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»Dr. House« ist eigentlich keine Krankenhausserie, sondern ein mentales Trainingscamp - nach 9/11 gilt es, die Denkfähigkeit Amerikas wieder fit zu machen. Seltsam euphorisierend, diese Eliteausbildung bei Doktor Arschloch: zu lernen, wie man Leute durchschaut, unter Druck handelt, schreckliche Fehler macht und schließlich doch zu Lösungen gelangt. Die Wiederbelebung des amerikanischen Pragmatismus in 177 Folgen von 2004 bis heute. Wenn es stimmt, dass J.R. Ewing die Präsidentschaft von G.W. Bush antizipierte - welchen Präsidenten erschafft dann House? Und warum nimmt der Doktor ständig die…mehr

Produktbeschreibung
»Dr. House« ist eigentlich keine Krankenhausserie, sondern ein mentales Trainingscamp - nach 9/11 gilt es, die Denkfähigkeit Amerikas wieder fit zu machen. Seltsam euphorisierend, diese Eliteausbildung bei Doktor Arschloch: zu lernen, wie man Leute durchschaut, unter Druck handelt, schreckliche Fehler macht und schließlich doch zu Lösungen gelangt. Die Wiederbelebung des amerikanischen Pragmatismus in 177 Folgen von 2004 bis heute.
Wenn es stimmt, dass J.R. Ewing die Präsidentschaft von G.W. Bush antizipierte - welchen Präsidenten erschafft dann House? Und warum nimmt der Doktor ständig die Dienste von Prostituierten in Anspruch? Ist er der letzte unverstandene Freigeist oder nur ein oller Stones-Fan?
Autorenporträt
Khan, SarahSarah Khan ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Sie veröffentlichte drei Romane und zuletzt einen Band über zeitgenössischen Spuk. Sie publiziert regelmäßig Reportagen und Essays. 2012 erhielt sie für einen in der Zeitschrift »Cargo« erschienenen Essay über »Dr. House« den Michael-Althen-Preis für Kritik. Zur Homepage von Sarah Khan.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2013

In der populären Echokammer des Wissens mangelt es nicht an Distinktionen
Diesen Chef möchte man auf keinen Fall haben: Sarah Khan interpretiert die Fernsehserie "Dr. House" als Hommage an den amerikanischen Pragmatismus

Irgendwann einmal muss es möglich gewesen sein, eine Geschichte erzählt zu bekommen und zu glauben, sie sei neu. So mancher Kinobesuch lebt wohl heute noch von der kindlichen Hoffnung, alles sei möglich, bevor der Strahl des Projektors die weiße Leinwand trifft. Solcher Lichtspielmystizismus ist dem Fernsehen eher fremd. Einschalten, hängenbleiben, weiterschauen: allein das Vokabular, mit dem sich Fernsehkonsum beschreibt, macht deutlich, dass ein ganzes Mediensystem schon in vollem Gang ist, ehe noch das erste Zeichen einer neuen Sendung auf dem Bildschirm erscheint. Nicht von ungefähr hat das Fernsehen im Seriellen - also dort, wo Innovation immer als Variation auftritt - seine ehrlichste und kreativste Spielart gefunden. Woche für Woche, Jahr für Jahr schreiten Serien voran, indem sie sich auf sich selbst zurückbeziehen: ein merkwürdiger Fluss des Ansammelns und Vergessens von Vergangenheit.

Serien haben oft "bizarre Folgen", schreibt Sarah Khan in ihrem ideensprühenden Büchlein zu "Dr. House". Das gilt vor allem für lang laufende Serien, bei denen das Wort "Folge" immer in doppelter Bedeutung zu verstehen ist. Aktuell organisiert sich Serien-Gefolgschaft vor allem in digitalen Fan-Foren, deren massives Einwirken auf populärkulturelle Entwicklungen die Frage aufwirft, ob diese kollektiven Wissensmaschinen wirklich noch von einer externen Kommentarposition auf ihre jeweilige Lieblingsserie blicken oder ob hier nicht die Serie selbst in ungebändigter Form weiterläuft. Khan hat als Expertin für Geistererscheinungen eine gute Antenne für derartige Streuungen im Kommunikationsbereich.

Als Grundgeste serieller Rezeption zeigt sich dabei das Vergleichen, entweder in Form der verschwörungstheoretischen Verknüpfung eigentlich unzusammenhängender Elemente oder als feine Unterscheidung zwischen Dingen, die sich auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnlich sehen. Auf der einen Seite also Fans, die aus der Verteilung der Buchstaben e und o in den Namen "Gregory House" und "Sherlock Holmes" eine bedeutsame Botschaft herauslesen, auf der anderen Seite fortgeschrittene Exegeten wie Khan, die, selbst unter seriellem Innovationsdruck arbeitend, von so offensichtlichen Anschlüssen nichts wissen wollen, um dann ihrerseits zu fragen, wie sich Dr. House eigentlich zu Mister Spock verhält.

Dabei ist der vergleichende Blick auf Sherlock Holmes durchaus erhellend. Eigentlich handelt es sich bei "Dr. House" um eine Mischform aus Krankenhaus- und Kriminalserie. Nicht anders als Sherlock Holmes agiert auch Dr. House als Aufklärer in einer "Welt aus Fällen" (Hans-Otto Hügel). Gemeint ist eine Welt überfließender Information, deren Ordnung so lange in Frage steht, bis jemand kommt und sinnvolle Beziehungen herstellt. Holmes und sein aktueller Wiedergänger unterscheiden sich allerdings in ihrer Methode - und dieser Unterschied ist grundlegend. Er erzählt von sozial- und medienhistorischen Transformationen epochaler Art. Wo nämlich die kombinatorische Vernunft eines Sherlock Holmes mit der Lösung jedes neuen Falls den positiven Beweis erbringt, dass die komplexen Verwicklungen der modernen Welt von einem einzigen, wiewohl exzeptionellen Menschenhirn entwirrt werden können, folgt Gregory House laut Khan einer Ausschlussmethode, die erst einmal alle möglichen falschen Erklärungen aus dem Weg räumt. House, der gehetzte Stänkerer, findet keinen Weg aus der Negativität der eigenen Logik. Er ist Meister eines buchstäblich schlechtgelaunten Verfahrens, zu dessen Anwendung es längst nicht mehr genügt, einen brillanten Einzelkopf zu besitzen. Stattdessen benötigt House ein Team von Zuarbeitern und Abhängigen. Diese getriebenen Arbeitsgruppenmitglieder sind auch nicht mehr, wie einst Dr. Watson, dankbare Kontrastfolie für den unerreichbaren Intellekt des exzentrischen Genies, sondern werden vom Chef zielstrebig ausgenutzt und gegeneinander ausgespielt.

Wie viele Fernsehserien dieser Tage handelt "Dr. House" somit von stressigen Arbeitskonstellationen: von der Multiplikation simultaner Anforderungen, von der Verkürzung von Reaktionszeiten, der Instrumentalisierung kontemplativer Reflexionsphasen. Bis zum Exzess vereint die Titelfigur Charakterzüge, die man gern dem neoliberalen Subjekt zuschreibt: Reduktion aller beruflichen Beziehungen auf das Prinzip der Konkurrenz, Kenntnis emotionaler Bindungen nur in käuflicher Form, eine freudlose Freude am Zocken, funktionalistisch-experimentelles Körperverständnis und ein Hang zur Inszenierung von Castingsituationen, in denen Mitarbeiter überwacht, auf spezialisierte Fähigkeiten getestet oder auf eine Betriebsphilosophie eingeschworen werden. Die Attraktivität dieser Figur ergibt sich vielleicht weniger aus der Gewöhnung der Zuschauer an eine "Zumutung", wie Khan mutmaßt, als aus der Schlussfolgerung, dass chronische Missgelauntheit die angebrachte Haltung gegenüber einem solchen Arbeitsalltag darstellt.

Wenn "Dr. House" also wirklich eine "Hommage an den amerikanischen Pragmatismus" formuliert, wie Khan vorschlägt, dann weiß dieser Pragmatismus mittlerweile recht gut über die eigene Nähe zum Opportunismus Bescheid. Wobei "Dr. House" allerdings auch die irrige, nicht minder attraktive Annahme transportiert, solche Attitüde bringe Erfolg. Der Serie gelingt es, Genervt-Sein nicht nur als eine Form heroischer Überlegenheit, sondern als Voraussetzung professioneller Großtaten auszustellen. Khan entgeht nicht, dass der Aufwand, den House und sein Team wöchentlich für einen Einzelfall betreiben, in krassem Widerspruch zu dem gleichzeitig auf anderen Kanälen und in anderen Sendeformaten geführten Kampf um die Reform des maroden amerikanischen Gesundheitssystems steht.

Überhaupt kommt Khan zu ihren pointiertesten Einsichten, wenn sie die Austauschbewegungen zwischen unterschiedlichen Sendungen nachzeichnet und dabei etwa zeigt, dass House auch als Antwort auf Präsident Jed Bartlet aus "The West Wing" auftritt. Noch die abwegigsten Assoziationen eines "populären Wissens" werden in solchen Pop-Netzwerken angeordnet, wie etwa die Theorie, George W. Bush sei der direkte dramaturgische Nachfolger J. R. Ewings. Wenn das stimmt, schlussfolgert Khan, bereitet "Dr. House" vielleicht die Präsidentschaftskandidatur von Kal Penn vor, einem ehemaligen Darsteller der Serie, der zum Wahlkampfberater Barack Obamas wurde.

Nach Irrsinn klingt das nur, wenn man die irrsinnige Selbstbezüglichkeit der medialen Echokammer ausklammert, denn tatsächlich kennen wir all diese Charaktere vor allem als wiederkehrende Fernsehfiguren. So passt es auch, dass Khan die Fernsehserien-Reihe des Diaphanes Verlags, in der ihr Buch erscheint, im expliziten Weiterspinnen der Bände zu "The Sopranos", "The Wire" und "The West Wing" selbst wie eine Fortsetzungsgeschichte behandelt - eben weil auch diese Produktionen permanent miteinander kommunizieren. Im Ergebnis gelingt der bislang dichteste und kurzweiligste Beitrag einer verdienstvollen Publikationsreihe.

FRANK KELLETER.

Sarah Khan: "Dr. House".

Diaphanes Verlag, Zürich 2013. 112 S., br., 10,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Frank Kelleter weiß die im Diaphanes Verlag erschienene Reihe über populäre Fernsehserien wie "The Sopranos" oder "The Wire" zu schätzen. Sarah Khans nun vorliegenden schmalen Band zu "Dr. House" zählt er zu den klügsten und unterhaltsamsten Beiträgen dieser Reihe. Er findet in dem Buch zahlreiche anregende Ideen und prägnante Einsichten über diese Serie, die er als Mischform zwischen Krankenhaus- und Kriminalserie beschreibt. Kahns Interpretation von "Dr. House" als "Hommage an den amerikanischen Pragmatismus" scheint ihm inspirierend. Aufschlussreich findet er zudem die Bezugnahme zu anderen Serien und Charakteren, die die Autorin vornimmt. Sein Fazit: der bisher "dichteste und kurzweiligste Beitrag" einer interessanten Publikationsreihe.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Das Buch als kreativer Freiraum reinszeniert das mentale Trainingscamp: Als kluge und unterhaltsame Entschlüsselungsfantasie muss es nicht der Weisheit letzter Schluss sein, um beim lustvollen Nachdenken über diese Serie einen hohen diagnostischen Wert zu entfalten.« Elke Brüns, Der Tagesspiegel