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Eine der faszinierendsten Gestalten der Kirche im "Dritten Reich", Kardinal von Galen (1878-1946), der die Politik der Nationalsozialisten deutlich kritisierte, wird hier von namhaften Experten unter verschiedensten Blickwinkeln dargestellt. Mit Beiträgen von: Heinz Hürten, Ingrid Lueb, Harald Wagner, Hans-Ulrich Thamer, Rudolf Morsey, Thomas Flammer, Heinrich Mussinghoff, Wilhelm Damberg, Winfried Süß, Thomas Großbölting, Emma Fattorini und Martin Hülskamp.

Produktbeschreibung
Eine der faszinierendsten Gestalten der Kirche im "Dritten Reich", Kardinal von Galen (1878-1946), der die Politik der Nationalsozialisten deutlich kritisierte, wird hier von namhaften Experten unter verschiedensten Blickwinkeln dargestellt. Mit Beiträgen von: Heinz Hürten, Ingrid Lueb, Harald Wagner, Hans-Ulrich Thamer, Rudolf Morsey, Thomas Flammer, Heinrich Mussinghoff, Wilhelm Damberg, Winfried Süß, Thomas Großbölting, Emma Fattorini und Martin Hülskamp.
Autorenporträt
Barbara Schüler, geb. 1968, ist Wissenschaftliche Leiterin des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Programms an der Universität Münster Thomas Flammer, geb. 1975, ist Wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle 'Bistumsgeschichte' an der Universität Münster Hubert Wolf, geb. 1959, ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2008

Kampf ums Seelenheil
Held oder Feind: Bischof Galen im Dritten Reich
Der „Löwe von Münster”, der furchtlose Streiter wider die Ermordung Behinderter im Rahmen des nationalsozialistischen „Euthanasie”-Programms, hatte eine dunkle Seite, war Feind der Demokratie, Sympathisant des Krieges, nie Freund der Juden: So lauten die Konturen des öffentlichen Bildes von Clemens August Graf von Galen. Dieses Bild ist nicht länger haltbar. Zwei zur gleichen Zeit erschienene, gehaltvolle und vielschichtige Sammelbände gelangen aufgrund neuer Funde, neuer Fragen zu einem differenzierten Urteil. Der Pfarrer, Bischof, Kardinal war demnach in all seinem Handeln geprägt von der naturrechtlich fundierten, modernitätskritischen Theologie des 19. Jahrhunderts. Er wurde politisch, weil er jede Auseinandersetzung als einen Kampf um das Seelenheil begriff.
Den Bombenangriff auf Münster im Juli 1941 deutete er „im religiösen Kontext des alttestamentlichen Motivs von Gottes Strafgericht” – so Christoph Kösters in dem von Hubert Wolf herausgegebenen, leider massiv überteuerten Band. Die drei Predigten wenige Tage später, die von Galen weltberühmt machten, die Anklagen gegen den nationalsozialistischen Kirchenkampf und gegen die Tötung „lebensunwerten Lebens”, zielten ebenfalls auf das Prinzipielle, auf die Frage, wer denn Herrscher sei der Welt. Unmittelbar wirksam wurden die Reden aufgrund der Warnung, wer „unproduktive Menschen” ermorde, werde bald auch die Alten töten und die Schwachen und „unsere braven Soldaten, die als Schwerkriegsverletzte, als Krüppel, als Invaliden in die Heimat zurückkehren.” So wurde „der über die Krankenmorde gelegte Geheimhaltungsschleier irreparabel zerrissen” (Winfried Süß). Hitler brach die „Aktion T 14” ab. Rund 70 000 Menschen waren ihr bereits zum Opfer gefallen.
Recht gilt für alle Menschen
Von Galen folgte mutig seinem Gewissen, weil er der Heilszusage Jesu Christi nur auf diese Weise meinte gerecht werden zu können. Den Weltkrieg hatte er schon im September 1939 als ein Strafgericht gedeutet, ebenso tat er es im November 1943: als ein Gottesurteil über die „teuflischen” Nationalsozialisten. Von Galen griff am Beispiel der Euthanasie die Legitimität der braunen Herrschaft an. Sein Widerstand ruhte, wie Harald Wagner bei Wolf sehr klug darlegt, auf christologischem Grund und damit auf einer jesuitisch geprägten Spiritualität. Für von Galen hatte laut Wagner das Königtum Christi die „höchste Autorität, welcher alle Menschen, alle Nationen in ihrem Denken und Wollen unterworfen sind.” Bezeichnenderweise hatte die katholische Kirche 1925 das Fest Christkönig eingeführt. Es wird seitdem am Sonntag vor dem ersten Advent zum Abschluss des Kirchenjahres gefeiert.
Bereits im Ersten Weltkrieg sah von Galen, damals junger Feldgeistlicher, einen „furchtbaren Ausbruch jener alten Krankheit, deren Giftkeime aus der ersten Sünde stammen und die sich als traurige Erbschaft fortpflanzt von Geschlecht zu Geschlecht”. Trotz dieser konstant beibehaltenen Erbsündentheologie aber rief er auch während des Zweiten Weltkrieges nicht zur Verweigerung auf. Der Krieg bleibe ein „heiliger Kampf fürs Vaterland.” Maria Anna Zumholz fasst im von Joachim Kuropka edierten Band die „für unser heutiges Verständnis äußerst paradoxe und unverständliche Situation” zusammen: Der Soldat musste gemäß katholischer Kriegstheologie in einen „ungerechten und verbrecherischen nationalsozialistischen Vernichtungskrieg ziehen, diesen Kontext jedoch ausblenden und den Krieg als eine individuelle religiöse Bewährung in Gestalt eines Sühnefeldzuges für die Sünden der Welt deuten”.
Pazifisten sind aus anderem Holz geschnitzt, Kriegstreiber und Nationalisten aber auch. Die Ambivalenzen kommen nicht zur Ruhe. Weder ganz Kind seiner Zeit noch humanistischer Visionär war von Galen. Er trat „als erster Bischof bereits im Frühjahr 1934 öffentlich gegen den NS-Rassismus auf” – mit einem Osterhirtenbrief – und „versuchte seine Amtsbrüder zu deutlichen Stellungnahmen für die Geltung des Naturrechts für alle Menschen zu bewegen, was im Wesentlichen erfolglos blieb” (Joachim Kuropka). Die Reichspogromnacht im November 1938 aber beantwortete er mit Schweigen, obwohl er im Juni 1938 im gesamten Bistum ein katechetisches Heft zur Ehrenrettung des Alten Testaments hatte verteilen lassen. Die Titelfrage „Kann denn aus Palästina etwas Gutes kommen?” wurde klar bejaht. Und sehr wahrscheinlich ordnete er Ende November 1938 Bittgottesdienste für die Juden an. Den Sieg über Frankreich wiederum und die Kampfansage an den Moskauer „Bolschewismus” erfreuten ihn.
Da es unmöglich ist, dieses Verhalten auf einen anderen als einen theologischen, ja eschatologischen Begriff zu bringen, entzündeten sich an von Galens Haltung zum Hitlerregime viele Debatten. Die hartnäckigste lebt jetzt noch einmal bei Hubert Wolf auf: die Morsey-Kuropka-Kontroverse. Zentral ist der Brief des frisch gewählten Bischofs vom 27. November 1933 an den befreundeten Vizekanzler Franz von Papen. Im deutlich umfangreicheren „Streitfall Galen” ist er neben 33 anderen, zum Teil erstmals veröffentlichen Quellen abgedruckt. Allein schon deshalb muss man, um aus „Ein Kirchenfürst im Nationalsozialismus” klug zu werden, auch das konkurrierende Produkt zur Hand nehmen.
Rudolf Morsey zufolge belegt der Brief, dass Kollege Kuropka sich irrt. Dieser hält daran fest, von Galen habe seit 1932 „mit erstaunlicher Klarheit die heraufziehenden Gefahren” erkannt. Was aber schrieb er Papen im November 1933? Es gebe am Nationalsozialismus „vieles, was wir als Katholiken froh und dankbar begrüßen, z. B. Unterdrückung der Propaganda für Bolschewismus, Gottlosigkeit, Unsittlichkeit usw.” Im selben Brief – und da neigt sich die Waage zu Kuropkas Gunsten – benennt von Galen „verhängnisvolle Irrtümer”, denen die Katholiken auf den Leim zu gehen drohten, besonders die „widernatürliche Ausschaltung der individuellen Vernunft und der Einzelfreiheit”, wie sie sich in der nationalsozialistischen Schul- und Familienpolitik zeige.
Schon in einer Denkschrift vom 1. Mai 1933, die ebenfalls zwischen Morsey und Kuropka steht, lesen wir: Der neuen Regierung sei man „Ehrfurcht und Gehorsam schuldig”. Dennoch müssten alle Katholiken „gegen die Vergewaltigung des Rechtes die Stimme erheben”.
Ein punktueller Protest, kein prinzipieller Widerstand stand am Beginn der Auseinandersetzung mit den neuen Herren. Damit aber wurde Galen zum Außenseiter in der Bischofskonferenz, die unter Kardinal Bertrams Führung der Leisetreterei den Vorzug gab. Als der Episkopat im Herbst 1943 endlich einen kritischen Hirtenbrief verabschiedet hatte, legte von Galen Hand an und verschärfte den Tonfall für das Bistum Münster. Nun wurden ausdrücklich die „schuldlos Verhafteten und Bedrückten, die nicht unseres Blutes und Volkes sind”, in Schutz genommen. Wenn der jetzige Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff bei Wolf resümiert, es bleibe die „bittere und beschämende Erkenntnis, dass ein öffentlicher Protest des Bischofs von Münster gegen die Verfolgung und Ausrottung der Juden unterblieb”, von Galen „hätte gut daran getan, öffentlich die geschichtlichen Leistungen des Judentums zu benennen und zu würdigen”, dann sind diese Zeilen seltsam nassforsch.
Schonungslos behandelt
Vor allem dem Herausgeber Kuropka sind einige neue Quellen zu verdanken. Unbekannt war etwa, dass von Galen sich im Oktober 1939 mit dem fanatischen Euthanasiebefürworter Karl Brandt, Hitlers Leibarzt, getroffen und laut einem Zeitzeugen „die Juden- und Häftlingsfrage anscheinend schonungslos behandelt” hatte. Kaum beachtet wurde bisher auch, dass das Konsistorium der evangelischen Kirche von Westfalen, wie Jürgen Kampmann bei Kuropka darlegt, die Predigten Galens als gefährlich einstufte und deren sofortige Weiterleitung an die Gestapo empfahl.
Der 2005 seliggesprochene Clemens August Graf von Galen war, nimmt man alles in allem, weniger tumb, weniger wankelmütig, als es seine nachgeborenen Kritiker insinuieren. Er war kein strahlender Held, kein Freiheitskämpfer reinsten Wassers, als den ihn sein Verehrerkreis profiliert. Er war einer der wenigen Deutschen, die in bedrückender Zeit das Gebot der Stunde erkannten. ALEXANDER KISSLER
HUBERT WOLF (Hrsg.): Clemens August von Galen. Ein Kirchenfürst im Nationalsozialismus. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007. 278 Seiten, 79,90 Euro.
JOACHIM KUROPKA (Hrsg.): Streitfall Galen. Studien und Dokumente. Aschendorff Verlag, Münster 2007. 542 Seiten, 29,80 Euro.
Clemens August Graf von Galen wurde am 28.10.1933 zum Bischof von Münster geweiht. Foto: Scherl / Süddeutsche Zeitung Photo
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2007

Mit großem Mut das Rechte getan
Der Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen erhob 1941 nachdrücklichen Protest gegen die Euthanasie-Morde

Seine eigene Person sah er eher kritisch. Er glaube nicht, schrieb er 1925 in die von-Galensche Haus- und Familienchronik, dass es nach den berühmten Vorfahren - der letzte war der Sozialbischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler, sein Großonkel - noch bedeutende Männer in der Galenschen Familie geben werde. Und doch gelang dem hochgewachsenen, glaubensfesten Bischof von Münster im "Dritten Reich" etwas, was sonst keinem anderen katholischen Würdenträger dieser Zeit gelang: nämlich eine Serie von Nazi-Verbrechen vor der deutschen und internationalen Öffentlichkeit so nachhaltig zu brandmarken, dass das Regime sie aussetzte - wenigstens auf Zeit.

Am 3. August 1941 erhob Clemens August Graf von Galen bei einem Sonntagsgottesdienst in der überfüllten Lambertikirche in Münster nachdrücklichen Protest gegen "die furchtbare Lehre, die die Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will, die die gewaltsame Tötung der nicht mehr arbeitsfähigen Invaliden, Krüppel, unheilbar Kranken, Altersschwachen grundsätzlich freigibt". Dieses j'accuse richtete sich gegen die Initiatoren der Morde in den psychiatrischen Anstalten; unmittelbarer Anlass war der bevorstehende Abtransport von Geisteskranken aus dem nahe bei Münster gelegenen Marienthal. Wer sei noch sicher, fragte der Bischof, wenn "unproduktive" Mitmenschen einfach getötet werden könnten? Werde man eines Tages auch schwer Kriegsverletzte umbringen? Nach der Rede erlebte man in der Kirche tumultartige, in katholischen Gottesdiensten sonst unbekannte Szenen. Die Texte (zwei andere Predigten waren bereits vorangegangen) verbreiteten sich mit Windeseile im In- und Ausland. Galen hatte den Schleier des Schweigens zerrissen, den das Regime über die Krankenmorde gelegt hatte. In der Umgebung Martin Bormanns plante man daher, den Bischof kurzerhand zu verhaften und aufzuhängen. "Eine unverschämte und provozierende Rede", notierte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch. Dann geschah das Überraschende: Hitler sistierte den größten Teil seines Euthanasieprogramms, das bis dahin 70 000 Menschenleben gekostet hatte, für mehr als ein Jahr und vertagte die Abrechnung mit den Kirchen auf die Zeit "nach dem Endsieg". Kein Wunder, dass der "Löwe von Münster" in kurzer Zeit im In- und Ausland zur Legende wurde, dass man ihn bestaunte und verehrte. Von Papst Pius XII. noch zu Lebzeiten zum Kardinal ernannt (1946), wurde er nach dem Tod von seiner Bischofsstadt mit einem Denkmal geehrt (1978) und im Oktober 2005 in Rom seliggesprochen.

Wie konnte ein so unverkennbar konservativer Geist wie Galen ("Wir Christen machen keine Revolution!") solch heroischen Mut entwickeln? Wie wurde er zur Symbolfigur des kirchlichen Widerstands? Wie sah sein Kirchenbild aus, seine Spiritualität? Wie prägte ihn die adelige Herkunft? Was waren seine politischen Vorstellungen, wie dachte er über die Weimarer Republik, den Verfassungsstaat, die Demokratie? Wie urteilte er über die zeitgenössische Kultur, über die Großstadt, über Berlin und Münster (in beiden Städten war er Pfarrer)? Diesen Fragen geht ein von Hubert Wolf, Thomas Flammer und Barbara Schüler herausgegebener Sammelband in 17 Beiträgen nach. Wer sie liest, hat eine vorläufige Bilanz der bisherigen Galen-Forschung in Händen. Die Autoren bemühen sich darum, Galen als einen lebendigen Menschen und Seelsorger mit seinen Stärken und Schwächen, seinen Grundsätzen und seinen Vorurteilen in die Zeit, die Umwelt hineinzustellen. Es geht nicht um Apologie oder Polemik, sondern um die "Einweisung in den historischen Ort" (Heinz Hürten).

Stärker auf die Gegenwart und das westfälische Umfeld sowie die Galen-Rezeption der jüngsten Zeit bezogen (bis hin zu dem umstrittenen Galen-Film von 2005) ist der zweite hier anzuzeigende Sammelband, den Joachim Kuropka herausgegeben hat, mit gleichfalls 17 Beiträgen und einem umfangreichen Dokumententeil. Er greift aktuelle Kontroversen auf, klärt mit neuen Ergebnissen die Berufung Galens zum Bischof von Münster (Pacelli als Schlüsselfigur), wirft Licht auf sein Umfeld, die Familie, den Berliner Klerus in den zwanziger Jahren und thematisiert die Wandlungen des Galen-Bildes in der Nachkriegszeit. Galen: ein Streitfall? Der Buchtitel (und das vom Verlag gewählte grelle Layout des Bandes) scheint ein wenig mit den Erwartungen des Publikums zu spielen. Dieses hat sich ja in den vergangenen Jahren daran gewöhnen müssen, dass auch bei großen, lange Zeit unbestrittenen Figuren der Zeitgeschichte die "kritische Historie" (und die Weisheit der später Geborenen, die den Ausgang weiß) ihr Werk tut - eingeschlossen Streit, Polemik, Denkmalsturz. Doch der Inhalt des umfangreichen Bandes ist eher erklärender und verteidigender Natur. Vieles ist ja auch in der seriösen Forschung über den Münsteraner Bischof inzwischen nicht mehr strittig, auch nicht zwischen den Autoren der beiden Bände.

So weiß man heute, dass Galen in seiner politischen Orientierung ein Zentrumsmann des rechten Flügels war. Man kann ihn jedoch nicht als "Rechtskatholiken" bezeichnen: Er akzeptierte durchaus die Spielregeln der Parteipolitik und hielt gegenüber adeligen Standesgenossen ausdrücklich an der Legitimität der Weimarer Republik fest. Fest steht auch, dass er zwar dem Laizismus, den er vor allem in der Berliner Öffentlichkeit und in der damaligen Sozialdemokratie wahrnahm, kritisch gegenüberstand, deshalb jedoch keineswegs "die Moderne" in Bausch und Bogen ablehnte. Im sozialen Chaos der Zeit suchte Pfarrer von Galen seelsorgliche Wege der Hilfe und Befriedung ähnlich denen Carl Sonnenscheins. Auch sein Verhältnis zum Judentum war differenziert, wie die Beiträge von Heinrich Mussinghoff (im ersten Band) und Joachim Kuropka (im zweiten Band) zeigen. Trotz kritischer Äußerungen über einzelne Juden blieb das jüdische Volk für ihn "auch heute noch . . . das auserwählte Volk Gottes" - von dieser Äußerung des Bischofs im Krieg wissen wir aus Gestapo-Akten.

Galen war 1938 nach der "Reichskristallnacht" zum öffentlichen Protest bereit, um den ihn die Münsteraner Judenschaft gebeten hatte. Erst nach einem zweiten abratenden Besuch des Rabbiners Steinthal - dieser befürchtete Repressalien - unterließ er diesen Schritt. Ob Bischof Galen freilich den Nationalsozialismus von Anfang an in seiner Gefährlichkeit durchschaut hat, wie Kuropka meint, möchte der Rezensent bezweifeln. Ihn überzeugen eher die Argumente Rudolf Morseys, der auf erwartungs- und verständnisvolle Äußerungen und Gesten Galens aus den Jahren 1933/34 hinweist, die man nicht einfach als Tarnung und Versteckspiel abtun kann.

Es dauerte freilich nicht lange, bis die Illusionen der Anfangszeit - es waren nicht nur die Galens, sondern auch die anderer prominenter Katholiken in Deutschland - angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen und der immer unverhüllter hervortretenden Kirchenfeindschaft des Regimes verflogen. In den Kriegsjahren gehörte Galen längst zu jenen Bischöfen, die gegenüber dem zögernden Vorsitzenden der Bischofskonferenz, dem Breslauer Kardinal Bertram, eine schärfere Tonart gegen den Nationalsozialismus und öffentliche Proteste, nicht nur papierene Eingaben verlangten. Der Münsteraner "Alleingang" war nicht zuletzt auch eine Reaktion auf die Haltung des Schweigens, Zögerns, Diplomatisierens, Abschwächens innerhalb des Bischofskollegiums. Die Nationalsozialisten freilich sahen in den Münsteraner Predigten - irrtümlich! - den Auftakt zu einer neuen schärferen Haltung des Gesamtepiskopats und reagierten, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, defensiv und taktisch abwiegelnd.

Erhellend zur historischen Einordnung der Ereignisse sind Feststellungen von Winfried Süß, der in beiden Bänden mit (teilidentischen) Beiträgen vertreten ist. Er umschreibt die Grundbedingungen des Galenschen Protests und seiner Wirkung wie folgt: "Das Regime reagierte auf eine konkurrierende Wertordnung, die ihre Fähigkeit zur Anhängermobilisierung demonstriert hatte, mit einem Teilrückzug und mit Konfliktvertagung." Die nationalsozialistische Führung "beseitigte daher stillschweigend den sichtbaren Teil des Skandalons und ließ den Ankläger unbehelligt, erkannte aber die Legitimität seines Protests nicht an. Einen entscheidenden Moment lang hat der wohl erfolgreichste Akt der Skandalisierung gegen das NS-Regime dessen Handlungsspielräume empfindlich begrenzt und das gesellschaftliche Fundament seiner Herrschaft gefährdet - dauerhaft verhindern konnte er die Morde allerdings nicht."

In der Tat wurde die Technik des Massenmords, erprobt in den Euthanasie-Morden an Kranken in der Heimat, wiederaufgenommen in den Vernichtungslagern des europäischen Ostens. Sie führte dort, ins Gigantische gesteigert, zur Tötung von Millionen Juden. Die neuen Todesfabriken lagen - anders als die alten - außerhalb der allgemeinen Wahrnehmung der Bevölkerung. Sie waren nicht ins soziale Leben, in Kommunikation und Austausch einbezogen wie die psychiatrischen Anstalten in der Heimat. Auschwitz war nicht Marienthal.

Fazit: Der "Löwe von Münster" war gewiss kein Musterrepublikaner, kein Musterdemokrat. Er hat seiner Zeit, ihren Ansichten und Vorurteilen - wie viele Persönlichkeiten des Widerstandes (und wie wir Heutigen nicht minder) - seinen Tribut gezahlt. Dennoch hat er im entscheidenden Moment mit großem Mut das Rechte getan, allen Beengungen zum Trotz. Ist das so wenig? Man sollte auf jeden Fall seine Taten bedenken und würdigen, ehe man sich eilfertig anschickt, ihn wegen seiner Ansichten vom Sockel zu stoßen. Denn das "Fegefeuer des westfälischen Adels" (Annette von Droste-Hülshoff) hat der "Onkel Kardinal" - wie ihn manche seiner Standesgenossen im Land der Roten Erde noch heute zärtlich nennen - nicht verdient.

HANS MAIER

Hubert Wolf/Thomas Flammer/Barbara Schüler (Herausgeber): Clemens August von Galen. Ein Kirchenfürst im Nationalsozialismus. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007. 277 S., 79,90 [Euro].

Joachim Kuropka (Herausgeber): Streitfall Galen. Studien und Dokumente. Aschendorff Verlag, Münster 2007. 541 S., 29,80 [Euro].

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