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Kapitän Wakusch besteigt bang das Flugzeug, das ihn zu Verwandten in das ferne, unbekannte Georgien bringen soll. Doch die Maschine will nicht abheben: Wieder und wieder drehen sich die Propeller, wieder und wieder gehen die Fluggäste an Bord - das Flugzeug jedoch startet nie. Wie kann das sein? Kapitän Wakusch ist eine Buchfigur, dessen Buch unter Leserschwund leidet. Ihm sind die Leserinnen und Leser abhanden gekommen. Und ohne sie kann bekanntlich keine Geschichte stattfinden, denn niemand füllt sie mehr mit seiner Leselebenskraft aus. Wie aber soll sich die Geschichte vom Kapitän Wakusch…mehr

Produktbeschreibung
Kapitän Wakusch besteigt bang das Flugzeug, das ihn zu Verwandten in das ferne, unbekannte Georgien bringen soll. Doch die Maschine will nicht abheben: Wieder und wieder drehen sich die Propeller, wieder und wieder gehen die Fluggäste an Bord - das Flugzeug jedoch startet nie. Wie kann das sein? Kapitän Wakusch ist eine Buchfigur, dessen Buch unter Leserschwund leidet. Ihm sind die Leserinnen und Leser abhanden gekommen. Und ohne sie kann bekanntlich keine Geschichte stattfinden, denn niemand füllt sie mehr mit seiner Leselebenskraft aus. Wie aber soll sich die Geschichte vom Kapitän Wakusch vollenden, wenn sie nicht weitergeht? Kapitän Wakusch muss einen Weg finden, sein Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können ...
Mit großem philosophischen Scharfsinn und sehr viel Witz schildert Giwi Margwelaschwili in seiner "Fluchtästhetischen Novelle" die Welt der Buchfiguren. Die Novelle stellt eine gute Einstiegslektüre in das vielfach preisgekrönte Werk Margwelaschwilis dar und erscheint zum 85. Geburtstag dieses großen deutsch-georgischen Autors.
Autorenporträt
Giwi Margwelaschwili wurde 1927 als Sohn georgischer Emigranten in Berlin geboren. Seine Mutter starb, als er vier Jahre alt war. Sein Vater lehrte Philosophie und Orientalistik und wurde 1946 zusammen mit seinem Sohn vom sowjetischen Geheimdienst NKWD entführt. Der Vater wurde ermordet, Giwi Margwelaschwili in Sachsenhausen interniert, anschließend nach Georgien verschleppt. Dort lehrte er Deutsch. Erst 1987 konnte er nach Deutschland ausreisen. Ihn begleitete eine Unzahl von in der Emigration auf Deutsch geschriebenen Romanen und Erzählungen. 1994 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft und ein Ehrenstipendium des Bundespräsidenten, 1995 den Brandenburgischen Literatur-Ehrenpreis für sein Gesamtwerk, 2006 die Goethe-Medaille und 2008 das Bundesverdienstkreuz. Er ist Mitglied des P.E.N und lebt seit 2011wieder in Tiflis. 2012 erschien im Gollenstein Verlag sein Roman "Das Lese-Liebeseheglück". Am 14.12.2012 wird Giwi Margwelaschwili 85 Jahre alt!
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2012

Brückenkopf packt sich beim Schopf

Ausbruch nach vorn, und das mit fünfundachtzig Jahren immer noch: Die "Fluchtästhetische Novelle" ist ein poetologisches Gedankenspiel des Lese-Lebenswelt-Meisters Giwi Margwelaschwili.

So charmant hat sich noch kein Autor über mangelndes Leserinteresse beschwert. Der heute seinen fünfundachtzigsten Geburtstag feiernde Giwi Margwelaschwili, fast schon ein Mathematiker unter den Schriftstellern, der locker in zweiten und dritten Ordnungen denkt, unser Borges sozusagen, auch wenn er - ein versöhnliches Finale seiner unglücklich verdrehten deutsch-georgischen Lebensgeschichte - heute wieder in Tiflis lebt, Giwi Margwelaschwili also hat mit seiner "Fluchtästhetischen Novelle" das zu seinem Markenzeichen gewordene Vexierspiel aus Leben und Literatur auf einen neuen selbstreflexiven Höhepunkt geführt und zugleich eine liebenswerte Einführung in sein Hauptwerk nachgereicht.

Anfang der neunziger Jahre hatte der Konstanzer Südverlag die beiden ersten Bände des autobiographischen "Kapitän Wakusch"-Projekts herausgebracht. Der erste Band behandelt die Jugend des Jazz-Rebellen Wakusch in Deutschland und reicht bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Der zweite Band verarbeitet Erlebnisse als Gefangener des sowjetischen Geheimdienstes. Es hätte sich ein Band mit der erzwungenen Umsiedlung nach Tiflis anschließen sollen. Doch weil sich die "metathematisch" verspielten Bücher schleppend verkauften, war das verlegerische Interesse bald erloschen. Den Autor, inzwischen in Berlin lebend, inspirierte das zur vorliegenden Novelle. Der Verbrecher Verlag, seit fünf Jahren um Margwelaschwilis Gesamtwerk sehr verdient, hat sie nun erstmals publiziert (und ihr damit einen Schluss beschert).

Die Buchfigur weiß im Jahre 1947, als sie mit einer sowjetischen Douglas-Maschine ausgeflogen werden soll, natürlich noch nichts von den späteren Publikationskalamitäten ihres Autors. So bemerkt Wakusch lediglich, in einem absurden Interim gefangen zu sein: Immer wieder betritt er die propellernde Maschine, die aber Berlin-Schönefeld nie verlässt. Die Rezeptions-Energie reicht nicht aus, um den nächsten Lese-Lebensabschnitt zu erreichen. Die Hauptfigur räsoniert darüber, was zu dieser "Lesepleite" geführt hat. Ist der Stil der Wakusch-Bände "zu spielerisch und unbekümmert"? Herrscht ein generelles Desinteresse an einer "herkunftsmäßig nichtdeutschen Familie"? Oder lässt der Untergang der Sowjetunion diese Leidensgeschichte bei allem Exemplarischen veraltet erscheinen?

Dass Wakusch überhaupt vom Zusammenbruch des Ostblocks weiß, ist einer hinterlistigen Engführung geschuldet, denn auf dem Pissoir trifft er einen Leser aus der Zukunft, vielleicht gar den Verfasser selbst. Zum Abschluss einer philosophisch-poetologischen Unterhaltung voller schöner absurder Einfälle rät dieser, aufs Gelesenwerdenwollen ganz zu verzichten, die Rückerlangung der Souveränität durch Introspektion also. Ins Realweltliche übersetzt, bedeutete das wohl das Verharren der Geschichte im Manuskript-Status. Aber kann eine Figur durch "buchpersönlichen Selbstmord" tatsächlich die Flucht nach vorn antreten?

In einem Fall ist das möglich, und hier wird es paratheologisch: wenn der "Schöpfer-Autor" ebendas vorgesehen hat. Es geht Margwelaschwili also nicht wie vielen modernen Autoren um die Befreiung der Figuren. Der Determinismus ist sogar besonders ausgeprägt, handelt es sich bei Wakusch doch um das junge Alter Ego des Verfassers selbst.

"Cogito ergo sum" gilt hier also mit doppelter Einschränkung: Gedacht wird, was zugedacht ist, und der Seinsstatus ist prekär, ein reines Gewesensein. Und doch wird Wakusch eben so zum moralischen Exemplum, weil er zeigt, dass nichts und niemand eine geistige Flucht aufhalten kann, so ähnlich, wie Margwelaschwili das im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen erlebt hat, als der Mitgefangene Heinrich George "Faust I" inszenierte, was alle Insassen den Stacheldraht vergessen ließ. Bruchstückhaft erfahren wir den von Wakusch vorsichtig erträumten Fortgang: Als Brückenkopf der westlichen Kultur schmuggelt er ideologiezersetzende Rhythmen und Ideen in den öden sowjetischen Alltag ein. Dass dann überraschend ein mächtiger Energiestrahl in die Geschichte fährt und den Godot-Fluch zertrümmert, hätte man sich denken können, ja denken müssen, schließlich lesen wir in diesem denn doch erschienenen, asymptotisch auf sich selbst zulaufenden Buch.

Etwas formalistisch mag diese postmoderne Variante der cartesischen "Meditationen" wohl anmuten, aber so verschmitzt intelligent ist sie, dass man ihr von Herzen die ersehnte Kraft wünscht, "den gesamten Wakuschbericht vor der Leserschwindsucht zu bewahren".

OLIVER JUNGEN

Giwi Margwelaschwili: "Fluchtästhetische Novelle".

Verbrecher Verlag, Berlin 2012. 132 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Insa Wilkes Doppelrezension von Giwi Margwelaschwilis Romanen "Das Lese-Liebeseheglück" und "Fluchtästhetische Novelle" ist ebenso sehr Porträt des deutsch-georgischen Autors wie Buchbesprechung. Die Rezensentin würdigt die bewegte Lebensgeschichte des 1927 im Berliner Exil geborenen, später nach Georgien verschleppten Margwelaschwili, der während des Kalten Krieges "ein literarisches Lebenswerk, das seinesgleichen sucht", schuf. Das zentrale Thema seines Schreibens ist laut Wilke "die Rettung der Buchpersonen", also seiner literarischen Figuren, deren Schicksal sowohl von literarischen Konventionen und Zwängen als auch vom Interesse ihrer Leser abhängt. Letzeres ist in der "Fluchtästhetischen Novelle" ein existenzielles Problem, berichtet die begeisterte Rezensentin: der Protagonist, Margwelaschwilis Alter ego Wakusch, sitzt am Flughafen Schönefeld fest, weil der Maschine die zum Abheben erforderliche Leser-Energie fehlt, und auch Wakusch selbst ist "vor lauter Lesermangel schon ganz löchrig". Um die Leser für seiner Bücher muss sich Margwelaschwili jedoch keine Sorgen machen, ist sich Wilke sicher.

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