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Die Frage, was zum Zusammenbruch der DDR führte, ist noch immer ein brisantes Thema. Dabei scheint man mitunter zu vergessen, dass der sozialistische deutsche Teilstaat immerhin vier Jahrzehnte lang existierte - länger als die Weimarer Republik und das Dritte Reich zusammen. So gesehen war die DDR ein rätselhaft stabiler Staat, dessen Bestand dringend einer Erklärung bedarf. In seiner Studie präsentiert der amerikanische Historiker Andrew Port eine originelle Lösung für dieses Rätsel: Weder Repressionen und die berühmt-berüchtigte Stasi noch der Rückzug ins Private oder die Loyalität gegenüber…mehr

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Produktbeschreibung
Die Frage, was zum Zusammenbruch der DDR führte, ist noch immer ein brisantes Thema. Dabei scheint man mitunter zu vergessen, dass der sozialistische deutsche Teilstaat immerhin vier Jahrzehnte lang existierte - länger als die Weimarer Republik und das Dritte Reich zusammen. So gesehen war die DDR ein rätselhaft stabiler Staat, dessen Bestand dringend einer Erklärung bedarf.
In seiner Studie präsentiert der amerikanische Historiker Andrew Port eine originelle Lösung für dieses Rätsel: Weder Repressionen und die berühmt-berüchtigte Stasi noch der Rückzug ins Private oder die Loyalität gegenüber dem angeblich fürsorglichen Regime können die Stabilität der DDR hinreichend erklären. Port verweist vielmehr auf die ostdeutschen Funktionäre an der Basis, die immer wieder Kompromisse mit den Massen eingingen. Außerdem war das vermeintliche Miteinander der Ostdeutschen oftmals ein Gegeneinander: Soziale Spannungen verhinderten kollektive Aktionen gegen den Staat.
Das Buch, das sich vor allem auf Material aus dem thüringischen Kreis Saalfeld gründet, besticht durch klare Thesen sowie eine überwältigende Fülle an Primärquellen und Zeitzeugeninterviews. Port verklärt nicht, noch dämonisiert er. Vielmehr zeichnet er ein realitätsgetreues Bild des Alltags im sozialistischen Deutschland.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.06.2010

Verblüffend stabil
Andrew Port fragt, warum die DDR so lange existierte
Je eindrucksvoller der Untergang der DDR im Jubiläumsgedächtnis dieser Jahre in Erinnerung gerufen wurde, desto mehr trat zugleich das eigentlich Absonderliche der kommunistischen Herrschaft in Ostdeutschland in den Hintergrund: Nicht ihr Zusammenbruch ist das unbegreiflich erscheinende Phänomen, sondern ihre mehr als vierzig Jahre währende Dauerhaftigkeit. Doch debattiert wurde zuletzt immer weniger über die Erklärungskraft der unterschiedlichen Theorien, sondern immer mehr über die Legitimität der unterschiedlichen Blickweisen auf die DDR: totaler Unrechtsstaat oder heile Welt der Diktatur.
Insofern kommt Andrew Ports Buch über die rätselhafte Stabilität der DDR zur rechten Zeit. Seine in den USA bereits 2007 erschienene Untersuchung beharrt auf der ungelösten Frage nach der vierzigjährigen Stabilität einer – anders als in Hitlerdeutschland – von außen oktroyierten Diktatur. Ohne sowjetische Hilfe wäre sie schon nach wenigen Jahren vom Unwillen der Unterworfenen hinweggefegt worden, und doch hatte sie mehr als eine Generation lang Bestand, um am Ende fast laut- und wehrlos unterzugehen.
Honeckers Fürsorgediktatur
Die Antwort auf die Frage, was das kommunistisch beherrschte Gemeinwesen namens DDR im Innersten zusammenhielt, findet Port nicht in den Etagen der Macht in Ost-Berlin. Er sucht sie vielmehr im Alltagsleben der thüringischen Provinzstadt Saalfeld, und er nimmt sich darüber hinaus nicht die Fürsorgediktatur Honeckers vor, die sich Loyalität durch Versorgung zu erkaufen suchte, sondern die von Aufständen und offener Unterdrückung bestimmte Ulbricht-Ära.
Seine Befunde sind nicht gänzlich neu, aber doch höchst bemerkenswert: Sie zeigen zunächst, dass die Auflehnung gegen das Joch der SED in Saalfeld nicht erst 1953, sondern schon zwei Jahre zuvor begann. 1951 probten Tausende der im Uranbergbau der Wismut unter erbärmlichsten Umständen beschäftigten Kumpels den Aufstand. Sie stürmten das Gefängnis von Saalfeld, verwüsteten das Polizeirevier und machten mit Äxten und Spitzhacken Jagd auf panisch flüchtende Volkspolizisten.
Anders als zu erwarten schlug die Staatsmacht nicht mit aller Härte zurück, sondern begnügte sich damit, die Rädelsführer zu hohen Gefängnisstrafen zu verurteilen und im Übrigen eine verbesserte Wohnungs- und Lebensmittelversorgung in den Urangegenden durchzusetzen.
Port erklärt die Zurückhaltung des Regimes mit dem Umstand, dass der Wismutaufstand im Grunde unpolitisch war und sich allein gegen die schlechten Lebensbedingungen gerichtet habe: Keine einzige politische Losung sei damals beschädigt worden. Die Politik von Zuckerbrot und Peitsche bewährte sich zwei Jahre später: Saalfeld verpasste die Junierhebung 1953, weil die in den Ausstand getretenen Bauarbeiter ohne Unterstützung von den Stahlwerkern und Bergarbeitern der Region blieben und ihr Marsch auf die Stadt sich sang- und klanglos auflöste.
Der Blick durch das Mikroskop dreht die Perspektive um: In Saalfeld, wo außer den Bauarbeitern kein Betrieb streikte, lässt sich erkennen, warum sich Bauarbeiter nicht mit Stahlwerkern solidarisierten und warum sich so viele Ostdeutsche nicht am Aufstand des 17. Juni beteiligten. Port findet die Antwort in der sozialen Gespaltenheit der DDR-Bevölkerung. In die betrieblichen Einrichtungen der Saalfelder Kumpels hatte das Regime investiert, in die der Bauarbeiter nicht. Die einen erhielten ein subventioniertes Mittagessen, die anderen nicht.
In dieser Beobachtung steckt ein interessanter Erklärungsansatz. Er verbindet das Deutungskonzept der Fürsorgediktatur mit der Wirkungsanalyse einer abgestuften Privilegiengesellschaft: Das hilft zu verstehen, warum die Ablehnung des Regimes bis zur finalen Krise immer vereinzelt blieb. Freilich ist das kommunistische Konzept von Zuckerbrot und Peitsche keine neue Entdeckung. Nie trennte die SED-Herrschaft als Erziehungsdiktatur Strafe von Bewährung, und dass ihre Repression immer Hand in Hand mit sozialen und wirtschaftlichen Verbesserungsmaßnahmen ging, wird niemand bestreiten, der kommunistische Herrschaft nicht zur bloßen Despotie reduziert.
Die Forschung hat schon seit Jahren den heimlichen Gesellschaftsvertrag herausgearbeitet, der Wohlergehen an Stillhalten band. In einer in Saalfeld aktenkundig gewordenen Toleranz gegenüber Meckerern und Witzeerzählern aber eine überraschende Sorge um die Gesetzesgeltung in der Diktatur zu erkennen, verfehlt den Kern einer Parteiherrschaft, die sich weder als Rechts- noch als Unrechtsstaat, sondern als historisch berechtigte Ermächtigung verstand.
Ebensowenig überzeugt Ports These einer Herrschaft durch Atomisierung. Er selbst räumt ein, dass die soziale Differenzierung der DDR-Gesellschaft ebenso eine unwillentliche wie eine willentliche Folge der SED-Politik darstellen könne. Das Regime wollte nicht allein bestimmte privilegierte Gruppen für sich gewinnen, wie Port schreibt, sondern die Gesamtheit der Werktätigen. Und seine Politik war nicht auf Abstufung, sondern im Gegenteil auf materielle und soziale Entdifferenzierung gerichtet. Im Bereich der „Intelligenz“ verschwanden die Privilegien der Einzelverträge, mit denen das Regime ihm wichtige Natur- und Geisteswissenschaftler an sich zu binden suchte; und die soziale Mischung der Mietparteien wurde geradezu zur Leitnorm des sozialistischen Wohnungsbaus.
Um plausibel zu machen, warum „die bellenden Hunde während der langen Nacht vor dem Zusammenbruch des Regimes nicht mehr beißen sollten“, bedarf es weiterer Erklärungen: Die sich verfeinernde Effizienz von Unterdrückung und Überwachung im SED-Staat zählt dazu ebenso wie die empfundene Normalität einer veralltäglichten Herrschaft, die auch außerhalb der DDR wachsende Anerkennung erfuhr; schließlich der Eigensinn einer missmutig loyalen Bevölkerung, die ihr Auskommen nicht mehr gegen die Verhältnisse, sondern in ihnen suchte. Das Wunder von 1989 lässt sich nicht mehr mit einem sozialgeschichtlichen Zugriff erklären, der auf die soziale Spaltung der Gesellschaft gerichtet ist, sondern nur aus dem Zusammenbruch einer politischen Herrschaftskultur, deren rapide schwindende Legitimationskraft bei den Beherrschten ebenso wie bei den Herrschenden aufgezehrt war. MARTIN SABROW
ANDREW I. PORT: Die rätselhafte Stabilität der DDR. Alltag und Arbeit im sozialistischen Deutschland. Aus dem Amerikanischen von Sylvia Taschka. Ch. Links Verlag, Berlin 2010. 400 S., 29,90 Euro.
Der Historiker Martin Sabrow ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die unbegreifliche Stabilität der DDR zu hinterfragen, anstatt einmal mehr ihren Zusammenbruch zu beleuchten, hält Martin Sabrow für einen gute Idee. Dass der Autor Andrew I. Port dabei nicht die SED-Zentralen, sondern den Alltag im thüringischen Saalfeld während der Ulbricht-Ära und den Wismut-Aufstand in den Blick nimmt, leuchtet Sabrow ein. Die Befunde erscheinen ihm nicht neu, aber doch bemerkenswert, zeigen sie ihm doch, wie sich die Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik bewährte. Ports Deutung des Regimes als Kombination aus Fürsorgediktatur und abgestufter Privilegiengesellschaft findet Sabrow interessant. Als Erklärungsmodell jedoch reicht ihm das nicht. Zur Effizienz der Repression oder zum Eigensinn einer "missmutig loyalen" Bevölkerung, zwei für Sabrow wichtige Faktoren, findet er in diesem Buch nichts.

© Perlentaucher Medien GmbH
Den Leser erwartet eine informative, theoretisch reflektierte und materialgesättigte Studie, die das Potential eines lokalgeschichtlichen Forschungszugangs unter Beweis stellt. Peter Hübner, Deutschland Archiv Andrew Port wirft mit seiner Studie einen Blick tief in die Seele der Menschen der damaligen Zeit und lässt ein außergewöhnlich plastisches Bild entstehen vom Alltags- und Arbeitsleben im Saalfeld der sowjetischen Besatzungszone und der DDR von 1949 bis 1971. (...) Schon der Gegenstand der Studie selbst hebt das Buch aus dem speziellen Bereich rein wissenschaftlicher Attraktivität heraus und macht es auch für einen größeren Leserkreis interessant. Die historisch-politische Analyse und Wertung darin wird begleitet von lebhaft erzählten Episoden und stützt sich auf eine großartige Fülle lokaler historischer Belege. Ullrich Erzigkeit, Ostthüringer Zeitung (OTZ) Für mich ist dieses Buch ein Glücksfall. Es ist mein liebstes Buch über DDR-Geschichte der letzten Jahre. Port schreibt klar, flüssig, verständlich und auf keinen Fall in irgendeinem Wissenschaftsstil. Er verbreitet schlüssige Gedanken und er hat eine angenehm unaufgeregte Art, die Sache darzustellen. Uwe Stolzmann, Deutschlandradio Kultur Einem Amerikaner blieb es vorbehalten, eine äußerst anregende Studie zum "Alltag im sozialistischen Deutschland" vozulegen, die nicht nur die wichtigsten Bereiche erfasst, sondern mit ihrer beeindruckenden Vielfalt anschaulicher Beispiele und treffender Zitate das Wagnis absichert, das Rätsel der "DDR-Stabilität" zu lösen. Helmut Grieser, Das historisch-politische Buch Port entlarvt nicht nur die zählebige Legende von der ostdeutschen 'Notgemeinschaft', sondern liefert auch eine weitere Erklärung für die auf den ersten Blick so rätselhafte Stabilität der DDR. Hermann Wentker, Sehepunkte "Andrew Port hat ein bahnbrechendes Werk geschrieben, ohne das künftig kein gültiges Urteil mehr über die soziale Entwicklung der DDR gefällt werden kann." Gerhard Wettig, Deutschland Archiv…mehr