Produktdetails
  • Verlag: Molden
  • ISBN-13: 9783217004597
  • ISBN-10: 3217004590
  • Artikelnr.: 24198833
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2008

Ehre deine Paten
Der Pionier des New Journalism Gay Talese versuchte, den großen Roman mit journalistischen Mitteln zu schreiben
Es war im Jahr 1973, als Tom Wolfe seinen epochalen Essay mit dem Titel „New Journalism” verfasste, der ihn für alle Ewigkeit als Urvater dieses Genres etablierte. Wolfe stellte die Behauptung auf, der literarische Journalismus werde den Roman als letztgültige Erzählform ablösen. Der Essay war der Einführungstext für eine Anthologie, die mit Texten von jungen Autoren wie Joan Didion, George Plimpton, Joe Eszterhas und Terry Southern vorführte, wie sich dieser New Journalism las: ungewohnt subjektiv, leidenschaftlich im Erzählen und hochpräzise in der Recherche.
Wolfes Essay war arrogant, wenn nicht größenwahnsinnig. Immerhin hatte er das Format, die beiden Titanen des New Yorker Zeitungsjournalismus Jimmy Breslin und Gay Talese als die eigentlichen Urheber dieser Mischung aus Literatur und Journalismus zu identifizieren, dem Wolfe und Hunter S. Thompson dann noch ein zielsicheres Gespür für all die neuen Subkulturen der sechziger und siebziger Jahre hinzufügten. Wolfe, der Bildungsbürger aus dem Süden, empfand tiefste Bewunderung für die großstädtischen Raubeine Breslin und Talese, die in den Vorstädten von New York aufgewachsen waren. Sie hatten als Reporter enge Verbindungen zur wahren Subkultur geknüpft, zur damals noch allmächtigen Mafia. Und Gay Talese hatte zwei Jahre zuvor ein über 500 Seiten starkes Buch mit dem Titel „Honor Thy Father” vorgelegt, das alle Kriterien zu erfüllen schien, die Wolfe so großspurig in seinem Essay einforderte.
In dem Werk, das dieses Jahr erstmals in Deutschland erschienen ist („Ehre deinen Vater”. Aus dem Englischen von Gunther Martin. Rogner & Bernhard, Berlin 2008. 536 Seiten, 24,90 Euro), erzählte Talese die Geschichte des New Yorker Mafiachefs Bill Bonanno und seiner Familie sowohl mit dem epischen Atem eines Entwicklungsromans als auch der Intensität einer Reportage. Gay Talese schien überhaupt keine Schwierigkeiten zu haben, aus der schier unendlichen Fülle der Fakten einen Erzählbogen zu spinnen, der die Gefühlswelt der Protagonisten ebenso glaubwürdig wiedergab wie die harten und heftigen Realitäten des Mafialebens. „Ein unglaublicher Job”, schrieb Mario Puzo damals für den Buchumschlag, und als Autor von „Der Pate” und so einigen anderen Romanen, die den Stoff für Filmklassiker lieferten, hatte sein Wort Gewicht.
Für Tom Wolfe aber ging es ums Ganze. „Ich weiß, dass sie es sich nie hätten träumen lassen, dass irgend etwas, das sie für Zeitungen oder Zeitschriften schrieben, so viel Unheil in der Welt der Literatur anrichten, so eine Panik auslösen könnte”, schrieb er da über seine Altersgenossen. „Und vor allem, dass es den Roman als literarisches Genre Nummer eins ablösen und somit den ersten wahrhaften Richtungswechsel in der amerikanischen Literatur seit einem halben Jahrhundert vollziehen würde.”
Das hehre Ziel wurde zwar letztendlich nicht erreicht, und doch war der New Journalism ein gewaltiger Befreiungsschlag, den es in dieser Form in Europa nie gegeben hat. Es war nicht so sehr ein Schlag gegen den etablierten Literaturbetrieb. Wolfe und seine Generation hochbegabter Journalisten verwahrten sich vielmehr gegen eine anachronistische Kunstform, der es nichts mehr hinzuzufügen gab. Wolfe respektierte die Meister durchaus und gab das im Essay auch zu Protokoll. Ernest Hemingway, William Faulkner, John Steinbeck, John Dos Passos und Thomas Wolfe waren für ihn unerreichbare Vorbilder. Aber gerade weil sich seine Generation so vergeblich daran abarbeitete, würdige Nachfolger der „Great American Novel” zu schreiben, war es Zeit für den Aufstand gegen den literarischen Status quo.
Die Avantgarde hatte es versucht und weitgehend versagt. Weder die Cut-Up-Literatur von William S. Burroughs noch die Stream-of-Conciousness-Ergüsse von Jack Kerouac konnten als Vorbilder für eine junge Autorengeneration dienen. Wieviel mitreißender und zeitgemäßer war da die Arbeit von Schreibern wie Gay Talese. Es war die perfekte Mischung aus Handwerk und Gespür, Leidenschaft und klarem Blick. Wenn Gay Talese über Seiten hinweg beschreibt, wie der junge Bill Bonanno um seinen verschwundenen Vater Joe bangt, dann gelingt ihm einerseits der Blick ins tiefste Innere seines Protagonisten, andererseits spürt man aus jeder Zeile, dass er sich keine Nuance dieser Angst, kein Detail der endlosen Tage im Untergrund ausgedacht hat.
So war es ja auch. Gay Talese hatte zu seinem Protagonisten Bill Bonanno eine so enge Beziehung aufgebaut, dass er fast unbegrenzten Zugang zur Familiengeschichte der Bonannos bekam. So wurde das Buch zur hohen Kunst auf mehreren Ebenen. Es war die literarische Kraft, einen Erzählbogen über 500 Seiten spannend zu halten, es war die Gabe, sich in fremde Welten nicht nur einzufühlen, sondern auch den Zugang zu ihnen zu bekommen, und es war die Geduld, sich über Monate und Jahre hinweg mit einem Thema zu beschäftigen, bis die recherchierten Fakten ausreichten, um ein Buch vom Format und der Wucht eines Romans zu schreiben.
Zwischen Unruhe und Leerlauf
Doch auch wenn „Ehre deinen Vater” eines der furiosesten Beispiele für die Kraft des New Journalism war, zeigte es auch die Grenzen des Genres. Streckenweise spürt man die Anstrengungen des Autors zu deutlich, aus der Faktenfülle eine Romanstruktur zu konstruieren. Kaum merkbar schleichen sich Redundanzen ein, werden die komplizierten Windungen einer echten Familiengeschichte immer wieder dargelegt, auf dass der Leser nur ja nicht den Faden verliere. Diese leichten Schwächen aber sind weder dem Genre noch dem Autor geschuldet. Das Leben selbst weigert sich eben beharrlich, sich dem Spannungsbogen der klassischen Erzählung zu unterwerfen. Für Roman, Film und Fernsehen war es immer ein Kraftakt, diesen Bruch zwischen Unruhe und Leerlauf zum Stilelement zu machen.
Es war dann ausgerechnet Tom Wolfe selbst, der sich vierzehn Jahre nach seiner Kampfschrift als prominentester Deserteur des New Journalism für seinen Debutroman „Fegefeuer der Eitelkeiten” feiern ließ.
Gay Talese ist dagegen der Wirklichkeit treu geblieben. Er hatte damals schon einen Roman über die Mafia geschrieben, ein Buch, das nicht ansatzweise so viel Kraft hatte wie das Protokoll des wirklichen Lebens. Er hat dann weiter über die Mafia geschrieben, über sein Leben als Autor und seine eigene Familie. In der amerikanischen Literatur und im angelsächsischen Journalismus hat der Befreiungsschlag des New Journalism deutliche Spuren hinterlassen. Auf dem europäischen Kontinent aber werden die Versuche, die beiden Formen des schreibenden Handwerks zu einer Synergie zu verbinden, bis heute verfemt. So bleibt einem meist nichts anderes übrig, als sich mit den amerikanischen Originalen zu behelfen. ANDRIAN KREYE
Wer so aussieht, hat natürlich direkten Zugang zur Mafia: Gay Talese. Foto: Steffen Roth/Visum
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