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Die Verbrechen der Balkankriege und das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag: Wer sind die Täter und wie sind sie zu dem geworden was sie sind? Über Wochen und Monate hat Slavenka Drakulic die Verhandlungen sowohl vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag als auch in Kroatien mitverfolgt, hat die Verhöre genauso wie den Alltag der Angeklagten beobachtet und erfahren, wie aus unauffälligen jungen Männern Mörder und aus Nachbarn Todfeinde wurden.

Produktbeschreibung
Die Verbrechen der Balkankriege und das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag: Wer sind die Täter und wie sind sie zu dem geworden was sie sind? Über Wochen und Monate hat Slavenka Drakulic die Verhandlungen sowohl vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag als auch in Kroatien mitverfolgt, hat die Verhöre genauso wie den Alltag der Angeklagten beobachtet und erfahren, wie aus unauffälligen jungen Männern Mörder und aus Nachbarn Todfeinde wurden.
Autorenporträt
Slavenka Drakulic, geboren 1949 in Kroatien, ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen ihres Landes. Ihre Bücher erscheinen in vielen Sprachen. Sie lebt in Kroatien, Stockholm und Wien. 2005 erhielt sie für Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. 2007 erschien bei Zsolnay der Roman Frida, 2008 folgte Leben spenden. Was Menschen dazu bewegt, Gutes zu tun.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2004

Der Gefängnisfrieden
Slavenka Drakulic versteht das Ungeheure des Balkankriegs

Slavenka Drakulic: Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht. Deutsch von Barbara Antkowiak. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2004. 197 Seiten, 17,90 [Euro].

Sie kochen und essen gemeinsam, sie tauschen ihre Zeitungen aus und treiben miteinander Sport. "Man möchte glauben, daß sie voneinander isoliert werden müßten, weil sie gegeneinander Krieg geführt haben und Todfeinde seien. Aber Serben und Kroaten und Bosnier, die jahrelang aufeinander geschossen haben, leben hier friedlich zusammen." Schauplatz der jugoslawischen Idylle, von der hier die Rede ist, ist das Gefängnis von Scheveningen, dessen Häftlinge sich wegen schwerster Kriegsverbrechen vor dem Tribunal der Vereinten Nationen in Den Haag zu verantworten haben. "Goran Jelisic, der als eine Art Sprecher dieser Gruppe agiert, sagte dem Publikum im Gerichtssaal, die Untersuchungsgefangenen hätten Frieden miteinander geschlossen, zweifelten jedoch, ob auch die Menschen daheim dazu fähig seien." Das, fügt Slavenka Drakulic hinzu, "war wohl überhaupt nicht ironisch gemeint".

Jelisic, bosnischer Serbe, geboren 1961, war ein "netter Kerl" gewesen, ein stiller junger Mann, beliebt bei seinen Freunden im lokalen Anglerverein. Zeugen bestätigten, er habe während des Krieges muslimischen Familien geholfen. Als Polizist in Brcko brachte er dann im Mai 1992 in achtzehn Tagen eigenhändig mehr als hundert Gefangene um, zumeist durch Genickschuß. Dreizehn dieser Morde konnten ihm in Den Haag nachgewiesen werden. Zeugen sagten aus, daß er sich damals benahm, als stünde er unter Drogen. "Und er stand tatsächlich unter Drogen, denn die unumschränkte Macht über Leben und Tod ist ja die stärkste Droge. Er war gottgleich." Die Umstände hatten ihn dazu gemacht: "Es war nicht mehr Frieden, es war Krieg."

Der Versuch, das Ungeheure des Balkankriegs zu verstehen, steht seit zwölf Jahren im Mittelpunkt des Schaffens der kroatischen Schriftstellerin Slavenka Drakulic. Ein Artikel im Time Magazine im Februar 1992, in dem sie den Zugriff des Krieges auf ihre Person als plötzliche Verknappung ihrer Existenz auf die bloße Volkszugehörigkeit denunzierte, nimmt sich im Rückblick wie ein Prolog aus. Der vorliegende schmale Band, der an den Angeklagten von Den Haag einige dieser Kriegskarrieren exemplarisch erfaßt, bildet den Epilog. Frau Drakulic hat ein außerordentlich wichtiges und zutiefst verstörendes Buch vorgelegt - es trägt zur Zersetzung der bequemen Denkmuster bei, die das Grauen aus der Wahrnehmung des jüngsten europäischen Krieges ausfiltern.

Scheinbare Gewißheiten geraten bei der Lektüre dieses Buches ins Wanken. Da ist nicht von atavistisch-balkanischem Haß die Rede, auch nicht von politischen Ideologien. Die Mörder von Vukovar und Srebrenica, von Gospic und Omarska entstammen nicht irgendeiner barbarischen, vormodernen Lebenswelt, die sich von der unseren grundlegend unterschiede. Und keiner der Täter, denen sie nachspürte, entspricht dem Stereotyp des fanatischen Nationalisten, der aus Überzeugung tötet. Über den Massenmörder Borislav Herak, der 1993 in Sarajevo vor Gericht stand, schreibt sie: "Meine größte Enttäuschung war, daß er wie jeder andere aussah, wie ein Nachbar, Verwandter oder Freund. Fast verzweifelt suchte ich nach Zeichen von Wahnsinn in seinen Augen oder sonstigen Merkmalen, daß er das Monster war, das ich in ihm sehen wollte." Die Frage nach der Kontingenz kriminellen Verhaltens in Zeiten des Krieges läßt sie nicht los. Hätten ihr Vater, ihre Mutter, ihre Tochter oder ihr Schwiegersohn so handeln können?

Die Stärke der Autorin, von der auch ihre zahlreichen anderen Bücher zeugen, liegt in ihrem außerordentlichen Einfühlungsvermögen. "Das Böse", schreibt sie, "ist die Abwesenheit von Mitgefühl." Wie bei Parsifal ist Erlösung nur "durch Mitleid wissend" denkbar. Frau Drakulic wendet ihre empathische Methode an auf Menschen, die die Unfähigkeit zur Empathie entmenschlicht hat. Das Kapitel über General Radislav Krstic aus Sarajevo, der wegen Beihilfe zum Genozid von Srebrenica im April 2004 zu 35 Jahren Haft verurteilt wurde, ist ihr Meisterstück. Krstic durchlief die Laufbahn eines Offiziers der Jugoslawischen Volksarmee, der auf Titos "Brüderlichkeit und Einheit" der Nationen gebaut hatte, bis sie in Völkermord umschlug. Sein Typus erinnert die Offizierstochter so sehr an ihren Vater, daß sie sich fragt, ob auch seine Uniform "nach einer Mischung aus Tabak und Essig" gerochen habe.

"Wir fragten nie nach der nationalen Herkunft der anderen", sagte Krstic vor Gericht, "alle waren Bürger von Sarajevo." Man mußte nicht Nationalist sein, um wie Krstic Befehle auszugeben wie "Liquidiert sie alle" und "Keiner darf am Leben bleiben". Zum Verbrecher wurde er aus Schwäche, weil er "einem Vorgesetzten gegenüber nicht ,nein' sagen kann". Wie Tausende andere erlag er der Kette der "täglichen Entscheidungen und Zugeständnisse", die Männer wie ihn Befehlen von Leuten wie Ratko Mladic auslieferte. Er hätte sich widersetzen oder zurücktreten müssen. Aber er hat es nicht getan: "Sein Prozeß zeugte vom Niedergang einer Gesellschaft, die ihre Werte, einer Armee, die ihre Ehre, und eines Mannes, der seine Seele verloren hatte, als er sich im Juli 1995 auf das Böse einließ."

KARL-PETER SCHWARZ

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2004

Der nette Massenmörder
Eine Typografie der Kriegsverbrecher im Bosnien-Krieg
Eine kroatische Schriftstellerin führt auf einprägsame Weise
Verbrechen und Täter vor Augen, über die das Haager Tribunal verhandelt. Slavenka Drakulic, die zur Zeit des kroatischen Staatsgründers und nationalistischen Autokraten Franjo Tudjman angefeindet wurde und deshalb eine Zeit lang in Wien und Stockholm lebte, war Zuschauerin bei den Prozessen. In mehreren Porträts versucht sie Antworten zu geben, wie die Geschilderten zu Kriegsverbrechern wurden.
Goran Jelisic brachte zu Beginn des Bosnien-Kriegs in einem serbischen
Lager muslimische und kroatische Gefangene auf besonders willkürliche Weise um. Nicht nur der Vorsitzende seines Anglervereins sagt jedoch als Zeuge: So wie er ihn kannte, hätte Jelisic keiner Fliege etwas zuleide tun können. Auch die Prozessbeobachterin findet, dass der junge Mann Vertrauen erweckend aussieht, kann sich ihn sogar als Freund
ihrer gleichaltrigen Tochter in der Schulzeit denken. Doch der freiwillige Polizeihelfer stellte sich seinen Opfern als
eine Art zweiter Hitler vor und ließ sie vor dem Kopfschuss über ein Abflussgitter knien.
„Macht ist die stärkste Droge”
Hatte sein Charakter eine pathologische Seite, die nur durch die Kriegsumstände hervortrat? Ein überlebender Gefangener glaubte, Goryan Jelisic habe unter dem Einfluss von Drogen gestanden. Slavenka Drakulic stimmt in übertragenem Sinne zu: „Denn die unumschränkte Macht über Leben und Tod ist die stärkste Droge.” Persönliches einblendend und Erklärungen durchprobierend, nähert sich Slavenka Drakulic ihrem Thema. Im Kapitel über drei Serben aus Foca und ihre Vergewaltigungen muslimischer Frauen und Mädchen gelingt das besonders augenfällig.
In dem Prozess ahndete ein Gericht erstmals Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen. Eine Zeugin schluchzte
auf im Angesicht des verstockten Angeklagten, der ihre zwölfjährige Tochter
gefangen gehalten, immer wieder vergewaltigt und schließlich, auf Nimmerwiedersehen, an einen anderen Soldaten
weiterverkauft hatte. Laut dem Urteil des Gerichts hatten sie von Vorgesetzten wenn nicht den Befehl, so doch die
Lizenz zu vergewaltigen - als bewusst eingesetzten Terror zur Vertreibung
der Nicht-Serben. Die Autorin zitiert
die von der bosnischen Regierung verbreitete Zahl von 60 000 Frauen, die vergewaltigt worden seien. Waren dies allesamt Kriminelle? Das bezweifelt sie. „Hunderttausende glaubten mit dem, was sie taten, im Recht zu sein”, meint sie. „Anders lässt sich die große Zahl der Vergewaltigungen und Morde nicht erklären.”
Allzu spekulativ ist das Kapitel „Die Gottesstrafe” über den noch immer gesuchten Armeechef der bosnischen Serben, Ratko Mladic. Die Autorin malt
sich den letzten Abend im Kreis der Familie aus, bevor sich Mladics Tochter, eine Medizinstudentin, vor der Prüfung in
Belgrad das Leben nahm. Nach einer
Version tat sie dies, als sie von den
Vorwürfen gegen ihren Vater in Bosnien erfahren hatte. „Wenn das wirklich der Grund dafür war, dass sich Ana Mladic das Leben nahm, dann kann ich mir vorstellen, wie es dazu gekommen ist”, schreibt Slavenka Drakulic. „Auch ich hatte nicht die Kraft, meinem Vater zu widersprechen, und ich musste von zu Hause weggehen, um seiner überwältigenden Autorität zu entfliehen”, fügt sie hinzu. Das Leben Mladics habe sich mit dem Selbstmord der Tochter „aus einem klassischen serbischen Mythos in eine klassische griechische Tragödie verwandelt”.
Am Anfang von Slavenka Drakulics Buchs steht der Mord an einem Zeugen nicht serbischer, sondern kroatischer Kriegsverbrechen. Aus Rache für Aussagen über die Liquidierung serbischer Einwohner seines Heimatorts Gospic wurde der kroatische Kriegsteilnehmer Milan Levar vor vier Jahren durch einen Sprengstoffanschlag getötet. Die Häuser der Serben waren im Krieg geplündert worden. In Gospic wisse jeder über jeden, „aus welchem geplünderten Haus ihr Teppich, Kühlschrank oder Fernseher stammt”, berichtet die Autorin. Deshalb herrsche dort eine „Verschwörung des Schweigens”.
An das Ende ihres Buchs stellt Drakulic als ein Bild für die Absurdität der
jugoslawischen Kriege eine bekannte Szene. Karten spielend und füreinander kochend leben die Haager Angeklagten friedlich in der Haftanstalt des
Tribunals zusammen: e in letztes Jugoslawien im Kleinen, eine Verhöhnung der Opfer.
BERNHARD KÜPPERS
SLAVENKA DRAKULIC: Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht. Übersetzt von Barbara Antkowiak.Paul Zsolnay Verlag, Wien 2004. 197 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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"Slavenka Draculic leistet mit dem Buch zweifelsohne einen wichtigen Beitrag zu der Publizistik über die jüngsten Kriege und deren Folgen auf dem Balkan. Sie nimmt in ihrer Arbeit gleichermaßen die Rolle einer objektiven Beobachterin, einer mitfühlenden Mutter und Frau sowie einer gebildeten Zeitgenossen ein. Dies ist besonders wichtig, da die Balkankriege mit ihrem Gräueln allmählich aus dem europäischen Bewusstsein verschwinden."
Andrea Dunai, Das Parlament, 15./22.03.04

"The war is not over - das lernen wir, wenn wir diese wichtigen Reportagen lesen."
Carl Wilhelm Macke, Tages-Anzeiger-Zürich, 22.03.04

"Drakulics Buch ist mehr, als es vorgibt zu sein. Das zeigt sich nicht nur in einem wunderbaren, subtilen Doppelporträt von Slobodan Milosevic und seiner Frau Mira Markovic, das den bislang wohl intimsten Einblick in das Wesen des Architekten des jugoslawischen Zerfalls gibt."
Patrik Volf, Falter, 26.03.04

"Es kommt nicht so oft vor, dass man ein Buch zu lesen beginnt und es nicht mehr aus der Hand legen möchte. Slavenka Drakulics engagierter Bericht "Keiner war dabei" gehört zu jener raren Spezies Literatur, die in klarer und eindringlicher Sprache jene Hintergründe des Zerfalls Jugoslawiens beleutet, die von dem Internationalen Tribunal in Den Haag abgehandelt werden. [...] Hier erlebt man Drakulic als eine Schriftstellerin von Graden. Ein Buch, das man tief beeindruckt schließt."
Wolfgang Petritsch, Die Presse, 03.04.04

"...ein außerordentlich wichtiges und zutiefst verstörendes Buch - es trägt zur Zersetzung der bequemen Denkmuster bei, die das Grauen aus der Wahrnehmung des jüngsten europäischen Krieges ausfiltern."
Karl-Peter Schwarz, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.06.2004
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Karl-Peter Schwarz hat "ein außerordentlich wichtiges und zutiefst verstörendes Buch" gelesen, eines, das wohlfeile Gewissheiten zerschellen lässt. Denn wie sehr sind wir es gewöhnt, in den Mördern der Balkankriege fanatische Nationalisten zu sehen, und wie leicht fällt deshalb die Annahme, wir selber wären ganz anders. Slavenka Drakulics Erfahrungen beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag offenbaren eine andere Realität: Die Täter handelten nicht aus nationalistischer und auch sonst aus keiner Überzeugung, sie töteten, weil ihnen das Vermögen zur Empathie fehlte. Drakuli hat beobachtet, wie die Mörder verschiedener Herkunft in Gefangenschaft ohne Schwierigkeiten zu Kameraden wurden; sie alle hatten Menschen liquidiert, aber nicht aus Hass, sondern aus moralischer Indifferenz. Damit, so der Rezensent, schreibe die Autorin das verdrängte "Grauen" in die Wahrnehmung der Balkankriege ein - und das gehe über jeweilige Ideologien hinaus. Seit zwölf Jahren, schreibt Schwarz, versuche sich die kroatische Autorin dem "Ungeheuren", das in ihrer Heimat geschah, zu nähern. Die Stärke von Drakulics Texten bestehe in ihrem "außerordentlichen Einfühlungsvermögen" - es dient ihr dazu, Menschen zu entschlüsseln, die keines besitzen.

© Perlentaucher Medien GmbH