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Der amerikanische Literaturwissenschaftler Stanley Fish gilt wegen seines antifundamentalistischen Pragmatismus als "enfant terrible" der akademischen Welt. Zugleich ist er aber ein bedeutender Essayist in bester angelsächsischer Tradition, der in Deutschland noch zu entdecken ist. Der Band versammelt eine Auswahl seiner Essays, die von den frühen Arbeiten zur Literaturtheorie und Sprachphilosophie bis zu den späteren über das Recht, die Rechtsinterpretation und den Rechtspositivismus reicht. Fish provoziert. Sein Werk ist kein Plädoyer für eine bestimmte rechtliche Ordnung und auch keines für…mehr

Produktbeschreibung
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Stanley Fish gilt wegen seines antifundamentalistischen Pragmatismus als "enfant terrible" der akademischen Welt. Zugleich ist er aber ein bedeutender Essayist in bester angelsächsischer Tradition, der in Deutschland noch zu entdecken ist. Der Band versammelt eine Auswahl seiner Essays, die von den frühen Arbeiten zur Literaturtheorie und Sprachphilosophie bis zu den späteren über das Recht, die Rechtsinterpretation und den Rechtspositivismus reicht. Fish provoziert. Sein Werk ist kein Plädoyer für eine bestimmte rechtliche Ordnung und auch keines für eine Befreiung von dieser, sondern die Beschreibung einer Welt, in der Rhetorik, Verschleierung und Improvisation vorherrschen.
Autorenporträt
Fish, StanleyStanley Fish ist emeritierter Dekan des College of Liberal Arts and Sciences der University of Illinois in Chicago, Davidson-Kahn Distinguished University Professor of Humanities and Law an der Florida International University in Miami und regelmäßiger Kolumnist der New York Times.

Bude, HeinzHeinz Bude ist Professor für Soziologie an der Universität Kassel und ist Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung. Im Suhrkamp Verlag ist von ihm u.a. erschienen: Bilanz der Nachfolge. Die Bundesrepublik und der Nationalsozialismus (stw 1020) und zuletzt Lebenskonstruktionen. Für eine neue Sozialforschung (es 2225).

Dellwing, MichaelMichael Dellwing ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Makrosoziologie der Universität Kassel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2012

Recht ist, was im Gewurstel seiner Verwirklichung nicht aufgeht

Wer juristische Praxis für eine verwickelte Angelegenheit hält, liegt richtig. Bloß sollte er daraus gleich wie Stanley Fish in seinen kämpferischen Essays den Schluss ziehen, alle kritische Theorie des Rechts sei schlicht obsolet?

Stanley Fish provoziert" oder "Das ist Dynamit" warnen - oder versprechen - die beiden Herausgeber, Sozialwissenschaftler an der Universität Kassel. Bei mir hat das nicht funktioniert. Und noch schlimmer: Wie mir wird es vermutlich fast allen ergehen, die sich in der kontinentaleuropäischen Theorie des Rechts ein wenig auskennen; dieses Buch wird sie weder durcheinander- noch weiterbringen. Überdies hat der schöne zentrale Titel der Sammlung, wonach das Recht formal sein "möchte", bei uns schon 2001 das Licht der Welt erblickt - in Dieter Simons leider zu früh verschiedenem "Rechtshistorischen Journal". Wir konnten also gewappnet sein.

Dessen hätte es freilich nicht bedurft. Das, was wir als "Theorie des Rechts" betreiben, kommt in dieser Sammlung so gut wie nicht vor; das reduziert sich auf die Bekämpfung des Glaubens, Recht habe substantielle Regeln. Was vorkommt, spiegelt die Interessen des Philosophen, Wissenschaftstheoretikers und Literaturwissenschaftlers Fish: feinsinnige, ironisch abgefederte Analysen von Toleranz und Differenz in multikulturellen Gesellschaften, Reformulierungen der amerikanischen Auseinandersetzungen über Literatur und Literaturtheorie, auch in wissenschaftstheoretischer Absicht, und subtile Ein- und Abgrenzungen in begrifflichem und systemischem Interesse insbesondere zu den "Rechtslehren" - im amerikanischen Original: "Jurisprudence" - der Kollegen Richard Posner, Richard Rorty und Donald Dworkin.

In den auf das Recht bezogenen Texten ist Fish nicht mit dem Säbel unterwegs, sondern eher mit dem Florett und mit der Lupe: Er ist streng auf die neuere nordamerikanische Diskussion über die Bedeutung von Normen und Strukturen für die Rechtsgewinnung konzentriert, Gadamer und Habermas sind bisweilen von ferne zu sehen; er sucht und findet in dieser Diskussion vor allem Übereinstimmung in der strikten Ablehnung normativer Vorgaben, arbeitet die feinen Unterschiede aber klar heraus. Das vermittelt ein Bild hoher Übereinstimmung der dortigen Diskutanten hinsichtlich der gemeinsamen "pragmatischen" (bisweilen auch "pragmatistischen" oder "neopragmatistischen") Basis ihres Nachdenkens über das Recht. Diese Basis ist eine "antiessentialistische, gegen jede Grundlagentheorie gerichtete, (im strengen Sinn) antirationale, antimetaphysische und tief pragmatistische Sicht des Rechts".

Das ist, verglichen mit den zentraleuropäischen Varianten von Rechtstheorie und Methodenlehre, eine stupende Übereinstimmung der diskutierenden Wissenschaftler hinsichtlich der Art und Weise, das Recht und seine normativen Voraussetzungen wissenschaftlich zu betrachten. Wir hier irren bei diesem Geschäft über weite Felder, dort streitet man sich im überschaubaren Sandkasten. Wir diskutieren immer noch streitig, welche Variante des Verhältnisses von Gesetzesnorm und Richterspruch wann, wie und warum die richtige ist. Dort hingegen braucht man sich nur noch über Kleinigkeiten zu streiten (wenn auch heftig); die pragmatistische Theorie hat das Tableau der Standpunkte fast leergefegt.

Pragmatismus, wie er hier verstanden und exekutiert wird, verlangt von den Theoretikern radikale Entsagung und trockene Entschlossenheit; und das ist die zweite Hürde, die vermutlich nicht nur mich an einer Gefolgschaft hindert. Fish sieht uns in einer Welt, "die keine transzendenten Wahrheiten und keine wasserdichten Logiken besitzt (auch wenn diese in einem Raum existieren mögen, der uns verschlossen bleibt). Daher müssen wir zurechtkommen mit einem Koffer, gestopft voller Metaphern, Analogien, Daumenregeln, inspirierender Phrasen, Zaubersprüche (und windiger ,Gründe'), die den Dialog am Laufen halten und uns zu temporären, jederzeit revidierbaren Abschlüssen verhelfen." Das wäre, wenn es denn stimmt, eine Fundgrube für eine empirische Wissenschaft wie die Rechtssoziologie, die im Einzelnen beschreiben könnte, wie hier "am Laufen gehalten" und "zurechtgekommen" wird. Für eine normative Wissenschaft wie die Rechtsphilosophie aber, die nach Begründbarkeit und Vertretbarkeit fragt, ist das ein Hinauswurf; sie hat in dieser Welt nichts zu suchen.

Fish scheint das auch so zu sehen. Trotz aller wissenschaftlichen Nähe nimmt er seinen Kollegen Posner, Rorty und Dworkin deren Pragmatismus am Ende nicht ab, weil sie die pragmatistische Entsagung nicht weit genug treiben, weil sie "denken, sie hätten eine Empfehlung zu geben, einen Hinweis auf etwas, mit dem sich das Spiel verbessern ließe". Klar: Ein Spielverbesserer wäre in der radikalen pragmatistischen Sicht ein Spielverderber; Spielverbesserung wäre in dieser Art von Theorie des Rechts das Allerletzte, wäre das U-Boot, in dem sich der abtrünnige Wissenschaftler in eine metaphysische, essentialistische Traumwelt zurückschleichen könnte. So kann man förmlich sehen, wie Fish sich im letzten Satz dieses Essays, als Einziger dem frühen Schwur treu geblieben, von den Freunden verabschiedet und trotzig seinen Hut schwenkt: "Ich dagegen kann nur empfehlen, das Spiel unbeirrt weiterlaufen zu lassen, denn es braucht keine Empfehlungen von mir und wird durch nichts, was ich zu sagen habe, irgend besser."

Und nun?, wird bang der Leser fragen. Was hat ein Wissenschaftler auf der Basis einer solchen Einsicht noch zu tun, welche Türen stehen ihm offen? Er hat zwei Optionen: Er wechselt Grundlagen, Methoden und Perspektiven seines bisherigen Tuns und wird Rechtssoziologe oder Argumentationstheoretiker, der das weiterlaufende Spiel beobachtet und beschreibt; oder er macht eine Weltreise, um auf andere Gedanken zu kommen.

Unterdessen werde ich den Verdacht nicht los, für Fishs Pragmatismus nicht der richtige Rezensent zu sein. Für diesen Verdacht gibt es einen schwachen und einen starken Grund: Der Text führt einige Überlegungen auf, die sich in meiner Sicht nicht in das Gebäude fügen wollen, das Fish errichtet. So legt er etwa sein härenes antiessentielles Gewand unversehens ab und findet es "wunderbar", wenn das Recht "zugleich total rhetorisch und damit befasst (ist), seine Rhetorizität auszulöschen" (um im selben Zusammenhang "wunderbar" als "ein absichtlich nicht bewertendes Wort" auszugeben). Das verstehe, wer will. Ich ordne diese scheinbare Rücknahme pragmatistischen Eigensinns den Anstrengungen zu, welche das pragmatistische Philosophieren einfordert und welche kleine Fluchten verständlich machen und dann auch vergessen lassen.

Gewicht hat scheinbar der starke Grund: Es gibt rechtskulturelle Untiefen, über die ich nicht einfach hinwegkomme. Dazu einige Grundannahmen: Ich rechne damit, dass jegliche Art von Nachdenken über das Recht, auch jegliche philosophische Reflexion, unter dem Einfluss der Erfahrungen mit dem Recht steht, die der macht, der darüber nachdenkt. Ich nehme an, dass Rechtsgefühle und Erwartungen an das Recht in einer Common-law-Tradition andere sind als in einem kodifizierten System, was Vergleiche und Kritik gefährlich macht. Ich sehe aber auch, dass der Pragmatismus, der hier in Rede steht, nicht vorträgt, er habe gar keinen Gegenstand; er trägt vielmehr vor, dieser Gegenstand sei nicht, wie gemeinhin angenommen, durch allgemeine Regeln strukturiert, er sei vielmehr rhetorisch, chaotisch, gemauschelt. Ich behaupte, dass eine jegliche Wissenschaft sich in ein begründetes Verhältnis zu dem Gegenstand bringen muss, den zu haben sie vorträgt. Und ich schließe, dass diesem Pragmatismus sein Gegenstand gleichgültig ist. Nachdem er ihn als Gewurstel entlarvt hat, legt er ihn beiseite und wendet sich ab, statt auf der Basis dieser Erkenntnis weiter zu fragen, ob und wie das Gewurstel funktioniert.

Warum mich diese Differenz nicht von einer Rezension abgehalten hat: Die Differenz ist nicht rechtskulturell begründet, sie schneidet mir, der ich eine andere Sozialisation in Rechtsgewinnung und Rechtswissenschaft habe, das Urteil nicht ab. Die Differenz erklärt sich vielmehr aus einer wissenschaftlichen Konzeption, wie sie diesseits und jenseits des Atlantiks begründbar ist und vorkommt: aus der Konzeption von "Praxis", wie sie diese Form von Pragmatismus für richtig hält. Und über diese Konzeption lässt sich anständig streiten.

Die Misere, die Fish am Ende seinen Hut nehmen lässt, verdankt sich in meinen Augen seinem Anfang, nämlich einer Konzeption von Rechtspraxis, die diesem Gegenstand keine Chance der wissenschaftlichen Belehrung lässt. Vielleicht ist es Ironie, wenn ausgerechnet der radikale Pragmatist Fish die Praxis als wissenschaftlichen Gegenstand wie eine heiße Kartoffeln dann fallen lässt, wenn sie sich als Chaos und Rhetorik erweist. Dass er sich nicht daranmacht, weiter zu gehen und diese Rhetorik wissenschaftlich zu untersuchen, entspricht der souveränen Missachtung, mit der Praktiker des Rechts und Rechtspraxen hier angefasst werden. Fish bringt das, als Abschluss einer Gedankenreihe, glänzend auf den Punkt: "Praktiker . . . müssen sich mit Begründungen von außen nicht befassen (sie sind keine Philosophen oder Anthropologen), Praktiker holen sich ihre Begründungen, wo sie diese kriegen können."

Spitzer kann man nicht zustechen: Die Praxis ist regulativ chaotisch und normativ beliebig, und in ihr handeln Praktiker, wie es sich dort gehört. Die müssen nicht begreifen, was sie da machen; sie machen einfach irgendwie. Sie tauschen sich nicht mit anderen Professionen lernend aus, sondern stehen unter Beobachtung. "Begründungen von außen", die die Praktiker praktisch betreffen, theoretisch aber nichts angehen, werden - außer von Philosophen, klar - nicht etwa von Historikern oder Soziologen erwartet, sondern vom kalten Auge der Anthropologen. Das ist eine Hinrichtung nicht nur der Praxis, sondern auch der Praktiker. Es ist vor allem aber das vorzeitige Ende der Chance, über die Rechtspraxis von Rechtspraktikern wissenschaftlich zu lernen.

Es ist sicher keine Ironie, wenn sich neue wissenschaftliche Fragestellungen bei uns ausgerechnet unter dem Thema "Theorie der Praxis" oder dem Gegensatz von juristischer Methodenlehre und richterlicher Pragmatik versammeln, wenn die Argumentationstheorien, auch auf empirischer Basis arbeitend, vorankommen oder die rhetorischen Schulen des Rechts neu formuliert und belebt werden. Es ist ganz einfach der Schritt der Rechtswissenschaft und benachbarter Wissenschaften in eine Umgebung, die Belehrung verspricht. Und es ist die seit langem starke Tendenz, die wissenschaftlichen Fragestellungen auch dem gelehrten Praktiker zu öffnen, um mit ihm zu streiten und von ihm zu lernen. Dabei entdeckt man beispielsweise den schier unerschöpflichen und inhaltlich immer beweglichen regulativen Reichtum der fachbezogenen Dogmatiken, die Felder der "informellen Programme", die die Praxis fein und wirksam steuern, ohne Regel, Regelverletzung und Sanktion zu formalisieren. Oder man entdeckt den Einfluss von rechtlichen Verfahren auf die Substanz rechtlicher Regulierung, die Strukturen und Konsequenzen der Einrichtung von Einzeldezernaten oder Richtergremien oder auch die substantiellen Folgen von Instanzenzügen.

Währenddessen prognostiziert Stanley Fish ein Verschwinden der Theorie und sagt voraus, jede Ankündigung einer weiteren neuen Untersuchung über die kritische Methode werde künftig als Drohung aufgenommen werden. "Die Tage der Theorie sind gezählt, die Zeit ist vorgerückt, und das Einzige, was einem Theoretiker noch bleibt, ist, das auch zu sagen, wie ich es hier gesagt habe, und das, wie ich glaube, keinen Moment zu früh." - Die Tage der pragmatistischen Theorie über das Recht sind nicht erst jetzt, sie waren von Anfang an gezählt. Dieser Vogel hat sich nie in die Lüfte erhoben, er hat sich nicht auf Entdeckungsreise in die Gefilde des Rechts begeben. Er hatte schon immer alles gewusst, was er wissen wollte.

WINFRIED HASSEMER

Stanley Fish: "Das Recht möchte formal sein". Essays.

Herausgegeben und eingeleitet von Heinz Bude und Michael Dellwing. Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder. Suhrkamp, Berlin 2011. 279 S., geb., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieses Buch hat ihn weder weiter- noch durcheinandergebracht, schreibt der ehemalige Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer zu Beginn seiner Kritik, um dann - nach dieser Eingangsbemerkung im Grunde unverständlicherweise - zu raumgreifenden und reichlich gockelhaften Erwägungen zu Fishs Buch anzusetzen. Insgesamt scheint es um das Paradox zu gehen, dass es eigentlich keine Theorie der Rechtspragmatik geben kann, da Pragmatik gerade der Verzicht auf Theorie ist. Bleiben Chaos und Rhetorik, ein Eindruck von Justiz, den jeder Laie wohl teilen wird. Hassemer, so scheint es, will es aber dabei nicht bewenden lassen und versucht in seinem Text eine weitere Volte der Erkenntnis hinzuzufügen, dem es dazu allerdings an Anmut fehlt.

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»Er ist streng auf die neuere nordamerikanische Diskussion über die Bedeutung von Normen und Strukturen für die Rechtsgewinnung konzentriert.« Winfried Hassemer Frankfurter Allgemeine Zeitung 20120220