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Wenn überall auf der Welt Krieg herrscht, leben wir dann wirklich noch im Frieden? Seit einiger Zeit hat der Krieg auch unseren scheinbar so friedlichen Alltag erobert, zumindest was die Sprache und die Medien betrifft: Tag für Tag hören wir von "Scheidungskriegen" und "Tennis-Kriegen", von "Terror-Pollen", "Horror-Kids", "Killer-Viren", "Bomben", "Produktoffensiven" und "feindlichen Übernahmen". Und seit die USA nach dem 11. September den "war on terrorism" erklärt haben, befinden sich die Staaten des Westens auch real auf einem Feldzug ohne Grenze in Zeit und Raum. Wie sollen wir dieses…mehr

Produktbeschreibung
Wenn überall auf der Welt Krieg herrscht, leben wir dann wirklich noch im Frieden?
Seit einiger Zeit hat der Krieg auch unseren scheinbar so friedlichen Alltag erobert, zumindest was die Sprache und die Medien betrifft: Tag für Tag hören wir von "Scheidungskriegen" und "Tennis-Kriegen", von "Terror-Pollen", "Horror-Kids", "Killer-Viren", "Bomben", "Produktoffensiven" und "feindlichen Übernahmen". Und seit die USA nach dem 11. September den "war on terrorism" erklärt haben, befinden sich die Staaten des Westens auch real auf einem Feldzug ohne Grenze in Zeit und Raum. Wie sollen wir dieses symbolische und reale Eindringen des Krieges in die Eingeweide der Gesellschaft nennen? Im Übergang zum 21. Jahrhundert ist eine völlig neue Form des Krieges entstanden. Die Autoren nennen das Phänomen den "massenkulturellen Krieg". In "Entsichert" befassen sie sich zum einen mit der immer kriegerischer anmutenden Konsumkultur im Westen, einer Art mentaler Aufrüstung. Z um anderen haben sie in den letzten Jahren ehemalige und aktuelle Kriegsschauplätze wie Vietnam, die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens und auch das New York nach dem 11. September besucht. In einer Mischung aus Reportage und Kulturkritik durchleuchten sie sowohl unseren Alltag, in dem der Krieg als Spektakel erscheint, als auch das Leben in jenen Gebieten, wo der Krieg buchstäblich Alltag geworden ist.
Autorenporträt
Tom Holert, geboren 1962, freier Kulturwissenschaftler und Journalist, war Redakteur bei Texte zur Kunst und Mitherausgeber von Spex. Heute ist er Autor u.a. für die tageszeitung, Jungle World, Süddeutsche Zeitung, Literaturen, Artforum. Gemeinsam mit Mark Terkessidis gab Tom Holert 1996 Mainstream der Minderheiten Pop in der Kontrollgesellschaft heraus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2002

Dann ist der ganze Krieg sinnlos
Tom Holert und Mark Terkessidis versammeln Theoriebataillone

Dieses Buch profitiert vom prekären Augenblick, der durch die neueste Resolution des Weltsicherheitsrats nur moderat entschärft wurde. Wer wollte nicht, bevor es möglicherweise doch bald losgeht im Irak, noch etwas darüber lesen, wie der Krieg bereits unseren Alltag prägt? Tom Holert und Mark Terkessidis, Kulturwissenschaftler der erste, Psychologe der zweite, haben sich gefragt, warum eine Gesellschaft, die daheim im tiefsten Frieden lebt, so sehr auf die Metapher vom Krieg angewiesen ist. Um die Antwort zu finden, war es nötig - um mit den beiden Verfassern zu reden -, "sich ins Kino oder vor den Fernseher zu begeben, aber auch in die Modeboutiquen, die Designermöbelgeschäfte, die Clubs, die Bars, die Fitneßstudios, die Sportarenen, die Büros des globalen Neobürgertums". Was fehlt jedoch in dieser Aufzählung? Die Bücher, meinethalben auch die eines globalen Neobürgertums. Bücher jedenfalls wie dieses selbst, das den Titel "Entsichert" trägt, und von denen es doch schon etliche thematisch verwandte gibt.

Denn sein Gegenstand ist nicht nur Kulturanalyse, sondern mehr noch Kritik. Der Feind heißt Neoliberalismus. Daß Holert und Terkessidis nicht definieren, was das ihrem Verständnis nach sein soll, sei nachgesehen, denn wir erfahren immerhin, daß er einen "Typus von kriegerischer Individualität" hervorgebracht hat. Gemeint, soweit dürfen wir den beiden Autoren gewiß ein ehedem marxistisches Bewußtsein zusprechen, ist nichts anderes als Kapitalismus. Natürlich in seiner modernsten, prinzipienlosesten Weise, denn wenn die Theorie derart auf der Höhe der Zeit ist, mag sich ihr Gegenstand doch bitte daran ein Beispiel nehmen und brav denjenigen dunklen Gegner abgeben, den man braucht. Daß dann gegen den kriegerischen Individualismus eine kriegerische Entindividualisierung in Stellung gebracht wird - denn wer hinter dem Neoliberalismus stecken könnte, wird nie thematisiert, er ist einfach das Böse -, das ist eine der netten Pointen bei der Lektüre.

Ganz am Ende erst sprechen Holert und Terkessidis Klartext: "Die kulturell produzierte Legitimität des Krieges muß als Form der Herrschaft begriffen und politisch in Frage gestellt werden. Aber nicht, indem man abstrakt zu Versöhnung und Frieden aufruft, sondern indem man den Kampf annimmt." Krieg dem Kriege also, und so ist das Buch denn auch geschrieben. Es strotzt selbst vor kriegerischer Metaphorik, die Autoren kennen sich nicht mehr vor Kampfbegier, denn der Gegner ist mächtig, und viel Feind, viel Ehr! Daraus hat der dialektische Materialismus schon immer ein gut Teil seiner Daseinsberechtigung gezogen, und seine Erbin, die in der Frankfurter Schule ausgebildete Kulturwissenschaft, stellt sich gern in diese Tradition.

Das muß auch kein Nachteil sein. Holert und Terkessidis kommen zu klugen Einsichten, wenn es um die psychologische Wirkung des Vietnamkriegs auf die jungen amerikanischen Soldaten geht. Sie beobachten scharfsinnig, wie über die Auslandseinsätze der Bundeswehr berichtet wird, und entzaubern manchen vom Glanz der schimmernden Wehr verhexten Intellektuellen. Doch sie selbst gehen nicht minder freudig dem bunten Bild des Kinos auf den Leim. Gewiß die Hälfte ihrer Argumentation verdankt sich Filmen, und deren Inhalte werden bedenkenlos als ebenso real eingeschätzt wie tatsächliche Ereignisse. Natürlich ist das unter der Prämisse des allumfassenden Verblendungszusammenhangs plausibel, doch wer als Wirkung eines Films wie "Wall Street" festhält, daß er "eine ganze Generation von Jungbörsianern" beeindruckt habe, und das dann nur mit einem weiteren Film, nämlich "Boiler Room", belegen kann, in dem "Wall Street" eine dramaturgisch wichtige Rolle spielt, der ist selbst komplett verblendet.

Zitat und Quelle, direkt und indirekt, Kultur und Politik, Wirklichkeit und Imagination - das alles geht munter und untrennbar durcheinander. Man kann als Rezensent wirklich nicht sagen, ob die Mitteilung, daß für den CNN-Reporter Peter Arnett dessen Einsatz in Bagdad ein Hochgefühl bedeutet habe, weil "schon seit seiner Jugend die Arabische Halbinsel eine ,geheimnisvolle Anziehungskraft' auf ihn ausgeübt habe", nun Arnett als naiv entlarvt oder die Autoren. Schlimmer noch: Man muß fürchten, daß alle drei nicht wissen, wo Bagdad liegt.

Aber das ist ja auch egal, wo doch heute laut dem Buch nicht mehr Territorien oder Vorherrschaft von Ideologien Kriegsziele sind, sondern "die Verteidigung eines zumeist nur rhetorisch definierten Lebensstils". Das gilt natürlich nur für den Westen, und das Buch erhebt auch gar nicht den Anspruch, Phänomene wie Terror oder nationale Konflikte zu erläutern, denn darüber ist unsere Konkurrenzgesellschaft hinaus. Als ihr Ahnherr wird Hobbes identifiziert, weil im Naturzustand des "Leviathan" jeder gegen jeden kämpfe. Daß allerdings der Naturzustand keine Gesellschaft kennt - wen interessiert das schon in den Kulturwissenschaften?

Im Rahmen der Disziplin ist das Buch deshalb anregend. Und da wird man Holert und Terkessidis auch die jeweils ihre Kapitel einleitenden "Reportagen" hoch anrechnen, die die beiden Autoren rings um die Welt geführt haben: nach Ho-Chi-Minh-Stadt, in das Kosovo, nach New York und Mazedonien. Allerdings gewiß nicht ins Oderbruch oder nach Bad Reichenhall, wo sie die Bundeswehr im Fluteinsatz und den sechzehnjährigen Martin bei der Menschenjagd mit dem Jagdgewehr beobachtet haben wollen. Wenn man eines sofort durchschaut, dann doch die völlige Talentlosigkeit der Autoren für Beschreibungen von Realität. Wozu aber auch, wenn es doch so schöne, kohärente Theorien gibt?

ANDREAS PLATTHAUS

Tom Holert, Mark Terkessidis: "Entsichert". Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002. 287 S., br., 9,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2002

Die schwarze Avantgarde
Der Krieg ist auch im scheinbar friedlichen Westen allgegenwärtig
„Kampf ums Dosenpfand”, „Pollenkrieg” oder „Guerillamarketing”– Krieg ist in der Sprache als Metapher allgegenwärtig. Während sich in unzähligen Regionen der Welt kriegerische Konflikte abspielen, versinkt der vermeintlich friedliche Westen in einem verbal militarisierten Alltag. So zumindest interpretieren Tom Holert und Mark Terkessidis das Zusammenspiel von Kulturindustrie und Krieg. Griffig erscheint ihre Formel, dass sich in Zeiten des Neoliberalismus im Westen Krieg als Massenkultur breit macht, während sich in der globalen Peripherie Krieg zu einer Kultur der Massen entwickelt hat. Die Autoren, die sich in der Tradition der Cultural Studies verorten, betreten hier methodisch Neuland, indem sie Journalismus und sozialwissenschaftliche Theoriebildung verknüpfen.
Über Kriege und ihre komplexen Sachverhalte wird in den Medien in der Regel nicht mittels differenzierter, aufklärender Reportagen berichtet. Meist sind es reißerische Fernsehbilder von Kampfszenen, die dem Publikum lediglich den Eindruck vermitteln, über einen Konflikt Bescheid zu wissen. Solche Bilder erzeugen, so die Autoren, eine „Kultur der Angst”, weil sie den undifferenzierten Eindruck einer allgegenwärtigen Gewalt vermitteln. Dadurch entstehe die vermeintliche Notwendigkeit, allzeit gerüstet zu sein – sei es für die militärische Intervention der Nation oder für den privaten Überlebenskampf im Großstadtdschungel. Sicherheit wird so zum „Supergrundrecht”, und der Bürger, der sich in der Opferrolle sieht, ist bereit, sich gegen die Unbill der Welt zu rüsten.
Der Geburtsort des Krieges als Massenkultur ist für Holert und Terkessidis der Vietnamfeldzug. Dort, beziehungsweise in der Verarbeitung des Krieges durch die Kulturindustrie, verbinden sich zum ersten Mal Ziele der damaligen Gegenkultur – sei es der Ausbruch aus der Normalität oder die Wiederentdeckung der Individualität – mit soldatischen Tugenden. Die US-Armee kopierte die individualistischen Guerillataktiken der postkolonialen Befreiungsbewegungen, die einfachen Soldaten peppten durch exzessiven Drogengenuss ihre Stahlgewitter-Erlebnisse auf. Eine „Mischung zwischen Terror und Extase, zwischen traditionellem Soldatentum und psychedelischer Halluzination” entstand.
Ganz im Sinne von Michael Hardt und Antonio Negri, die in ihrem Buch „Empire” die Bedeutung der sozialen Praktiken nonkonformistischer Bewegungen für den globalisierten Kapitalismus untersuchen, beginnt für Holert und Terkessidis, so zynisch das klingen mag, auf den Schlachtfeldern Vietnams die Erfolgsgeschichte des neoliberalen Unternehmersubjekts. „Es arbeitet angeblich nur, um sich selbst zu verwirklichen – frei vom verwalteten Leben, aber auch frei von jeglichem Schutz durch eine engmaschig geknüpfte soziale Sicherheit.”
Im Westen sind es nicht Armeen, die sich bekämpfen; hier bewegt sich der Einzelkämpfer auf seinem Terrain. In der Figur des Amokläufers wird er zur „schwarzen Avantgarde der Individualisierung sozialer Konflikte”, wie die beiden Autoren etwas pathetisch formulieren: Der Neoliberalismus belohnt demnach Extrem-Individualisten, die sich dem Sozialen verweigern und mittels eines radikalen Egoismus auf dem Wirtschaftsparkett brillieren.
Rhetorik der Verzweiflung
Umgekehrt ist diese Zivilgesellschaft aber auch mehr denn je militärisch geprägt. Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington sehen Holert und Terkessidis einen „globalen Einberufungsbescheid” auf dem Weg: Eine nationalistisch, religiös oder ethnisch begründete Kriegsrhetorik nutze geschickt die Verzweiflung der in einer Mangelökonomie lebenden Menschen aus. Die Politik, die sich mit der Gestaltbarkeit sozialer Verhältnisse auseinander setzen soll, kapituliert. Dem Sicherheitsdenken falle zudem die städtische Öffentlichkeit als Ort kritischer Debatten zum Opfer. Was bleibt, ist nach Holert und Terkessidis eine „Existenz im Ausnahmezustand”, von den Autoren in düsteren Farben gezeichnet.
Hier eine Neudefinition des Politischen einzufordern, wäre also richtig; wie sie aussehen könnte, bleibt offen. Ob diese Neudefinition sich am klassischen Gerechtigkeitsbegriff orientieren könnte, wie das die Autoren postulieren, ist fraglich. Hingegen wäre es durchaus ein interessanter Absatz, sich mit dem Wert nonkonformistischen Verhaltens zu befassen. Hier böte sich auch ein Anknüpfungspunkt, um die „entsicherten” Verhältnisse auf das zurecht zu stutzen, was sie eigentlich ausmacht: auf politisch gestaltbare, gesellschaftliche Konflikte.
GOTTFRIED OY
TOM HOLERT / MARK TERKESSIDIS: Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002. 287 Seiten, 9,90 Euro.
Der Rezensent ist Soziologe in Frankfurt am Main.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Durch Amoklauf in Erfurt und Elbeflut in Dresden hat dieses Buch, so Klaus Walter, zusätzliche Überzeugungskraft bekommen. Entscheidend an den in ihm aufgeführten Beispielen wie dem Amoklauf in Bad Reihenhall und Oderflut sei nämlich der "massenmediale Event", der solche Ereignisse als "Schlacht", "Krieg" oder "Einsatz" beschreibt und damit den Krieg als übergreifende Metapher unserer Kultur bestätigt. Zugleich, so scheint es, setzen sich damit auch wieder die ältesten Sinnmuster männlicher Lebensentwürfe kulturell durch, wenn, wie Walter uns aus dem Buch nacherzählt, "mimetische Hyperindividualisten" und "bellikose Hedonisten", "egozentrische Subjekte" und "Egotaktiker im Hamsterrad der entfesselten Konkurrenz" die Szene beherrschen. Die seien übrigens einmal von einer Popszene als inszenatorischem Vorreiter massenwirksam vorgestellt worden, als sie sich im Look des Gang-War in Szene setzte. Zur positiven Aufnahme dieses Phänomens hat, so Walter, auch einmal Mark Terkessedis in "Spex" beigetragen. Mit diesem Buch hat er sich für Klaus Walter "rehabilitiert".

© Perlentaucher Medien GmbH