immens. Immer wieder wurden die spärlichen Hinweise auf einen historischen Heerführer im fünften Jahrhundert, der auf der Britischen Insel gegen die Sachsen kämpfte und ein Urbild des Artus abgegeben haben könnte, mit späteren Ausschmückungen hin und her gewendet, die Autoren dargestellt, die seit dem elften Jahrhundert am Erzählnetz um den vorbildlichen König mitstrickten, und die mit dieser Gestalt verbundenen Werte diskutiert: Artus, der mächtige König, der sich nach seinem erkämpften Aufstieg dem Frieden verschreibt. Der durch das Beispiel seiner Ritter höfische Tugenden in der barbarischen Umwelt verbreitet. Und der erkennen muß, daß gerade aus dem Inneren dieser Gemeinschaft heraus der Untergang seiner Welt eingeleitet wird, als sich seine Frau Guinevere und sein Musterritter Lancelot ineinander verlieben.
Sonderlich gewagt erscheint es also nicht, wenn jetzt bei Knesebeck ein prächtiger Band zu diesem Thema erscheint, der aufwendig reproduzierte farbige Abbildungen aus dem Hoch- und Spätmittelalter versammelt, ganzseitige, wunderbar leuchtende Darstellungen der Tafelrunde, kämpfender, feiernder und liebender Ritter; die Bilder erzählen von Verrat und Versöhnung, Gralssuche und Tod, recht unbekümmert um reale Größenverhältnisse oder Perspektive - natürlich überragt Artus seine Getreuen, ist er nun der König oder nicht?
Auch wo sich Löwe, Drache und Ritter im Kampf wiederfinden, wirken die Tiere gegen den geharnischten Iwein vergleichsweise ungefährlich. Das täuscht, und Iweins Kampf gegen den Drachen, mit dem er sich den Löwen zum Freund gewinnt, ist eine entscheidende Leistung des Ritters, der zuvor durch ethisch sinnlose Heldentaten, gar durch Provokationen um des Abenteuers willen, aufgefallen war. Daß er nach einer Liebeskatastrophe, die ihn buchstäblich wahnsinnig werden läßt, wieder auf die Beine kommt, verdankt er seiner neuen Einstellung dem ritterlichen Leben gegenüber, die ihn verpflichtet, das Schwert nur zu ziehen, um Bedrängten zur Hilfe zu eilen.
Iwein, dessen Abenteuer Hartmann von Aue für das deutsche Publikum erzählt hat, geht auf Chrétien de Troyes' Ritter Yvain zurück, so wie sich kaum ein Stoff aus dem Artus-Umfeld finden läßt, der im Mittelalter nicht in mehreren Sprachen und Kulturen unterschiedlich dargestellt worden wäre. Wer also über "die Mythen um König Artus und den Heiligen Gral" schreibt wie die französische Mediävistin Anne Berthelot in diesem Band, darf diese Situation nicht aus den Augen verlieren, wenn es um die Charakterisierung einzelner Figuren geht - oder der deutsche Verlag müßte, wenn er ein Buch wie das vorliegende aus dem Französischen übersetzt, eine in dieser Hinsicht defizitäre Perspektive durch Zusätze weiten. So führt das Literaturverzeichnis brav Editionen Chrétiens auf, aber keinen einzigen (auch nur übersetzten) mittelhochdeutschen Text; die dort genannte "Forschungsliteratur" ist ebenfalls rein französisch und hätte für das deutsche Publikum wenigstens um den Hinweis auf Carola L. Gottzmanns verdienstvolle Einführung "Artusepik" ergänzt werden müssen.
Noch schwerer wiegt, daß sich Berthelots Text nicht zwischen Detailfreude bei einzelnen Fragen und partieller Ungenauigkeit bei den Quellentexten entscheiden mag oder Abbildungen mit vagen Formulierungen wie "in diesem Manuskript eines Textzyklus aus dem fünfzehnten Jahrhundert" nachzuweisen glaubt - als spielte es keine Rolle, welche Texte die Bilder einst begleiteten oder wo die Handschriften entstanden sind. Für diesen Band jedenfalls hätte man sich eine sorgfältigere Begleitung der Abbildungen gewünscht.
Anne Berthelot: "Die Mythen um König Artus und den Heiligen Gral". Aus dem Französischen übersetzt von Egbart Baqué. Knesebeck Verlag, München 2005. 184 S., Abb., geb., 39,95 [Euro].
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