Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 9,99 €
  • Broschiertes Buch

Sommer 1943: In Europa wütet der Krieg. Nur San Fernando, einen unscheinbaren Badeort an der italienischen Adria, scheint er vergessen zu haben. Ein staubiges Hotel, ein verfallender Badesteg hier hofft Stefan Farkas, Autor gefeierter Boulevard-Stücke, Kraft und Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Bald aber erfährt er von Spannungen unter der beschaulichen Oberfläche, von der bitteren Armut der Steinebrecher und Fischer, vom tapferen Protest der Wäscherinnen. Mit dem Waffenstillstand zwischen Italien und den Westalliierten bricht in San Fernando der Aufstand gegen die Faschisten aus. Doch statt…mehr

Produktbeschreibung
Sommer 1943: In Europa wütet der Krieg. Nur San Fernando, einen unscheinbaren Badeort an der italienischen Adria, scheint er vergessen zu haben. Ein staubiges Hotel, ein verfallender Badesteg hier hofft Stefan Farkas, Autor gefeierter Boulevard-Stücke, Kraft und Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Bald aber erfährt er von Spannungen unter der beschaulichen Oberfläche, von der bitteren Armut der Steinebrecher und Fischer, vom tapferen Protest der Wäscherinnen. Mit dem Waffenstillstand zwischen Italien und den Westalliierten bricht in San Fernando der Aufstand gegen die Faschisten aus. Doch statt der erwarteten Briten treffen deutsche Truppen ein und schlagen die Erhebung nieder. Der Strudel des Kriegs erfaßt Farkas, und er begreift: »Es gibt Zeiten, in denen das einzig Nützliche der Tod ist.«

George Tabori (1914 2007), war in den 1980er und 1990er Jahren einer der erfolgreichsten Bühnenautoren in Deutschland. Der in Budapest geborene Dramatiker, Erzähler und Regisseur schuf mit Stücken wie »Die Kannibalen«, »Jubiläum«, »Mein Kampf« und »Die Goldberg-Variationen« bedeutende Werke zum Holocaust. Sein Romanwerk ist im Steidl Verlag erschienen.
Autorenporträt
George Tabori, 1914 in Budapest geboren, lebte in Berlin, bis er Anfang der dreißiger Jahre Deutschland verließ, um zuerst in London, dann in den Vereinigten Staaten zu leben und zu arbeiten. 1975 bis 1979 leitete er das Theaterlabor in Bremen, seit 1987 lebt Tabori in Wien. Neben vielen Preisen für seine Theaterarbeit erhielt er 1992 den Georg-Büchner-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.1999

Schall und Zigarrenrauch
Der rechte und der linke Weg des frühen George Tabori

Im Sommer 1943 wird in einem italienischen Eisenbahnwaggon eine Fliege erschlagen - ein kleiner, ein winzig kleiner Tod. Der Fliegenmord geschieht im ersten Satz eines Romans, den der 29 Jahre alte George Tabori, damals im Dienst des britischen Geheimdienstes, im November desselben Jahres schrieb. Fliegenmörder ist der 55 Jahre alte ungarische Dramatiker Stefan Farkas, unterwegs zu dem kleinen Badeort San Fernando. Er hat vor, an einem neuen Stück zu arbeiten, das von einem alten Mann handeln soll, der an den Ort seiner Jugend zurückkommt.

Farkas' Fach sind Boulevardkomödien, Dreiecksgeschichten vorzugsweise, gehobene, doch seichte Unterhaltung. Er ist erfolgreich, eitel und hypochondrisch; er pflegt einen aufwendigen Lebensstil mit Wohnsitz in der Schweiz, Maßanzügen, kostspieligen Geliebten und Restaurants. Aber er trägt auch eine Last: Sein begabter und verkrüppelter Bruder Daniel siecht zu Hause in Budapest dahin. Mit Daniel hat er einst den glücklichsten Sommer seines Lebens verbracht - in San Fernando. Die Alliierten landen gerade in Sizilien. Farkas schwelgt in Erinnerungen und guten Zigarren.

Wir haben es mit einer bekannten Romankonstruktion zu tun: die Geschichte einer Rückkehr, die Anlaß bietet für Retrospektion auf das Leben und für die große Inventur. Hinter der erzählten Gegenwart schimmert ein vergangenes Glück - und konfrontiert den Protagonisten mit der Erkenntnis, daß das Leben nicht gehalten hat, was es versprach. Am Ende solcher Reisen in Romanen steht meist eine Transformation. Und die kann den Tod bedeuten.

Dieses Erzählmodell liegt dem Roman zugrunde. Doch Tabori läßt seinen Farkas an seinem vermeintlich friedlichen und abgelegenen Rückzugsort nicht nur sich selbst begegnen, sondern auch einer Realität, der er sich im Hinblick auf seinen physischen und psychischen Komfort zu verweigern versucht: dem Kriegsgeschehen und den himmelschreienden sozialen Verhältnissen im Dorf. "Dörfer", sagt er kühl, "interessieren mich nicht." Ihn interessieren Charaktere, ausgeprägte Figuren, bühnentaugliche Situationen und Dialoge. Alles, was er sieht, ist ihm Material. Was nicht taugt zum Material, klammert er aus. Das brauchbare Material betrachtet er mit der Genauigkeit eines Insektenforschers - zum Beispiel den Polizeichef, den er mit amüsierter Abscheu studiert: "Er schauspielerte die ganze Zeit, der kleine Mann, aber für Farkas tat das jeder; die Frage war nur, ob richtig besetzt oder nicht. Don Innocenzo war es: Er paßte wie geölt zu seinem Beruf, seinem Regime, seinem Ort, seinem Alter. Er stolzierte umher in einem immer wie Crescendo wirkenden Rhythmus; man fragte sich unwillkürlich, ob er je ausruhte. Geschäftig, wachsam, hier, dort, überall: Seine Stiefel trommelten fesch über die Kieswege von San Fernando, den Arm zum Gruß hochgerissen, das Gesicht durch seine kalkulierten Grimassen in ständiger Bewegung, als wäre ihm auch die Mimik offiziell übergeben worden." Es ist eine meisterliche Charakteristik, die Tabori hier liefert, von der klischierten Schärfe einer grotesken Operettenfigur. Es ist eine lächerliche Figur; daß aber noch mehr hinter ihr steckt, verrät der Name: "Don Innocenzo", der Unschuldige.

Es geht in diesem Roman letztlich um Schuld. Farkas hat sich zwar nie etwas zuschulden kommen lassen - abgesehen davon, daß er sich vom Anfang des Romans an nicht mehr auf den Status eines Menschen berufen kann, der keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. Seine Schuld liegt in der Unterlassung - in der Distanz zu allem, was nicht seine Person und sein Fortkommen betrifft. Es ist eine Schuld, die auch derjenige auf sich lädt, der sich aus allem heraushalten will.

Titel und Motto des Romans sind dem Koran entnommen und sprechen vom Jüngsten Gericht. Die Gefährten zur linken Hand sind die Verdammten; die zur rechten sollen bekommen, was Farkas zu Lebzeiten zu besitzen glaubt: paradiesischen Komfort. Dem bourgeoisen Lebenskünstler stellt Tabori den Kommunisten Giacobbe gegenüber. Er, der "Engagierte" bürgerlicher Herkunft, führt mit Farkas die Dialoge um ethische Fragen, um die Notwendigkeit der Parteinahme. Als der Duce stürzt, ist es Giacobbe, der im Dorf den Aufstand gegen die Faschisten anführt. Wie blutig er ausging, weiß man aus der Geschichte.

Tabori inszeniert die Ereignisse wie in der klassischen Tragödie. Unerbittlich, mit Sinn für dramatische Höhepunkte und theatralische Effekte, zieht sich die Politik um Farkas zusammen, so daß er nicht mehr entrinnen kann. Seine Reise in die Vergangenheit endet an einer Kreuzung, wo es nur zwei Wege gibt: den zur rechten oder zur linken Hand.

Zwar steht dieses Buch auf seiten der Unterdrückten und der Verdammten, der Gefährten zur linken Hand. Aber als ganz ungebrochenes Plädoyer erscheint es trotzdem nicht. Denn die dramatischen Ereignisse, sofern sie dem Leser aus dem Blickwinkel Farkas' mitgeteilt werden, haben auch ihre böse komödiantische Seite - bis hin zu einer verquer-traurigen Dreiecksgeschichte um den Polizeichef, eine junge jüdische Emigrantin und Farkas selbst. Selbst die Figuren kommen aus dem entsprechenden Bühnenfach: alter Mann, Poet, Militarist, Revolutionär, älteres Paar, Diener, junge Naive - und jede Menge Volk.

So stehen sich der alte Mann und der Revolutionär gegenüber. Jeder mit seiner Weltanschauung. Rechts und links. Farkas bekennt sich zu jungen Mädchen, gutem Essen und Schweizer Vormittagen. Und Giacobbe, der gute Mensch mit den besten Absichten, stellt sachlich fest: "Es gibt Zeiten, in denen das Nützlichste der Tod ist." Märtyrer sterben für ihre Überzeugung. Farkas, der Liebhaber guter Zigarren, ist eine denkbar schlechte Besetzung für diese Rolle. Aber er muß sie trotzdem spielen, damit das ganze Drama aufgeht. Nur: am Ende gibt es keinen Unschuldigen mehr. Keinen einzigen.

KATHARINA DÖBLER

George Tabori: "Gefährten zur linken Hand". Roman. Herausgegeben von Wend Kässens. Aus dem Englischen übersetzt von Ursula Grützmacher-Tabori. Steidl Verlag, Göttingen 1999. 366 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr