Produktdetails
  • Verlag: Faber & Faber, Leipzig
  • Seitenzahl: 407
  • Deutsch
  • Abmessung: 32mm x 143mm x 217mm
  • Gewicht: 692g
  • ISBN-13: 9783936618655
  • ISBN-10: 3936618658
  • Artikelnr.: 14426267
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2006

In der Liebe ein Amboß
Eine Biographie des asketischen Johann Gottfried Seume

Es gibt Schriftsteller, die im Gedächtnis der Nachwelt fast ausschließlich durch ein Werk überleben. Zu ihnen gehört Johann Gottfried Seume, trotz der editorischen Bemühungen der letzten Jahre. So berühmt sein "Spaziergang nach Syrakus" ist, und sei es auch nur als Schlagwort, so unbekannt ist er selbst geblieben. Eberhard Zänker schickt sich nun an, diesen Umstand zu ändern.

Seine umfangreiche Biographie bietet eine klassische Zusammenschau von Leben und Werk. Sie verfolgt Seumes Lebensweg von seiner Geburt im sächsischen Poserna 1763, der Schul- und Studienzeit in Borna und Leipzig, dem Militärdienst in Nordamerika, Emden und Warschau und der Lektorentätigkeit für den Verleger Göschen über seine italienische (1801/02) und nordische Reise (1805) bis zu seinem frühen Tod im Kurort Teplitz 1810. Seumes Werke werden entsprechend ihrer Chronologie in diese Lebensbeschreibung eingebettet, ohne eigens zum Gegenstand systematischer Untersuchungen zu werden.

Als reinen Schriftsteller hätte sich Seume ohnehin nicht gesehen. Er vertritt nicht nur ein unter den autonomieästhetischen Prämissen von Klassik und Romantik zunehmend obsolet werdendes spätaufklärerisches Literaturkonzept, das den Nutzen der Literatur in den Vordergrund stellt und sich keineswegs auf die Produktion schöngeistiger Texte beschränkt, sondern ist auch zeitlebens von Selbstzweifeln und einem Drang nach körperlicher Betätigung geplagt. So schreibt er während seiner ihn an den Schreibtisch fesselnden Lektorenjahre: "Ich hatte in meiner Jugend einmahl die Grille, ein Großschmied werden zu wollen (...). Wäre es nicht beßer, ich wäre es jetzt? Ein Amboß ist doch immer solider, als eine Federspitze." Seumes strapaziöse Reisen sind deshalb auch als dezidierter Versuch zu verstehen, der ungeliebten Tätigkeit und provinziellen Enge zu entkommen.

Beim Militär blieb ihm aufgrund seiner bürgerlichen Herkunft eine Karriere versagt. Zwar liebäugelt Seume bis zuletzt, trotz seiner unfreiwilligen Anfänge als an England verkaufter Soldat, mit einer Offizierslaufbahn, aber sein zunehmend kritischer Blick auf die Politik der Großmächte und die Mechanismen der Ausbeutung und Unterdrückung hätte dies wohl nur um den Preis der Selbstverleugnung zugelassen: "In Sächsische oder preußische Dienste zu gehen, wozu sich vielleicht Gelegenheit fände, dazu habe ich eben nicht Lust; in französische auch nicht und in oesterreichische noch weniger. Hier mißfällt mir die Sache, dort das System, dort die Art der Ausführung." Gleichwohl kommt man, verstärkt durch die Vielzahl militärhistorischer und -theoretischer Abhandlungen Seumes, kaum umhin, von einer lebenslangen Obsession Seumes für alles Militärische zu sprechen, die einem Biographen etwas mehr Erklärungspotential abverlangen sollte, als es Zänker aufwendet.

Der nur 1,50 bis 1,55 Meter große Seume scheint kein unkomplizierter Zeitgenosse gewesen zu sein. Seine Direktheit und Unverblümtheit, verbunden mit politisch zunehmend radikalen Ansichten, störten den gedämpften Ton geselliger Konversation, und der Ruf der Verschlossenheit und Misanthropie eilte ihm voraus, obwohl er durchaus umgänglich sein konnte. Ein Moment asketischer Radikalität spricht aus dem Selbstporträt, das Seume gegenüber Gleim entwirft: "Ich trinke keinen Wein, keinen Kaffeeh, keinen Liqueur, rauche keinen Tabak, und schnupfe keinen, eße die einfachsten Speisen, und bin nie krank gewesen, nicht auf der See und unter den verschiedensten Himmelstrichen. Meine stärkste Ausgabe ist Obst. Ich habe weder in Amerika noch in Rußland einen Pelz getragen: meine Panazee (Allheilmittel) ist Diät und Bewegung."

Es verwundert nicht, daß dieser Einzelgänger zeitlebens Junggeselle geblieben ist. Über weite Strecken seines Lebens hatte Seume weder das Einkommen noch die Ortsgebundenheit, um eine Familie zu ernähren, und seine wenigen ernsthaften Bemühungen galten sehr viel jüngeren Schönheiten aus gutem Hause, die schon aufgrund ihres sozialen Ranges kaum für ihn in Frage gekommen wären. Melodramatisch sind seine Liebesbriefe und geradezu grotesk seine Kontaktaufnahme mit dem späteren Gatten einer Angebeteten: "Ihre Frau ist gut, ich habe sie tief beobachtet, und ich würde nicht im Stande gewesen seyn, mein Herz an eine Unwürdige zu verlieren. (. . .) Sie hat Fehler: sie kann hassen, verzeiht nicht leicht, und ist leichtsinnig. Sie haben also keinen leichten Gang mit ihr." Man könnte, von den Dokumenten ausgehend, auf ein fast rein chimärisches Frauenbild Seumes schließen, das Zänker allenfalls andeutet.

Sein Hauptaugenmerk gilt der Herausarbeitung von Seumes wachsender sozialer und politischer Kritik, wie sie sich dann vor allem im "Spaziergang nach Syrakus", in "Mein Sommer 1805" und den zu Lebzeiten unpublizierten "Apokryphen" artikuliert. Seume wendet sich darin in scharfer Form gegen die Ausbeutung der unteren Bevölkerungsschichten und wirft den Adligen und Fürsten unverhohlen ihr Schmarotzertum vor. Entsprechend lehnt er es bei aller patriotischen Gesinnung auch ab, sein Dichterwort zugunsten der deutschen Mobilisierung gegen Napoleon zu erheben: "Wo man den Landmann als Halbsklaven und den kleinen Bürger als Lastthier ansieht und behandelt, da habe ich weder etwas zu sprechen noch zu singen."

Seume hat in Zänker einen gründlichen, aber keinen glänzenden Biographen gefunden. Aufbau und Anlage des Buches sind konventionell, die Argumentation und Wertungen wenig überraschend. Seumes Leben ist aber zu interessant, als daß man sich die Gelegenheit entgehen lassen sollte, mit ihm näher vertraut zu werden.

THOMAS MEISSNER

Eberhard Zänker: "Johann Gottfried Seume". Eine Biographie. Faber & Faber Verlag, Leipzig 2005. 407 S., geb., 24,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Thomas Meissner würdigt die Biografie, die Eberhard Zänker von Johann Gottfried Seume vorgelegt hat, als durchaus solide, findet aber, dass dem spätaufklärerischen Schriftsteller ein bisschen mehr Brillanz durchaus zu gönnen gewesen wäre. Der Autor geht beim Abschreiten von Leben und Werk streng chronologisch vor und handelt alle wichtigen Stationen dieses durchaus bewegten Lebens ab, ohne dabei zu besonders bemerkenswerten Feststellungen zu kommen, merkt der Rezensent kritisch an. Etwas schwach findet er, dass Zänker weder die merkwürdige Beziehung, die Seume zu allem Militärischen hatte, noch sein ambivalentes Frauenbild näher unter die Lupe nimmt. Immerhin sei diese Lebensbeschreibung ein Anfang, den heute fast unbekannten Schriftsteller etwas besser kennen zu lernen, resümiert Meissner zurückhaltend.

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