Der 59jährige Émile Maugin ist einer der großen, erfolgreichsten Schauspieler seiner Zeit. Er ist nicht nur ein Großer auf der Theaterbühne, wo er allabendlich Ovationen entgegennimmt - er ist auch groß von Statur, breitschultrig und stämmig. Das kräftige und eckige Kinn sowie das struppige Haar
verraten seine Herkunft vom Land.
Der Hüne Maugin hat jedoch ernsthafte gesundheitliche Probleme.…mehrDer 59jährige Émile Maugin ist einer der großen, erfolgreichsten Schauspieler seiner Zeit. Er ist nicht nur ein Großer auf der Theaterbühne, wo er allabendlich Ovationen entgegennimmt - er ist auch groß von Statur, breitschultrig und stämmig. Das kräftige und eckige Kinn sowie das struppige Haar verraten seine Herkunft vom Land.
Der Hüne Maugin hat jedoch ernsthafte gesundheitliche Probleme. Kein Wunder, denn neben der Theaterarbeit dreht er tagsüber einen Film nach dem anderen - und dann der Alkohol, der seit Jahren schon sein ständiger Begleiter ist. Solchen überdimensionalen Belastungen hält selbst ein körperlicher Goliath auf die Dauer nicht stand. Jeder will etwas von ihm, fordert stets seinen Einsatz, von den Filmmagnaten bis zu seinem unehelichen Sohn Cadot, der ständig von ihm Geld verlangt. Außerdem ist Maugin ein Frauenheld und Schürzenjäger - und das noch in seinem Alter.
Nach einer gründlichen Untersuchung von Professor Biguet teilt ihm dieser mit, dass er zwar 59 Jahre alt sei, aber das Herz eines 75jährigen habe. Maugin soll etwas kürzer treten und natürlich weniger Alkohol. Doch wie soll er das machen, schließlich hat er ein festes Engagement beim Theater und bereits einen Vertrag über fünf neue Filme. Also kann Biguet für Maugin nichts anderes tun, als ihm mit Medikamenten Schmerzen und Krämpfe zu ersparen.
Nach diesem ernüchternden Auftakt schildert Georges Simenon eindrucksvoll, wie der „große, alte Maugin“ mit der neuen Situation fertig wird. Schritt für Schritt erzählt er den Verfall des trunksüchtigen Schauspielers, der allein Halt bei seiner jungen Frau Alice zu finden glaubt. Als das Ehepaar eines Abends in ein Restaurant geht, muss Maugin jedoch eine Entdeckung machen, die ihn vollends aus der Bahn wirft.
Irgendwie versucht Maugin damit und mit dem Leben fertig zu werden. Jetzt erst begreift er, dass es ein Fehler war, immer nur ein Lebemann und der „große Maugin“ zu sein. War er sein ganzes Leben lang vielleicht auf der Flucht gewesen vor sich selbst? Hatte er sich nicht immer nach einem ordentlichen weißen Haus mit grünen Fensterläden gesehnt, in dem er sich zuhause gefühlt hätte? Doch hätte das etwas geändert?
Der Roman, in dem sich Simenon mit dem Fremdsein des menschlichen Daseins auseindersetzte, erschien 1950 unter dem Originaltitel „Les volets verts“. Die deutsche Erstausgabe des Romans wurde bereits 1953 veröffentlicht. Diese Übersetzung wurde jetzt für die neue Edition der „Ausgewählten Romane“ noch einmal überarbeitet.
Manfred Orlick