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Jürg Laederachs neue Erzählungen sind aberwitzig, komisch, satirisch unterhaltend: Literatur auf dem Hochseil - das zu des Lesers Schadenfreude und Verblüffung gelegentlich knapp über dem Boden schlappt. Der übliche Held der Handlung findet in der Regel das Bühnenbild vor und fängt an, quer durch es zu laufen. Harmful läuft los und erzeugt damit die Bühnenbilder. Womöglich erdenkt er sie, ist ihnen aber doch ausgeliefert. Weder ist er - was er gern möchte - der einzige Held, noch hält die Hölle den Prüfungen seines Hitzemessers stand. Er hätte gern seine Ruhe, doch die Stimmen vieler anderer…mehr

Produktbeschreibung
Jürg Laederachs neue Erzählungen sind aberwitzig, komisch, satirisch unterhaltend: Literatur auf dem Hochseil - das zu des Lesers Schadenfreude und Verblüffung gelegentlich knapp über dem Boden schlappt. Der übliche Held der Handlung findet in der Regel das Bühnenbild vor und fängt an, quer durch es zu laufen. Harmful läuft los und erzeugt damit die Bühnenbilder. Womöglich erdenkt er sie, ist ihnen aber doch ausgeliefert. Weder ist er - was er gern möchte - der einzige Held, noch hält die Hölle den Prüfungen seines Hitzemessers stand. Er hätte gern seine Ruhe, doch die Stimmen vieler anderer quälen ihn. Nicht die geringste dieser Qualen ist es, daß er darüber - unter erheblichen Eigenkosten - lachen könnte. Das Buch macht Angebote. Zur allgemeinen Entgleisung in den Schrecken gehört auch das Herausrutschen der Person aus der Persönlichkeit. Einmal wird Harmful von Arti gesehen, Harmfuls Nachbarin, seiner Untergebenen, Geliebten - und Kommentatorin. Harmful als Faust? Dies wäre eine schöne Entwicklung. Mit Harmful leider nicht. Überall erzählt eine mit spektralen Fähigkeiten versehene Monsterfigur mit großer Ausdauer und kleinem Mut. »Die Kunst ist das Waldorf-Astoria des Lebens, und das menschliche Gemüt ist die große Stadt in der Stille, das mußt du berücksichtigen.«
Autorenporträt
Jürg Laederach geboren 1945 in Basel, studierte Mathematik in Zürich und Romanistik, Anglistik und Musikwissenschaften in Basel. Als Schriftsteller und Übersetzer war er korrespondierendes Mitglied in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Laederach wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Italo-Svevo-Preis 2005. Er starb am 19. März 2018 in Basel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2011

Ach ja, die Schweizer!

Harmfuls Leben war in der Tat gramvoll. Er litt unter einem "délire d'enormité". Sein "bratwurstlanger" Körper spie Gummipuppen in hoher Zahl. Kurz: "Er saß im geschnitzten Gasthaus", draußen der Schnee, "der ihm die heiße Jugend zerstört hatte". Hat man je aufschlussreicheres über die Schweiz gelesen? Die Swissitüde, lehrt uns Jürg Laederach, ist ein Daseinszustand, dem künstlerisch nur mit den Mitteln der Groteske beizukommen ist. Deshalb rechnet der zurechnungsfähige Leser jeden Moment mit einem Gastauftritt von Gogols "Nase". Wir erinnern uns: Dem Kollegienassessor Kowaljow kommt seine Nase abhanden, die er kurz darauf in der Uniform eines Staatsrates wiedertrifft. Auch der Schweizer führt sich gelegentlich selbst an der Nase herum, etwa bei Volksentscheiden: "Das Schweizer Volk sollte nicht mit der schweizerischen Bevölkerung verwechselt werden. Es, das Volk, ist der hauptamtliche Betreiber der Abstimmungs-Maschine, die immer vermeldet, was Volkes Wille ist. Ohne weiteres darf gesagt werden, dass weite Teile der Bevölkerung jeweils abends am Abstimmungssonntag über das Volk fluchen, welches es der Bevölkerung wieder einmal gezeigt hat." Nachdem Jürg Laederach (Autor und Musiker) zuletzt seinen neodadaistischen E-Mail-Wechsel mit Michel Mettler (Autor und Musiker) veröffentlicht hatte, zeigt er es seinen Lesern diesmal wieder mit in bester literarischer Absicht produziertem Ländervergleichs-Nonsens: "Dein Land ist ein Schweinestall, mein Land sind einzelne, im übrigen warmgeduschte Schweine." So gesehen alle zusammen, Deutsche und Schweizer, ein Sauhaufen. (Jürg Laederach: "Harmfuls Hölle. In dreizehn Episoden". Erzählungen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 189 S., geb., 19,90 [Euro].)

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Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.02.2012

Der Bär und die Feuerzange
Jürg Laederachs Erzählband „Harmfuls Hölle“
Das Kreuz des Grummlers ist, dass er keine Form findet. Sein Grummeln muss dabei noch nicht einmal unbedingt schlechter Laune entspringen (obwohl seine Laune selten die beste ist); es genügt, dass er über keinerlei Rückhaltevorrichtung verfügt und es infolgedessen ohne rhythmische Gliederung immerzu aus ihm herausläuft, nicht viel auf einmal, aber ununterbrochen. Einen „rinnenden Onkel“ führt Jürg Laederach in seinem Erzählungsband „Harmfuls Hölle“ ein, der eigentlich nichts tut als dazuliegen und dennoch ständig Substanzen aussickert. Er ist die emblematische Figur des Buchs.
Das klingt dann so: „Er dachte an böse Stürme auf dem Ochotischen Meer. Schiffsmahlzeiten. An englischen Tee, natürlich, am Kaminfeuer, bis zum Tode, die Füße auf einem Schemel, in eine Wolldecke gewickelt, die Feuerzange, auch so ein Instrument.“ Da zieht sich schon so etwas wie eine Atmosphäre zusammen; aber dem Erzähler langt es schon wieder. Was hier das Ochotische Meer zu suchen hat oder in welchem Sinn die Feuerzange „auch so“ ein Instrument wäre, das ausführen und mitteilen mag er nicht mehr, für sein Gefühl ist genug geschehen. So geht das Selbstgespräch, das niemals schweigt, doch ins Verstummen über.
Das ist schade, denn auf diese Weise macht sich der Autor, von dem zuletzt ein Band mit E-Mails an einen Freund, („Depeschen nach Mailand“, 2009) erschien, unauffindbar, auch wo er des Findens wert wäre. Nichts steht bei Laederach zwischen dem einzelnen Satz (oder höchstens Satz-Cluster) und dem Ganzen des Texts, dessen innere Abgrenzung in dreizehn „Episoden“ keine Notwendigkeit besitzt und wenig Einhalt schafft. Aus dem ziemlich langweiligen Handlungsgang, etwa dass ein Paar den Umzug erwägt und vollzieht, muss sich der Leser selbst das Lohnende herausklauben. Dann hat er z. B. eine ganz kurze Geschichte: „Bären, wenn sie einen Menschen fraßen, gaben sich kurz vorher als Menschen aus, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, und während sie fraßen, wurden sie langsam Bären.“
Das ist mit seinem Chiasmus aus Bären und Menschen, Menschen und Bären und dem grässlichen „fraßen“ in der Mitte ganz wunderbar, es bewirkt eine poetische Anschauung der Sache, die ganz aus der Sprache hervorgeht; und ins Grässliche eingewickelt trägt es einen verschwiegenen aber starken humoristischen Zug, wenn es dazu nötigt, sich den Bären vorzustellen, wie er sich arglistig verstellt, um dann allmählich wieder, entspannt, zu seinem wahren Bärentum heimzufinden. Drei Zeilen währt es und ist dann vorbei.
Oft glaubt man beim Lesen, auf einen steckengebliebenen Gedanken zu stoßen, den auszuarbeiten sich durchaus rentieren würde. Hat schon mal jemand so über den Zusammenhang von Verzweiflung und Erfahrung nachgedacht? „Jemand ist niemals verzweifelt, ohne mindestens ein weiteres Mal verzweifelt zu sein. Beim ersten Mal wird die Verzweiflung als Verzweiflung gezeigt, um zu zeigen, dass er Neigung zur Verzweiflung hat. Beim zweiten Mal schon kriegt die Verzweiflung ein Thema und wird damit zusammengeschweißt.“
Warum macht Laederach hier nicht weiter? Er lässt sich weder von der Eitelkeit des Aphorismus noch von der Rechthaberei des Essays verlocken. Vielleicht gibt es hier so etwas wie ein Schamgefühl, das sich, da es sich auch seiner selbst schämt, als Griesgrämigkeit verkleidet – ein Mensch, der sich als Bär ausgibt. Diese Haltung hat ihre noble Seite; aber da sie Wert darauf legt, im Formlosen zu hausen, verschattet sie die Lektüre mit Unlust.
BURKHARD MÜLLER
JÜRG LAEDERACH: Harmfuls Hölle in dreizehn Episoden. Erzählungen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 190 Seiten, 19,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit großen Vergnügen hat Rezensent Martin Zingg die neuen Erzählungen von Jürg Laederach gelesen. Die dreizehn Episoden um Ruud Harmful, der mal eine Frau hat, dann wieder nicht, dann diese tötet, dann selbst eine ist, scheinen ihm voll von aberwitzigen Wendungen, skurrilen Einfällen und surrealen Bildern. Er attestiert den Erzählungen einen hohen Unterhaltungswert. Allerdings sollte man seines Erachtens bereit sein, sich auf sie einzulassen und sich für das Lesen Zeit zu nehmen, damit man den enormen Sprachwitz des Autors ganz genießen kann.

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