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Die "Diamantenkinder" in den Flüchtlingslagern und Städten von Sierra Leone haben Unfassbares erlebt. Rebellen brachen in ihre Dörfer ein, brannten die Hütten ihrer Familien nieder, brachten ihre Eltern um, entführten sie, machten sie zu Kindersoldaten oder Sexsklaven und richteten sie zu Mördern ab. Annette Rehrl begab sich in Zusammenarbeit mit der UNHCR in die Trümmerwelt von Sierra Leone, um nichts anderes zu tun, als diesen Kindern zuzuhören. Die Kinder gewannen sie lieb und erzählten, was sie nie zuvor preisgegeben hatten. So entstand ein erschütterndes und trotzdem hoffnungsvolles…mehr

Produktbeschreibung
Die "Diamantenkinder" in den Flüchtlingslagern und Städten von Sierra Leone haben Unfassbares erlebt. Rebellen brachen in ihre Dörfer ein, brannten die Hütten ihrer Familien nieder, brachten ihre Eltern um, entführten sie, machten sie zu Kindersoldaten oder Sexsklaven und richteten sie zu Mördern ab. Annette Rehrl begab sich in Zusammenarbeit mit der UNHCR in die Trümmerwelt von Sierra Leone, um nichts anderes zu tun, als diesen Kindern zuzuhören. Die Kinder gewannen sie lieb und erzählten, was sie nie zuvor preisgegeben hatten. So entstand ein erschütterndes und trotzdem hoffnungsvolles Dokument einer Generation von Kindern, die sich nichts sehnlicher wünschen als ein Stück Zukunft.
Autorenporträt
Dr. Annette Rehrl ist als freie Autorin tätig. Ihre Spezialgebiete sind Armut, Migration und interkultureller Dialog. Seit Juli 2003 ist sie freie Mitarbeiterin beim englischspr. Flüchtlingsmagazin der UNHCR in Genf. Ihre hervorragenden Afrika-Kenntnisse kamen auch dem bei Pattloch erschienenen Buch Fatima zugute, das sie redaktionell mit betreute.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.02.2005

Kinder der Gewalt
Eine Reportage aus dem vom elfjährigen Bürgerkrieg erschöpften westafrikanischen Land Sierra Leone
Ruinen ragen in den hitzeflirrenden Himmel über der Hauptstadt Freetown, wo elternlose, entwurzelte Kinder Obst, Trinkwasser oder ihren Körper anbieten, um sich etwas Nahrhaftes zu essen kaufen zu können. Elf Jahre Bürgerkrieg haben das westafrikanische Sierra Leone verwüstet - ein Land reich an Bodenschätzen wie Bauxit, Gold, Platin und Diamanten und gesegnet mit fruchtbarer Erde. Seit 2002 schweigen die Waffen. Die Journalistin Annette Rehrl war dort, um zu erfahren, wie Kinder und Jugendliche existieren, die Täter und Opfer wurden, bevor sie ihr Leben richtig beginnen konnten.
Rehrl ist für ihre Reise durch das kriegszerstörte Land ausgestattet mit den üblichen arbeitserleichternden Hilfsmitteln westlicher Journalisten auf Kriegs- und Katastrophenrecherche. Einen klimatisierten Geländewagen mit Chauffeur hat ihr das UN-Flüchtlingshilfswerk zur Verfügung gestellt, auf dessen Einladung sie unterwegs ist. Trotz einschlägiger Erfahrungen raubt es der deutschen Reporterin fast die Sinne, als sie an einem der ersten Tage in einer Elendssiedlung feststeckt, in der Tausende Kriegsflüchtlinge neben einer stinkenden Müllhalde ein entwürdigendes Dasein fristen. Rehrl beschreibt ihre Schwäche, und vielleicht ist es diese Abwesenheit von Eitelkeit, die ihr den Weg zu den ehemaligen Kindersoldaten und jugendlichen Gewalttätern öffnet. Sie zieht
vom Hotel in ein Wohnviertel der Hauptstadt, besucht auch entlegene Landesteile und kommt mit Jugendlichen ins Gespräch, die den Verlust ihrer Familie, Zwangsamputation, Vergewaltigung und seelische Qualen erlitten, und die selber verstümmelt, vergewaltigt und gemordet haben.
Wie ein Sklave gehalten
„Meinen kleinen Bruder haben sie vor meinen Augen getötet”, erzählt Momoh vom Überfall der Rebellen auf sein Dorf. Der damals Fünfjährige musste den Bewaffneten in den Busch folgen und fortan wie ein Sklave für den Kommandanten und seine Frau von morgens bis abends schuften, Wasser holen, sauber machen, kochen. Weil der Kleine nicht gut kochen konnte, wurde er oft geschlagen. Anderen Kindern drückten die Rebellen ein Gewehr in die Hand, und sie mussten töten, sogar Mitglieder der eigenen Familie. Sie wurden unter Drogen gesetzt, und wer nicht schießen wollte, wurde selber erschossen.
Mädchen wurden obendrein vergewaltigt, erst vom Kommandanten und anschließend von seinen Untergebenen, danach wurden sie einem der bewaffneten Männer zugeteilt. „Je höher der Rang der Rebellen war, desto mehr Mädchen hielten sie sich”, erzählt Zainab. Die mittlerweile Achtzehnjährige hatte Glück, sie wurde nicht schwanger und hat eine Ausbildung als Schneiderin begonnen. Wer schwanger wurde, blieb oft bei dem Peiniger in der Hoffnung auf Nahrung und Schutz. In der Nachkriegsgesellschaft werden junge Frauen, die Kinder der Gewalt zur Welt brachten, ausgegrenzt, als hätten sie sich freiwillig mit den Rebellen eingelassen.
Frustrierte Helfer
Den Tätern müsse man verzeihen, predigen Politiker und religiöse Führer. Allein für die obersten Schlächter reichen bisher die Kapazitäten des Kriegsverbrechertribunals. So passiert es, dass ein junger Mann jeden Tag an einem Mann vorbeikommt, dem er als dreizehnjähriger Kindersoldat ein Bein abgeschlagen hat, und der deshalb heute am Straßenrand um Almosen bitten muss.
Eingebettet in ihre eindrucksvolle Reportage, geht Rehrl Fragen nach, die nicht nur die sechs Millionen Menschen in Sierra Leone beschäftigen. Wie soll man mit jugendlichen Kriegsverbrechern umgehen? Wie kommt es zu derartigen Ausbrüchen überbordender Gewalt? Und was muss geschehen, damit internationale Wiedereingliederungsprogramme sich nicht zuvorderst an Jungen richten und die Mädchen vergessen, denen oft nur die Prostitution bleibt?
Ausländische Mitarbeiter von Hilfsorganisationen heizen das Prostitutionsgeschäft an. Rehrl betrachtet die „Internationalen” mit kritischen Augen, seit sie zu Beginn ihrer Recherche in ein
von den Helfern frequentiertes libanesisches Restaurant einkehrte und dort erlebte, wie sie sich, an hochprozentige Drinks geklammert, lautstark den Frust über fehlgeschlagene Projekte von der Seele redeten und dabei, ohne mit der Wimper zu zucken, Rechnungen bezahlten, die den Menschen außerhalb des
Restaurants für viele Monate das Überleben gesichert hätten. Beim Verlassen
des Lokals trifft die Reporterin vor der Tür auf den kleinen Orangenverkäufer, der schon dort saß, als sie hineinging und der seitdem keine der frischen Orangen verkauft hat, die er für ein paar Cent
anbietet.
Mit ihrem Blick für die kleinen Dinge nimmt Annette Rehrl auch Zeichen wahr, die Optimismus signalisieren wie die allgegenwärtige Farbe Pink, in der Hauswände, Blusen, Flugzeugtickets und Lampions erstrahlen. Auf die Zukunft setzt auch die sechzehnjährige Abigail, die schreckliche Erinnerungen mit Macht zur Seite schiebt und sich voller Energie auf die Schule konzentriert, weil sie unbedingt Ärztin werden will. Der siebzehnjährige Sisko dagegen ist stolz auf seine Gewalttaten: „Ich bin ein ausgebildeter Kämpfer, das ist mein Beruf!”
GABY MAYR
ANNETTE REHRL: Die Diamantenkinder - Zwischen Sklaverei, Gewalt und Hoffnung. Pattloch Verlag, München 2004. 205 Seiten, 16,90 Euro.
Ein an beiden Armen amputiertes Mädchen, das schon Mutter eines fünf Monate alten Sohnes ist, in einem Lager in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone.
AP
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine eindrucksvolle Reportage! Und sogar noch mehr als das! In ihrer "Kriegs- und Katastrophenrecherche" durch das westafrikanische Sierra Leone beschreibt die Journalistin Annette Rehrl nicht nur schonungslos detailliert die schlimmen Verhältnisse in dem von elf Jahren Bürgerkrieg zerrütteten Land, lobt Rezensentin Gaby Mayr, sie sucht auch nach den Ursachen für das Elend und geht grundsätzlichen Fragen nach. Zum Beispiel, wie man einem Land wie diesem mit seinen riesigen sozialen Problemen sinnvoller helfen könnte. Bislang jedenfalls ergehen sich die Helfer in bequemer Selbstbemittleidung, vertrinken ihr Geld an teuren Bars, statt es Bedürftigen zur Verfügung zu stellen und heizen das Prostitutionsgeschäft an. Laut Rehrl auch ein Zeichen dafür, dass missbrauchte, vergewaltigte Mädchen bei den Resozialisierungsmaßnahmen gegenüber jungen männlichen Kindersoldaten noch vernachlässigt werden. Bei all dem Leid konnte Rehrl mit ihrem "Blick für die kleinen Dinge" aber auch zarte Zeichen von Optimismus einfangen, freut sich Mayr: Die allgegenwärtige Farbe Pink zum Beispiel.

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