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Ein Buch, das ganze Bibliotheken ersetzt: Günter Kunerts Kompendium über Leben und Liebe, Kinderspiele und Weltuntergänge, Freunde und Feinde, Träume und Albträume - also über die immer wieder schreckliche und erheiternde Wahrheit. Das Lebens- und Lesebuch eines großen Dichters.

Produktbeschreibung
Ein Buch, das ganze Bibliotheken ersetzt: Günter Kunerts Kompendium über Leben und Liebe, Kinderspiele und Weltuntergänge, Freunde und Feinde, Träume und Albträume - also über die immer wieder schreckliche und erheiternde Wahrheit. Das Lebens- und Lesebuch eines großen Dichters.
Autorenporträt
Kunert, GünterGünter Kunert wurde 1929 in Berlin geboren und starb 2019 in Kaisborstel. Seit 1963 erscheinen seine Werke bei Hanser; zuletzt: Nachtvorstellung (Gedichte, 1999), Die Botschaft des Hotelzimmers an den Gast (Aufzeichnungen, 2004), Irrtum ausgeschlossen (Erzählungen, 2006), Auskunft für den Notfall (2008), Als das Leben umsonst war (Gedichte, 2009), Tröstliche Katastrophen (Aufzeichnungen 1999-2011, 2013), Fortgesetztes Vermächtnis (Gedichte, 2014), Erwachsenenspiele (Erinnerungen, 2015), Vertrackte Affären (Geschichten, 2016), Aus meinem Schattenreich (Gedichte, 2018) und Zu Gast im Labyrinth (Gedichte, 2019). Kunert wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2004

Schiffbruch mit Leseratten
Günter Kunerts Aufzeichnungen sind vielleicht sein Hauptwerk

Man möchte Günter Kunert den Weisen von Kaisborstel nennen. Was aber hat ein waschechtes Berliner Kind in die schleswig-holsteinische Provinz verschlagen? Überdruß an der Großstadt? Flucht vor dem Ort, an dem die Regierenden sitzen, also Politikverdrossenheit? Suche nach einem Ort ungestörten Nachdenkens? Vielleicht Sehnsucht nach dem einfachen Leben? Oder gar ein Überbleibsel aus der DDR-Zeit: die Sehnsucht nach der Datscha?

Dem Sohn einer Jüdin ebnete man nach dem Ende des "Dritten Reichs" in Ost-Berlin den Weg zu einer schriftstellerischen Laufbahn, und er wurde den Erwartungen auf vielen Feldern gerecht: als Lyriker, als Autor kürzerer Erzählungen und als Romancier, als Librettist, Stückeschreiber und Drehbuchautor für Filme und Fernsehspiele. Er glänzte als ein Allroundtalent. Aber seine Förderer hatten ihre Rechnung ohne den Individualisten und Skeptiker Kunert gemacht, der den Schritt vom "Ich" zum parteikonformen "Wir" nicht mitgehen wollte. So wurde der wohlgelittene Singvogel bald zum schwarzen Raben.

Endgültig klar waren die Fronten, als Kunert - wie Sarah Kirsch - 1976 den Protestbrief gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterschrieb und aus der SED und dem Schriftstellerverband ausgeschlossen wurde. Wie Sarah Kirsch durfte er in den Westen ausreisen, und wie er wählte Sarah Kirsch das Landleben in Schleswig-Holstein. Seit der Übersiedlung in den Westen brauchte sich der Skeptiker keiner Zensur und Selbstzensur mehr zu beugen. Zunehmend hat sich seine Perspektive auf die technische Zivilisation verdüstert, und mehr und mehr konzentrierte sich sein essayistisches Talent auf die gedanklich geschliffene Prosa, auf tagebuchartige Notizen, auf aphoristische "Aufzeichnungen". So wurde Kunert zu einem der entschiedensten Kritiker und Anwälte der Kultur.

Der jetzt herausgekommene Band "Die Botschaft des Hotelzimmers an den Gast" versammelt Notizen aus gut drei Jahrzehnten und hat Aussichten, einmal als das Hauptwerk Kunerts zu gelten. Als Herold und als Vorgriff erschien vor drei Jahren in den "Göttinger Sudelblättern" eine kleine Auswahl, deren Titel Kaisborstel seinen symbolischen Namen gibt: "Nachrichten aus Ambivalencia". Eine Auswahl aus insgesamt vierzehnhundert Manuskriptseiten bleibt aber auch die neue dreihundertvierzig Seiten umfassende Druckfassung noch. Durch ein doppeltes Sieb sind die Notate geschüttelt worden, durch das des Herausgebers Hubert Witt und dann noch einmal das des Autors.

Drei Hauptteile gliedern den Band: "Vom Schreiben", "Vom Leben in Kaisborstel" und "Weltbetrachtungen". Vom Schreibtisch also geht der Blick in den Garten, um sich dann ins Allgemeine zu erheben und der Geschichte und der Zukunft unseres Planeten zuzuwenden. Nacheinander treten der Poet, der Lebenschronist und der Prophet in den Vordergrund. Namen wie Montaigne, Lichtenberg, Canetti markieren das literarische Umfeld, in dem sich seine eigenen Aufzeichnungen bewegen.

Der Schriftsteller Kunert gesteht ein gewisses Maß an "Egomanie" ein, rechtfertigt aber Ichbezogenheit und Introvertiertheit als Voraussetzungen für Kreativität. Er kennt den Preis, den die Befähigung für "vielerlei literarische Gattungen" verlangt: den Verzicht auf "Vollkommenheit". Deshalb bietet die neuerliche Konzentration auf die aphoristische Kurzform auch eine Chance, nämlich als "Chronist des Beiläufigen" aus ebendem Beiläufigen die Substanz des "Großen und Ganzen" hervortreten zu lassen.

Kunerts Bemerkung, Cervantes' "Don Quijote" sei ein grandioses Gleichnis, das nichts anderes meine als die Position des Schriftstellers, als dessen Agieren in einer Welt, in der er scheitern muß, hat Überzeugungskraft - nur nicht in ihrem Ausschließlichkeitsanspruch. Sie selbst ist Gleichnis für die Verführung zur Bereitschaft, Literatur nur noch als Selbstreflexion des schreibenden Subjekts zu deuten. Die Distanzierung des Skeptikers Kunert von seinem Förderer Bertolt Brecht läuft mit seiner politischen Desillusionierung parallel. Doch den Blick für literarischen Rang trübt sie nicht: "Den großen Dichtern verzeihen wir ihre politischen Irrtümer (Benn, Giono, Brecht), aber die zweitklassigen Talente hängen wir an ihrem Engagement auf."

Mit der Übersiedlung nach Kaisborstel hat sich Kunert für eine "maßvolle Existenz" in der "Idylle" entschieden, für den Rückzug in eine Welt, in der die Tages- und Jahreszeiten noch den Lebensrhythmus unmittelbar bestimmen. Im Sommer bewegt er sich in seinem Garten barfuß, bis zum Winterbeginn auch im Haus, um "unter den nackten Sohlen die Materialien" des Bodens zu spüren. Die Abschirmung gegen die Flut der Eindrücke in den Städten läßt die Bilder des Innern und des Unbewußten wichtiger werden; ein ganzes Kapitel handelt von den Träumen. Zur "Lebensqualität" gehört für Kunert die Nähe zum Tier, wenn auch nur zum Haustier; aber nicht zufällig gilt die Anhänglichkeit - wie auch bei Sarah Kirsch - Tieren, die sich nie ganz domestizieren lassen: den Katzen.

Doch taugt Kunert nicht zum Einsiedler. Dagegen spricht schon das jahrzehntelange Zusammenleben mit seiner "ersten besten Leserin", seiner Frau Marianne. Er ist auch kein Candide, der sich aus einem abenteuerlichen Leben zurückzieht und seinen "Garten" bebaut (von Gartenarbeiten liest man in Kunerts Buch nur einmal). Und Kaisborstel ist nicht jenes "Abseits", von dem es in den Versen des schleswig-holsteinischen Dichters Theodor Storm heißt: "Kein Klang der aufgeregten Zeit / Drang noch in diese Einsamkeit." Schon seit vielen Jahren werden im Schulhaus dem Geist des technischen Zeitalters die Leviten gelesen.

Von der Vielfalt der "Weltbetrachtungen" Kunerts in dieser Besprechung einen hinreichenden Eindruck zu vermitteln ist unmöglich. Zum Thema werden beispielsweise die archaischen Rückstände im modernen Menschen; die sexuelle Triebkraft von Gewalt, andererseits die bloße Simulation von Leben, die Entkörperlichung der Geschlechtlichkeit im Telefonsex; die Hemmung des sexuellen Verlangens durch den ästhetischen Eindruck (worüber sich Kunert Auskunft bei Kants Begriff des "interesselosen Wohlgefallens" hätte holen können); die Revolutionen und die verbissene ethische Strenge sogenannter Renegaten; die "Maschinenverfallenheit" des heutigen Menschen; die Angst vor der Industriezivilisation als Motor für das Erstarken des Islam; die Kirchenflucht in christlichen Ländern (erklärt aus der Kompliziertheit der Trinitätsvorstellung); der Kulturverlust durch eine mehr und mehr "plebiszitäre Ästhetik" (eine nach Leser- und Einschaltquoten messende Wertung); das notwendige Scheitern des Sozialismus, das die zerstörerische "kapitalistische Industriezivilisation" aber nicht rechtfertigen kann; der - schon von Lichtenberg als möglich gedachte - durch die Chemie verursachte "Weltuntergang".

Kunerts aphoristisches Schreiben spitzt zu, überspitzt, verschärft Widersprüche, will provozieren. Es erwehrt sich manchmal nicht der Spontaneität des Kalauers: "Der Ehemann: ein Monogamime", "Prügelnde Polizisten: Legalitäter". Aber will man Wendungen wie diese noch Kalauer nennen: "Digitalfahrt der Kultur", "Der Papst trägt eine kugelsichere Weste: ein Grund mehr, an Gott zu zweifeln"? Alarmieren soll der Verdacht des Kulturkritikers, das Zeitalter der Demokratie könne sich als Epoche des Dilettantismus in der Kunst entpuppen. Vernichtend klingt die Diagnose, "daß die Evolution des Menschen abgeschlossen ist, während die der Maschine gerade erst angefangen hat". Kunerts Bild "Die Literatur gleicht einem sinkenden Schiff, das die Leseratten verlassen haben" läßt sich abwandeln. Er selbst ist der Beobachter, der auf der Schiffsbrücke Ausschau hält nach den Eisbergen, die ein Schiff zerstören könnten, auf dem wir alle Passagiere sind.

WALTER HINCK

Günter Kunert: "Die Botschaft des Hotelzimmers an den Gast". Aufzeichnungen. Herausgegeben von Hubert Witt. Hanser Verlag, München/Wien 2004. 347 S., geb., 21,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Es sei unmöglich, bekennt Walter Hinck, "von der Vielfalt" der unter dem Titel "Die Botschaft des Hotelzimmers an den Gast" versammelten aphoristischen Aufzeichnungen Günter Kunerts in einer Besprechung "einen hinreichenden Eindruck zu vermitteln". Von der Ästhetik bis zum notwendigen Scheitern des Sozialismus, von der Fleischeslust bis zur Gewalt, von der "Maschinenverfallenheit" des Menschen bis zum Islam - die thematische Bandbreite, die der Rezensent abtastet, scheint kein Ende nehmen zu wollen - und dabei sei mit den 340 vorliegenden Druckseiten erst ein Bruchteil des Gesamtkorpus Kunertscher Aufzeichnungen ediert! Abwechselnd als "Poet", "Lebenschronist" und "Prophet" präsentiere der Autor sich in den drei Hauptteilen der Reflexionen, als deren Ahnherren Hinck Montaigne, Lichtenberg und Canetti ermittelt hat: "Vom Schreiben", "Vom Leben in Kaisborstel" (Kaisborstel ist der schleswig-holsteinische Ort, in dem Kunert seit seiner Ausbürgerung aus der DDR lebt) und "Weltbetrachtungen". Mit diesen Notaten, wagt Hinck zu vermuten, halte man womöglich das Hauptwerk des Lyrikers, Romanciers, Librettisten, Stückeschreibers und Drehbuchautors Kunert in Händen. "Kunerts aphoristisches Schreiben spitzt zu, überspitzt, verschärft Widersprüche, will provozieren."

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