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Keine belletristische Veröffentlichung hat in Schweden jemals so viel Aufsehen erregt wie das Erscheinen dieses kleinen Romans im Jahr 1839. Beschimpft als „Sittenverderber“ und „Verführer der Jugend“ verlor Almqvist seine Anstellung und floh schließlich wegen eines drohenden Prozesses nach Amerika. Auf einer Schiffsreise über den Mälarsee sieht der junge Sergeant Albert eine hübsche junge Frau und verliebt sich in sie. Doch all seine Versuche, die junge Dame kennen zu lernen, schlagen fehl: Sara lässt ihn abblitzen. Sie wirft sogar ein Geschenk von ihm, einen Ring, den er einem einfachen…mehr

Produktbeschreibung
Keine belletristische Veröffentlichung hat in Schweden jemals so viel Aufsehen erregt wie das Erscheinen dieses kleinen Romans im Jahr 1839. Beschimpft als „Sittenverderber“ und „Verführer der Jugend“ verlor Almqvist seine Anstellung und floh schließlich wegen eines drohenden Prozesses nach Amerika. Auf einer Schiffsreise über den Mälarsee sieht der junge Sergeant Albert eine hübsche junge Frau und verliebt sich in sie. Doch all seine Versuche, die junge Dame kennen zu lernen, schlagen fehl: Sara lässt ihn abblitzen. Sie wirft sogar ein Geschenk von ihm, einen Ring, den er einem einfachen Bauernmädchen auf dem Schiff abgekauft hat, in hohem Bogen über die Reling. Erst bei einem Landgang kommen sich die beiden etwas näher. Doch die Glasermeisterstochter Sara Videbeck ist nicht nur eine anziehende, sondern auch eine erstaunliche Frau, die den Sergeanten mit ihrem Benehmen irritiert und in den Bann zieht. Sie besteht darauf, ihr Essen selbst zu bezahlen, sie schlägt Albert vor, zusammen in dem einzigen noch freien Zimmer der Herberge zu übernachten, und sie hält ein flammendes Plädoyer für die freie Liebe.
Autorenporträt
Carl J. L. Almqvists (1793-1866) gilt als Schwedens modernster Dichter. Sein umfangreiches Werk umfasst Lyrik, phantastische und realistische Romane, Novellen, Dramen und Streitschriften.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2004

Sieben Tage wie im Flug
Carl Jonas Love Almqvists hinreißender Eheverhinderungsroman

Was ist schon eine Woche? Für einen Flirt zu lang, für eine Liebe zu kurz. Insofern genau die richtige Dauer für eine Reisebekanntschaft: Kaum wurde sie geschlossen, trennt man sich auch schon wieder. Nur in Ausnahmefällen oder im Roman reicht eine solche Begegnung aus, um ein Leben unwiderruflich zu verändern. Um Mißverständnissen gleich vorzubeugen: "Die Woche mit Sara", der 1839 erstmals erschienene Roman des Schweden Erzählers Carl Jonas Love Almqvist, ist trotz der Liebesgeschichte, die er schildert, und trotz seiner Entstehungszeit kein romantisches Buch - weder im historischen, noch im trivialen, verklärenden Sinn. Seine besondere Romantik wohnt den ungeschönten Verhältnissen seiner Epoche inne, und da darf dann ruhig einmal eine Einladung ausgeschlagen, Geld nachgezählt und nicht ausschließlich Schmeichelhaftes gedacht oder gesagt werden, ohne daß dies eine Verbindung gleich schwächen muß.

Und so blitzt schwelgerische Empfindsamkeit dort auf, wo man am wenigsten damit rechnet, nämlich in Passagen von unerbittlichem Realismus, die ihren Verfasser nicht nur als aufmerksamen Beobachter menschlichen Verhaltens ausweisen, sondern auch als Vorläufer Strindbergs. In einem frischen, zügigen Plauderton schildert Almqvist einen klassischen Fall: Junge trifft Mädchen, man findet Gefallen aneinander, schon trägt er sich mit Hochzeitsgedanken - wäre da nicht eine erschreckende, schier unüberwindliche Hürde. Nein, kein Nebenbuhler und keine böse Stiefmutter stellen sich diesem Bund in den Weg, sondern einzig die Braut selbst. Almqvist zeichnet seine Heldin als unkonventionelle, willensstarke junge Frau. Dieser Sara ist es zu verdanken, daß der schmale, doch gewichtige Eheverhinderungsroman auch gut anderthalb Jahrhunderte nach seiner Enstehung so unmittelbar und lebendig daherkommt, ja eine Fröhlichkeit verströmt, die noch heute ansteckend wirkt.

Dabei ist es Almqvist sehr ernst mit seiner Botschaft: Liebe ist eine Sisyphosarbeit, bei der es gilt, sich guten Mutes auf eine lebenslange Anstrengung ohne Erfolgversprechen einzustellen. Der Roman, der die siebentägige Reisebekanntschaft von Sara und Albert schildert, liest sich als Plädoyer für die Freiwilligkeit aller wahren Liebe, die nicht auf ein Ehegelöbnis baut, sondern ihre Stärke allein aus Gegenseitigkeit beziehen kann. Der Verzicht auf gewisse Annehmlichkeiten und Sicherheiten gehört unbedingt dazu, wie Sara weiß: "Die Liebe zwischen zwei Menschen . . . sollte niemals unter einem Zusammenleben oder einem gemeinsamen Haushalt leiden oder davon abhängig sein, ganz gleich, wie es geht. Ich finde, es ist am besten, wenn man niemals zusammenzieht, weil Leute, die sich lieben, einander viel schneller reizen, verärgern und schließlich kaputtmachen als andere, die nicht aufeinander bauen."

Doch bevor solche Ansichten mit Verve geäußert werden, müssen sich die Liebenden erst einmal begegnen: Bei einer Schiffspassage über den Mälarsee erregt eine hübsche, alleinreisende junge Frau die Aufmerksamkeit des nicht minder jungen Sergeanten Albert. Er setzt alles daran, sie kennenzulernen, und findet ihren Namen - Sara Videbeck - wie ihre Herkunft - eine Glasmeisterstochter aus Lidköping - anhand der Passagierliste heraus. Als es ihm nach einigen Rückschlägen endlich gelingt, ihre Bekanntschaft zu machen, übertrifft die Realität seine Erwartungen allerdings bei weitem. Anders gesagt: Offenherzigkeit und kluge Beredtheit des temperamentvollen Frauenzimmers überfordern Albert zunächst, zumal Saras entschieden vorgetragenen Lebensvorstellungen seine unbedarfte Verliebtheit vollständig zu ignorieren scheinen. Doch das beidseitige Interesse ist immerhin entfacht, und so entschließt man sich - Sara womöglich auch aus Gründen der Kostenersparnis -, nach Anlegen des Dampfers gemeinsam weiterzureisen, da beide mehr oder weniger denselben Weg haben.

Doch wie fern scheint da noch das Ziel seelischen Gleichklangs! Albert hat es auf einen Offiziersposten abgesehen und erhofft sich viel von höhergestellten Freunden, während die energische Sara mit selbstverständlicher Bescheidenheit auf ihre Unabhängigkeit pocht. Das abschreckende Beispiel ihrer Eltern, deren katastrophales Eheleben aus dem Kind früh eine Erwachsene machte, ist ihr Beweis genug dafür, daß man sich nur auf sich selbst verlassen kann. Sara denkt nüchterner als der etwas behäbige Albert. Ihre Mutter, eine Alkoholikerin, ist bettlägerig, der Vater verstorben, Geschwister hat sie keine, und so führt die Vierundzwanzigjährige das Familienunternehmen selbst und gedenkt, dies auch nach dem Tod der Mutter weiterhin zu tun. Über die Schwierigkeiten macht sie sich keine Illusionen. ",Aber in jungen Jahren ist es widerwärtig, auf die Märkte zu fahren', fuhr sie nachdenklich fort. ,Es kann einem passieren . . ., ja. Um die fünfzig wird es überstanden sein, denke ich.'"

Für den arglosen Albert ist es ein holpriger Ritt. Ihm fällt es zunächst schwer, mit Saras unmißverständlichen Bemerkungen umzugehen, die so gar nicht in seine Vorstellung passen. Erst als er nach und nach erfährt, wie reizvoll, aber auch beunruhigend es ist, wenn harmlose Verliebtheit unversehens in schönen, tiefen Ernst umschlägt, in ein Gefühl, das eine Antwort fordert, läßt er sich auf Sara ein. Und sie macht es ihm durch wachsende Zutraulichkeit leichter. Wenn in dieser Zeit auch Liebesschwüre ausgetauscht werden, so ist es nicht Sache dieses erstaunlichen Autors, sie zu schildern. Er begleitet das Paar vielmehr, indem er die Ereignisse von Alberts Warte aus betrachtet, und läßt die Wandlung, die beide durch die Begegnung erfahren, nur in Details aufschimmern.

Die Woche wird für den Leser kurz gehalten, denn nach der ersten Kutschetappe verläßt Almqvist das Paar dezent und deutet mit humorvoller Anzüglichkeit an, daß es, während Autor und Leser keusch den Blick abwenden, nicht nur bei Worten geblieben ist. So erfahren wir lediglich, daß die beiden verdächtig langsam vorankommen - "Vier Übernachtungen zwischen Arboga und Mariestad sind doch reichlich viel!" -, und in manch simpler Beobachtung verrät sich der Grund für dieses gemächliche Reisen: "Ihre Augen, obwohl sie fast noch klarer als sonst waren und leuchteten, wenn sie Albert voll Innigkeit anblickten, zeigten doch Spuren großer Müdigkeit nach einer zu kurzen Nachtruhe. Das Mädchen, das mit dem Kaffee hereinkam, war also höchst willkommen. Ein vortreffliches Getränk bei einer Gelegenheit wie jenem Morgen! Aber das zu erwähnen ist wohl wiederum zu simpel?"

Während Almqvist also mit anregender Deutlichkeit und vornehmer Zurückhaltung beschreibt, wie zwei Menschen von Fremdkörpern zu Vertrauten werden, unterhält er den Leser vor allem mit den pointierten Bemerkungen Saras, die Albert ins Schwitzen bringen: "Reiß dich bloß nicht darum, Offizier, Leutnant oder so was zu werden. Was machen denn diese Nichtstuer anderes, als tagsüber mit den Mamsells und abends mit den Jungfern Larifari zu reden. Plunder!" Das Vorlaute legt sie auch in Gefühlsdingen nicht ab: "Ich bin beschwingt und frei wie ein Vogel, und du kannst sicher sein, daß ich meine Flügel immer behalten werde. Wenn du auch fliegen kannst, ist es gut, aber wenn du bloß ein Schwätzer bist, dann sag es lieber gleich."

Doch es sind nicht nur solche keck geäußerten, oft klugen, gelegentlich auch etwas naseweisen Sprüche, die Sara zu einer der bemerkenswertesten Frauengestalten in der - an unvergeßlichen Damen nicht eben armen - Literatur des neunzehnten Jahrhunderts machen. Albert beobachtet mit ehrfürchtigem Staunen, wie der Schalk von Sara abfällt und die Liebe sie fraulich macht. Ihre Anmut und wache Herzensbildung verfeinern auch die seine: "Das Wunderbarste war, daß jene vollkommene Freiheit, die sie ihm trotz allem gewährte - von ihr wegzureisen, wenn und wann er wollte, ohne gleich an Verlassen zu denken -, sie in seinen Augen tausendfach liebenswürdig, umgänglich und angenehm machte. Und Liebenswürdigkeit ist das einzige, was echte Liebe zeugt."

Für Sara kann kein Trauspruch, sondern einzig die Übereinstimmung von Herz und Seele Liebende vereinen: "Wenn sich Menschen etwas geloben, das zu halten nicht in ihrer Macht steht, wenden auch Beschwörungsformeln den Lauf der Dinge nicht ab." Kein Wunder, daß der Roman bei seinem Erscheinen einen Skandal auslöste - heute nurmehr Entzücken. Anstoß erregte zwar auch das höhnische Miniaturbild der schwedischen Gesellschaft an Bord des Dampfers, wo Almqvists Symphatie den kleinen Leuten auf dem Deck gilt, während er die Passagiere im Salon als dummdreiste Schmarotzer schildert. Gänzlich unverzeihlich aber war die beißende Kritik an der Ehe, jener als gottgewollt gesehenen Form des Zusammenlebens.

Überraschend kam Almqvists Frontalangriff 1839 allerdings nicht. Der Sozialrevolutionär hatte sich schon früher gegen die herrschende Ordnung gestemmt. Es empörte ihn, daß alleinstehende Frauen sozial geächtet waren, bestenfalls zum Dienstmädchen oder zur Lehrerin taugten - Möglichkeiten, von denen unverheiratete Mütter wiederum nur träumen konnten. Auch hatte Almqvist selbst gute Gründe, sich nach einer Partnerschaft zu sehnen, die auf gegenseitiger Liebe, Respekt und freiwilliger Verpflichtung beruhte. 1823 hatte er das Bauernmädchen Anna Maria Lundström geheiratet, mit der er ein idealisiertes Landleben in Värmland führen wollte, was jedoch nach kurzer Zeit in eine nicht nur wirtschaftlichen Pleite mündete. Als Schriftsteller immer wieder an die Armutsgrenze getrieben, verzweifelt in der unauflöslichen Ehe und in der Gesellschaft als enfant terrible verschrien, hat er nicht nur sich selbst in diesem Roman, der im Original den Titel "Det går an" (Es geht an) trägt, eine Fluchtvision geschaffen. Das kleine Meisterwerk "Die Woche mit Sara" sticht aus seinem umfangreichen, eigenwilligen Werk heraus. Einen besseren Auftakt für die dringend anstehende Wiederentdeckung dieses kühnen Autors mit seiner ausgeprägten Vorliebe für Mystik, für das Phantastische, Bizarre und Exotische, für den Verehrer von Byron, Novalis und Tieck, der kühle Dialektik mit Empfindsamkeit und einer strahlenden, leidenschaftlichen Sprache zu verbinden wußte, läßt sich nicht denken. Die Liebe zu diesem Buch jedenfalls wird länger halten als sieben Tage.

Carl Jonas Love Almqvist: "Die Woche mit Sara". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt und mit einem Nachwort von Anne Storm. Kindler Verlag, Berlin 2004. 159 S., geb., 14,90 [Euro].  

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.05.2004

Die Erfindung der freien Liebe im Zeitalter der Dampfschiffe
Ein kleiner Roman, Schwedens größter literarischer Skandal und eine charmante Wiederentdeckung: Carl Jonas Love Almqvists „Die Woche mit Sara”
Wenn in Schweden die Rede davon ist, Arsenik sei so weiß wie die Unschuld, dann wird auf ein Zitat aus dem Werk Carl Jonas Love Almqvists angespielt, der mit dieser farbphilosophischen Spitzfindigkeit ungewollt so etwas wie ein Motto über sein Leben setzte. Die Fama besagt, dass er im Jahre 1851 versuchte, den greisen Rittmeister und Geldverleiher Johan Jacob von Scheven, dem er eine große Summe schuldete, mit Arsenik zu vergiften, nachdem er ihm sämtliche auf seinen Namen ausgestellten Wechsel entwendet hatte.
Romantischer klingt die Version, es sei eine Intrige politischer Gegner gewesen, die den Verdacht auf den revolutionär gesinnten Schriftsteller lenkte und ihn zur Flucht ins Ausland trieb. Und am passendsten wäre es, wenn jenes Komplott sowie Almqvists fünfzehnjähriges, entbehrungsreiches Exil in den USA als Spätfolgen seines 1839 erschienenen Skandalromans „Die Woche mit Sara” gedeutet werden könnten, der als eine der hübschesten literarischen Ausgrabungen der letzten Zeit nun endlich auch bei uns angekommen ist.
Leider ließ Almqvists Unschuld sich nie nachweisen, und viele Indizien sprechen dafür, dass er in verzweifelter Lage Anstalten getroffen hatte, seinem Gläubiger aus der Welt zu helfen. Wenn dem so wäre, würde das freilich an seinem Rang als Dichter nichts ändern, und wir hätten ein weiteres, eindrucksvolles Beispiel dafür, dass zwischen Kunst und Moral keine Zwangsverwandtschaft besteht. Eine Erkenntnis übrigens, mit der man sich in Schweden lange schwer tat: Dort wurde Almqvists umfangreiches, enorm vielseitiges Œuvre erst im späteren zwanzigsten Jahrhundert in seiner Bedeutung erkannt und neben das Schaffen Strindbergs gestellt. Bis dahin hatten sein schillernder Charakter, sein unsteter Lebenswandel und seine Verwicklung in einen Kriminalfall der Würdigung seiner schriftstellerischen Qualitäten im Weg gestanden.
Dass zu Lebzeiten des Autors gewisse Kreise danach trachteten, seinen Ruf zu ruinieren, steht außer Zweifel, und tatsächlich war es seine Romanfigur Sara Videbeck, die ihm den geballten Hass konservativer Zeitgenossen eintrug. Verdächtig gemacht hatte sich der 1793 geborene, aus ländlich-bürgerlichem Milieu stammende Almqvist schon seit längerem als Systemkritiker, Reformpädagoge und Sympathisant der liberalen Opposition. Er war studierter Philosoph und geweihter Priester, sein eigenwilliges Denken war geprägt durch Rousseausche Naturschwärmerei und Swedenborgs ekstatischen Mystizismus einerseits, andererseits durch radikal aufklärerische Vorstellungen von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit. In einer von „Verstimmung und Trägheit” paralysierten Gesellschaft wollte er ein „Stein des Anstoßes” und ein „Wecker” sein, und beides gelang ihm frappant mit einem Kurzroman, den er selbst als „unbedeutendes kleines Stück” einstufte.
Wenn Damen selbst zahlen
Wie bescheiden diese Selbsteinschätzung war, fällt dem heutigen Leser schon auf den ersten Seiten ins Auge. Da werden Szenen bei der Abfahrt des Mälarseedampfers „Yngve Frey” mit wenigen, sicheren Strichen so lebendig skizziert, dass man glaubt, die Frische eines Stockholmer Julimorgens zu spüren. Kühl, klar und von eleganter Lakonie sind auch die folgenden Beobachtungen, die dem Verhalten der Salon- und Deckspassagiere ein Tableau der schwedischen Ständegesellschaft en miniature abgewinnen.
Mit seinem ironisch getönten Realismus und seiner unverhohlenen Affinität zu den einfachen Leuten verstieß Almqvist gegen ästhetische Konventionen und Geschmacksmuster seiner Zeit, aber richtig übel nahm man ihm etwas anderes: Die an Bord sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen einem Sergeanten und einer Glasermeisterstochter nimmt nicht etwa Kurs auf den Hafen der Ehe, sondern auf eine ebenso gnadenlose wie überzeugungskräftige Demontage dieser Institution sowie aller überkommenen Vorstellungen vom bürgerlichen Familienleben. Und es ist die Frau, die reizende, gefühlvolle, doch in ihren Ansichten über die Welt glasharte Västergötländerin Sara Videbeck, die während der Fahrt zu neuen Ufern weiblich-männlicher Verständigung das Ruder fest in der Hand behält.
Unter der Herrschaft des beliebten, aber ultrakonservativen Bernadotte-Königs Carl XIV. Johan hätte noch niemand davon zu träumen gewagt, dass Schweden einmal zum europäischen Vorbild avancieren würde, was Gleichberechtigung und sexuelle Freizügigkeit betrifft. In einer Zeit, in der nahezu die Hälfte aller Kinder in Stockholm unehelich geboren wurde, hatten alleinstehende Frauen und zumal ledige Mütter unter Rechtlosigkeit und Diskriminierung schwer zu leiden, und das Gesetz, das die juristische und ökonomische Vormundschaft des Ehemannes über seine Gattin zementierte, wurde erst 1920 abgeschafft.
Eine Frauenfigur wie Almqvists Sara, die unternehmerisch tätig ist, ohne Begleitung reist, ihre Rechnungen selbst zahlt und ihren Lebensplan samt Kinderwunsch auf das Konzept der freien Liebe gründet, war nicht nur das Produkt einer kühnen Phantasie, sondern auch eine unerhörte Provokation.
Der Sturm der Entrüstung, der dem Erscheinen des Büchleins folgte, lieferte jedoch nur den Beweis dafür, dass das Bedürfnis nach Fortschritt und Veränderung am Grund der schwedischen Gesellschaft schon heftig brodelte. Und man müsste wohl lange suchen, um zu dem lebensklugen Plädoyer für eine Partnerschaft in Freiheit und Selbstbestimmung, in „Güte und Vernunft”, das Almqvist seinem Fräulein Videbeck in den Mund legt, im Europa der Restauration ein literarisches Pendant zu finden.
Von Talent und Tendenz
Die Einsichten, die Sara aus der missglückten Ehe ihrer Eltern ableitet, waren dem Autor am eigenen Leib zuteil geworden, als er ausgezogen war, in einem Landkollektiv praktische Erfahrungen mit dem bäuerlichen Dasein zu sammeln, und zwecks Vervollkommnung des Bildes ein unbedarftes Mädchen geheiratet hatte. Später, an der amerikanischen Ostküste, vermählte er sich aus Geldnot mit einer sieben Jahre älteren Witwe und erlitt, was Wunder, den zweiten Eheschiffbruch. So wie es zur Natur des Menschen gehört, dass er sein Leben selten oder nie nach seinem Erkenntnisstand einrichtet, gehört es zur Eigenart des literarischen Kunstwerks, dass es dem Transport von Ideen allenfalls am Rande dient. Mit diesem Problem hat Carl Jonas Love Almqvist sich immer wieder beschäftigt: Obwohl er sein Ideal in einer realistischen Literatur sah, die soziale Wirkungen hervorbringt, war ihm bewusst, dass Kunst und „Tendenz” unvereinbar sind. Gelegentlich, räumte er ein, könne auch „ein mit Talent geschriebener Tendenzroman Eindruck machen und eine Weile leben”, doch nur ein „echt artistisches Stück” sei unsterblich.
„Die Woche mit Sara” ist ein Tendenzstück reinsten Wassers und zugleich ein kleines Meisterwerk, mithin ganz Ausdruck der Widersprüche, die Almqvists Biographie und Persönlichkeit prägten. Mag die Emanzipiertheit der Heldin uns nur noch im historischen Kontext verblüffen, so können ihr Charme und ihre Willenskraft doch zeitloses Entzücken hervorrufen. Ist die Theorie der freien Liebe heute auch längst ein alter Hut, so lässt die bodenständige und zugleich einfühlsame Art, in der sie hier vorgetragen wird, sie noch einmal ganz neu aufleuchten. Die Annäherung zwischen der unabhängigen Schönen und dem lernwilligen Sergeanten ist bei aller Diskurshaftigkeit so romantisch, wie sie nur sein kann.
Und die farbige Darstellung des Alltagslebens, die differenzierten Personenporträts, die plastische Schilderung von Orten und Landschaften bei einem Erzählformat, das hohe sprachliche Ökonomie erfordert, weisen Almqvist als Virtuosen des frühen Realismus aus. Ob er nun mit Arsenik hantiert hat oder nicht – der Dichter, der 1866 in Bremen an den Spätfolgen der Syphilis starb, bevor er in seine Heimat zurückkehren konnte, hat Schwedens Literatur mit einer Substanz von nachhaltiger Wirkung angereichert.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
CARL JONAS LOVE ALMQVIST: Die Woche mit Sara. Roman. Aus dem Schwedischen und mit einem Nachwort von Anne Storm. Kindler Verlag, Berlin 2004. 160 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kristina Maidt-Zinke schwärmt von einer "der hübschesten literarischen Ausgrabungen der letzten Zeit" und berichtet von ihrem Verfasser, der nie dem Verdacht entkommen konnte, einen Geldverleiher mit Arsenik vergiftet zu haben. Sollte dem so sein, meint die Rezensentin, so wäre das ein "weiteres, eindrucksvolles Beispiel dafür, dass zwischen Kunst und Moral keine Zwangsverwandtschaft besteht". Der jetzt auf deutsch vorliegende kleine Roman stammt aus dem Jahr 1839, doch auch die Schweden selbst entdeckten erst vor kurzem, dass sie mit Carl Jonas Love Almquist "einen Virtuosen des frühen Realismus" in den Reihen ihrer literarischen Ahnen haben. Die Zeitgenossen jedenfalls, zumindest die damals vorherrschenden Konservativen, hassten ihn; "Die Woche mit Sara" war ein Skandalroman ersten Ranges, weil es sein Autor, ein eigenwilliger "Systemkritiker, Reformpädagoge und Sympathisant der liberalen Opposition", gewagt hatte, eine Frauenfigur zu erschaffen, "die unternehmerisch tätig ist, ohne Begleitung reist, ihre Rechnungen selbst zahlt und ihren Lebensplan samt Kinderwunsch auf das Konzept der freien Liebe gründet" - damals, es war die Zeit der Restauration, war das "nicht nur das Produkt einer kühnen Phantasie, sondern auch eine unerhörte Provokation". Und dann ist da noch Almquist, der wunderbare Erzähler, der eine Hafenszene "mit wenigen, sicheren Strichen so lebendig skizziert, dass man glaubt, die Frische eines Stockholmer Julimorgens zu spüren". Und trotz aller narrativen Brillanz und "Diskurshaftigkeit", versichert Maidt-Zinke, komme der emotionale Gehalt nie zu kurz. Eine Entdeckung höchster Güte!

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