Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 4,99 €
  • Gebundenes Buch

Gerhard Seyfrieds großer, weitgehend autobiographischer Roman aus der Zeit der deutschen Terrorismus München, Anfang der Siebziger Jahre. Im Hinterzimmer der Roten Hilfe treffen seltsame Gestalten zusammen: Anhänger der umherschweifenden Haschrebellen und der Spaßguerilla, revolutionsromantische Tupamaros, abenteuerlustige Studenten und Anarchistinnen. Sie alle eint die Wut auf die Arroganz und Brutalität der Behörden. Unter ihnen sind Jenny und Fred, die sich kennen und lieben lernen. In einem kurzen, ausgelassenen Sommer der Anarchie entwickeln sie ihre eigene Form des Widerstands:…mehr

Produktbeschreibung
Gerhard Seyfrieds großer, weitgehend autobiographischer Roman aus der Zeit der deutschen Terrorismus München, Anfang der Siebziger Jahre. Im Hinterzimmer der Roten Hilfe treffen seltsame Gestalten zusammen: Anhänger der umherschweifenden Haschrebellen und der Spaßguerilla, revolutionsromantische Tupamaros, abenteuerlustige Studenten und Anarchistinnen. Sie alle eint die Wut auf die Arroganz und Brutalität der Behörden. Unter ihnen sind Jenny und Fred, die sich kennen und lieben lernen. In einem kurzen, ausgelassenen Sommer der Anarchie entwickeln sie ihre eigene Form des Widerstands: Spottverse, unverschämte Sprüche, die sie im Rücken der Polizei an Wände sprühen, Glasmurmel-Angriffe auf Bankschaufenster. Doch die Szene verändert sich: die Spaßguerilla wird von militanten RAF-Leuten unterwandert, Lorenz entführt und Schleyer ermordet. Als Jenny verhaftet wird, ausbrechen kann und in den Untergrund abtaucht, weiß Fred, dass es ernst wird. Und er macht sich auf die Suche nach seiner Geliebten ...

Gerhard Seyfried hat den ersten Roman aus dem Umfeld der Bewegung 2. Juni geschrieben. Er erzählt von einer Zeit, in der ausgelassene Lebensfreude und tödlicher Ernst näher beieinanderstanden als je in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Autorenporträt
Gerhard Seyfried, geboren 1948 in München, ist gelernter Industriekaufmann und Gebrauchsgrafiker. Er studierte zudem Malerei und Grafik. Seyfried arbeitete als selbständiger Grafiker, Karikaturist, Schriftsteller und Drehbuchautor. Gerhard Seyfried lebt nach Aufenthalten in Namibia und der Schweiz in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2004

Der Kampf, die Liebe und die Müdigkeit
Vier neue Bücher, vier Erinnerungen an jene Jahre vom langen heißen Sommer 1968 zum deutschen Herbst

Kinder, was für ein Sommer! Der Himmel leuchtet über der Stadt. Es ist heiß, sehr heiß in Schwabing im Juni 1962. Drei Straßengitarristen geben ein kleines Konzert. Menschen bleiben stehen. Hören zu und tanzen. Die Polizei fordert sie auf, weiterzugehen. Das sei ein "Auflauf" nach § 116, den sie auflösen müßten. Die Menschen gehen nicht, sie tanzen weiter. Es ist Sommer. Caféhausstühle fliegen. Es sind: die Schwabinger Krawalle. Der Anfang von allem. Die deutsche Nachkriegsgeneration schlägt plötzlich zu. Ein gewisser Andreas Baader wird zum ersten Mal aktenkundig. Dieter Kunzelmann veröffentlicht wenig später gemeinsam mit einigen Freunden sein "Eschatologisches Programm": "Es gilt das Hauptgebot der zärtlichen Liebe. Von der zärtlichen Liebe nimmt die Kohorte ihren Ausgang, in ihr vollendet sie sich."

Die Liebe?

1968.

Plötzlich Politik. Und Kampf. Und Gerechtigkeit. Und Aufbruch. Liebe und Gewalt. Und Einsamkeit. Und Angst.

Die Geschichten von damals sind alle längst erzählt. Als Heldengeschichten. Als Verbrechergeschichten. Als Dandygeschichten. Glücksgeschichten. Revisionen. Wahnsinn.

In diesem Sommer wird 1968 in vier neuen Büchern noch einmal neu erzählt. Zwei davon sind gerade erschienen. Zwei weitere werden im September folgen.

Die 1971 geborene Journalistin Sophie Dannenberg hat eine Abrechnung aus der Perspektive der Kindergeneration geschrieben, einen bitteren Anklageroman. Der Comic-Zeichner Gerhard Seyfried, der in den siebziger Jahren der Spaßkartograph der Szene war und zuletzt mit einem deutschen Kolonialgeschichtsroman überraschte, hat einen Historienroman der politischen siebziger Jahre geschrieben. Die Geschichte der Radikalisierung einer zunächst friedlichen Bewegung, die Geschichte der Aufsplitterung in Kämpfer, Träumer und Phantasten aus der Sicht eines romantischen Weltbeobachters am Rande jener bunten und brutalen Welt.

Von Ulrich Enzensberger erscheint ein großes, subjektives, akribisch recherchiertes Geschichtswerk über die Kommune I, deren Mitbegründer er war. Eine herrliche Geschichte des Aufbruchs im Geiste der Liebe und des Niedergangs im Zeichen von Egoismus, Härte und falscher Politik. Und schließlich Peter Rühmkorfs Tagebuch aus den Jahren 1971 und '72, in dem er die politische Welt aus der Perspektive des radikalen Außenseiters, des politisch sympathisierenden, aber jede Radikalisierung verachtenden Beobachters als großes Theaterstück beschreibt.

Tod der Theorie!

Alle vier Bücher sind - auf unterschiedlichste Weise - Bücher eines Abschieds. Des Abschieds von einem Mythos. Bücher des Scheiterns.

Was für ein herrliches und wichtiges Buch hätte der Roman Sophie Dannenbergs werden können. Die Welt von '68 beschrieben aus der Perspektive ihrer Kinder. Eine Abrechnung. Eine neue Geschichte. Leider ist es ganz und gar mißlungen. Weil sie die Welt, gegen die sie kämpft, als lächerlichen Popanz aufbaut. Weil sie grotesk und in satirischer Absicht überzeichnet, was sie später mit heiligem Ernst niederrennen will. 1968 - Eine Dummheitsgeschichte. So wird das nichts mit der Bewältigung. Dannenberg (das ist ein Pseudonym; den wahren Namen will sie, womöglich ihren Eltern zuliebe, verschweigen) erzählt im Grunde zwei Geschichten. Zunächst die Geschichte der Radikalisierung der Studentenbewegung in Frankfurt Ende der sechziger Jahre. Es herrschen Geschwätz, Geltungssucht und - Haß auf einen adornoartigen Professor, der seiner revolutionären Theorie beim besten Willen keine Praxis folgen lassen möchte. Studentinnen bedrängen ihn mit ihren nackten Brüsten, ein Molotowcocktail fliegt, der Professor schmort und brennt und stirbt: "Er war nur noch ein Klumpen, aus dem die Finger ragten, schwarz und grazil." Die Studenten haben ihn getötet, und sein intriganter Assistent mit Habermas-Zügen, den Adorno, der hier Wisent heißt, um jeden Preis als seinen Nachfolger verhindern wollte, triumphiert. Der Wunschnachfolger Hieronymus Arber, ein anständiger Mensch, der die Gefahren der Überpolitisierung klarsichtig erkennt, wird vertrieben. Auch er ein Opfer von '68. Ein Opfer jenes Intriganten mit den Habermas-Zügen. Und seiner Geliebten, einer Geschwätzrevolutionärin, der er sexuell hörig ist und die ihn, zusammen mit ihrem gemeinsamen Kind Chee, in Richtung DDR verläßt.

Später trifft Arber auf ein weiteres Opfer von '68. Kitty Caspari, Tochter des RAF-Anwalts Borsalino von Baguette (Jaha! Sie sollen jetzt an Klaus Croissant denken! Nein, das ist nicht witzig!) und seiner Frau. Die superfreie Erziehung im Geiste der totalen Psychologie, des totalen Sex und der totalen Politik führt nur zu Demütigungen, seelischer Verkrüppelung und Angst. Als ihre Eltern sie zwingen, ihnen beim Sex zuzusehen, kotzt sie den beiden kurz vor dem Höhepunkt ins Bett.

Das triumphale Leidensschlußwort des Romans hat dann noch ein Vertreter der letzten 68er Opfergruppe. Der Vater. Der Ostpreußenflüchtling und Weltkriegskämpfer: "Meine Kinder sind nicht meine Erben. Sie führen nicht fort. Sie sind fortschrittliche Menschen, stolze Besitzer eines selektiven Gedächtnisses, ohne Neugier, ohne Mitleid, ganz und gar gnadenlos." Und wehrlos sind ihre Opfer. Ihre Kinder. Ihre Eltern. Die guten Menschen.

"Und allerletzten Endes", schreibt der fernsympathisierende Lyriker und Dramatiker, der wunderbare Peter Rühmkorf, im April 1971 in sein Tagebuch, "stehen auch hier - siehe Ulrike Meinhof und ihre Beziehung zu KRR (Klaus Rainer Röhl, d. Red.) - immer ungelöste und bis auf seinen tiefsten Daseinsgrund vergiftete Familienbeziehungen dahinter." Und beobachtet das große Familiendrama eines sich mehr und mehr politisierenden Landes als "das modernste und radikalste Aktionstheater der Bundesrepublik". Das "totale Theater". Das Ende ist für ihn spätestens im Juni 1972 gekommen. Als Ulrike Meinhof verhaftet wird und Rühmkorf bitter schreibt: "Der lange Marsch durch die Institutionen - als täglicher Rundgang auf wechselnden Gefängnishöfen." Und er sieht sie schon, die Mythenschreiber, schon 1972, die "sentimentalen Sympathisanten, die, mittlerweile an der Grenze des Pensionsalters, erinnerungsselig über ihren Memoiren und Genossen-wißt-ihr-noch-Rückblicken sitzen."

Gerhard Seyfried, 56, hat seine persönliche Mythisierung des revolutionären Alltags der politischen Linken in seinen Comics der siebziger und achtziger Jahre hinter sich gelassen. Sein neuer Roman, "Der schwarze Stern der Tupamaros", ist nicht erinnerungsselig. Es ist ein Buch der Trauer über eine Zeit, die damals schon verloren war. Der Held, Fred, ist empört über die politischen Verhältnisse von damals, empört über Alt-Nazis in politischen Ämtern, empört über Studentenmord und Springerpresse. Er sprüht Parolen an Häuserwände, schießt mit Glasmurmeln auf Bankschaufensterscheiben. Er gehört zur "Roten Hilfe" und zu den "Tupamaros München". Er wird ständig von der Polizei verfolgt. Und er hat Angst. Angst vor jedem weiteren Schritt in die Illegalität. Er geht ihn nicht. Jenny geht ihn. Jenny, seine Liebe.

Fred und Jenny sind ein Liebespaar, das trotz tausendfacher Gelegenheit nicht zusammenkommt. Aus Angst. Jenny lebt im Untergrund. Sie treffen sich in Jugoslawien, Italien, Ost-Berlin und in der Schweiz. Sie lieben sich nur mit den Augen und im Traum. Nicht in der Wirklichkeit. Der revolutionäre Alltag ist banal. Und eine Freundin sagt: "Am besten, wenn die ganze Scheiße überhaupt nicht angefangen hätte." Auch Seyfried hat ein Abschiedsbuch geschrieben, auf seine Art.

Tod der Liebe!

Aber "alles hatte doch als eine Revolution der Liebe begonnen", schreibt Ulrich Enzensberger in seinem großen Kommune-I-Geschichtswerk, dessen ersten Baustein wir vor gut zwei Jahren in diesem Feuilleton veröffentlichten (Die Akte BRD vs. Pudding, F.A.S. vom 31. 03. 2002). Er erzählt die Geschichte dieses mythenumrankten deutschen Gemeinschaftstraums als eine Geschichte des Scheiterns. Nicht als Abrechnung. Aber als unausweichliches Unglück. Ausgehend von jenem Kunzelmann-Programm, das "die Kohorte" sich in der "zärtlichen Liebe" vollenden sah. Wie schnell war von jener zärtlichen Liebe nichts mehr übrig. Wie schnell traten Härte, Ungleichheit und Kampf an ihre Stelle: "In den Monaten ununterbrochener Aktion waren wir unserem Traum, zu einer zärtlichen Kohorte zu verschmelzen, nicht im geringsten nähergekommen." Im Gegenteil. Enzensberger sieht Verrohung und Grausamkeit überall. Vor allem gegenüber den Frauen. Er erinnert sich: "In jedem Zimmer ein weinendes weibliches Wesen, dessen sich dann der Rest der Mannschaft auf die eine oder andere Weise annahm, es meist aber doch nur verspottete oder hartherzig zum Archivieren oder, dann schon verschärft, zum Spülen des Geschirrs oder ähnlich nützlicher Hausarbeit anhielt."

Es ist eine Krankheitsgeschichte, die Enzensberger erzählt. Das Krankheitsbild entspricht der von Adorno 1950 beschriebenen Analyse des modernen Massenmenschen, die in der "Ablehnung des Subjektiven, Imaginativen, Weichherzigen" gipfelte. Das einzige, das die Kommune damals aus ihrer "Gefühlsverrohung" noch einmal herausholte, waren die Kinder, die sie nach dem 2. Juni zu sich nahmen. "Obwohl wir versuchten, sie um jeden Preis wie Erwachsene zu behandeln, übten sie doch die sanfte Macht aller Kinder auf uns aus."

Aber auch die Kinder der Kommune I können den Prozeß der Entliebung, der politischen Radikalisierung, die schließlich in "lupenreinem Antisemitismus" gipfelte, nicht aufhalten.

Die eine, Grischa, weiß Enzensberger, denkt heute ohne Groll zurück. Der andere, Nessim, soviel er weiß, "mit Grausen".

VOLKER WEIDERMANN

Sophie Dannenberg: "Das bleiche Herz der Revolution". DVA 2004. 302 Seiten. 19,90 Euro. Gerhard Seyfried: "Der schwarze Stern der Tupamaros". Eichborn Berlin 2004. 335 Seiten. 19,90 Euro.

Im September erscheinen außerdem: Ulrich Enzensberger: "Die Jahre der Kommune I". Kiepenheuer und Witsch. Ca. 416 Seiten. 22,90 Euro; und Peter Rühmkorf: "Tabu II". Tagebücher 1971-72. Rowohlt Verlag. Ca. 400 Seiten. 22,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.01.2005

Spiel mir das Lied vom 2. Juni
Gerhard Seyfried gründet die Rote Zelle Hollywood
Mit „Wo soll das alles enden” und „Freakadellen und Bulletten” wurde Gerhard Seyfried vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren zum Loriot der Linken. Struwwelhaarige, lustig-freche Freaks lieferten sich in seinen Cartoons einen komischen Dauerkrieg mit fast schon liebevoll karikierten Ordnungshütern, zu deren Fehlleistungen es gehörte, statt „Stop! Polizei!” ein markiges „Stei! Polizop!” auszustoßen. Im letzten Jahr versuchte sich Seyfried dann erstmals als Schriftsteller und erinnerte in „Herero” an das düsterste Kapitel deutscher Kolonialgeschichte. Ein politisches Thema besitzt auch sein neues Werk: Es beschäftigt sich mit dem Terrorismus der siebziger Jahre.
Fred lebt in München. Durch Sandra und Ramon, mit denen er in einer WG lebt, gelangt er zum „Kollektiv Rote Hilfe”, das sich um juristische Belange der linken Szene kümmert. Dort lernt er die geheimnisvolle Jenny kennen, in die er sich sofort verliebt. Zu zweit ziehen sie nachts durch die Stadt, sprühen Parolen, zünden Zeitungsständer an und schießen Murmeln in die Scheiben missliebiger Geschäfte. Dann beschließen sie nach uruguayischem Vorbild der Tupamaros eine Stadtguerilla zu gründen. Aber noch während der Vorbereitungen wird Jenny verhaftet: Sie ist ein Mitglied der Bewegung 2. Juni.
Schulfunk auf Papier
Wie „Herero” ist „Der schwarze Stern der Tupamaros” ein dokumentarisch-historischer Roman.Seyfried sucht die Verbindung von Erfundenem und Vorgefundenem, von Literatur und Dokumentation - aber sie will ihm nur zum Teil gelingen. Unter der Überschrift „Nachrichten” finden sich am Ende mehrerer Kapitel knapp, schlagzeilenartig die für den Roman relevanten politischen Ereignisse zwischen 1974 und 1979 referiert. Das ist sinnvoll. Problematischer sind schon die Flugblätter und Erklärungen, die mitunter als „Originalton” in die Kapitel eingefügt werden. Hier wirkt es, als habe sich der Autor einen Koffer mit Rotfront-Souvenirs vom Speicher geholt und eher willkürlich als Zettelkasten genutzt. Nicht mehr als Schulfunk auf Papier sind schließlich die schwerfällig motivierten Exkurse, mit denen vor allem am Anfang für die Nachgeborenen möglicherweise rätselhafte Schlüsselbegriffe wie „Vietnam”, „Martin Luther King” und „Mai 68” erläutert werden.
Erzählerisch völlig unterentwickelt bleibt die Beziehung zwischen Fred und Jenny. Es ist ja auch die Liebe, die Fred zu immer größerer Militanz anstachelt: Er will der begehrten Frau nahe sein, ihr imponieren. Was aber macht diese Jenny so attraktiv? Was geht in ihrem und in Freds Kopf vor, wenn sie sich küssen, wenn sie miteinander im Bett liegen? Seyfried gibt sich keine Mühe, auf solche Fragen einzugehen. Er nutzt die Liebesgeschichte nur, um zunehmend atemlos die Stationen des deutschen Terrorismus zwischen der Lorenz- und Schleyer-Entführung abzuklappern.
Trotz dieser erheblichen Mängel ist die Lektüre von „Der schwarze Stern der Tupamaros” nicht völlig ohne Reiz.Der Autor hat den Jargon der Szene noch im Ohr, und er versteht es, ihn zu reproduzieren. Wenn Ramon die Notwendigkeit, zur Waffe zu greifen, begründet, dann klingt das so: „Der Staat und die Bonzen werden nicht einfach klein beigeben, wenn ihnen wer echte Schwierigkeiten macht. Menschenleben sind denen doch scheißegal, und wenn’s mit Zensur und Knaststrafen nicht weitergeht, dann wird eben geschossen! Kann ja jeder sehen, wie die drauf sind, mit ihrem gottverdammten Kalten Krieg und ihren Drecksatombomben, Aufrüsten bis zum Geht nicht mehr! Die spielen mit dem Feuer, die Vollidioten, alles, was sie interessiert, ist ihr Scheißprofit.”
Das süße Gift der Guerilla
Originell ist Seyfrieds Blick auf die Motive, die den Übergang von der bloßen Wut zur terroristischen Tat markieren. Fred und Jenny sind eifrige Kinogänger. Dass sie sich für „Der unsichtbare Aufstand” von Costa-Gavras begeistern, liegt nahe. Erstaunlicher ist schon ihre Verehrung von „Der eiskalte Engel” und „Vier im roten Kreis”: „Sie fahren beide auf Melvilles wortkarge und elegante Gangster ab und die Tragik, die sie umwittert. Deren Widersacher, die Bullen, werden durchaus mit Respekt, wenn auch nicht sympathisch gezeichnet. Die siegen zwar am Ende; aber mit der naiven Vorstellung, daß damit auch das Gute gewinnt, räumt Melville gründlich auf.” Den größten Enthusiasmus aber ruft „Bonnie und Clyde” hervor: „Die letzten zehn Minuten sitzen sie Hand in Hand. Was für ein Paar!”
Das ist die überraschende Pointe von Seyfrieds Roman: In Herz und Hirn der Stadtguerilla zirkuliert ein süßes Gift. Die unerbittlichen Kämpfer gegen die universale Verblendung beziehen einen Teil ihrer Inspiration aus den avancierten Produkten der Kulturindustrie, aus dem manieristischen, gewaltbesessenen Genrekino der späten Sechziger. Sie sind nicht nur die von Jean-Luc Godard beschworenen Kinder von Marx und Coca Cola. Sie sind auch die Kinder von Marx und Sergio Leone. „Spiel mir das Lied vom Tod” - könnte so nicht eine Geschichte der RAF und der Bewegung 2. Juni heißen?
CHRISTOPH HAAS
GERHARD SEYFRIED: Der schwarze Stern der Tupamaros. Eichborn Verlag: Frankfurt am Main 2004. 335 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Einen "historischen Roman mit allen Stärken und Schwächen dieses Genres" sieht Detlef Kuhlbrodt in Gerhard Seyfrieds Roman "Der schwarze Stern der Tupamaros", der sich der Geschichte der undogmatischen Linken in München und Berlin von 1968 bis 1980 annimmt. Kuhlbrodt hält dem Autor zu Gute, Zeit und Milieu authentisch zu schildern. Allerdings bleiben die handelnden Personen seines Erachtens "etwas blass": Sie wirkten "wie Fotos, etwas oberflächlich, ohne Innenleben und oft so, als dienten sie nur dem pädagogischen Zweck, die historischen Ereignisse zu illustrieren und dabei ja nichts zu vergessen". Das findet Kuhlbrodt zwar "ehrenwert". Aber es erschwere, an der Geschichte Anteil zu nehmen - zumal das verwendete Material oft allzu sehr durchscheine und Seyfrieds Protagonisten einem "so vernünftig und unsinnlich " vorkämen. Im weiteren moniert Kuhlbrodt, dass der Autor in seinem Roman den ideologischen Irrsinn dieser Zeit unterschlage und dass seine Sprache manchmal etwas "behäbig" sei.

© Perlentaucher Medien GmbH