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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2011

Quälen und gequält werden
Eine Biographie erzählt vom Schicksal der Hilde Domin

Geboren 1909 in Köln, gestorben 2006 in Heidelberg - fast ein Jahrhundert umspannt das Leben von Hilde Domin. Wie bei vielen anderen Gleichaltrigen ist es geprägt von den politischen Umwälzungen, von Flucht und Exil. Dabei waren die Voraussetzungen günstig, wie Domins Biographin Marion Tauschwitz deutlich macht. Die wohlhabenden Eltern sorgten für eine fundierte Bildung, an die Schule schloss sich ein Universitätsstudium an. Entscheidend war die Begegnung mit Erwin Walter Palm, dem sie 1932 nach Italien folgte. Palms Träume von einer Existenz als Künstler und Wissenschaftler scheiterten jedoch an den politischen Realitäten, die verdrängte jüdische Herkunft machte beide spätestens 1939 zu Unerwünschten. Über England gelangten sie in die Dominikanische Republik, wo sie mehr als zehn Jahre verbrachten, die Rückkehr nach Deutschland 1954 war mühsam und hart errungen.

Tauschwitz rückt die schwierige Beziehung zu Palm in den Mittelpunkt ihrer Biographie und sieht sie als entscheidend für die Geburt der Dichterin Hilde Domin an. Elitär und egoistisch, verletzlich und voller Selbstzweifel erscheint Palm, der als Dichter und Kunsthistoriker jahrzehntelang um Anerkennung buhlte. Die Ehe beinhaltete die Verpflichtung, dem Gatten als Sekretärin zuzuarbeiten und die stets prekäre wirtschaftliche Lage zu meistern. Eigene Projekte waren nicht vorgesehen, auf die ersten Gedichte seiner Frau reagierte Palm schroff ablehnend. Hilde Domin antwortete mit einer Mischung aus Selbstunterwerfung und Aufbegehren, nicht zuletzt diente das Schreiben der Kanalisation des Verdrängten. Erst nach Jahren unternahm sie erste Publikationsversuche, war nach dem Erscheinen des ersten Gedichtbandes 1959 dann aber eifrig um die Pflege ihres Bildes als Dichterin in der Öffentlichkeit bemüht.

Auch wenn die von Tauschwitz vorgelegten Dokumente erschütternd sind - es gibt regelrechte Vertragswerke, die Domins Rolle gegenüber Palm genau festlegen -, gerät über die ständige Betonung der Ehe zu sehr in den Hintergrund, wie intellektuell anregend die Beziehung auch war und wie kindlich-naiv ihre Liebe über alle Kämpfe hinweg gewesen sein muss. Die mehrmonatigen Trennungen sind, bei aller Krisenhaftigkeit, auch Teil eines hochriskanten Spiels, einer Inszenierung, um der Banalität des Alltags zu entgehen: "Die crux besteht darin, dass wir aus dem Quälen und Gequältwerden Gefühle beziehen, die zwar terribel aber erotisch ergiebig sind." Die fast ausschließlich autobiographische Deutung der Gedichte Hilde Domins ist zudem heikel, oft genug werden Briefstellen und literarische Zitate ohne Unterscheidung vermischt.

Der Biographie schadet außerdem die zu große Nähe der Autorin zu ihrem Sujet - immerhin war Marion Tauschwitz in den letzten Jahren eine Vertraute von Hilde Domin. Mehr Analyse und weniger Einfühlung würde man sich an manchen Stellen wünschen, den Passagen zur Nachkriegszeit hätte eine stärkere Strukturierung gutgetan. Von bleibendem Wert aber ist die akribische Nachzeichnung des Lebenswegs bis zur Rückkehr nach Deutschland, die ein symptomatisches Schicksal beleuchtet.

THOMAS MEISSNER

Marion Tauschwitz: "Hilde Domin. Dass ich sein kann, wie ich bin". Biografie.

Verlag André Thiele, Mainz 2010. 606 S., br., 16,90 [Euro].

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