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Ein Kammerspiel. Eine Farce? Eine Satire? Ein ultimativer Kommentar zu einer längst vergangenen Zeit der Bespitzelungenund Denunziationen?Roswitha Quadflieg erzählt von einem Begräbnis und dem darauf folgenden »Leichenschmaus«, der keiner ist, weil er keiner sein soll. Eine Informantin in Diensten der Staatssicherheit der DDR wird zu Grabe getragen und was dann folgt, ist eine Erzählung in bester dürrenmattscher Diktion: Eine Anhörung unterschiedlichster Meinungen und Kommentare. Und am Ende passiert ein Mord. Warum?Der Roman hat, so darf man der Autorin glauben, einen realen Hintergrund,…mehr

Produktbeschreibung
Ein Kammerspiel. Eine Farce? Eine Satire? Ein ultimativer Kommentar zu einer längst vergangenen Zeit der Bespitzelungenund Denunziationen?Roswitha Quadflieg erzählt von einem Begräbnis und dem darauf folgenden »Leichenschmaus«, der keiner ist, weil er keiner sein soll. Eine Informantin in Diensten der Staatssicherheit der DDR wird zu Grabe getragen und was dann folgt, ist eine Erzählung in bester dürrenmattscher Diktion: Eine Anhörung unterschiedlichster Meinungen und Kommentare. Und am Ende passiert ein Mord. Warum?Der Roman hat, so darf man der Autorin glauben, einen realen Hintergrund, spielt aber fiktiv mit allen Möglichkeiten der Einvernehmlichkeit mit Macht und Einfluss und ist dennoch tragisch, was seine Protagonisten betrifft. Ein großes Gesellschaftspanorama als Kammerspiel.
Autorenporträt
Roswitha Quadflieg, in Zürich geboren, in Hamburg aufgewachsen, dort Kunststudium, Abschluss als Dipl. Designerin. 1973 Gründung der Raamin-Presse, eigene Verlagswerkstatt, in der sie bis 2003 Texte der Weltliteratur mit eigenen Bildern druckte. Ankäufe weltweit, Ausstellungen, Preise, Auszeichnungen. Seit 1985 schreibt sie Romane, Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher. Seit 2012 lebt sie in Berlin. Zuletzt erschienen: Neun Monate. Über das Sterben meiner Mutter (2014), Das kurze Leben des Giuseppe M. (2016), Frei (2018), gemeinsam mit Burkhart Veigel.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Lerke von Saalfeld hält den Atem an während der Lektüre von Roswitha Quadfliegs neuem Roman. So spannend, mitunter auch witzig findet sie die von einem wahren Fall inspirierte Geschichte um eine 2006 verstorbene Stasi-Agentin, über die 2017 auch ein Dokumentarfilm gedreht wurde. Erzählt wird zunächst, wie sich Angehörige, aber auch ungeladene Gäste zum Leichenschmaus bei der Beerdigung der Agentin Gabi Holm treffen, darunter ehemalige Stasi-Funktionäre, die Leiterin eines DDR-Kinderheims, aber auch Mitglieder der Opposition, in die sich Holm als Spitzel eingeschlichen hatte. Schon wie dicht und nuancenreich die Autorin in diesem ersten Teil das Bild aus Anschuldigungen, Enttäuschungen und anschwellender Wut anlegt, findet Saalfeld grandios. Und wenn im zweiten Teil nach einem nicht näher bestimmten Unglück alle Gäste von der Polizei verhört werden, staunt die Kritikerin, wie wenig Worte die Autorin braucht, um Abgründe zu skizzieren und wie präzise sie die einzelnen Perspektiven zeichnet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2022

Acht waren geladen, aber es kamen achtundzwanzig

Roswitha Quadflieg orientiert sich für ihren Stasi-Roman "Ihr wart doch meine Feinde" an einem realen Vorbild.

Ich möchte, dass heute die Wahrheit auf den Tisch kommt", sagt Leah Kautz, einst zur Opposition in der DDR gehörend, in Roswitha Quadfliegs neuem Roman. Schauplatz ist ein Leichenschmaus in Ost-Berlin zum Gedenken an Gabi Holm, für die es ein leibhaftiges Vorbild gibt: eine ehemalige Mitarbeiterin der Staatssicherheit, die sich nach dem Mauerfall als Inoffizielle Mitarbeiterin der "Firma" öffentlich geoutet hatte. Gestorben ist die reale Person im Jahr 2006 an Krebs. Geladen sind acht Personen, von der Gestorbenen penibel ausgesucht, die sich zu ihrem letzten Gang versammeln sollen, es kommen aber zwanzig umgeladene Gäste dazu, die im Leben der Toten verhängnisvolle Rollen gespielt haben. 1980 hatte Gabi ihre Agententätigkeit aufgenommen, sie verstand sich als "Kundschafterin" für das von ihr geliebte DDR-System.

Der erste Teil des Romans ist ironisch überschrieben "Am runden Tisch", denn auch die Staatssicherheit, die Leiterin des Vorzeigekinderheims "Königsheide" und andere zwielichtige Personen - ob aus Ost oder West - nehmen Platz und halten Gericht. Ein Mummenschanz, eine Satire, ein Stasi-Krimi? Die Autorin hat anderes im Sinn: Angeregt wurde sie durch ein Interview, das der Journalist Peter Wensierski 1990 mit der realen Agentin führte und das er 2017 zusammen mit Roland Jahn, dem Stasi-Beauftragten, zu einem Dokumentarfilm ausgearbeitet hatte. Zum ersten Mal sagte damals eine Verstrickte aus, wie sie in die Fänge des Spitzelapparats geriet und warum sie sich in die damalige Opposition um Bärbel Bohley und Ulrike Poppe eingeschlichen hatte, die sie gutgläubig in ihren Kreis aufgenommen hatten als vermeintliche Mitstreiterin. Die späte Antwort der falschen Freundin: "Ihr wart doch meine Feinde." Diese ungeheuerliche Aussage muss verdaut werden, und das geschieht beim fiktiven Leichenschmaus, den Roswitha Quadflieg in Szene setzt.

Die Zeit springt ins Präsens, alte Gräben tun sich auf, Animositäten und Verdächtigungen, Hass und Enttäuschungen ebenso wie Unverständnis und Ahnungslosigkeiten überschlagen sich. Die Stasi-Riege in schwarzen Lederjacken giftet, die Heimleiterin verteidigt das DDRErziehungssystem, das Gabi Holm schon im Kinderheim zum willfährigen Instrument geformt hat, eine westdeutsche Verlegerin erhofft sich ein sensationelles Buch über ein gestrandetes Ostleben, die alte Mutter, die ihre Tochter früh abgeschoben und verlassen und niemals wiedergesehen hat, schweigt verbiestert. Die Atmosphäre im Hinterzimmer der Wirtschaft "Goldener Adler" wird immer ungemütlicher.

Die Autorin, aus dem Westen stammend, hat als Grundlage für ihren Roman viele wichtige Anhänger der DDR-Opposition befragt und deren Geschichten in eine lebendige heutige Auseinandersetzung verwandelt. Es geht um die Frage, wie ein totalitäres System so gnadenlos Menschen verbiegen und zerrütten kann. Der anschwellende, immer aggressiver werdende Disput ist ein fein gehäkeltes Bild einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft, aufgezogen wie ein eindringliches Kammerspiel. Der Einladende der "Trauergesellschaft" ist der Liebhaber der Gestorbenen, der die Frau erst seit vier Jahren kannte und nichts von ihrem Vorleben ahnte. Von den acht eingeladenen Gästen kennt er nur zwei. Wie ein tumber Tor bewegt er sich durchs Labyrinth der aufbrausenden und gezischelten Anschuldigungen. Dabei geht es nicht um die Opferfrage, sondern um ein geschlossenes ideologisches System, dem man in der DDR ausgeliefert war. Roswitha Quadflieg versteht es, mit ihrem Blick von außen facettenreich und sensibel Beschädigungen offenzulegen und die grausame Uneinsichtigkeit und das immer noch auftrumpfende Machtgefühl der einst Herrschenden aufeinanderprallen zu lassen. Diese Geschichte ist keine Vergangenheit, sie reicht unmittelbar in die Gegenwart hinein.

Auf dem Höhepunkt der verminten Unterhaltung geht plötzlich das Licht aus, Stühle werden umgestoßen, Gläser fliegen durch die Luft und zerschellen, Schreie werden laut, Chaos bricht aus. "Draußen im Flur ist die Stimme des Wirts zu hören, der panisch in ein Telefon schreit" - mit dieser lakonischen Beobachtung endet Teil eins. Der zweite heißt "Im Verhörzimmer".

Nun schlägt die Autorin wohlüberlegt einen neuen Ton an, ein Perspektivwechsel wird vorgenommen. Jeder Gast erzählt seine Version des Geschehens der Polizei, die aber gar nicht zu Wort kommt. Durch die Aussagen der Beteiligten erfährt der Leser, dass zwei Leichen aus der Wirtschaft getragen wurden. Leah Kautz sagt: "Ich habe nichts gesehen. Damit ist alles gesagt. Und jetzt möchte ich gehen." Dann wird sie abgeführt und unsanft in den Streifenwagen gedrückt.

Mit atemraubender Spannung und feinen Nuancierungen, die fernab von Klischees liegen, baut die Autorin das grausame Interieur einer durch Lügen, Verrat, Unterdrückung und Gewalt gezeichneten Gruppe von Menschen auf. Jede Person hat eine eigene Farbe und verfolgt eigene Ziele. Dies geschieht nicht ohne Ironie, Witz und Situationskomik. Die Autorin lässt ihren Schalk aufblitzen, aber sie kann auch genau hinsehen und klug beobachten. Mit äußerster Verknappung, kein Wort zu viel, entwickelt sich eine zunächst harmlose Geschichte zur Höllenfahrt. Die Auflösung wird nicht verraten. LERKE VON SAALFELD

Roswitha Quadflieg: "Ihr wart doch meine Feinde". Roman.

Faber & Faber, Leipzig 2022.

155 S., geb., 20,- Euro

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