften nachzuweisen. Nirgendwo im Roman gibt er sich als Rebell. Niemals erhebt er die Stimme gegen das heimische Regime, fordert er eine andere als die herrschende Ordnung. Er bildet einfach nur ab, wie diese Ordnung auf die kleinen Leute einwirkt - ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Schließlich sind ja nicht die Regierenden, sondern die Regierten Yu Huas literarischen Objekte. Um deren Lebensbedingungen kümmert er sich, ihnen erteilt er das Wort. Wenn man unbedingt will, kann man seine vielfach verflochtenen Volks-Biographien auch als allchinesischen Unterwerfungschor interpretieren.

Wir wollen dergleichen nicht tun, wir riskieren lieber die freie Fahrt auf dem Fluß seiner Einfälle. Die lassen uns zunächst einmal eine Familiengeschichte erkennen: Fugui, Sohn eines Gutsbesitzers und einer Reishändlerstochter, treibt es mit Huren und versumpft beim Glücksspiel - ein abschreckendes Exempel vorkommunistischer Unmoral. Am Ende hat der "Junge Gebieter" sich und die Seinen an den Bettelstab gebracht, er sinkt zum Tagelöhner herab. Von Guomindang-Truppen rekrutiert, gerät Fugui in die Gefangenschaft der roten Volksbefreiungsarmee, erhält später aus deren Bodenreform etwas Land, das er nach Gründung der Volkskommunen freilich wieder hergeben muß. Er, seine Frau Jiazhen, die Tochter Fengxia, der Sohn Youqing schinden sich auf den volkseigenen Äckern bis zum Umfallen. Jiazhen, gesundheitlich ruiniert, kann bald ihr Schmerzenslager nicht mehr verlassen. Auch die Tochter erkrankt, und weil keiner Zeit hat, es zu bemerken, verliert sie Gehör und Stimme. Dem Sohn werden beim Blutspenden für eine Funktionärin die Adern leergepumpt, er stirbt. Schließlich sterben auch Tochter Fengxia, deren schiefhalsiger Ehemann Erxi und beider Söhnchen Kugen.

Der Romanheld Fugui, durch dessen Mund wir das alles erfahren, müßte eigentlich als Zentralfigur einer Tragödie auftreten. Von dieser Möglichkeit läßt ihn der Autor jedoch keinen Gebrauch machen. Wohl klagt Fugui ausgiebig, wenn es ihn wieder einmal erwischt, und seine Tränen fließen reichlich. Aber längst hat er sich eine fatalistische Grundhaltung angewöhnt, nimmt das Böse hin und bleibt für Hoffnungen offen. Zuweilen mutet er an wie eine chinesische Ausgabe vom Hans im Glück: Was immer er verliert, er hält das, was ihm bleibt oder neu zufällt, für ein Geschenk des Himmels. Am Ende teilt nur noch ein alter Ochse sein Leben, aber, so denkt er, wie klug und wie lieb ist doch dieser alte Ochse!

Weil der tragische Ton sorgfältig vermieden wird, scheint alles, was Fugui vorbringt, munter dahergeschwatzt: das Private, das Historische und auch das Politische. Im vorkommunistischen China ist es üblich, daß gewöhnliche Leute die Vornehmen, Huren ihre Freier auf dem Buckel herumschleppen. Im roten China tun das die Kinder mit ihren Eltern oder Fugui mit der kranken Jiazhen, weil kein anderes Beförderungsmittel zur Verfügung steht. So wie Fugui es erzählt, provoziert das in beiden Fällen mehr kopfschüttelndes Staunen als Empörung. Ein bißchen weiter unter die Haut gehen der fatale Mangel an medizinischer Versorgung, die Arbeitsschinderei selbst für Greise, die häufigen Hungersnöte, das vergebliche Warten auf staatliche Hilfe. Eigentlich wäre Protest fällig, von einer Revolution wollen wir nicht gleich reden. Aber aus den Buchseiten blicken den Leser die gequälten Romanfiguren an, Arglosigkeit und Ergebenheit in den Augen. Sie taugen nicht zu Genossen im Kampf ums Menschenrecht.

So scheint es jedenfalls. Denkt man an die Zensur, dann kann das nur von Vorteil sein. Es scheint jedoch nicht ad infinitum so. Gibt man sich dem Vortrag Yu Huas bis zum Ende willig hin, dann wandeln sich die Figuren. Sie mutieren nicht zu Helden, Gott behüte. Doch von Seite zu Seite deutlicher begreift man sie als Mahner, still, aber unverdrossen, gewaltlos, aber unbesiegbar.

Auf die Dauer wirken sie wie Rost im stählernen System, wie Sand im geölten Getriebe. Ihr Leben ist von Krieg und kommunistischer Machtergreifung beschädigt worden. Sie scheiterten an der lächerlichen Stahlkocherei im Dorfkessel, hungerten im Gefolge landwirtschaftlicher Fehlexperimente, wurden die Opfer der sogenannten Kulturrevolution. Die gestohlenen Jahre gibt ihnen niemand zurück, keiner entschädigt sie für das verpaßte Glück. Aber eines scheint sicher zu sein: Sie werden weiter wirken in der Geschichte ihres Landes, ein Menetekel, von dem heute niemand sagen kann, was es für morgen ankündigt. Man ahnt, es wird etwas Bedeutendes sein, und die Gräber all der vergeudeten Menschen werden sich öffnen an jenem großen, jenem Jüngsten Tag. SABINE BRANDT

Yu Hua: "Leben!" Roman. Aus dem Chinesischen übersetzt von Ulrich Kautz. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1998. 219 S., geb., 32,- DM.

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