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Der Begleitband zur Ausstellung nimmt die Entwicklung des Gesamtprojektes von der Idee bis zur Vollendung und Eröffnung des Ludwig Erhard Zentrums in den Blick. In einem Essayteil kommen zentrale Akteure zu Wort. Sie geben Einblicke in die unterschiedlichsten Facetten des Projektes sowie die besondere Bedeutung des Hauses innerhalb der Museumslandschaft. Historiker, Wirtschaftsexperten, Planer und andere Mitstreiter berichten von ihren Erfahrungen in diesem einzigartigen Vorhaben. Zeitzeugen erzählen exklusiv von ihrer Begegnung mit der Person Ludwig Erhard. Darüber hinaus widmet sich ein…mehr

Produktbeschreibung
Der Begleitband zur Ausstellung nimmt die Entwicklung des Gesamtprojektes von der Idee bis zur Vollendung und Eröffnung des Ludwig Erhard Zentrums in den Blick. In einem Essayteil kommen zentrale Akteure zu Wort. Sie geben Einblicke in die unterschiedlichsten Facetten des Projektes sowie die besondere Bedeutung des Hauses innerhalb der Museumslandschaft. Historiker, Wirtschaftsexperten, Planer und andere Mitstreiter berichten von ihren Erfahrungen in diesem einzigartigen Vorhaben. Zeitzeugen erzählen exklusiv von ihrer Begegnung mit der Person Ludwig Erhard. Darüber hinaus widmet sich ein großer Teil der Publikation der Ausstellung. Ein Überblick über die Inhalte sowie einzelne Highlight-Objekte werden in vielen farbigen Abbildungen ansprechend vorgestellt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.2018

Ein fürsorglicher Mensch
Zeitzeugen sprechen über Ludwig Erhard

Im Juni 2018 wurde für Ludwig Erhard (1897 bis 1977) in seiner Geburtsstadt Fürth ein eigenes Museum eingeweiht. Es erinnert rund 40 Jahre nach seinem Tod an sein Leben und Wirken und an sein Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Der legendäre Bundeswirtschaftsminister und zeitweilige Bundeskanzler, der 1948 an der Währungsreform und der Einführung der D-Mark beteiligt war, vor allem aber die Freigabe der Preise aus staatlicher Kontrolle veranlasste, gilt als Vater des "Wirtschaftswunders". Zur Eröffnung des Ludwig-Erhard-Zentrums ist ein dicker Begleitband aus dem Kerber Verlag erschienen, der in munterem Magazinstil mit vielen Bildern und Fotos die Entstehung, die Stifter und die Dauerausstellung rund um den Mann feiert, um den es dort geht. Interessanter als das Dutzend bemühter Grußworte sind die gut 50 Seiten mit Äußerungen von Zeitzeugen, die den Politiker einst tatsächlich näher kannten. Die Interviews hat die Fürther Journalistin und maßgebliche Gründungsinitiatorin Evi Kurz geführt.

Die Perspektive von Elisabeth Leutheusser-von Quistorp auf Erhard war eine ganz besondere: Die zwanzigjährige gelernte Kinderpflegerin kam 1964 als Hausdame in den Bonner Kanzlerbungalow und betreute dort Erhard und seine Frau in dessen dreijähriger Amtszeit rund um die Uhr. Erhard sei ein fürsorglicher, zugewandter Mensch gewesen, sagt sie, und das, obwohl manches für ihn physisch beschwerlich war: "Man hörte ihn, wenn er kam, weil er behindert war im Gehen durch seine Kriegsverletzung und die Kinderlähmung, durch die schweren Spezialschuhe, die er trug." Seelisch habe er sehr unter dem kühlen, distanzierten Verhältnis zu Adenauer gelitten: "Es gab einige angebliche Vertraute im Umfeld von Ludwig Erhard, die von Konrad Adenauer gesteuert worden waren. Er wusste nicht, wem kann er vertrauen, wem nicht." Als er 1966 aus dem Kanzleramt habe ausscheiden müssen, sei er sehr enttäuscht gewesen: "Enttäuscht von den vielen falschen Freunden, die ihm in den Rücken gefallen sind."

Luise Gräfin Schlippenbach hatte nur beruflich mit Ludwig Erhard zu tun. Die Ökonomin, eine der wenigen noch lebenden frühen Zeitzeugen, arbeitete 1948 bereits im Verwaltungsamt für Wirtschaft, als der neue Direktor sie in die Presseabteilung holte. Sie nennt Erhard "jovial, in keiner Weise abgehoben, sehr bodenständig und völlig unbeirrt und unbeugsam bezüglich des Durchsetzens dessen, was er wollte." Als Erhard im Juni 1948 bei der Währungsreform die Preise freigab, hätten sie und ihre Kollegen geglaubt: "Das wird niemals funktionieren. Das ist eine Revolution gegenüber dem bisherigen System, die in ein Desaster münden wird." Dann sei es der Anfang eines unwahrscheinlichen, von der ganzen Welt bewunderten Wirtschaftsbooms über Jahrzehnte geworden. Mit dem Kurswechsel zum Sozialstaat nach Erhards Abschied von der Politik geht sie hart ins Gericht und erinnert an dessen vergessene Lehre: "So wenig Staat wie möglich. Nur so viel Soziales wie nötig. Denn eine florierende Wirtschaft ist eine soziale."

Auch Julia Dingwort-Nusseck, ab 1946 Wirtschaftsredakteurin bei Radio Hamburg, später WDR-Chefredakteurin und dann niedersächsische Landeszentralbankpräsidentin, hat Erhard schon vor der Währungsreform getroffen. Kurz nach seinem Antritt als Direktor des Verwaltungsamts für Wirtschaft im Frühjahr 1948 machte sie das erste Interview mit ihm. Schon damals habe er die Prinzipien für die Soziale Marktwirtschaft skizziert und seinen tiefen Widerwillen gegen strikte Rationierung und staatliche Zuweisungen zum Ausdruck gebracht. Die Prägung durch die ordoliberale Schule sei ihm deutlich anzumerken gewesen. Mit der Währungsreform selbst habe er kaum etwas zu tun gehabt: "Die trug eine rein amerikanische Handschrift. Die Aufhebung der Bewirtschaftung, das war seine große Leistung." Als Leiterin eines Wirtschaftsressorts im Hörfunk und später auch im Fernsehen habe Erhard sie ernst genommen, "was zum Beispiel Adenauer niemals getan hätte! Adenauer nahm ja zu Vertrauten und Mitarbeitern lieber alte Nazis als eine Frau." Die Tatsache, dass Adenauer als Ratgeber mehrfach Leute an sich heranzog, die noch belastet waren aus der Nazizeit, habe im Übrigen Erhards Arbeit erschwert, der "nie den Eindruck einer starken Persönlichkeit erweckte, das sage ich ganz offen".

Einen Zeitzeugen von besonderem Gewicht präsentiert das Buch mit dem in Fürth geborenen Henry A. Kissinger, der 1938 mit seiner jüdischen Familie in die Vereinigten Staaten floh. Der spätere Außenminister und Friedensnobelpreisträger führte viele Gespräche mit Erhard über wirtschaftliche Zusammenhänge: "Er konnte das sehr anschaulich entwickeln. Es war sein Lebensthema, das spürte man", sagt er. "Ludwig Erhard bewies großen Mut und Standfestigkeit. Er war der Wirtschaftsminister des Wirtschaftswunders, und das über 14 Jahre hinweg." Als Politiker sei er ruhig und überlegt, als Persönlichkeit warmherzig und offen gewesen. Mit Erhards Konzept der Sozialen Marktwirtschaft verbindet Kissinger "eine Wirtschaftsordnung, die sich zentral auf der Basis eines freien Marktes aufbaut, aber nicht ihre Verantwortung für die Teile der Gesellschaft vergisst, die nur begrenzt partizipieren". Bis heute bleibe Erhards Credo richtig: "Erst soll und muss erwirtschaftet werden, was zur sozialen Absicherung herangezogen werden kann. Und wer das erwirtschaftet, soll und muss einen nennenswerten Teil davon auch behalten können."

Für die Gegenwart machen die Äußerungen der Zeitzeugen deutlich, dass das aktuelle Verständnis von "Sozialer Marktwirtschaft" nicht mehr viel mit dem zu tun hat, was Erhard darunter verstand. Es sei weit entfernt von dem ursprünglichen Konzept, sagt der Berliner Professor Daniel Koerfer: "Die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards verhält sich zum überdehnten, nur noch durch stetig wachsende Staatszuschüsse und hohe Schulden halbwegs ausfinanzierten Versorgungsstaat unserer Zeit wie Feuer zu Wasser."

ULLA FÖLSING.

Ludwig Erhard Zentrum (Hrsg.): Ludwig Erhard. Der Weg zu Freiheit, Sozialer Marktwirtschaft, Wohlstand für alle, Kerber Verlag 2018, 218 Seiten. 36,99 Euro

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