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Das Urteil lautet Zungengrundkrebs. Für einen der profiliertesten politischen Journalisten, einen engagierten Zuhörer und Frager, bedeutet es das Ende seines beruflichen Lebens. »Ich sah mich als einen der Menschen, die durch Wörter zu dem werden, was sie sind. Nicht nur Schreiben, auch Reden war mein Beruf. Und jetzt war ich stumm."
»Die unverändert gespürte tödliche Bedrohung durch den Krebs, meine körperliche Schwäche und meine seelischen Tiefs sind die Wirklichkeit, durch die ich mich durchkämpfen muss. Ich darf mich um die Wahrheiten der Krankheit nicht herumdrücken, aber ich darf
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Produktbeschreibung
Das Urteil lautet Zungengrundkrebs. Für einen der profiliertesten politischen Journalisten, einen engagierten Zuhörer und Frager, bedeutet es das Ende seines beruflichen Lebens. »Ich sah mich als einen der Menschen, die durch Wörter zu dem werden, was sie sind. Nicht nur Schreiben, auch Reden war mein Beruf. Und jetzt war ich stumm."

»Die unverändert gespürte tödliche Bedrohung durch den Krebs, meine körperliche Schwäche und meine seelischen Tiefs sind die Wirklichkeit, durch die ich mich durchkämpfen muss. Ich darf mich um die Wahrheiten der Krankheit nicht herumdrücken, aber ich darf mich von ihnen auch nicht unterkriegen lassen. Zwei Sätze sind für mich als Leitlinien bestimmend geworden. Der erste heißt: Wirklichkeit ist alles, wo man durchmuss. Der zweite ist eine Gedichtzeile von Peter Rühmkorf: »Bleib erschütterbar und widersteh«. Beide Sätze sind, da die Krankheit den Journalismus als Lebensschule abgelöst hat, für mich von existenzieller Bedeutung. Ich muss mit der breiten Grauzone der Unberechenbarkeit leben, wenn ich leben will. Und das will ich, das ist mir inzwischen ganz klar.«
Autorenporträt
Leinemann, JürgenJürgen Leinemann, geboren 1937 in Celle (Niedersachsen), hat Geschichte, Germanistik und Philosophie studiert. Er begann seine journalistische Karriere bei der dpa in Berlin, Hamburg und Washington. Seit 1970 arbeitete er für den Spiegel; er war Reporter und Büroleiter in Washington und Bonn, zog 1990 nach dem Fall der Mauer nach Berlin und leitete dort von 1999 bis 2001 das Ressort Deutsche Politk; seit 2002 war er Spiegel-Autor im Berliner Büro. Er ist Träger des Egon-Erwin-Kisch-Preises, des Siebenpfeiffer-Preises und des Henri-Nannen-Preises für sein Lebenswerk. Jürgen Leinemann starb am 10. November 2013 in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.09.2009

Die Kunst der Schutzlosigkeit
Jürgen Leinemann stellt in Berlin sein Buch über den Krebs vor
Berlin – Es ist einer dieser seltenen Vormittage in Berlin, an denen der sogenannte politische Betrieb einen Moment inne hält, einatmet, ausatmet und Haltung annimmt; Haltung, Distanz und das Bewusstsein, dass es im Leben jedes Menschen zwei Möglichkeiten gibt, zwei Grundzustände, die wie zwei einander ausschließende Staatsbürgerschaften funktionieren: Die Staatsbürgerschaft der Gesunden und die im Land der Krankheit.
Vielleicht haben auch deswegen einige, die das andere, dunkle Land noch nicht hinreichend kennengelernt oder seine Existenz verdrängt haben, aus Angst und Abwehr in den letzten Wochen seltsame Artikel geschrieben über die Bücher von Christoph Schlingensief, Georg Diez und Jürgen Leinemann. Artikel, die dann etwa so überschrieben waren: „Lasst uns mit eurem Krebs in Ruhe!”
„Wer sich behelligt fühlt, braucht mein Buch ja nicht zu lesen”, sagt an diesem besonderen Morgen der große Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann bei der Vorstellung seines neuen Buches „Das Leben ist der Ernstfall”. Und er sagt es so ruhig und ohne jeden Vorwurf, wie er immer schon ruhig und ohne Vorwurf auf Dummheit und Vorurteile reagiert, weil er immer schon vor allem herausfinden und mitdenken will, was Menschen zu ihren Tun und Denken antreibt.
Er kann also sprechen. Er mag nie wieder in seinem Leben schlucken und etwas essen können. Aber er spricht. Er spricht mit Hilfe einer modernen Sprachkanüle, die sinnigerweise „Seele” heißt. Und was noch schöner ist für die vielen Freunde, Kollegen und Wegbegleiter, die zur Buchvorstellung an den Schiffbauerdamm gekommen sind: Es ist nicht eine quäkende Automatenstimme, wie jene gefürchtet haben mögen, die Jürgen Leinemann zum ersten Mal seit zwei Jahren, seit der Diagnose Zungenbodenkrebs, wieder erleben. Es ist seine Stimme, auch wenn sie ein wenig angestrengt und metallisch-belegt klingt. Es ist Jürgen Leinemanns Stimme, und das gilt im übertragenen Sinn ja auch für sein neues Buch.
„Dieses Buch ist nicht für Kranke geschrieben, sondern für alle, die ein Leben haben, das sie wirklich leben wollen”, sagt die Reporterin und Philosophin Carolin Emcke, die „Das Leben ist der Ernstfall” vorstellt. Obwohl es von Bestrahlungen, Behandlungen, Entzündungen und Verwucherungen, von Wünschen und Flüchen, Hoffnungen und Illusionen erzähle, handele es eben nicht von der Angst vor dem Sterben, sondern von der Angst, nicht richtig gelebt zu haben.
Schon allein für die Kunst der Schutzlosigkeit, mit der Jürgen Leinemann seine Geschichte erzähle und damit allen anderen, die krank sind, einen Horizont aufzeige und eine Möglichkeit, sich von der Last zu befreien, auch noch „tapfer” sein zu sollen oder „umgänglich” oder „gelassen” oder „liebevoll”, dafür allein schon gebühre ihm „Dank und unendlicher Respekt.”
Es gibt noch etwas, was man immer schon von Jürgen Leinemann lernen konnte: Distanz schärft den Blick. Das TV-Duell zum Beispiel fand er überhaupt gar nicht langweilig, sondern im Gegenteil „ein sehr ernsthaftes und wichtiges Gespräch über Politik”. Er kann die Kritiken und Kommentare gar nicht verstehen, sagt er: „Als ob Politik erst interessant wird, wenn die Leute sich die Köpfe einschlagen!”
Ob man denn, fragt eine junge Kollegin vorsichtig, eine Krankheit brauche, um zu erkennen was wirklich wichtig ist?
„Nein”, sagt Leinemann und muss beim zweiten Teil seiner Antwort selber schmunzeln: „Dafür reicht es schon, in Ruhestand zu gehen.” Sein Buch endet im letzten Winter auf Sylt. Jürgen Leinemann erzählt auch an diesem Berliner Morgen noch einmal, wie er mit aller Kraft darum gekämpft hat, dass die Krankheit ihm nicht auch noch die Möglichkeit nimmt, seine geliebte Insel wieder zu sehen: „Im ersten Jahr habe ich es dann nicht geschafft. Letztes Jahr Silvester aber waren Rosemarie und ich wieder da.”
Und dann sagt Leinemann diesen Satz, der alle im Raum ein wenig tröstet und stärkt, bevor sie wieder zurück müssen in die besinnungslose Geschäftigkeit ihrer scheinbar so bedeutenden Laufrad-Alltage: „Und in diesem Jahr wollen wir auch wieder hinfahren.” Evelyn Roll
Vor zwei Jahren erkrankte Jürgen Leinemann an Krebs. Seine Krankengeschichte hat er in einem Buch festgehalten. Foto: dpa
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