Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 27,35 €
  • Gebundenes Buch

In sieben symmetrisch angeordneten Kapiteln reflektiert Dubravka Ugresic, die nicht mehr in Kroatien lebt, ihren Aufenthalt in Berlin und München, erinnert sich an ihre eigene Kindheit und Jugend, erzählt von der trinkfesten, eß- und kochsüchtigen, männerverschlingenden Weltenbummlerin Christa und schildert sehr poetisch und melancholisch die hastige Liebesaffäre mit dem viel zu jungen bildschönen Antonio in Lissabon.

Produktbeschreibung
In sieben symmetrisch angeordneten Kapiteln reflektiert Dubravka Ugresic, die nicht mehr in Kroatien lebt, ihren Aufenthalt in Berlin und München, erinnert sich an ihre eigene Kindheit und Jugend, erzählt von der trinkfesten, eß- und kochsüchtigen, männerverschlingenden Weltenbummlerin Christa und schildert sehr poetisch und melancholisch die hastige Liebesaffäre mit dem viel zu jungen bildschönen Antonio in Lissabon.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.1998

Welt im Viereck
Jugoslawien an der Spree: Ein Exilroman von Dubravka Ugresic

"Es gibt zwei Sorten Flüchtlinge: solche mit Fotos und solche ohne Fotos", zitiert Dubravka Ugresic einen bosnischen Flüchtling, und sie erzählt eine Anekdote über den Kriegsverbrecher Ratko Mladic bei der Beschießung Sarajevos: Als dieser zufällig das Haus eines früheren Bekannten im Fadenkreuz seines Granatwerfers erblickte, soll er ihm telefonisch mitgeteilt haben, daß er ihm fünf Minuten Zeit gebe, um seine Familienalben einzupacken. Ugresic schließt daraus, daß der zynische General sich über sein Ziel genau im klaren war: die Zerstörung der Erinnerung.

Dubravka Ugresic wurde 1949 in Zagreb geboren und lebt heute in Amsterdam. Als scharfe Kritikerin der Politik des autoritär-nationalistischen Tudjman-Regimes und seiner "Kultur der Lüge" wurde sie von den kroatischen Medien 1992 zur Unperson erklärt, woraufhin sie für einige Jahre in Berlin lebte. Zum Ausgangspunkt für ihren zwischen 1991 und 1995 entstandenen autobiographischen Roman nimmt sie eine Reflexion über das Medium Fotografie: "Das Foto reduziert die unendliche und unbeherrschbare Welt auf ein Viereck . . . Das Foto ist auch Erinnerung. Das Gedächtnis reduziert die Welt auf Vierecke. Das Ordnen der Vierecke in einem Album ist Autobiographie." Jahrelang hat die Mutter Ugresics alle ihre Fotos unsortiert in einer alten schweinsledernen Handtasche aufbewahrt. Erst nach dem Tod ihres Mannes kaufte sie Fotoalben. Die wechselnden Anordnungen der Bilder darin begreift die Autorin als Metapher für den unabschließbaren Prozeß der Rekonstruktion einer Lebensgeschichte.

Ugresic zitiert Susan Sontag, die in jeder Fotografie ein memento mori erblickt, und ist fasziniert vom allgegenwärtigen stummen Gedächtnis der Dinge. Das 1994 mit dem Abzug der sowjetischen Soldaten geschlossene "Museum der bedingungslosen Kapitulation" in Karlshorst erscheint ihr ebenso wie die Berliner Flohmärkte als Ansammlung in die Gegenwart hineinragender, funktionsloser Überreste der Vergangenheit. Die Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien seien lebendige Museumsstücke, sagt ihr Freund Zoran. Ugresic erzählt von jenen, die, durch den Verlust ihrer Heimat aus allen praktischen Bezügen freigesetzt, nur noch ihren eigenen Anachronismus bezeugen wie die alte Frau aus Brcko, die auf Berliner Märkten Selbstgehäkeltes feilbietet, tatsächlich aber "ihre Leute" treffen will. "Kunst ist der Versuch, die Ganzheit der Welt zu verteidigen, die geheime Verbundenheit aller Dinge." Ugresic unternimmt diesen Versuch, indem sie die Zerrissenheit ihrer Existenz zum Formprinzip der Literatur erhebt. Im Prolog erzählt sie die Geschichte des See-Elefanten Roland, dessen nach seinem Tod geborgener Mageninhalt in einer Vitrine im Zoologischen Garten zu bewundern ist. Vom Feuerzeug über den Spielzeugfallschirm bis zum Autoschlüssel reicht die Liste der gefundenen Gegenstände. Die Zusammenhänge, die der Betrachter zwischen den zufälligen Einzelteilen dieses Archivs des Alltags herstellt, sind von gleicher Art wie die Verbindungen zwischen den Kapiteln ihres Romans, der sich einem flüchtigen Blick nur als heterogene Ansammlung tagebuchartiger Aufzeichnungen, unkommentierter Lektüreexzerpte und autobiographischer Kurzgeschichten zu erkennen gibt. Wie um die Berechtigung ihres fragmentarischen Zugriffs auf die Wirklichkeit nachzuweisen, führt sie zahlreiche Gewährsmänner an: Ihr Freund Milos aus Amsterdam zeichnet Episoden seines Lebens auf Streichholzschachteln und steckt sie in einen großen Sack; Ilja Kabakows multimediales "Müllsammler"-Projekt erstellt aus Abfällen die "totale Autobiographie" eines Durchschnittslebens. Diese schwächeren essayistischen Passagen, die oft in den Seminarstil einer Poetikvorlesung fallen, lassen sich als Versuch verstehen, wenigstens in einer imaginären Künstlergemeinschaft Zuflucht zu finden: Komposition aus Kompost, so könnte man salopp ihr Unternehmen taufen.

Ugresic ergänzt das Tagebuch ihrer Mutter von 1989, das schon die ersten Anzeichen des kommenden Unheils registriert, durch die dichterische Rekonstruktion ihrer Lebensgeschichte, erinnert sich an die ungeliebte bulgarische Großmutter und fügt short stories über ihre Amerika-Erfahrungen ein. In der "Nacht von Lissabon" erzählt sie in ungeschützt-autobiographischer Weise von der Affäre mit einem jungen Portugiesen, ohne dabei über das Altern zu schweigen. Das umfangreiche Kapitel "Das Gruppenfoto" bildet neben der Biographie der Mutter das zweite Gravitationszentrum des Romans. Das überbelichtete Souvenir von einem Abend im Kreise ihrer Vorkriegsfreundinnen nimmt sie als Projektionsfläche der Imagination, um darauf den Zerfall zwischenmenschlicher Beziehungen in Zeiten des Krieges abzubilden. Zusammengehalten wird alles durch ein unterirdisches System von Leitmotiven und Wiederholungen, die überraschende Verbindungen zwischen weit entfernten Punkten stiften, wie die Rohre, die Berlin durchziehen "wie gigantische Lianen".

Als Ugresics Mutter 1946 aus Bulgarien in das zerstörte Jugoslawien fährt, trägt sie einen Koffer mit Äpfeln bei sich. Ein Mann im Zug schält ihr einen Apfel. "In der Schale, die sich lautlos vom Apfel trennt und wie eine Schlange um die Finger des Fremden windet, ehe sie zur Rose wird, liegt vielleicht ihr ganzes Leben. Alle Details, möglicherweise sogar eine kleine ikonographische Ankündigung des chirurgischen Schnittes in ihre Brust, der 43 Jahre später erfolgen sollte." Der tiefere Zusammenhang des Lebens enthüllt sich nur dem ästhetischen Blick, der - im doppelten Sinne des Wortes - Motive erkennt. So unterbrechen auch die eingeschobenen Beobachtungen des Berliner Alltags den Rückblick nicht, sondern machen die Gegenwart auf die Vergangenheit hin durchsichtig. Ugresics Postbote sammelt Marken aus Südosteuropa. Sein Album, dessen Ordnung Einheit fingiert, ist ein Parallelunternehmen zu Ugresics "Museum".

Wenn sie von "Landsleuten" spricht, dann meint sie damit auch Zoran aus Belgrad und Goran aus Skopje, deren Heimatland nur auf einer alten Touristenkarte zu finden ist, wo Reiseziele wie Dubrovnik oder "Mostar und die bekannte Brücke" nebeneinanderstehen. Wo immer sie ist, trifft sie nur Heimatlose und Flüchtlinge. Dabei wird Berlin zum Brennpunkt ihrer Poetik des Exils, die sie an der Lektüre Nabokovs und Brodskys schärft. Die wiedervereinigte Stadt findet Ugresic nur von Einsamen bewohnt, ihre Schaufensterauslagen erinnern sie an die schreckenerregenden Installationen einer Rebecca Horn. Berlin ist auch eine Hauptstadt der Heimatlosigkeit. Ugresic wird "gejagt von zwei Albträumen, auf die ich die Fäden meines Lebens wickle wie auf große Spulen. Der eine heißt Heimat, die ich nicht mehr habe, und der andere Mauer, die in meinem verlorenen Vaterland in die Höhe wächst." Berlin liegt in Wahrheit an der Adria. RICHARD KÄMMERLINGS

Dubravka Ugresic: "Das Museum der bedingungslosen Kapitulation". Roman. Aus dem Kroatischen übersetzt von Barbara Antkowiak. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 302 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr