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Von außen ähnelt Berlin bei guter Beleuchtung und mit Willen zum Film manchmal ein wenig New York. Von weiter innen gesehen tendiert das Ensemble - Potsplatz hin oder her - noch immer stark ins Biotopische. Weil das auch sein Gutes hat, vermeiden die Texte von Thomas Groß die Frontale wie die Totale. Sie finden Veränderungen eher da, wo sie sie gar nicht suchen: im freiwillig und unfreiwillig Folkloristischen, in den verblassenden Lokalfarben, den Resten eigener Pop-Zeitvektoren, aber auch im Innovationssprech und Eventismus, der sich darüber geschichtet hat und Blasen wirft. Schröder, Rio, Blixa, Rammstein - how soon is now? …mehr

Produktbeschreibung
Von außen ähnelt Berlin bei guter Beleuchtung und mit Willen zum Film manchmal ein wenig New York. Von weiter innen gesehen tendiert das Ensemble - Potsplatz hin oder her - noch immer stark ins Biotopische. Weil das auch sein Gutes hat, vermeiden die Texte von Thomas Groß die Frontale wie die Totale. Sie finden Veränderungen eher da, wo sie sie gar nicht suchen: im freiwillig und unfreiwillig Folkloristischen, in den verblassenden Lokalfarben, den Resten eigener Pop-Zeitvektoren, aber auch im Innovationssprech und Eventismus, der sich darüber geschichtet hat und Blasen wirft. Schröder, Rio, Blixa, Rammstein - how soon is now?
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2000

Wie sieht eigentlich Mal Sondock aus?

"Platten. Die vielleicht beste Möglichkeit, etwas über sich zu sagen, ohne gleich allzuviel von sich preiszugeben. Und natürlich, um etwas über jemand zu erfahren." Um etwa einer neuen Liebe gleich auf den tiefsten Seelengrund zu schauen, genügt der Blick auf den CD-Ständer: "Wer will jene Kantonisten für voll nehmen, die tausend oder mehr Einheiten ihr eigen nennen, aber nichts als Dire Straits, Bon Jovi und Sting in ihren Regalen lagern, Heroes del Silencio für die Speerspitze modernen Undergrounds und die aktuelle Santana-CD tatsächlich für eine neue Platte halten?" Eine einzige Scheibe von Phil Collins verwandelt den Plattenschrank in ein "Depot des Schreckens" und ihren Besitzer in einen Kriminellen: "Platten sind die perfekte Möglichkeit, dubiose Individuen untrüglich zu erkennen." Die Musterung der fremden Sammlung und das inquisitorische Erkunden geheimster Lieblingsbands folgt einem altbekannten Muster: Die Physiognomik des achtzehnten Jahrhunderts glaubte, aus Gesichtszügen den Charakter ablesen zu können. Das Entsprechungsverhältnis von Innen und Außen, von (Platten-)Hülle und (Persönlichkeits-)Kern - wo ist es besser zu greifen als im heimischen Musikfundus, der doch ein veräußerlichtes Archiv vergangener Leidenschaften und Phantasien ist? Der Band über "Schallplatten", den der Münchner Autor Sky Nonhoff in der Reihe "Kleine Philosophie der Passionen" verfaßt hat (Deutscher Taschenbuchverlag, München 2000. 128 S., kt., 15,50 DM) ist lesbar als Leitfaden einer zeitgemäßen Physiognomik. Waren im klassischen Bildungsroman das Theater oder die Lektüre Medien individueller Entfaltung, so ist es heute die Popmusik. Wir sind, was wir aufgelegt. So sortiert Nonhoff seinen Stoff als autobiographische Erzählung: Von der ersten Hitparade im Radio ("Mal Sondock" auf WDR 2) über die erste Platte ("Wim Thoelke präsentiert Hits und Stars aus ,Der große Preis'", ein Geschenk der Eltern) bis zur ersten Liebe ("Wir hatten immer nur meine Platten gehört") - jede Lebensphase hat ihren ganz speziellen Soundtrack. Mit Philosophie teilt das Plattensammeln die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts. Nicht nur, daß Frauen im Diskurs keine Stimme haben, auch bei der CD-Auswahl dürfen sie nicht mitreden, da sie selten den richtigen Ton treffen. Musik einfach nur als Musik wahrzunehmen ist für Nonhoff ein Grundübel, denn das Medium ist immer auch eine Botschaft: "Wozu habe ich ihr all diese Tapes aufgenommen? Hat sie eigentlich je verstanden, was ich ihr damit sagen wollte?" Die Kehrseite der Physiognomik ist die exhibitionistische Selbstdarstellung: Du kannst in mir lesen wie in einem Booklet. Der Geschmack spricht Bände. Karl Bruckmaier hat es im letzten Jahr mit seinem Buch "Soundcheck. Die 101 wichtigsten Platten der Popgeschichte" (F.A.Z. vom 12. April 1999) vorgemacht. Auch Nonhoff gibt dem Leser am Schluß siebzig diskographische Empfehlungen zur Optimierung seines "Inventars". So ist seine Passionsgeschichte die Fortsetzung des Kassettenbespielens mit anderen Mitteln. Nur auf den ersten Blick geschickter stellt es der Musikkritiker Thomas Groß an, der seine für die "taz" verfaßten Texte über Musik und Popkultur selbst als Konzeptalbum herausgebracht hat ("Berliner Barock". Popsingles. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2000. 198 S., kt., 18,90 DM). Der Kritiker als kongenialer Künstler, der lauter Hits hintereinander schneidet - eine originelle Idee, wäre sie nicht von Benjamin von Stuckrad-Barre ("Remix") abgekupfert, pardon gecovert. Wie immer bei Sammlungen journalistischer Texte stellt sich rasch ein Sättigungseffekt ein. Eine Auskopplung jagt die andere; so viele Perlen gehn auf keine Hutschnur. Der Sampler von Groß ist in der edition suhrkamp erschienen; die fest gemauerte Theoriebastion von einst rechnet sich heute zum Tagesgeschäft. Umgekehrt aber zielt die Populärkultur längst auf das Jenseits der Mode. Entgegen dem Klischee ihrer Schnelllebigkeit will sie Ewigkeit wie jede Lust. Kurz: Es geht wieder einmal um Kanonisierung, die hier auf alle Argumente verzichten kann. Denn der wahre Fan braucht keine Gründe. Doch alle Versuche, den fluiden und augenblickshaften Charakter des Popsongs in die Permanenz der Schrift zu überführen, sind zum Scheitern verurteilt. Es liegt nicht am materiellen Trägermedium, daß auch für Bücher Nonhoffs Bemerkung über musikalische Verfallsdaten Gültigkeit besitzt: "Manche Platten überdauern kaum ihre eigenen vierzig Minuten."

RICHARD KÄMMERLINGS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Daniel Bax gibt in seinem Hinweis auf das Buch zu, dass Thomas Groß einmal der Pop-Redakteur der "taz" war, dass ihn die Zeitung aber nicht halten konnte - heute arbeitet Groß bei der "Zeit". Der Band enthält aber wohl hauptsächlich Texte aus Groß` Zeit in der taz. Bax` kleine Kritik klingt denn auch fast sehnsüchtig. Deutlich wird, dass Groß` Artikel über Pop in Berlin, deren Themen von den Einstürzenden Neubauten bis zur Techno-Szene alle Aspekte dieses Universums behandeln, zugleich den Weg Berlins von der "Inselstadt" mit ihren Mauermythen (auf der Westseite) zur Hauptstadt der Berliner Republik ironisch reflektierend nachzeichnen. Komponiert sei das Buch wie ein Konzeptalbum, meint Bax, "überbordend von Ideen und zugleich punktgenau treffend im Detail".

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