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Haben Gefühle eine Geschichte? Sind Gefühle und Gemütsbewegungen dasselbe? Unterliegen Emotionen einem historischen Wandel?Diese Studie erfasst erstmals die wissenschaftlichen Theorien des emotionalen Erlebens im Zeitraum von 1750 bis 1850, beschreibt und analysiert die wichtigsten Gefühle dieser Zeit und bringt sie in einen wissenschaftsgeschichtlichen Kontext. Aufgezeigt wird eine revolutionäre Veränderung in der Beschreibung und Interpretation von Emotionalität, die mit der Entstehung des Bürgertums in Zusammenhang steht. Dieser Wandel, so zeigt Jutta Stalfort, war an der Prägung der bürgerlichen Identität entscheidend beteiligt.…mehr

Produktbeschreibung
Haben Gefühle eine Geschichte? Sind Gefühle und Gemütsbewegungen dasselbe? Unterliegen Emotionen einem historischen Wandel?Diese Studie erfasst erstmals die wissenschaftlichen Theorien des emotionalen Erlebens im Zeitraum von 1750 bis 1850, beschreibt und analysiert die wichtigsten Gefühle dieser Zeit und bringt sie in einen wissenschaftsgeschichtlichen Kontext. Aufgezeigt wird eine revolutionäre Veränderung in der Beschreibung und Interpretation von Emotionalität, die mit der Entstehung des Bürgertums in Zusammenhang steht. Dieser Wandel, so zeigt Jutta Stalfort, war an der Prägung der bürgerlichen Identität entscheidend beteiligt.
Autorenporträt
Stalfort, JuttaJutta Stalfort (Dr. phil.) arbeitet in der Erwachsenenbildung in den Bereichen Philosophie, Geschichte und Politik.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Historikerin Jutta Stalfort beschreibt in ihrem Buch "Die Erfindung der Gefühle" den Paradigmenwechsel in der Betrachtung unseres emotionalen Innenlebens, der sich zwischen dem achtzehnten und dem neunzehnten Jahrhundert ereignete, berichtet Robert Jütte. Sprach man zuvor von "Gemütsbewegungen", die religiös-eifrig in gute und schlechte, erhabene und diesseitige eingeteilt wurden, die aber noch nicht von einer rein sinnlichen Wahrnehmung getrennt waren, entwickelte sich auf der Grundlage vor allem der Erkenntnistheorie von John Locke ein neues Schema, das zwischen objektiver Erkenntnis und subjektivem Empfinden unterschied, wobei dem letzteren dann die "Gefühle" zugeschrieben wurden, erklärt der Rezensent. Ganz klar ist die Unterscheidung beider Konzepte in der Rezension allerdings nicht geworden. Für weitere Untersuchungen böte sich jedenfalls die geschlechtergeschichtliche Dimension des prognostizierten Paradigmenwechsels an, findet Jütte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2013

Was ist bloß aus der Schreiangst und dem Zweifelmut geworden?
Von den Gemütsbewegungen zu den Gefühlen: Jutta Stalfort vermisst den tiefgreifenden Wandel in der Entwicklungsgeschichte der Emotionen

"Ich hatte vom Feeling her ein gutes Gefühl" - über dieses "geflügelte Wort" eines deutschen Fußballspielers ist häufig gelacht worden. Doch die neuere Emotionsforschung gibt Andreas Möller, der auch durch so kernige Sätze wie "Mailand oder Madrid - Hauptsache, Italien" in die Annalen der Sportgeschichte eingegangen ist, im Grunde recht. Denn das deutsche Wort "Gefühl" ist nicht mit dem englischen "feeling" gleichzusetzen. Das semantisch nicht ganz deckungsgleiche Äquivalent wäre in diesem Falle "emotion".

Zu dieser Erkenntnis gelangt man, wenn man sich durch die umfangreiche theoretische Einleitung zu einer Geschichte der Gefühle gearbeitet hat, die ihren zeitlichen Schwerpunkt auf die Jahrzehnte legt, die Reinhart Koselleck als "Sattelzeit" bezeichnet hat - also auf die Zeit von ungefähr 1750 bis 1850. In dieser Periode politisch-gesellschaftlicher Umwälzungen haben nicht nur Schlüsselbegriffe für das politische Denken der Moderne (Staat, Familie, Bürger) einen tiefgreifenden Bedeutungswandel erfahren. Auch die emotionalen Konzepte haben sich in dieser Zeit grundlegend gewandelt. Jutta Stalfort spricht von einem Paradigmenwechsel, und zwar von den "Gemütsbewegungen" hin zu den "Gefühlen", wie wir sie größtenteils noch heute kennen. Um das zu verstehen, muss man die von deutschen Gelehrten vertretenen Gefühlstheorien des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts als "Zeugnisse der kulturellen Wahrnehmung der Emotionalität" lesen. Doch was verstand man im frühen achtzehnten Jahrhundert unter "Gemütsbewegungen" - ein Begriff, der uns heute fremd ist? In Zedlers Universallexikon von 1733 begriff man darunter "alles, was in dem Gemüthe vorgehet, oder eine Handlung desselben". Unterschieden werden die Gemütsbewegungen nach ihrer "Heftigkeit". Die stärker ausgeprägten Emotionen kennzeichnete man als "Leidenschaft".

Als Gemüt wurde damals nicht nur der Ort bezeichnet, an dem die Seele ihre Wirkung entfaltet, sondern auch die Stelle im Innersten des Menschen, an der die Außenwelt auf die Seele wirkt. Gegen die inflationäre Verwendung dieses Begriffs in der Zeit der Weimarer Klassik verwahrte sich Goethe, der 1826 in "Kunst und Altertum" schrieb: "Die Deutschen sollten in einem Zeitraume von dreißig Jahren das Wort Gemüt nicht aussprechen, dann würde nach und nach Gemüt sich wieder erzeugen; jetzt heißt es nur Nachsicht mit Schwächen, eignen und fremden."

Zu den Gemütsbewegungen rechnete man damals emotionale Konzepte wie Schreiangst, Weltlust oder Zweifelmut, die heute niemand mehr kennt. So ist auch die ursprüngliche Bedeutung von "aemulatio" verlorengegangen, worunter heute nur noch die wetteifernde Nachahmung und das Überbieten eines Vorbildes in der Literatur und Kunst verstanden wird. Hinter diesem lateinischen Begriff verbarg sich mehr als eine Begierde zum Guten, vielmehr gingen damit Gefühle wie Eifersucht und Missgunst einher. Die von den Gelehrten des späten achtzehnten Jahrhunderts am meisten genannten Empfindungen klingen uns dagegen zunächst vertraut: Furcht, Zorn und Traurigkeit. Am meisten beschäftigte man sich mit dem Zorn, der als die gefährlichste Gemütsbewegung galt: Dieser konnte sich leicht aus einem Angriff auf die Ehre einer Person ergeben. Auch Furcht war eine zentrale Kategorie: Man fürchtete sich ganz konkret vor Krankheit und Tod, wer aber - wie die meisten Menschen in einem noch nicht säkularisierten Zeitalter - fest an ein Leben im Jenseits glaubte, musste sich anders als heute nicht ängstigen. "Das emotionale System dieser Zeit", so Stalfort, "steht ganz im Dienst der Religion: Die religiös motivierte Geringschätzung des diesseitigen Lebens korrespondiert der Geringschätzung der Sinnesempfindungen."

Wie kam es nun zu einem tiefgreifenden Wandel in der Emotionalität, in dessen Verlauf ein Begriff bedeutsam wurde, der bis dahin fast ausschließlich als Bezeichnung für einen der fünf Sinne diente: das Gefühl? Unter dem Einfluss der Erkenntnistheorie des englischen Philosophen John Locke (1632 bis 1704), der auch von deutschen Gelehrten stark rezipiert wurde, kam es zu einer Neuinterpretation des menschlichen Empfindens, und zwar zur Unterscheidung "zwischen der Objekterkenntnis, die ein unmittelbares Fühlen des Gegebenen ist, und derjenigen Empfindung, die diese Objekterkenntnis im Innern hervorruft".

Die subjektive Reaktion auf eine Situation wurde nun als "Gefühl" bezeichnet. Empfindungen wurden fortan entweder als Gefühle, Affekte oder Leidenschaften beschrieben. Im Unterschied zu Gefühlen galten Leidenschaften als weitgehend unbeherrschbar. Man erkennt diese negativen emotionalen Erfahrungen zumeist an ihren Suffixen (-sucht, -gier, -geiz): Ehrsucht, Rachsucht, Herrschsucht, Ehrgeiz, Geldgier. Affekte (Freude, Schreck, Kummer) wurden dagegen als weniger gefährlich angesehen, weil sie nicht so intensiv und meist nur von kurzer Dauer waren.

Von den eigentlichen Gefühlen geht dagegen keine Gefahr aus: Sie sind form- und lenkbar. Zu den sogenannten "höheren Gefühlen" zählte man damals die Freude und den Frohsinn, aber auch die Traurigkeit und den Trübsinn. Für das Bildungsbürgertum wurden vor allem drei Gefühle zentral, die - wie wir heute wissen - zeitgebunden waren: die Erhabenheit, das Wahrheits- und das Schönheitsgefühl, die allesamt auf der Stufenleiter der Gefühle, die sich in der ersten Hälfte des neunzehntem Jahrhunderts herausbildete, ganz oben rangierten. Das Erleben der Gefühle verlangte eine aktive Steuerung des eigenen Empfindens, die ein hohes Maß an Bewusstsein und Selbstdisziplin voraussetzte, wie es für das Bildungsbürgertum, das auf das Selbstgefühl und die Anerkennung durch seinesgleichen besonderen Wert legte, charakteristisch war. "In ihren Gefühlen", so Stalfort, "erfahren die Bildungsbürger die Bestätigung ihrer Zugehörigkeit zu ihrer Sozialgruppe." Damit wird eine neue Sichtweise auf das Bildungsbürgertum eröffnet, die allerdings noch durch eine geschlechtergeschichtliche Dimension erweitert werden müsste.

ROBERT JÜTTE

Jutta Stalfort: "Die Erfindung der Gefühle". Eine Studie über den historischen Wandel menschlicher Emotionalität (1750-1850). Transcript Verlag, Bielefeld 2013. 458 S., br., 36,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Die Stärke der Studie besteht in der differenzierten Analyse des enormen Quellenkorpus [...]. Für die bildungstheoretische Forschung ist die Arbeit relevant, da sie zeigt, wie eng verknüpft Bildung, Gefühlsordnung und Hervorbringung eines Theorie- und Wissenschaftsparadigmas für das deutsche (Bildungs-)Bürgertum waren.« Meike Sophia Baader, Bildungsgeschichte, 2 (2014)5 »Eine willkommene Ausgangsbasis für weitere, spannende Studien im Schnittpunkt von Medizin, Psychologie, Literaturwissenschaft, Anthropologie und Sozialgeschichte.« Rafael Arto-Haumacher, www.literaturkritik.de, 3 (2014) »Bei Stalfort wird klar, dass die Art und Weise, wie bestimmte Gefühle empfunden werden und sogar deren Existenz als solche, von äußeren Faktoren wie Diskursen, gesellschaftlichen Normen und Sozialisation abhängt.« Sebastian Lipp, verrönscht und zugenetzt!, 3 (2014) Besprochen in: GMK-Newsletter, 11 (2013) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.12.2013, Robert Jütte H-Soz-u-Kult, 26.09.2014, Ute Frevert Bildungsgeschichte, 2 (2014), Sophia Baader Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, (2015), Iris Spieker