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Voller Licht, Liebe und Poesie Uwe Tellkamps erster Roman
Ein Sommer in der Dresdner Neustadt. In den sonnendurchfluteten Straßen und im idyllischen Portugiesischen Café trifft sich eine kleine Gruppe junger Künstler. Sophie und Florian, die sich lieben, aber ihre Liebe nicht auszusprechen wagen, die blinde Nora, Martin, der Maler, und die Musiker von Tango Verde: Sie alle sind Kinder des Lichts, die in einem Strom von Geschichten aufsteigen, sich leise verwandeln und wieder gehen, so als sei die Erde ganz schwerelos.

Produktbeschreibung
Voller Licht, Liebe und Poesie Uwe Tellkamps erster Roman

Ein Sommer in der Dresdner Neustadt. In den sonnendurchfluteten Straßen und im idyllischen Portugiesischen Café trifft sich eine kleine Gruppe junger Künstler. Sophie und Florian, die sich lieben, aber ihre Liebe nicht auszusprechen wagen, die blinde Nora, Martin, der Maler, und die Musiker von Tango Verde: Sie alle sind Kinder des Lichts, die in einem Strom von Geschichten aufsteigen, sich leise verwandeln und wieder gehen, so als sei die Erde ganz schwerelos.
Autorenporträt
Uwe Tellkamp, 1968 in Dresden geboren, studierte in Leipzig, New York und Dresden Medizin und arbeitete als Arzt an einer unfallchirurgischen Klinik. Für seine Lyrik bereits mehrfach ausgezeichnet, erhielt Uwe Tellkamp 2004 den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2008 wurde er mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2009

Als der Turm noch ein Türmchen war
Der Nationalpreisträger Uwe Tellkamp warnt die Welt vor seinem Romandebüt. Er weiß, warum

E-Mail-Adressen von Literaturredaktionen gibt es ja eigentlich nur zu dem Zweck, damit die Presseabteilungen der Verlage täglich unzählige Empfehlungen, Super-Empfehlungen und Mails mit der Betreffzeile "Das Buchereignis aus Schweden" und "Unser Chinese des Jahres" verschicken können. Stört nicht weiter. Ein Klick und weg ist der Schwede. Manchmal schreibt auch der zuständige Lektor, der der Presseabteilung misstraut, manchmal ein Verleger, der allen misstraut, und manchmal auch der Autor selbst. Die Mails sind alle gleich: "Irres Buch, muss man lesen und wenn nicht lesen, dann doch wenigstens den Lesern empfehlen. Mit besten Grüßen."

Da war es natürlich überraschend, als die Literaturredaktionen des Landes vor drei Wochen die Mail eines Autors erreichte, der vor seinem Buch warnen wollte. "Sehr geehrte Damen und Herren", schrieb er, "der Verlag Faber und Faber Leipzig beabsichtigt im Juni 2009, eine Neuauflage meines Romans ,Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café' herauszubringen. Diese (Wieder-)Veröffentlichung geschieht gegen meinen mehrfach und schriftlich erklärten Willen." Auch mit der Taschenbuchausgabe im Oktober bei dtv sei er nicht einverstanden, aber leider halte der Verlag nun einmal die Rechte an diesem Buch, man habe ihm schriftlich erklärt, dass man sich über seine Bedenken hinwegsetzen werde. "Und so bleibt mir nur, Ihnen auf diesem Weg mitzuteilen, daß die neuerliche Publikation des ,Hecht' ohne meine Zustimmung erfolgt. Mit freundlichen Grüßen Ihr Uwe Tellkamp."

Der Roman war zum ersten Mal im Jahr 2000 erschienen, damals von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Man lernte Tellkamp erst vier Jahre später kennen, als die Juryvorsitzende des Bachmann-Wettbewerbs in Klagenfurt nach seinem Vortrag jauchzte: "Ich glaube, wir haben einen großen Autor entdeckt."

Ein Jahr später veröffentlichte Tellkamp seinen in rechtskonservativer Demokratieverachtung schwelgenden Kitschroman "Der Eisvogel" und 2008 dann den "Turm", von dem sein Verlag so lange behauptete, er habe "buddenbrooksches Format", bis es die meisten Kritiker schließlich auch geschrieben hatten. Dass tatsächlich so gut wie kein Verriss des Buches erschien, deutet darauf hin, dass "Der Turm" wirklich ein atemberaubendes Werk ist. Es könnte aber natürlich auch daran liegen, dass Kritiker, die die kunsthandwerkliche Zierratdrechselei und Villenbestaunung des 950 Seiten starken Buches trotz größter Mühen einfach nicht länger als hundert Seiten ertragen haben, als seriöse Rezensenten ausschieden. Der einzige Held der Arbeit, der trotz Unempfänglichkeit für den tellkampschen Auftrumpfstil das ganze Buch durcharbeitete, war Denis Scheck, der nach Lektüre bekannte, es entstehe beim Lesen "ein Geruch nach Schweiß wie in der Umkleidekabine eines Fußballoberligisten nach der Halbzeitpause". Doch "Der Turm" wurde mit dem Deutschen Buchpreis geehrt, hat seit 37 Wochen die Bestsellerlisten nicht mehr verlassen und gilt inzwischen als das Epos der untergehenden DDR.

Um Autor und Buch schnell noch die Krone aufzusetzen, wird Uwe Tellkamp in diesem Monat (zusammen mit Monika Maron und Erich Loest) mit dem Deutschen Nationalpreis geehrt. Man könnte sich unter den jüngeren Autoren des Landes auch eigentlich gar keinen vorstellen, dem ein "Deutscher Nationalpreis" so gut passen würde wie ihm. Gern betont Tellkamp, der sich auch als "Librettisten Wagners" bezeichnet, dass er in der Tradition "deutscher Kunst und deutscher Kultur" stehe. Was anderen Schriftstellern qua Herkunft und Bildung selbstverständlich ist, trompetet Tellkamp stolz heraus. In seinen jüngst als Buch erschienenen Leipziger Poetikvorlesungen preist er den verstorbenen Lyriker Thomas Kling: "Da scheute sich ein deutscher Dichter nicht, ein deutscher Dichter zu sein. Das machte ihn mir lieb, denn auch ich bin hier geboren und nicht in Amerika, bin aus dieser Erde genommen."

Wer auch immer ihn aus dieser Erde herausgenommen hat - mir sind keine deutschen Dichter bekannt, die sich scheuen, deutsche Dichter zu sein. Aber Tellkamp stürmt sehr gern mit Donnergrollen Türen ein, die niemand je verschlossen hat. Er erinnert mich immer ein wenig an den Zenturio von Musculus* (* das Mäuschen) aus "Asterix bei den Olympischen Spielen", der glaubt, er habe Zaubertrank getrunken, vergeblich immer kleinere Felsen zu stemmen sucht, um schließlich triumphal einen Kiesel in die Höhe zu heben und zu rufen: "Ha, ich bin ein Supermann!" Was ihm seine Untergebenen sehr, sehr gerne bestätigen.

Zitiert Tellkamp zum Beispiel ein schlechtes Gedicht, kommentiert er es gleich darauf so: "Meine Meinung, in erfrischender Deutlichkeit: Dies ist nicht einmal schlechte, sondern keine Lyrik." Wer seiner eigenen Meinung eine erfrischende Deutlichkeit bescheinigt, braucht auf die anderer nicht zu warten. Doch wer schlechte Lyrik "keine Lyrik" nennt, wirkt doch eher so mittelerfrischend. Ständig stemmt Tellkamp diese Kiesel und bestaunt sich selbst.

Und da er sich gerade in dieser Nationalsache ständig abgrenzen zu müssen glaubt, kommt es auch schon mal zu Verhaspelungen: "Ich will hier nicht den ,deutschen Nationalcharakter' strapazieren, ein mißbrauchter und oft mißverstandener, weil mißverständlich gebrauchter Begriff, dessen Aussage man, zumal hierzulande, bestreiten kann, dessen Existenz, und mögen Sonntagsideologen noch so sehr Klischee! Klischee! blöken, man spätestens nach einem Auslandsaufenthalt in Betracht ziehen wird." Sie können folgen? Den Begriff "nicht strapazieren", einmal durch die Geschichte eilen, imaginäre Gegner wegboxen und ihn am Ende "nach einem Auslandsaufenthalt" doch "in Betracht ziehen". Noch der linkeste Internationalist wird bestimmte Eigenheiten der Deutschen nicht leugnen, ganze Comedy-Bühnen und Buchsparten leben davon. Tellkamps Sorgen möchte man haben.

Das alles gehört zu Tellkamps Spiel, zu Tellkamps Stil, und zu alldem passt auch sein erster Roman, von dem er heute nichts mehr wissen will. Schwer zu sagen übrigens, warum nicht. Denn: ja, es ist ein schlechter Roman. Ein furchtbar schlechter Roman sogar, der den Vorteil hat, nur 163 Seiten lang zu sein. Ein Roman so voller Pathos, schiefen Bildern und triefendem Kitsch, dass man das Ganze auch für das Dokument einer feindlichen Übernahme durch einen bösartigen Tellkampübertreiber halten könnte. Doch Tellkamp selbst hat sich ja per Mail zur Urheberschaft bekannt, und letztlich liest es sich auch wie das authentische Werk, auf dem die folgenden zwei Romane geradezu logisch aufbauen. Es wurde später leicht entschlackt, was hier noch in Reinform vorliegt.

Eine Liebesgeschichte im Dresden des Wendejahres 1989. Florian und Sophie lieben sich und finden doch nicht zueinander. Der Autor ist offenbar auch sehr verliebt, er lässt Sophies Haar auf den wenigen Seiten an die fünfzig Mal "in der Sonne schimmern", ständig schwellen Brüste unter Pullovern, Sophies Stimme klingt "hell und lichtzart wie das Gelb der Juniaprikosen". Und "auf einem vergessenen Roßhaarsofa im Wohnzimmer lagen graugestaubte, stockfleckige Bücher auf Exemplaren lang verschollener Zeitungen". Jetzt fragen Sie bitte nicht, wer da sein Rosshaarsofa im Wohnzimmer vergessen hat und wie da Zeitungen herumliegen können, "die längst verschollen sind". Das sind halt so Kritikerfragen, die von Poesie nichts wissen. Die irrste Stelle in Tellkamps Frühwerk ist übrigens eine ganze Seite, auf der er die Dresdner Semmel besingt: "Sie lagen genau im Zenit des Backgleichgewichts, zwischen Verbrennen und lau-gleichgültiger Engerlingshaftigkeit, so daß das Gold der Tiefe geweckt wurde und ruhig die Augen aufschlug. (. . .) Solcherart waren die weizenblonden Nahrhaftigkeiten, die Frommann buk." Leider geht es nicht so lustig weiter.

"Spotten Sie ruhig, kalter Kritiker", heißt es in Tellkamps Poetikvorlesungen, "diese Verse werden sein, wenn Sie schon Staub sind." Und manche Verse sind schon Staub, bevor der Kritiker sie überhaupt zu Gesicht bekommt.

VOLKER WEIDERMANN

Uwe Tellkamp: "Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café". Faber und Faber, 2000, 163 Seiten. Die Neuauflage erscheint im Laufe des Monats.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.08.2009

Der Dichter als Dom-Baumeister
Wille zur Kunst: Uwe Tellkamp, sein jetzt wieder greifbarer Debütroman und eine programmatische Erklärung
Mit der Literatur muss etwas geschehen sein. Gewiss, Uwe Tellkamps Roman „Der Turm” wurde, als er im vergangenen Jahr erschien, meist sehr freundlich und manchmal auch euphorisch besprochen. Aber in die Zustimmung mischte sich ein Vorbehalt: Vielleicht wirke in diesem Buch doch zu sehr der Kunstwille. Das ist ein sonderbares Argument. Denn wie soll es Kunst ohne den Willen zur Kunst geben? Gemeint war daher etwas anderes: nämlich dass der Wille zur Kunst bei Uwe Tellkamp so stark sei, dass er sich gegen die Kunst wende, dass also die Anstrengung, Kunst hervorzubringen, nicht nur in, sondern auch neben dieser zu erkennen sei, als Manier und übertriebene Geste. Allein schon der Anfang dieses dicken Buches: „Suchend, der Strom schien sich zu straffen in der beginnenden Nacht”, zweimal ein Partizip Präsens in einem halben Satz, eine Verbform, wie sie in dieser Verwendung im Deutschen heute eher ungebräuchlich ist, weil sich an ihr kein Subjekt und keine Zeit markieren lässt, ein Gallizismus, wie er allenfalls bei Peter Handke und im frühen neunzehnten Jahrhundert zum festen Repertoire der Dichter gehört.
Schön, dass jemand so selbstverständlich mit dieser Form umgehen kann, die sich so leichtfüßig über den oft so schwerfälligen deutschen Satzbau erhebt, ließe sich dagegen sagen. Und nicht nur dieses: wie seltsam, ist hinzuzufügen, dass das Halluzinatorische, das jeder Literatur zueignet, zu einem Problem zu werden scheint, wenn es sich als phantastischer Überschuss offenbart. Ein Spiel ist die Dichtung, ebenso realitätsfremd wie realitätsgesättigt, und das eine nur, weil sie das andere auch ist, in einem immer wieder neu begonnenen Versuch, etwas Abwesendes anwesend zu machen, was nur gelingen kann, wenn das Vergangene nicht wirklich vergangen ist, weil es seinen Dichter immer noch umtreibt. Auch das ist Kunstwille, und wer sich – abstrakt – an ihm stört, der will vom Halluzinatorischen der Literatur nichts mehr wissen und meint, mit grundsätzlich heruntergezogenen Mundwinkeln und gelangweiltem Blick, einen Pakt mit der Wirklichkeit geschlossen zu haben, der ihn allen vermeintlichen und echten Träumereien gegenüber ins Recht setzt.
In diesen Tagen ist ein älteres, vergessenes Werk von Uwe Tellkamp in die Buchhandlungen zurückgekehrt. Der Roman mit dem Titel „Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café” war zuerst im Jahr 2000 bei Faber & Faber in Leipzig erschienen. Er wurde damals, womöglich wegen seiner halluzinatorischen Qualitäten, kaum zur Kenntnis genommen. Wenn er nun noch einmal publiziert wird, liegt indessen eine größere Aufmerksamkeit auf ihm, nicht nur, weil der Autor seitdem viele Preise errungen und mit dem Buch „Der Turm” ein neues Volksbuch geschaffen hat, sondern auch, weil er bekannt gegeben hat, dass er die Wiederveröffentlichung des Erstlings hatte verhindern wollen. Und nach der Lektüre ist zu sagen: Es ehrt Uwe Tellkamp, dass er sein eigenes Buch nicht mehr sehen mag. Aber blamiert hat sich hier keiner. Es ist nur so, dass das Realitätsfremde in diesem Roman das Realitätsgesättigte mitsamt „goldflaumiger” Haut und „honigblonden” Haaren verschlungen hat – und das ist ein Fehler des Anfangens, das dem Späteren nichts von seiner Bedeutung raubt.
Erzählt wird eine Liebesgeschichte, die sich einige Jahre nach dem Untergang der DDR in Dresden zuträgt, während eines Sommers, den Uwe Tellkamp in all seinen Gerüchen, Farbwechseln, Lichtveränderungen, Blütenständen, Wolkenzügen auf höchst anschauliche Weise schildert. Überhaupt: dies ist das Buch eines Verliebten, und das liegt schon an den Liebenden, mit denen Uwe Tellkamp offenbar im Bunde ist, mehr aber noch am Umgang des Dichters mit seinem Stoff. Entschieden, rückhaltlos, unbekümmert um Kitsch und Klischee, widmet er sich der selbstgestellten Aufgabe, die Gemüter seiner Leser ins Schwingen zu bringen (wobei, und auch das gehört dazu, gerade das Rückhaltlose ihn wieder über den Kitsch hinausträgt): „Sie erwiderte seinen Gruß, und er lauschte dem Klang ihrer Stimme nach, hell und lichtzart wie das Gelb der Juniaprikosen; wohlig empfand er die Berührung seines Ohrs, als sie ihn fragte, ob er hier wohne.”
Jeder, der den „Turm” gelesen hat, wird erkennen, wie das zukünftig Große schon im halb verfehlten Kleinen steckt: von der Konstruktion eines eingefriedeten Raums (jeweils ein Stadtviertel in Dresden), in dem sich das mit höchster Aufmerksamkeit verfolgte Geschehen abspielt, bis hin zu der Technik, Ausdrücke der Befindlichkeit („wohlig”) an den Anfang des Satzes zu schieben, Beifügungen ohne ausdrücklichen grammatischen Bezug in den Satz zu rücken („hell und lichtzart”) und Metonymien zumindest anzuschrägen (die „Berührung des Ohrs” durch die Stimme).
Der Sommer vergeht, und die beiden Liebenden finden sich nicht, weil Florian, der junge Dichter, sein Zartgefühl nicht zu überwinden vermag. Das klingt gruseliger, als es ist, denn längst hat der Leser verstanden, dass es hier auch darum geht, die Erwartungen an ein Genre zu erfüllen – „Der Hecht, die Träume und das Portuguiesische Café” ist das Manifest einer Entschlossenheit zur Kunst, die sich der Verwandschaft mit der Frühromantik, also etwa Wilhelm Heinrich Wackenroders „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders” nicht schämt, wobei hier ein kleines Ensemble von Menschen in einer Stadt an eben die Stelle gerückt ist, die Wackenroder der Malerei einräumt.
Und alles ist da: das Weltabgewandte, die Begeisterung für die Anschauung, der Glaube an die Genialität, das Gefühl des Unwiederbringlichen, das Mönchische, das Bedürfnis, möglichst viele Metaphern anzuhäufen, damit wenigstens eine davon Wirklichkeit wird – und auch die Kenntnis von Johann Wolfgang Goethes erklärtem Widerwillen gegen die „neukatholische Sentimentalität”. Im Roman vom „Turm” findet sich derselbe Enthusiasmus, aber der Dichter weiß heute, dass die Begeisterung geregelter Vollzug sein muss, wenn sie literarische Form annehmen soll, er kann der Wirklichkeit ins selten liebliche und weit häufiger hässliche und schmutzige Gesicht sehen.
Im Frühjahr schon erschien bei Suhrkamp, Uwe Tellkamps heutigem Verlag, ein schmaler Band, der Vorträge, kleine literarische Phantasien und Zitatensammlungen enthält, die entstanden waren, als der Dichter im Jahr 2008 in Leipzig „Poetikvorlesungen” hielt. Darin finden sich die lebenspraktischen Umstände geschildert, unter denen Uwe Tellkamp zum Schriftsteller wurde – „ich war Arzt und schrieb, weil etwas, das ich mir weder erklären konnte noch wollte, mich dazu trieb”. Auch setzt sich Uwe Tellkamp in diesem Buch mit Werken und Literaten auseinander, die ihm etwas bedeuten (Haikus, Hölderlin, Onetti, Friederike Mayröcker, auch Durs Grünbein und Thomas Kling).
Vor allem aber enthält der Band ein poetisches Programm, das von der Lyrik (und aus ihr kommt Uwe Tellkamp, was überdeutlich vor allem in den missratenen Metaphern ist, in den „verschollenen Zeitungen” etwa) zur Epik und in den Roman führt: „Der moderne Dichter, wie ich ihn verstehe, ist wieder Dom-Baumeister.” Seine Aufgabe ist es, den Leser ins Offene zu geleiten, nein, ihm überhaupt zu zeigen, dass es etwas Offenes, noch Unentschiedendes überhaupt geben kann, ja, gibt. Aus dem Verlust der „Visionen”, erklärt Uwe Tellkamp, folge der Verlust des Gedächtnisses. Denn wer die Zukunft nur als fortgesetzte Vergangenheit sehe, brauche ja keine.
Es muss etwas mit der Literatur geschehen sein, wenn man solche Selbstverständlichkeiten aussprechen muss. Gut, „Visionen” sind Ausdruck eines Idealismus, der sich nicht an der Wirklichkeit messen will und gerade deshalb in tiefstem Frieden mit ihr lebt. Vermutlich ist eher der Widerspruch gemeint, also umgekehrt der Unwille, sich mit dem Vorhandenen abzufinden. Ohne Pathos aber ist dieser Widerspruch nicht zu haben, denn im Pathos drückt sich seine Dringlichkeit und seine Unabweislichkeit aus.
Und es ist dieses Pathos, über das sich die Kritik am Kunstwillen mokiert – in völliger Blindheit dem eigenen Pathos gegenüber: Es ist einer der größten Irrtümer der landläufigen Literatur und ihrer Kritik, in der Zurschaustellung von Welterfahrenheit, im lakonischen Ton der Geläufigkeit, im schiefen Lächeln und müden Aufschauen gebe sich die Wirklichkeit als solche zu erkennen. Nein, dieses Pathos des ironischen Abwinkens ist pathetischer noch als der wildeste Wille zur Kunst. THOMAS STEINFELD
UWE TELLKAMP: Die Sandwirtschaft. Anmerkungen zu Schrift und Zeit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 168 Seiten, 11 Euro.
UWE TELLKAMP: Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café. Roman. Zweite Auflage. Verlag Faber & Faber, Leipzig, 2009. 158 Seiten, 18 Euro.
Dieser Erstling ist das Buch eines Verliebten
Dem Leser ist zu zeigen, dass es noch Offenes, Unentschiedenes gibt
Mit seinem Roman „Der Turm”, der 2008 erschien, schuf Uwe Tellkamp (hier auf einem Foto aus dem Jahr 2005) ein gesamtdeutsches Volksbuch. In die oft euphorische Kritik mischte sich auch Vorbehalt. Foto: Jürgen Bauer
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dieser Roman, sein Erstling, ist Uwe Tellkamp, der mit einem "Turm"-Bau zu Ruhm und Auflage kam, heute peinlich. Das kann Thomas Steinfeld einerseits zwar ein bisschen verstehen, denn im engeren Sinne geglückt findet er diese weltfremde und kitschtrunkene Liebesgeschichte dann auch wieder nicht. Aber: Erkennen lasse sich hier schon, was Tellkamp später zu dem Großen gemacht hat, für den Steinfeld ihn unmissverständlich hält. Der Wille nämlich zum Pathos ist es, der zwar die eine oder andere Metapher verrutschen lässt, aber doch für Steinfeld ebenso wie die gewöhnungsbedürftige Grammatik des Meisters verteidigenswert ist. Und zwar gegen die nicht genannten Miesmacher, die der Ansprüche des selbsterklärten "Dom-Baumeisters" nur spotten und der Literatur insgesamt nichts Hochhinauswollendes mehr zutrauen. (Namen nennt Steinfeld nicht, aber sicher ist vor allem FAS-Literaturchef Volker Weidermann gemeint, der sich unergriffen über Tellkamp äußerte.)

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