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Ritter, Mönche, trutzige Bauern - Versatzstücke und Klischees vom Mittelalter sind allgegenwärtig. Aber was heißt eigentlich "mittelalterlich", und wie sind diese Bilder entstanden? Das Buch verfolgt die Inszenierungen dieses besonderen Zeitalters von ihrer Entstehung im 14. Jahrhundert über ihre romantische und nationale Aufladung im 18. und 19. Jahrhundert bis zu den Vorstellungen der Nationalsozialisten und schließlich bis hin zu den Mittelaltermärkten und den Computerspielen unserer Gegenwart. Das Mittelalter ist ein Paradox: Düster und romantisch zugleich, aufregend fremdartig, aber auch…mehr

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Produktbeschreibung
Ritter, Mönche, trutzige Bauern - Versatzstücke und Klischees vom Mittelalter sind allgegenwärtig. Aber was heißt eigentlich "mittelalterlich", und wie sind diese Bilder entstanden? Das Buch verfolgt die Inszenierungen dieses besonderen Zeitalters von ihrer Entstehung im 14. Jahrhundert über ihre romantische und nationale Aufladung im 18. und 19. Jahrhundert bis zu den Vorstellungen der Nationalsozialisten und schließlich bis hin zu den Mittelaltermärkten und den Computerspielen unserer Gegenwart. Das Mittelalter ist ein Paradox: Düster und romantisch zugleich, aufregend fremdartig, aber auch Wurzel für Vieles, das uns heute prägt - kurzum, das Mittelalter ist ein Reservoir für unsere Wünsche, vor allem jedoch für die Bedürfnisse nach einem ganz anderen, ursprünglichen und authentischen Leben. Von kaum einem Zeitalter hat die Moderne so lustvoll geträumt wie von dieser fernen, aber immer neu inszenierten Epoche; meistens funktionierte sie als bedrohlich verlockender Rückspiegel. Auch die wissenschaftliche Erforschung dieser wundersamen Epoche hat sich nie im luftleeren Raum abgespielt. Gerade Mittelalterhistoriker waren den Vorstellungen ihrer eigenen Zeit von edlen oder weniger edlen Rittern, Burgfräuleins, tüchtigen Bürgern, gelehrten Mönchen und trutzigen Bauern eng verbunden. Sie fanden stets, was sie suchten. Anders gesagt: Mittelaltergeschichte handelt immer von der Gegenwart ihrer Erforscher. Aber was geschieht mit dem Rückspiegel Mittelalter - eine der großen Chiffren christlich-europäischer Kultur - angesichts der Globalisierung am Beginn des 21. Jahrhunderts?
Autorenporträt
Valentin Groebner, geb. 1962 in Wien, Mitherausgeber der Zeitschrift Historische Anthropologie, lehrt Geschichte an der Universität Basel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008

So eine Ritterromanze, die ist schön
Valentin Groebners Lust Von Michael Borgolte

Nie zuvor hat das Mittelalter so viele Menschen gefangengenommen; sie lesen zwar nicht, wie in den siebziger Jahren, Arno Borsts "Lebensformen", und selten werden sie satt von den ästhetischen Reizen der großen Ausstellungen. Was sie suchen und finden, ist reenactment in Wikingerspielen, living history und histotainment, das haptische Mittelaltererlebnis im touristischen Themenpark oder das virtuelle im Computerspiel.

Die Mediävisten, Experten für die Zeit von Augustinus bis Luther, werden dafür nicht gebraucht. Hilflos wenden sie sich ab, vertiefen sich in ihre Handschriften und tragen auf ihre Weise zum Mittelalterboom bei; denn noch nie wurde so viel Wissenschaftliches über ihre Zeit publiziert. Und trotzdem sind die meisten Historiker des Mittelalters unglücklich; sie leiden an der akademischen und öffentlichen Geringschätzung ihrer Kennerschaft, auch der eigenen Sprachlosigkeit gegenüber dem Publikum und richten sich auf einen langen Todeskampf unter dem Panier der lateinischen Überlieferung ein. Nur Intellektuelle können Gegenmittel finden, die den Konnex von Wissenschaft und Leben nie suspendiert haben. Einer von dieser seltenen Spezies ist Valentin Groebner; schon dem Neunzehnjährigen ging als Demonstrant gegen die Startbahn West an der narzisstischen Inszenierung der Vermummten und dem Changieren zwischen gespielter und echter Gewalt das Verständnis für den mittelalterlichen Karneval auf, über den er eine Seminararbeit zu verfassen hatte.

Ein Vierteljahrhundert später, inzwischen Professor des Fachs in Luzern, beobachtete er an sich, wie peinlich ihm das Bekenntnis zu seinem Metier wurde, die Krise der Mediävistik wurde ihm zur Krise in der Lebensmitte. Er arbeitete das Problem historisch auf, ging also Mittelalterphobie wie Mittelalterphilie nach, von Petrarca bis Johannes Fried und Michael Crichton. Und Groebner bietet Besonderes: einen Essay von funkelnder Rhetorik und geistreichen Pointen, von einem Florileg aus tausendundeinem Buch und dem flockenleichten Niederschlag schwer errungener Selbsterforschung in Konfrontation mit vielen Kollegen, deren Rat er suchte. Und was ist die Quintessenz?

Seitdem die Ermordung der europäischen Juden den Ursprungsmythos des demokratischen Westens darstellt und Genealogie wie Signifikanten für die Definition dessen liefert, was "wir" sind, hat das Mittelalter seine prominente Rolle in der Geschichtspolitik ausgespielt, die es bis zur Nazizeit verkörperte. Damit verschwindet es aber nicht. Voltaire mochte in seinem Essay noch so viel über das Mittelalter als "siècles barbares, gothiques, temps d'ignorance" herziehen, er kannte die Sehnsüchte seiner Zeitgenossen doch gut genug und brachte gleichzeitig seine Ritterromanze über den Normannenfürsten Tankred auf die Pariser Bühnen. Und war nicht der internationale Baustil des Industriezeitalters die Neogotik? Der Autor konstatiert: "Das Mittelalter mag noch so eigentlich, archaisch und fremd präsentiert werden. Seine Wirkung als überzeitlicher Mythos beruht in der Literatur und in der Wissenschaft darauf, dass es Zeitgenosse des Maschinengewehrs und des Gaskriegs ist, des Films und des modernen Feuilletons."

Die Einsicht hat ihn befreit; seine Verlegenheit und Niedergeschlagenheit auf Tagungen und den langen leeren Uni-Fluren sei verflogen, doch damit nicht genug: Er wollte sich und auch den Fachgenossen zeigen, wie das Mittelalterstudium aus seiner gated community ausbrechen könne. Seine Lösung mag vielen provokant erscheinen: "Ich lerne jetzt Türkisch." Der Luzerner Gelehrte will also Geschichte und Quellen der Osmanen in seine Forschungen einbeziehen. Und wirbt dafür, die "Geschichte des lateinischen Monopolmittelalters aufzulösen" und neben den Türken die Araber und Mongolen, die Byzantiner und Juden, die Slawen und die importierten Sklavinnen vom Schwarzen Meer mit ins Zentrum unseres Mittelalterbildes zu rücken. Damit wäre endlich auch der humanistische Bann gebrochen, der nicht bloß das medium aevum zur Selbstillumination seiner Verkünder unter das Verdikt der Finsternis stellte, sondern die Mittelalterkenner auch einseitig auf die antike lateinische Vorgeschichte ihrer Quellen ausrichtete. Das Mittelalter selbst hatte es noch besser gewusst, denn seine Philosophen bekannten sich stolz zu ihren byzantinischen, jüdischen und arabischen Lehrmeistern.

Wenn Groebner freilich seinen Paradigmenwechsel mit dem Hinweis auf die angelsächsische und französische Geschichtswissenschaft einfordert, hat er wohl übersehen, dass dieser sich auch schon in der deutschen Historie anbahnt. Im Jahr 2005 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein Programm aufgelegt, durch das die Integrationen und Desintegrationen lateinisch-christlicher, griechisch-orthodoxer, islamischer und jüdischer Kulturen untersucht werden sollen. Erste Experimente mit dieser transkulturellen Europawissenschaft des Mittelalters sind soeben im Druck erschienen. Die Wissenschaft vom Mittelalter ist vitaler, als viele ihrer professionellen Vertreter dachten.

Valentin Groebner: "Das Mittelalter hört nicht auf". Über historisches Erzählen. Verlag C.H. Beck, München 2008. 176 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Erfrischend findet Urs Hafner Valentin Groebners Essay zur Lage der Mediävistik. Der Professor für mittelalterliche Geschichte und deutschsprachige Mediävistik hält darin seinen Kollegen, die sich über zunehmende Bedeutungslosigkeit ihres Fachs und über populärkulturelle Aneignungen des Mittelalters beschweren, eine glänzend geschriebene Standpauke, freut sich der Rezensent. Gegen die Nörgeleien setze der Autor einen Abriss der Geschichte der Mediävistik, die klarstellen soll, dass historisches Erzählen immer ein subjektives Unterfangen ist, erklärt der Rezensent, der diese These zwar nicht gerade für neu hält, sie bei Groebner aber stilistisch brillant und pointiert vorgetragen sieht. Zudem bleibt der Autor auch nicht bei der Zustandsbeschreibung, sondern richtet mit seinem Essay auch einen Appell an die Kollegen, das Klagen einzustellen und sich stattdessen beherzt mit den Aufgaben der Gegenwart auseinander zu setzen. Die sieht er unter anderem darin, die eigenen "Wünsche", aus denen heraus Historiker das Mittelalter interpretieren, aufzudecken, so der Rezensent interessiert.

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