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Deutsche in Venedig? Die meisten Venezianer, dürften dabei an Touristenmassen denken. Doch die deutsche Präsenz in der Lagunenstadt hat eine lange Tradition, die sich bis ins erste Jahrtausend zurückverfolgen lässt. Für die nordalpine Kultur hatte dies bemerkenswerte Folgen. Fast im gesamten deutschsprachigen Raum, besonders aber in Süddeutschland, Österreich, Böhmen und Sachsen zeigten Musik, Literatur und bildende Künste über Jahrhunderte venezianische Einflüsse. Der Markusdom, die berühmte Piazza sowie der Canal Grande begeisterten schon die mittelalterlichen Kaiser. Für Komponisten wie…mehr

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Produktbeschreibung
Deutsche in Venedig? Die meisten Venezianer, dürften dabei an Touristenmassen denken. Doch die deutsche Präsenz in der Lagunenstadt hat eine lange Tradition, die sich bis ins erste Jahrtausend zurückverfolgen lässt. Für die nordalpine Kultur hatte dies bemerkenswerte Folgen. Fast im gesamten deutschsprachigen Raum, besonders aber in Süddeutschland, Österreich, Böhmen und Sachsen zeigten Musik, Literatur und bildende Künste über Jahrhunderte venezianische Einflüsse. Der Markusdom, die berühmte Piazza sowie der Canal Grande begeisterten schon die mittelalterlichen Kaiser. Für Komponisten wie Händel und Wagner, Maler wie Dürer und Elsheimer, Architekten wie Schickhardt und Schinkel oder Schriftsteller wie Goethe und Platen wurde der Venedigaufenthalt zum Schlüsselerlebnis. Dies schließt nicht aus, dass das Verhältnis zu Venedig häufig ambivalent, ja schwierig war. Humboldt, Nietzsche, Rilke, Freud und Thomas Mann - die Liste ließe sich beliebig verlängern - fühlten sich am Rialto stets auch herausgefordert. Klaus Bergdolt erzählt die spannende Geschichte einer vielgestaltigen Begegnung - vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert verfolgt er die Spuren der Deutschen in Venedig.
Autorenporträt
Bergdolt, Klaus
Klaus Bergdolt, Jg. 1947, lehrt als Professor am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität zu Köln. Der Medizin- und Kunsthistoriker war fünf Jahre lang Direktor des Deutschen Studienzentrums in Venedig. Seit 2005 ist er Vorsitzender des Trägervereins.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011

Touristen sind immer die anderen

Ein Sehnsuchtsort, der freilich auch manche Schmähungen über sich ergehen lassen musste: Klaus Bergdolt hat ein überreiches Buch über Deutsche in Venedig geschrieben, in dem man noch manche Entdeckungen machen kann.

Von Dirk Schümer

Tausend Jahre deutsche Präsenz in Venedig - man braucht schon großen Mut, um sich solch ein unerschöpfliches Thema vorzunehmen. Angesichts der Fülle des Materials, angesichts der breiten Forschungslage von Mediävistik bis Musikwissenschaft, Kunsthistorie bis Literaturgeschichte konnte sich nur ein so exquisiter Kenner der Materie wie der Kölner Medizinhistoriker - heute auch Vorsitzender des Trägervereins des deutschen Studienzentrums am Canal Grande - an eine solche Tour de force wagen.

Naturgemäß lässt sich nicht viel Stimmungsvolles über die ambivalente Beziehung der Ottonensippe zur entstehenden Lagunenstadt sagen, wissen wir doch kaum, wie Venedig in seinen Anfängen mit Schwerpunkten in Malamocco und Torcello überhaupt ausgesehen hat. Doch Bergdolt kann glaubhaft nachweisen, dass schon in den dunklen Anfängen des Dogenstaates den deutschen Kaiser Otto III. so etwas wie exotische Neugier auf das Amphibienreich getrieben haben muss, als er 1001 dem Dogen Pietro Orseolo einen - heute würde man sagen - privaten Besuch abstattete.

Trotz eines sehr viel politischeren Abstechers von Friedrich Barbarossa nach Venedig kommen Texte, die unseren Kriterien als Reiseberichten genügen, ohnehin erst ab dem Spätmittelalter zustande. Mit der Etablierung der deutschen Handelsniederlassung im "Fondaco dei Tedeschi" direkt an der Rialtobrücke, mit den gut dokumentierten Bildungsreisen Dürers und den ersten Reiseführern für Levante-Pilger (Vorläufern unserer Pauschalurlauber) nimmt das grenzenlose Thema endgültig Fahrt auf.

Bergdolt, der elegant von einem Reisenden zum nächsten überleitet, hält sich mit persönlichen Stellungnahmen angenehm zurück und lässt seine staunenswert reichhaltigen Quellen gerne für sich selbst sprechen - ob das nun der etwas griesgrämige Vater Goethe ist, der sich nicht genug über die in seinen Augen heuchlerischen Rituale der venezianischen Katholiken wundern konnte. Oder der junge Gotthold Ephraim Lessing, dem die schwüle Lagunenluft schwer zu schaffen macht. "Ich sehne mich herzlich nach Deutschland," schreibt er 1775 vielleicht nicht ganz aufrichtig an seine Verlobte, "Denn in dieser Hitze in Italien herumzureisen, ist eine Sache, die mich gewaltig mitnimmt."

Detailfreudig widmet sich Bergdolt der Venedig-Manie deutscher Fürstenhäuser, die gegenüber den vielen ins venezianische Militär verkauften und dort umgekommenen Zwangssöldnern heiter absticht. Kaum ein Potentat oder wenigstens Prinz aus Braunschweig oder Sachsen, aus Württemberg oder Bayern, der seine Grand Tour nicht mit prunkvollen Hofhaltungen auf Zeit am Canal Grande, mit Opernlogen, Karnevalsfesten und Stierhatzen am Markusplatz gekrönt hätte. So erfahren wir, dass diese Ausflüge ins mittelmeerische Seeleben nostalgische Gondelflotten auf der Elbe bei Pillnitz und dem schwäbischen Bärensee zur Folge hatten.

Dass vielleicht sogar das schöne deutsche Wort "Heimweh" unter schweizerischen Landsknechten in barocken Diensten Venedigs aufkam, ist da nur eine unter zahlreichen Kuriositäten, die von der Verbundenheit der Deutschen mit ihrem italienischen - und orientalischen - Einfallstor erzählen.

Während kaum einen Leser und schon gar keinen Venedig-Liebhaber die fast schon rituellen Schwärmereien über die "Zauberlaterne" (Elisa von der Recke) dieser Weltwunderstadt wundern (sondern eher zum Mitschwelgen animieren), legt Bergdolt mit viel Ironie einen Schwerpunkt auf die Schmähungen, die oft genug aus Minderwertigkeitsgefühl und Überfordertheit in Beleidigungen der venezianischen Lebensart ausufern. Ohne Bergdolts philologischen Spürsinn wüssten wir wenig vom preußischen Publizisten Carl Ludwig Fernow, der seinen Hass auf die "stinkendste, schmutzigste, hässlichste Stadt" mit fast schon komischem Beiklang auslebte und sogar noch vor der Barockmusik als Rauschmittel für nüchterne deutsche Seelen nicht genug warnen konnte.

So erfahren wir auch, dass sich Johann Georg Keißlers Reisehandbuch von 1741 über den maßlosen Uringestank in den Gassen ärgerte, dass dem Göttinger Professor August Schlözer 1781 die Balken der Abtritte viel zu eng waren, dass sich dem Tübinger Ästheten Friedrich Theodor Vischer 1839 "der Gestank halb übergegangener Fische, schmieriger Muscheln" empfindlich in die Nase stieg. Die in den Quellen immer mal wieder angesprochene Klagen - etwa auf Postkarten Sigmund Freuds - über die Mückenplage übergeht der Mediziner Bergdolt als Lappalie.

Der Autor kann so mit breitem Netz seine Stellungnahmen fischen und dabei immer wieder nachweisen, wie wenig das tatsächliche Leben der Venezianer, ihre Anschauungen und Mentalitäten den Reisenden letztlich nahekamen. Meistens reiste man nur, um die eigenen Vorurteile oder die eigenen Sehnsüchte zu bestärken, das war im früheren Tourismus nicht anders als heute. Stattdessen erlebte das Reisefeuilleton, die literarische oder wenigstens briefliche Beurteilung der Lagunenstadt mit der Epoche von Dampfboot, Eisenbahn und Auto eine immer launigere Konjunktur. Bergdolt führt vor, wie Venedig etwa bei der Wiener Bohème von Freud bis Altenberg, von Schnitzler, Hofmannsthal, Stefan Zweig, Karl Kraus bis zur immerhin mehrjährigen Residentin Alma Mahler-Werfel zum Symbolort ihres dekadenten Lebensgefühls aufsteigen konnte, besonders nach 1918: Das im Ersten Weltkrieg zertrümmerte Europa spiegelte sich im Sfumato der Lagune, in welcher die Autoren eine geistesverwandte Lebensform des Untergangs einer überreichen Kultur ausgemacht hatten.

Das kranke, infizierende Miasmen-Venedig führt schon im Buchtitel zu Thomas Mann, der diese morbide - und einseitige - Sicht mit seiner Tadzio-Novelle für immer verfestigte. Bergdolt widmet Thomas Mann ein ebensolches erhellendes Extrakapitel wie Richard Wagner (er wollte in Venedig sterben, was ihm auch gelang), Friedrich Nietzsche ("Ein armer Gondoliere in Venedig ist immer noch eine bessere Figur als ein Berliner Geheimrath") und dem von Venedig keineswegs immer hingerissenen Goethe. Die schönsten Trouvaillen dieses in bestem Sinne unausschöpflichen Buches bieten dann aber immer die abseitigeren Geister, deren teils kuriose, teils genialische Wahrnehmungen auch gute Venedig-K'enner überraschen dürften. Ein Beispiel: der Balladenautor Moritz Graf von Strachwitz, der Mitte der 1840er Jahre so holprig wie treffend dichtete: "Ich bin so krank und sterben möcht' ich gerne, hier in Venedig, und begraben liegen in dieser Flut, dem Ruheplatz der Sterne." 1847 folgte er seinem Motto und starb - in Venedig.

Das besondere Amüsement Bergdolts gilt einem Gemeinplatz, der bereits im neunzehnten, ganz inflationär dann aber im vorigen Jahrhundert die Venedig-Literatur überschwemmt wie ein schlimmes acqua alta: die Klage über den Massentourismus. "Die Arroganz", schreibt Bergdolt, "mit der deutsche, aber auch englische und französische Literaten diese Entwicklung beurteilen, verblüfft. Man konstruierte einen Zusammenhang von Bildung, Sensibilität (die man ausschließlich für sich selbst reklamierte), sozialem Status und dem Recht auf Sommerfrische." Venedig wird in diesem Licht auch zur Metropole der Hochnäsigkeit. So kann dieses reiche und immer wieder überraschende Überblicksbuch am Ende sogar moralische Wirkung ausüben und seine Leser vor ähnlicher Arroganz gegenüber den Mitreisenden warnen. Denn Bergdolts Werk lehrt uns mindestens zweierlei: Fast jeder war schon einmal in Venedig und hat die Welt das wissen lassen. Und war dabei doch nur, was jeder auf Erden ist, nämlich ein Durchreisender.

Klaus Bergdolt: "Deutsche in Venedig". Von den Kaisern des Mittelalters bis zu Thomas Mann.

Primus Verlag, Darmstadt 2011. 304 S., br., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Das Venedig-Buch des Medizinhistorikers Klaus Bergdolt hat es Hans-Albrecht Koch angetan. Der Autor überzeugt ihn mit aus reicher Belesenheit gespeisten und mit eleganter Beiläufigkeit präsentierten Informationen zu deutschen Venedig-Reisenden, Musikern und Literaten, auch weniger bekannten, wie dem Opernkomponisten Wolf Ferrari oder Werner von der Schulenburg. So viel Aufmerksamkeit und Kenntnis verdient Leser, meint Koch.

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