zu begreifen, was vorging, sofern sie nicht von ihren Eltern bewußt in Unkenntnis über deren Ansichten und Tätigkeiten gehalten oder sogar zwecks Tarnung der Familie zum Mitmachen in der NS-Maschinerie ermuntert wurden.
Heute sind die meisten der jungen Mädchen von damals zwischen 60 und 70 Jahre alt, einige noch älter. Sie sind somit, wie die Verfasserin bemerkt, "die allerletzten Zeitzeugen". Warum aber hat sie nur Frauen befragt? Antje Dertinger, die zuvor schon einige andere Bücher geschrieben hatte zur Geschichte der Arbeiterbewegung und des Widerstandskampfes gegen den Nationalsozialismus, begründet diese "positive Diskriminierung" mit ihrer Erfahrung "aus vielen früheren Interviews zu lebensgeschichtlichen und damit sehr persönlichen Themen", die sie gelehrt habe, "daß es Frauen in der Regel leichter fällt als Männern, offen über ihren Schmerz und ihr Glück, ihre Trauer und ihre Liebe, ihre Erfahrungen und ihre Prägungen zu sprechen - besonders, wenn sie von einer Frau dazu befragt werden". Tatsächlich hat diese Annahme sich in diesem Falle abermals bestätigt. Alle Frauen, die um Auskunft gebeten wurden, waren bereit dazu, und manche reagierten nach Angaben der Autorin auf ihre Anfrage sogar so, "als hätten sie jahrelang dringend darauf gewartet".
Vorbild
Bis Antje Dertinger zu ihnen kam, hatte offenbar noch nie ein Historiker die Töchter von Widerstandskämpfern aufgesucht und sie gefragt, wie ihr Alltag unter dem Hakenkreuz ausgesehen habe. "Was bedeuteten in Kinder- und Jugendjahren der Eindruck der Bedrohung, die spürbare Unsicherheit der Eltern, der Unterschied zwischen familiärer Binnenwelt und der Nazi-Außenwelt, das Verschwinden eines Elternteils, die Ungewißheit über seine Rückkehr, der gewaltsame Tod von Vater oder Mutter, die Trauer, die Existenzangst der Übriggebliebenen, die sich anschließenden Verlustängste, die Fremde des Exils, die frühe Übernahme von Verantwortung, die häufig erlebte nachträgliche Idealisierung des Opfers?" All diese Fragen legte sich Antje Dertinger für ihre Arbeit zurecht und erfuhr, als sie sie dann ihren Gesprächspartnern stellte, zu ihrer Überraschung, daß sie ihnen zuvor noch kaum je vorgelegt wurden.
Die Antworten fielen, wie nicht anders zu erwarten, sehr unterschiedlich aus, und bei einigen der Befragten fehlte es trotz der Bereitschaft zur Mitarbeit an dem Projekt an der Fähigkeit zum Berichten über sich selbst. Einige der Frauen, schreibt die Autorin, waren "nur mit Mühe imstande, sich selbst im Mittelpunkt des Interesses wahrzunehmen und sich entsprechend zu artikulieren". In solchen Fällen hat die Verfasserin offenbar mit eigenen Formulierungen helfend eingegriffen. Vielleicht, so vermutet sie, wollten sich aber auch einige der Befragten durch Zurückhaltung vor seelischen Erschütterungen bewahren, die mehrere der porträtierten Frauen erlebten, als sie von den ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Ereignissen erzählen sollten.
Generalisierende Schlüsse sind aus den Berichten der "Heldentöchter" nicht zu ziehen, dazu sind die Schicksale, die ihnen widerfuhren, zu unterschiedlich. Gleichwohl glaubt die Autorin bei ihren Recherchen einige Gemeinsamkeiten entdeckt zu haben. Zum Beispiel habe das politische Engagement des Vaters oder der Mutter "in allen Fällen" später Vorbildfunktion für das Verhalten der Töchter gehabt. Töchter von Widerstandskämpferinnen hätten in der Rückschau überwiegend von einem besonders innigen Verhältnis zu ihren Müttern berichtet. Wo Töchter durch das Regime ihre Väter verloren hatten, sei nicht selten ein idealisiertes Vorbild bewahrt worden. Dadurch hätten es mehrere Frauen schwer gehabt bei der späteren Partnerwahl: "Ich hab' die Männer alle an meinem toten Vater gemessen", bekannte eine von ihnen. Gleichwohl hatten einige der Befragten Bedenken gegen den Titel des Buches, während andere ohne Zögern sagten: "Ja, mein Vater war ein Held."
Die Widerstandskämpfer selber kann man dazu nicht mehr befragen. Einige von ihnen hätten sich vermutlich die Bezeichnung "Held" verbeten. Dem Leser dürfte es nicht schwerfallen, sich über alle der zwölf geschilderten Schicksale sein eigenes Urteil zu bilden. Die Verfasserin zitiert aus einem Lexikon die Definition: "Im übertragenen Sinn nennt man Held einen Menschen, der ein außergewöhnliches Schicksal vorbildlich trägt oder sein Leben selbstlos für seine Pflicht und seine Mitmenschen einsetzt." Das haben die meisten der Väter und Mütter, von denen ihre Töchter in diesem Buch erzählen, zweifellos getan. Ob tatsächlich alle "Helden" waren, wie die Autorin meint, mag der Leser entscheiden. Möglicherweise sind einige der Befragten auch nicht in allen Belangen unbedingt zuverlässige Zeitzeugen.
Ein Kapitel besonders hervorzuheben wäre unschicklich. Es ist jedoch anzunehmen, daß sich das Hauptinteresse des Lesers auf die "prominenten" Namen konzentrieren wird, und das sind nun einmal Greta Wehner geb. Burmester, Katharina Christiansen (Tochter von Julius Leber, der auch auf der Titelseite abgebildet ist) und Renate Martin (Tochter von Adolf Reichwein). Hinter den nicht so bekannten Namen verbergen sich indessen nicht weniger bewegende Lebensläufe. Wer sich bisher nur für die aus dem westlichen Deutschland stammenden Widerstandskämpfer interessierte, bekommt durch das Buch Gelegenheit, kommunistische Gegner des Nationalsozialismus ohne die früher in der DDR übliche pathetische Glorifizierung kennenzulernen, und er erfährt, wie schwer es für die Nachkommen dieser "antifaschistischen Helden" oft ist, nach dem Zusammenbruch des Systems, an das ihre Väter oder Mütter geglaubt, für das sie gekämpft und ihr Leben eingesetzt haben, mit der neuen Situation fertig zu werden.
Mahnung
Es kann dem Zusammenwachsen der Bundesrepublik mit der früheren DDR nur dienlich sein, wenn in Zukunft unter den Deutschen Einvernehmen darüber herrschte, daß Widerstand gegen das Hitler-Regime in jedem Falle Respekt verdient hat, ganz gleich, ob ihm ein moralisches, ein ideologisches oder ein persönliches Motiv zugrunde lag. Antje Dertingers Buch leistet dazu einen nicht unerheblichen aufklärerischen Beitrag. Sie darf ihr "Projekt", so verstanden, als gelungen ansehen. Lehrer, die oft nicht recht wissen, wie sie ihren Schülern dieses düstere Kapitel der deutschen Geschichte verständlich machen sollen, damit es ihnen als Mahnung stets in Erinnerung bleibt, haben durch dieses Buch die Möglichkeit bekommen, die Erinnerungen der "Heldentöchter" im Geschichtsunterricht für sich sprechen zu lassen. KLAUS NATORP
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