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Novellistische Geschichten über die Liebe: von Hingabe und Gewalt, Anziehung und tödlichem Haß. Über Menschen, die zuviel umsonst gelächelt haben, und solche, denen die Worte ausgegangen sind. Ein meisterliches Buch über den Stand der Gefühle, in dem wie bei einem Kaleidoskop die Geschichten zusammenlaufen, um bei der kleinsten Drehung ihre Fassung zu verlieren und sich wieder neu zu ordnen.
Er schreibt ihr einen verliebten Brief, doch als sie sich bei ihm - ein wenig skeptisch - bedanken will, schränkt er erschrocken seine Worte wieder ein. Er hat kein Vertrauen in die eigene Rede. Ein
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Produktbeschreibung
Novellistische Geschichten über die Liebe: von Hingabe und Gewalt, Anziehung und tödlichem Haß. Über Menschen, die zuviel umsonst gelächelt haben, und solche, denen die Worte ausgegangen sind. Ein meisterliches Buch über den Stand der Gefühle, in dem wie bei einem Kaleidoskop die Geschichten zusammenlaufen, um bei der kleinsten Drehung ihre Fassung zu verlieren und sich wieder neu zu ordnen.

Er schreibt ihr einen verliebten Brief, doch als sie sich bei ihm - ein wenig skeptisch - bedanken will, schränkt er erschrocken seine Worte wieder ein. Er hat kein Vertrauen in die eigene Rede. Ein Paar, das zueinander nicht finden kann: Ferenc Schmitt, der junge Mann am Konferenztisch, verheiratet, und Jenny, seine kluge Kollegin, die ihm bei den Besprechungen so aufregend gegenüber sitzt. Dabei ermuntert sie ihn durchaus, und er hat Großes mit ihr vor...Spöttisch wendet sich die Begehrte von ihm ab: "Sie gehen sehr eitel mit Ihrer Unsicherheit um, Ferenc. Sie nennen es ins Unreine gesprochen. Glauben Sie, dass Sie in Ihrem Leben Zeit genug haben, all das noch einmal in Reinform zu bringen?"
"Ein Paar, unter vielen anderen im neuen Prosaband von Botho Strauß. Das Buch enthält Geschichten, Prosaskizzen und einen Gedichtdialog, und immer wieder sind es die hilflosen Versuche von Mann und Frau, einander und sich selbst zu finden, die den roten Faden bilden." Volker Hage in "Der Spiegel"
Autorenporträt
Botho Strauß wurde am 2. Dezember 1944 in Naumburg/Saale als Sohn eines Lebensmittelberaters geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Remscheid und Bad Ems studierte er 5 Semester Germanistik, Theatergeschichte und Soziologie in Köln und München. 1967-1970 Redakteur und Kritiker der Zeitschrift "Theater heute". 1970-1975 dramaturgischer Mitarbeiter an der Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin. Botho Strauß ist Mitglied des PEN-Zentrums und lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Sein schriftstellerisches Werk wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet; 1987 wurde ihm der Jean-Paul-Preis und 1989 der Georg-Büchner-Preis verliehen. Seine Theaterstücke gehören zu den meistgespielten an deutschen Bühnen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.04.2000

Sympathie für Sonderfälle
Hochdifferenzierte Prosa: „Das Partikular” von Botho Strauß
Vielleicht wirkt der Titel dieser neuen, fesselnden Botho-Strauß-Veröffentlichung – „Das Partikular” – ein bisschen abweisend. Angestrengt hochmütig und überdies undeutlich. Doch was damit gemeint ist, verrät ein novellenartiger Text, der als drittes umfänglicheres Hauptstück Seite 66 beginnt. Er trägt jenen ominösen Titel und erläutert ihn folgendermaßen: „Gesehen aber, wahrhaftig gesehen werde ich nur durch Sein Partikular. Das Partikular, durch das der Ewige uns sucht, erfasst uns ohne zeitliches Brimborium, ohne geschichtliche Ergänzung und Verfälschung. Erkennt jeden in seiner göttlichen Vereinzelung.
Diese Sätze mit ihrem archaischen, sehr anti-dialektischen Pathos sind glücklicherweise weit komplizierter, weit weniger brillant auch, als das neue Strauß-Buch, dessen Titel sie entfalten. Immerhin handeln sie andeutungsweise davon, wie etwas gesehen, erfasst, in seiner bestimmten, bestimmenden Einzelheit erkannt werden könne. Die Fähigkeit aber, emphatisch hinzuschauen, unerschöpflich produktiv zu sein im genialisch genauen Fixieren menschlichen Verhaltens, Versagens, aber auch Liebens und Begehrens – diese Kunst demonstriert Botho Strauß hier manchmal berückend.
Da ist er also wieder: der süchtig-machende Botho-Strauß-Sound. Vor gut sieben Jahren hat dieser Schriftsteller die deutschen Intellektuellen mit seinem „Anschwellenden Bocksgesang” nachhaltig zu verstören, zu ärgern vermocht. Und auch seine poetischen Veröffentlichungen (etwa: „Der Kongress”) riefen recht gemischte Gefühle hervor. Nun aber schreibt er bemerkenswert entspannt und triftig zugleich. Seine Neugier aufs Besondere, Schmerzliche, seine Sympathie mit Verlorenen und Verstörten hat mittlerweile etwas ungemein Humanes. Und doch fast nie Banales.
Der „Partikular”-Text beginnt mit Skizzen, Kurz-Szenen: „Sie wieder”. Was Strauß da bietet, ist Kunst-Prosa, wie sie gegenwärtig in Deutschland wohl doch niemand außer ihm zu schreiben vermag. Als Beobachtender und Differenzierender steckt er seine literarischen Zeitgenossen in die Tasche.
Diesen 40 Seiten folgt ein längeres, dialogisch-lyrisches Gedicht. „Hüte-die-Fährte”. Seines Autors gewiss nicht unwürdig, aber doch weit schwächer als die Prosa. Nämlich zu direkt, fast kitschnah, angestrengt bedeutungsvoll . . .
Darauf folgt die Titel-Novelle, folgen mannigfache Prosa-Stücke, in denen, wie so oft bei Strauß, sich Novellistisches mischt mit Essayistischem, Legendenhaftem, auch Komödien-Ähnlichem.
Aber warum – denkt jetzt gewiss mancher skeptischer Leser – soll ich mich eigentlich für solche Prosa-Feinsinnigkeiten interessieren . . . Die Antwort darauf fällt mir leicht: weil man bei Strauß einiges über Menschen sowie ihr Verhalten in Sprachkunst übersetzt findet, was dabei helfen kann, des Lebens Rätsel zu bemerken, ja vielleicht sogar zu durchschauen. Denn Strauß besitzt die Gabe, wunderbar genau hinzublicken – und auch Apokryphes, Irres, Abwegiges so zu beschreiben, dass der Sonderfall sich wandelt zum Menschlich-Besonderen.
Wie macht er das?
Da scheint sich an der Uferböschung zu einer Schnellstraße in dunkler Nacht eine Frau das Leben nehmen zu wollen. Eine andere, „Beifahrerin eines missmutigen Mannes”, braust vorbei. Neidvoll. Sie denkt: „Diese da, mitten in der Nacht über dem langsamen Fluss, hatte es geschafft, hatte es über sich gebracht. Sie selbst war Beifahrerin geblieben und ließ diese haarsträubenden Vorhaltungen, diese widerwärtige Rechthaberei über sich ergehen, wobei sie mit tränen-sattem Blick aus dem Fenster schaute, sich abwandte, lediglich abwandte, sie hörte noch zu, was blieb ihr anderes übrig, aber sie erblickte in schneller Fahrt . . . die vom Mond Begünstigte, allein, mit nacktem Hals, die das einzig Richtige getan hatte” . . .
Wie sind hier die Worte gesetzt, gesteigert – „hatte es geschafft, hatte es über sich gebracht”. Und welche Sympathie mit dem Lebendigen vibriert in einer so knappen, nicht völlig enträtselbaren Mini-Szene.
Im Rausch des Genau-Seins formuliert Strauß manchmal über-virtuos. Doch wenn er differenziert: „Eine gewisse Halsstarrigkeit ließ ihn unbeugsam erscheinen”, dann trifft er, wie nebenher, doch etwas Triftiges. Er versteht es, aus winzigen Beobachtungs-Funken novellistische Feuer-Szenen herauszuholen. Komisch und grässlich wirkt etwa sein pfiffiger, keineswegs lebensfremder Gegenentwurf zu Thomas Manns Prosastück „Anekdote”. Bei Thomas Mann schwärmt ein Städtchen von der entzückend charmanten Angela Becker, die in glänzenden Abendgesellschaften alle Welt bezaubert. Da die Gattin immerfort bewundert wird, bricht es denn doch einmal aus dem totenbleichen Direktor Becker heraus. Er beschreibt seine Ehe: „Diese Frau . . . wie falsch, verlogen und tierisch grausam sie sei. Wie liebeleer und tierisch verödet. ”
Dem Mann’schen Modell ist Botho Strauß gewachsen. Er dreht die Sache nur um: Wie glänzt der Ehemann, was für eine fabelhafte Figur macht er in Gesellschaft. Aber zu Hause? „Wieviel Sichgehenlassen, wieviel Dummheit, Gefühlsrohheit, Form- und Achtlosigkeit herrschten zu Hause und reizten sie dann zu übellaunigen oder abschätzigen Bemerkungen, weil sie eben zu Hause waren, was leider nie besonders inspirierend auf ihn wirkte . . . Er hasste es auszugehen, obwohl er draußen vor den Leuten zu großer Form fand und sie endlich einmal ihren Mann eine gute Figur abgeben sah. Jedoch um so furchtbarer kehrte er heim, warf die gute Figur sogleich in die Ecke und erging sich in abscheulichen Verwünschungen, über sich selbst . . .” (Der Blender des Botho Strauß ist also nicht einmal ein Überzeugungstäter, wie Thomas Manns Gesellschafts-Dame es doch war).
Wenn Dramatiker Novellen-Ähnliches schreiben, dann schlägt die Kraft, aber auch die Direktheit des Szenischen durch: Bei Strauß stehen sich manchmal Feinsinniges, „Pretiöses” und Effekthascherisches krass gegenüber. Diese Gefahr wird umso größer, je länger die Erzählstücke ausfallen. Eine Geliebte, die den mittlerweile verachteten Liebhaber um ihres jetzigen stärkeren Freundes willen anschreit: „Ich habe dich nur an mich heran gelassen, damit du lernst, dich vor ihm zu fürchten” – so eine Dame wirkt auf den Bühnenbrettern wahrscheinlicher als auf Buchseiten.
Viele ehemalige Botho-Strauß-Leser, die dem Autor wegen seines elitären Bocksgesangs und seiner antimodernen Haltung auch gegen das Fernsehen („So ein Medium ist durch und durch vom Unterhaltungsauftrag schon erfüllt. Es ist immer heiter, denn ihm ist alles gleich”) gram sein mögen – dürften misstrauisch fragen, ob Strauß denn seine reaktionären Sticheleien („Seltsam, wie man sich ,links‘ nennen kann, da links von alters her als Synonym für das Fehlgehende gilt”) auch hier fortsetze . . .
Antwort: kaum mehr. Eher liegt der Schatten des Todes über dieser Prosa – Polemik erscheint zurückgedrängt. Gewiss, da kommen seltsam bizarre Sachen vor: Jemand liest von vielfältigen Judenmisshandlungen und wird dabei, schlimme Nachricht für schlimme Nachricht, immer kleiner (Seite 110). Widerlich, aber enorm faszinierend wirkt eine zugleich archaische und hochtechnologische Simulations-Novelle. Sie scheint von Edgar Allan Poe angeregt. Ein Kinderfeind, der eine „Kathedrale” besitzt, und dort Unfälle technologisch zu simulieren vermag. Ein Vater, der seinen Sohn entsetzlicherweise zurückschickt ins Reich dieses Schrecklichen – und dem Kind dann als Opfer ein Hinrichtungs-Szene begegnet. Fasziniert-Sein vom Bösen sowie Angst davor begegnen sich hier, wie in manchen grausam-skurrilen Visionen, die Botho Strauß noch in seinem Roman „Der junge Mann” 1984 beklemmend und ekstatisch, freilich auch gefährlich distanzlos, bot . . .
Mittlerweile aber schreibt der 56-Jährige ein wenig gelassener, gegen Schluss hin und wieder auch nachlässiger.
Etwa: ein eleganter, gepflegt-eitler, gern sich reden hörender Professor und ein armer, junger, radikaler Kollege („stark gelichtetes Kopfhaar, fettige Haut, verbeulter Pullover mit verschwitztem T-Shirt darunter”) begegnen sich. Konflikt: der Ältere denkt kaum mehr – der Jüngere wirkt kaum vertrauenswürdig. Überraschende Lösung: Eine magische Verschmelzung der beiden.
Erstaunlich. Wie so oft bei Strauß mit übergroßen Begriffen geschmückt. Auf den SI (den „sphärischen Instinkt”) käme es an.
Aber solche Formulier-Zuspitzungen sind nicht die Essenz, sondern nur Ernst-Jünger-hafte Begleit-Erscheinung. Und die allerletzte Novelle läuft auf eine regelrechte Komödien-Pointe zu. Zu deren Genuss es freilich keineswegs schadet, mit Samuel Becketts „Glücklichen Tagen” vertraut zu sein.
JOACHIM KAISER
Botho Strauß
Fotografie: Stefan Moses
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2000

Der Danebengeher
Botho Strauß erreicht sein Alter · Von Thomas Steinfeld

Wer dieses Buch aufschlägt, der schaut auf leere Klappen, eine vorne, eine hinten. Kein freundlicher Text, der dem Leser ein kluges, unterhaltsames oder belehrendes Werk verspricht, keine kurze Biographie, die einem den Autor auch menschlich näherbringen könnte. Klassiker pflegen in solch schriftlosen Buchumschlägen daherzukommen. Und jetzt Botho Strauß. Noch bevor der Leser den ersten Satz erreichen kann, hat er eine Botschaft mit auf den Weg bekommen. Sie lautet: Du wirst es nicht leicht mit mir haben.

Und dabei hätte doch alles so leicht sein können. Von der Liebe und vom Altern handelt "Das Partikular", das neue Buch von Botho Strauß, von den besten und beliebtesten Themen der Literatur also, von Motiven, an denen sich Generationen von Schriftstellern satt gegessen haben: weil die Liebe die Religion der Herzen ist und ihr allfälliges Scheitern den Glauben nicht zerstört, sondern beflügelt. Weil das Altern, der lange Marsch in die finale Katastrophe, im Erzählt-Werden seine Bosheit verliert und ein stilles Einverständnis mit der Welt zurücklässt. Dahinein, in die Mitte der Literatur, will Botho Strauß, mit aller Kraft und großer Beredsamkeit. Was ihm dazwischengerät, ist die Ignoranz, die Dummheit des modernen Alltags - und vielleicht auch seine Niedertracht, aber zu solcher Größe pflegt sich der Alltag nicht aufzuschwingen.

Für diese schrille Dissonanz hat Botho Strauß spätestens seit Mitte der achtziger Jahre eine Form gefunden: das nervöse, bisweile ins Traumhafte spielende Oszillieren zwischen den alten Erzählungen und dem neuen Leben, einem Leben, das sich nicht erzählen lässt. In dieser Dissonanz verzehren sich auch die Stücke des neuen Buches: ein langes Poem zu Motiven aus einer keltischen Überlieferung, eine Sammlung von Skizzen und kleinen Geschichten, sowie zwei Erzählungen, die ersten, die Botho Strauß seit dem Band "Kongreß. Die Kette der Demütigungen" (1989) veröffentlicht. Im Grunde erzählen all diese Stücke dieselbe Geschichte des halb gewollten, halb unwillentlich begangenen Verrats, des falschen Zungenschlags und der missratenen Geste. Und doch tut sich vor dem Leser, vor allem im letzten Teil des Buches, der über hundert Seiten langen Sammlung von Skizzen unter dem Titel "Dem Gott der Nichtigkeiten", ein Pandämonium der landläufigen Gemeinheiten auf, wie es gegenwärtig kein anderer Schriftsteller deutscher Sprache zu beschreiben, geschweige denn zu denken in der Lage wäre.

"Das Partikular" heißt dieses Buch, und es trägt diesen Titel aus gutem Grund: Es ist ganz der Kunst der Unterscheidung verschrieben. Wie weit haben die Manschetten eines gut gekleideten Herrn unter dem Ärmel seines Sakkos hervorzustehen? Wie tief reicht das Berufsgewissen einer jungen Verkäuferin in einem ostdeutschen Warenhaus? Wie muss das Wort "also" ausgesprochen werden, um ein Maximum von Misstrauen zu wecken? Botho Strauß kennt die Details und weiß sie zu beschreiben. Er ist der Herr der Kleinigkeiten. Auf dem Umschlag des Buches, zwischen dem Namen des Autors und dem Titel, prangt das "Auge Gottes" - das Werk, wie Botho Strauß in einem der letzten Skizzen bemerkt, in dem der Maler und Illustrator Wols im Jahr 1948 "den endgültigen Tumult der Dinge" heraufbeschwor. Der Umschlag verhängt das Urteil, das der Schriftsteller im Text nicht ausspricht: Dass sich unsere Welt nicht mehr erzählen lässt, gilt ihm als der äußerste Beweis ihrer Verlorenheit.

Das allein wäre noch keine Katastrophe. Denn es gibt Ironie und Zynismus genug, um sich im Wissen um den schlechten Zustand der Welt wohnlich einzurichten. Und schließlich weiß selbst Botho Strauß diesem Leben noch Geschichten abzuringen, und heute offensichtlich mehr als in den vergangenen Jahren: Wie ein Mann eine ganze Gesellschaft beeindruckt und zu Hause zu einem Haufen Elend schrumpft, wie eine Frau ihren Gatten, einen Vergewaltiger, verteidigt, wie eine andere einen Mann verführt, um einen dritten zu erobern, wie ein liebender Vater einen Kinderhasser trifft und seinen Sohn im Stich lässt - und dann dieser ihn. Das ganze Buch besteht aus solchen Geschichten.

Warum aber schreibt Botho Strauß solche Stücke, wenn er doch nicht einmal aus dem Haus gehen muss, um einer Welt von Zumutungen zu begegnen? "Man muss die feinsten Ausfransungen der Beiläufigkeit beachten sowie die Frage der tieferen Zerstreutheit jedes Menschen, jedes seine Existenz empfindenden Wesens", erklärt er in in einem überraschend programmatischen Stück aus "Der Gott der Nichtigkeiten". Das heißt: Botho Strauß ist ein Liebender, oder besser: einer, der lieben möchte und der um dieses Wunsches willen zu einem Fachmann für das "universelle Danebengehen" geworden ist.

Denn in jenem Wunsch verbirgt sich ein Verhängnis. Es besteht darin, dass die Liebe zwar unendlich viele Bücher beseelt, im Grunde aber gar kein literarischer Gegenstand ist. Liebe gebiert Sprachnot, und wollte einer das geliebte Wesen beschreiben wollen, so zerfiele es ihm unter den Händen: in einen Hals, in eine Stirn, eine Brust, eine holde Stimme - und jede Nennung einer Einzelheit belegt, wie sicher und planvoll das Ganze verfehlt worden ist. Nie stellt sich einem in der Fülle der Details die Person vor Augen, vor der man doch so betört worden ist. Und immer sieht das Gewünschte am Ende aus, als habe man, um es mit einem Vergleich von Botho Strauß zu sagen, den Inhalt eines vollen Rucksacks auf den Boden gekippt.

Das "Partikular" ist ein logisches Verhängnis von so grundsätzlicher Art, dass es jeden noch so verrotteten Weltzustand bei weitem transzendiert. Daran arbeitet Botho Strauß sich ab: Im Grunde kämpft er darum, Zufall in Schicksal zu verwandeln. Und weil er weiß, dass aus diesem Vorsatz nichts werden kann, versucht er die Grenze des gewissen, des notwendigen Scheiterns so weit wie möglich hinauszuschieben. Aus diesem Grund macht er sich schwer, so schwer, wie es irgend geht. Aus diesem Grund hängt er sich Bleigewichte um, verschweigt die Legende zu seinem Umschlagbild, repliziert auf keltische Legenden, auf Edgar Allan Poe und Thomas Mann, auf E.T.A. Hoffmann und den Maler Wols.

Das Traurige, das Schöne und das literarisch so Fruchtbare aber besteht darin, dass Botho Strauß das alles von vornherein mitgedacht zu haben scheint. Man hat ihn für einen Gedankenfeind gehalten, für einen, der weit hinter die Aufklärung, in mythische Verhältnisse zurück will. Welch ein Irrtum: "Sehen Sie, ich bin die Moral einer versunkenen, nie gewesenen Welt, die dennoch als ein fernes Meeresleuchten, ein Horizontglühen, ein wenig Licht in die Finsternis wirft", legt er einer "Frau mit widerspenstigen Ansichten" in den Mund. "Ihr aber seid die Moral der sinnlos Überlebenden. Wesen, die den Menschen überlebten und sich nun auf der Flucht befinden." Das "ferne Meeresleuchten", das hier aufgerufen wird, kann kein Bekenntnis zur Unvernunft sein - dazu weiß der Autor offenkundig viel zu viel von der praktischen Not des Weiterlebens. Es ist der Widerstand gegen diese Not selbst. Anders gesagt: Hier will einer die Gegenwart umarmen.

Botho Strauß, der vor zwanzig Jahren in "Paare, Passanten" dem jungen, aufstrebenden Berlin ein Denkmal von bösem Scharfsinn errichtet hat, ist heute ein Mann von sechsundfünfzig Jahren. Man wird "Partikular" nicht für ein autobiographisches Werk halten, und doch hat das Leben seines Autors tiefe Spuren durch dieses Buch gezogen. Man erkennt sie im Alter seiner Figuren, an ihren Tätigkeiten, an ihrer Müdigkeit und auch an ihrer Milde. Dieser Autor hat immer schon, auch in seinen Theaterstücken, in Szenen, in scheinbar disparaten Stücken erzählt - ein treffendes Abbild von sinnlos zerschlagenem Leben, wie man meinte. Diese Deutung ist heute, mit dem "Partikular", zu ergänzen. Der Widerstand gegen die Unterhaltung speist sich in dieser Prosa, dem ersten Alterswerk dieses Autors, aus der Furcht vor einem Verlust an Lebenszeit. Sich dem Strom einer Erzählung anvertrauen, sich einem fremden, dazu noch erfundenen Schicksal hingeben, das kann, so Botho Strauß, nicht die Aufgabe von Literatur sein. Sie hat stattdessen das Bewusstsein des Augenblicks zu retten.

Um dieses Vorsatzes willen schreibt er in Skizzen, die zuweilen an das Spiel erinnern, von einer Figur nur den Kopf und den Halsansatz zu zeichen, das Blatt zu knicken und einem anderen zu geben, der dann vom Halsansatz bis zur Bauchmitte weitermalt. Um dieses Vorsatzes willen lässt Botho Strauß in den Traumsequenzen den literarischen Surrealismus in neuer Gestalt wiederkehren. Auch dies ein Versuch, der Wirklichkeit mit ganzer Kraft in die Arme zu laufen. Und natürlich gerät der Autor dabei ins Stolpern und fällt und fällt, bis er am Ende seine Welt wie in einem Erdrutsch mit sich reißt. Das ist traurig und schön, komisch und wahr zugleich.

Man hat Botho Strauß oft den erlesenen, den hohen Ton vorgeworfen, die substantivierten Adjektive, die Überblendung banaler Situationen mit längst verblichenen Pathosformeln. Man war es nicht gewohnt, zu Kabarettszenen eine Tonspur zu hören, die alles Augenzwinkern und alle einverständige Ironie verweigerte. Über dem hohen Ton aber wurden die vielen flapsigen, unscheinbaren Worte und Wendungen dieser Prosa gern überhört, die Mimikry mit dem Sprachschutt, dem Gerede. Botho Strauss muss so labyrinthisch, so fragmentarisch und so sehr auf Umwegen erzählen, weil er so direkt ins Zentrum strebt: dahin, wo es mitten im Beiläufigen um Glück und Unglück, Gelingen und Misslingen eines ganzen Lebens geht.

Altmodisch ist Botho Strauß geworden, so altmodisch, dass man seine helle Freude an ihm haben möchte. Aber so einfach geht es nicht mit diesem Schriftsteller. Du wirst es nicht leicht mit mir haben, hatte der leere Umschlag dieses Buches dem Leser von vornherein bedeutet. Die Prophezeiung ist eingetroffen. Und doch ist dieses Buch ein einziger, großer Gewinn an Lebenszeit.

Botho Strauß: "Das Partikular". Carl Hanser Verlag, München und Wien 2000. 220 S., geb., 34,- DM.

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"Das Dilemma, dem Strauß immer aufs Neue nachspürt, ist die Frage, wie nah man einander kommen kann, ohne sich aus dem Auge zu verlieren." Ulrich Greiner in der 'Zeit'