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Freundschaft, Liebe, Literatur und Politik: Ein faszinierendes Beispiel für die weitgespannte Briefkultur des 18. Jahrhunderts.»Da hast Du die Erklärung meiner Empfindungen für die ich keinen Namen weis, denn es ist mehr als Freundschaft, und weniger als Liebe«, schreibt Luise Justine Mejer an Heinrich Christian Boie am 21. April 1783. In ihrem über fast zehn Jahre geführten Briefwechsel zeigt sich, dass nur über die Festigung der Freundschaft bei größtem Zugestehen von Freiheit die Liebe zum Vorschein kommen darf. Der Briefwechsel gibt Einblicke ebenso in die geschichtlichen und politischen…mehr

Produktbeschreibung
Freundschaft, Liebe, Literatur und Politik: Ein faszinierendes Beispiel für die weitgespannte Briefkultur des 18. Jahrhunderts.»Da hast Du die Erklärung meiner Empfindungen für die ich keinen Namen weis, denn es ist mehr als Freundschaft, und weniger als Liebe«, schreibt Luise Justine Mejer an Heinrich Christian Boie am 21. April 1783. In ihrem über fast zehn Jahre geführten Briefwechsel zeigt sich, dass nur über die Festigung der Freundschaft bei größtem Zugestehen von Freiheit die Liebe zum Vorschein kommen darf. Der Briefwechsel gibt Einblicke ebenso in die geschichtlichen und politischen Ereignisse in Kurhannover und im dänischen Dithmarschen wie auch in das Leben und Alltagsleben der Funktionseliten und das der unteren Gesellschaftsschichten. Darüber hinaus ist er eine herausragende Quelle für die literarische und die bürgerliche Alltagskultur. Nicht zuletzt sind die Briefe selbst von hoher literarischer Qualität.In drei Textbänden werden erstmals alle 815 Briefe aus den Jahren 1776-1786 versammelt. Neben einem Nachwort, das die Briefe in ihre geschichtlichen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontexte einordnet, enthält der vierte Band einen umfassenden und kenntnisreichen Kommentar.
Autorenporträt
Heinrich Christian Boie (1744-1806), geb. in Meldorf, Jurist, Herausgeber des Göttinger Musenalmanachs und des Deutschen Museums, von Gleim als »Intendant auf dem Parnaß« bezeichnet, ab 1776 Stabssekretär in der hannoverschen Kriegskanzlei, ab 1781 Landvoigt in Meldorf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2017

Heiraten Sie doch lieber eine andere, mein Freund

Auf dem Weg zur Kultur der Romantik: Der Briefwechsel zwischen Luise Mejer und dem Verleger Boie beleuchtet den Literaturbetrieb der Aufklärungszeit.

Freiherr von Knigge schwärmte über Luise Justine Mejer: eine Frau von "hellem nüchternen Verstand" und sanfter Erscheinung, mit der "Feinheit echten Gefühls" begabt und einem ebenso liebevollen wie treuen Herzen. Diese besondere Mischung erschien dem Verhaltensratgeber unvergleichlich. Knigges Überschwang hatte im August 1786 jedoch einen traurigen Anlass: Er tröstete mit seinen Zeilen den frisch verwitweten Heinrich Christian Boie.

Für Boie hatte das Eheglück mit Mejer nur ein Jahr gedauert, obwohl die beiden schon lange miteinander vertraut gewesen waren. Die Umworbene hatte erst nach einem Jahrzehnt ihr Ja-Wort gegeben. Sie enttäuschte energisch die Erwartungen und wehrte sich gegen die weibliche Lebensroutine, die geradezu naturgemäß auf eine baldige Eheschließung hinausgelaufen wäre. In dieser Verweigerung nutzte sie die wenigen Spielräume der Autonomie, die einer Frau im 18. Jahrhundert zustanden.

Für die Nachwelt bedeutet dieses lange Zaudern ein großes Glück, denn statt gemeinsam ein Leben zu führen, schrieben sich Boie und Mejer eine Unmenge von Briefen, in denen sie ihr Seelenleben entfalteten und zergliederten, sich erklärten und verklärten, aber auch alles notierten, was in ihrer Umgebung geschah: Banales aus dem Alltag ebenso wie Weltbewegendes, etwa die aktuellen Entwicklungen im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Diesen Briefwechsel hat Renate Nörtemann nun in drei Textbänden auf rund 1800 Seiten originalgetreu ediert und in einem weiteren Kommentarband von noch einmal rund 800 Seiten erschlossen. Wer die Aufklärung von ihrer empfindsamen Seite aus kennenlernen will, sollte diese Korrespondenz lesen. Es handelt sich um eine Fundgruppe für Kultur- und Sozialhistoriker - und um einen großen Lesegenuss, denn Boie und Mejer verfügen literarisch souverän über die Ausdrucksmöglichkeiten der Gefühlskultur auf dem Weg zur Romantik.

Am 2. September 1776 lernte Luise Mejer den umtriebigen Verleger und Herausgeber Boie kennen. Vier Jahre lang hatte er den legendären Göttinger Musenalmanach organisiert und dort alles versammelt, was jung und genial erschien. Sein jüngstes Projekt war das "Deutsche Museum", eine der bedeutendsten Zeitschriften der Spätaufklärung.

Boie und Mejer begegneten einander im Zeichen der Trauer. Als sie sich das erste Mal sahen, "blutete" Mejers Herz noch wegen einer kürzlich verstorbenen Freundin, und unmittelbar am Tag vor der Begegnung war der junge Dichtergenius Ludwig Hölty in den Armen Boies verstorben.

Das wäre ein schöner Anfang für eine Schmonzette mit dem Titel "Die Leiden der jungen Mejer". Doch als Roman hätte die Geschichte unglaubwürdig gewirkt, so sehr zelebrierten Boie und Mejer ihre entsagungsvolle Zuneigung: Einen ersten Heiratsantrag wies Mejer nach zwei Jahren freundschaftlicher Zuneigung ab und unterstützte selbstlos - von Eifersuchtsattacken nur kurz unterbrochen - Boies Werben um andere Frauen. "Ich würde ihn mit seiner Frau um die Wette lieben", gesteht sie einer Freundin und träumt von einer Ménage à trois: "um ihm Gelegenheit zu geben mich glücklich zu machen gäbe er mir ein Dachstübchen in seinem Hause, und wir trenten uns nie." Kein Wunder, dass Mejer gern Rousseau zitiert, der in der "Neuen Heloise" die Blaupause für die Dreiecksbeziehung in Goethes "Werther" geliefert hat. Letztlich aber wird Boie und Mejer klar, dass nur sie füreinander bestimmt sind. 1784 kommt es zur Verlobung, ein Jahr darauf sind sie endlich verheiratet. Am 14. Juli 1786 stirbt Luise Mejer bei der Geburt ihres ersten Kindes mit noch nicht einmal vierzig Jahren.

Auf fatale Weise fügt sich dieses Lebensende in die Biographie einer geplagten Person. Schmerzen, Schlafstörungen, Schwächeanfälle und andere Gebrechen machten Mejer das Leben schwer. Um ihre Gemütsstimmung stand es entsprechend schlecht: die "Seele so ganz zu Boden gedrückt", "keiner Freude fähig", "vom Schicksal immer von neuen verwundet". Mediziner des 18. Jahrhunderts führten diese Symptome auf Nervenreizung durch Bewegungsmangel zurück. Als Oberbegriff diente "Hypochondrie". Im Rückblick finden sich freilich andere gute Gründe für Mejers Niedergeschlagenheit: 1759 verliert die Dreizehnjährige ihre Mutter. 1762 zieht sie für fünf Jahre zu einer adligen Freundin und nimmt dort am weiblichen Bildungsprogramm teil. Dann kehrt Mejer zu ihrer Familie zurück und führt den Haushalt des Vaters. Anschließend pflegt sie erst eine sterbenskranke Freundin, dann nacheinander den Vater, ihren älteren Bruder und die Schwägerin.

Zeitlebens wird sich Mejer für andere aufopfern - und genau darin ihre Freiheit suchen. "Unabhängig ist ein Weib nie", erklärt sie ihrem späteren Mann, aber "jeder Ort, jede Familie, wo ich am mehrsten nützen kann, ist meine Welt". Sie entschied sich frei zur Hingabe. Um ihren Lebensplan zu verwirklichen, so Mejer weiter, habe sie auch den ersten Heiratsantrag von Boie abgelehnt. Dem Rollenbild einer liebevollen Ehegattin mochte sie sich nicht umstandslos fügen. "Ich bedarf zu meinem Glück nicht die Zärtlichkeit eines Mannes." Gleichwohl beteuerte sie in empfindsamem Überschwang, ihr Herz gehöre allein und "auf ewig" Boie: "Du erheltest meine Seele indem Du meinen Geist bereichertest, und süße Empfindungen entwickeltest deren Dasein ich nicht in mir ahndete."

Diese eigentümliche Spannung zwischen Hingabe und Verweigerung hat psychologisch mit dem besonderen Charakter Luise Mejers zu tun, viel aber auch mit ihrer Eigenwilligkeit angesichts beschränkter Handlungsmöglichkeiten: Als Frau bestand ihre Autonomie in der Wahl, von wem sie abhängig sein wollte. Kulturhistorisch verbrämt führte die lustvoll sublimierte Leidenschaft zum Konzept empfindsamer Seelenliebe. Der Briefverkehr war das optimale Medium zur Ausgestaltung dieser körperfernen und eben deswegen emotional umso intimeren Form von Zuneigung.

Sozialgeschichtlich freilich speiste sich die empfindsame Lust an der Distanzbeziehung auch aus einer sehr konkreten Bedingung für die Ehe: Geld. Wer in der Epoche der Aufklärung heiraten wollte, musste finanziell entsprechend ausgestattet sein und eine Versorgungsstelle besetzen. Als Johann Peter Süßmilch in der Mitte des 18. Jahrhunderts der preußischen Politik die statistische Steuerung der Bevölkerung empfahl, sah er darin eines der vordringlichsten Probleme. Es sei Aufgabe einer vernünftigen Regierung, ihren Landeskindern die Heirat vor allem finanziell zu ermöglichen, denn "jede Ehe, die verhindert wird, jedes Kind, so deshalb weniger erzeuget wird, entziehet den dauerhaften Einkünften etwas, und schwächet den Staat". Die individuelle Liebesbeziehung von Boie und Mejer hatte mithin auch eine sehr allgemeine Seite. Es vergeht mehr als ein Jahr zwischen der Verlobung und der Heirat, weil er seine beruflichen Perspektiven und sie ihre Vermögensverhältnisse klären muss.

Der Briefwechsel behandelt Freundschaft und Liebe in allen ihren Facetten, als Seelendrama genauso wie als kultur- und sozialhistorisch überaus signifikante Episode. Nebenbei vermittelt die Korrespondenz tiefe Einblicke in den Literaturbetrieb und die zeitgenössische Schreib-, Lese- und Vorlesekultur. Netzwerke aus Familien- und Freundschaftsbeziehungen werden geknüpft und bilden die Grundlage für Karrieren. Im Hintergrund rumort der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg, bei dem sich die Beobachter im Unklaren darüber sind, ob man es mit England oder Amerika halten soll. Boie ist überzeugt, dass die Amerikaner "frei" und "einst sehr reich u. mächtig" sein werden, zweifelt aber noch, ob ihnen eine "Republik" Glück bringt oder ob autokratische Verhältnisse nicht doch besser sind.

Auch diese Unsicherheit charakterisiert freilich die historische Lage. Denn der Briefwechsel von Boie und Mejer dokumentiert eine Phase fundamentaler Umbrüche. Und ihre Beziehung zeigt gerade in ihren Umwegen und Verzögerungen, wie anspruchsvoll die Liebe auf die Herausforderungen einer neuen Zeit reagierte.

STEFFEN MARTUS

Heinrich Christian Boie, Luise Justine Mejer: "Briefwechsel 1776-1786".

Hrsg. von Regina Nörtemann. Wallstein Verlag, Göttingen 2016. 4 Bde., zus. 2644 S., geb., 149,- [Euro].

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»auch für interessierte Laien eine hochinteressante Quelle über das Leben des mittleren Bürgertums im 18. Jahrhundert.« (Volker M., amazon.de (Kundenrezension), 06.01.2017) »ein Briefwechsel höchsten Ranges, in dem Leben und Empfindungen zu einem gemeinschaftlichen Lebensroman eigener literarischer Qualität geronnen sind« (Frank Trende, Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag, 16.02.2017) »die Bände erfreuen Hirn und Hand« (Georg Ruppelt, Wolfenbütteler Zeitung, 15.03.2017) »Wer die Aufklärung von ihrer empfindsamen Seite aus kennenlernen will, sollte diese Korrespondenz lesen.« (Steffen Martus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.03.2017) »Das Erscheinen der aufschlussreichen, kenntnisreichen, und lesenswerten Edition Regina Nörtemanns (...) ist sehr anerkennenswert.« (Urs Schmidt-Tollgreve, Vossische Nachrichten Nr. 12, Mai 2018) »Ein Schatz ist gehoben, und dies nach den Regeln der editorischen (Handwerks-) Kunst.« (Ulrike Leuschner, Lichtenberg-Jahrbuch 2016) »eine ausgesprochen faszinierende, amüsante und lehrreiche Lektüre« (Barbara Stollberg-Rilinger, Zeitschrift für Historische Forschung 45 (2018) 3)