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Kernstück dieses Bandes ist die glänzend geschriebene, weit verbreitete, volkstümliche und nicht zuletzt deshalb klassisch zu nennende Geschichte des Siebenjährigen Krieges von Archenholz. Im sie herum werden zwei Schriften Friedrichs des Großen (Reflexionen über das Schicksal Karls des XII. von Schweden sowie die Betrachtungen über die Taktik und einige Aspekte des Krieges), die Satans-Betrachtungen von Ägyd Valentin von Borié und Thomas Abbts Abhandlung Vom Tode für das Vaterland gruppiert. Jede dieser fünf Schriften hat auf ihre Art Epoche gemacht. Ihre fortwirkende Bedeutung liegt neben…mehr

Produktbeschreibung
Kernstück dieses Bandes ist die glänzend geschriebene, weit verbreitete, volkstümliche und nicht zuletzt deshalb klassisch zu nennende Geschichte des Siebenjährigen Krieges von Archenholz. Im sie herum werden zwei Schriften Friedrichs des Großen (Reflexionen über das Schicksal Karls des XII. von Schweden sowie die Betrachtungen über die Taktik und einige Aspekte des Krieges), die Satans-Betrachtungen von Ägyd Valentin von Borié und Thomas Abbts Abhandlung Vom Tode für das Vaterland gruppiert. Jede dieser fünf Schriften hat auf ihre Art Epoche gemacht. Ihre fortwirkende Bedeutung liegt neben dem hohen, »spezifisch temporären Gehalt« (Goethe) darin, wie sie die Dramatik und Einzigartigkeit der Kriegsereignisse gedanklich verarbeiten und sie, jede in einer anderen, dem Anlaß und der Funktion entsprechenden Stillage, zur Sprache bringen. In Auswahl und Kommentierung unternimmt es der Band, die Geschehnisse eines der größten Kriege der Neuzeit nicht nur in ihrem Ereignischarakter und Verlauf zu dokumentieren, sondern sie aus unterschiedlichen Perspektiven auch analytisch zu erfassen.
Autorenporträt
Johannes Kunisch war bis zu seiner Emeritierung o. Professor für Neuere Geschichte an der Universität zu Köln. Er ist Vorsitzender der Preußischen Historischen Kommission in Berlin. Zahlreiche Fach-Veröffentlichungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1996

Kartoffeln auf dem Feld der Ehre
Das Werden einer Nation in Dokumenten zum Siebenjährigen Krieg

Welche Revolution schmiedete die Deutschen zur Nation? Johann Wilhelm Archenholz antwortet: Es war der Siebenjährige Krieg und die "Geistes-Revolution" in Deutschland, die mit ihm einherging. Als mit der Französischen Revolution der französische Volksgeist überkochte, drohte das diszipliniertere deutsche Wesen fad und bieder zu erscheinen. Also zeigte Archenholz in seiner Geschichte des Siebenjährigen Krieges, daß die Deutschen ihre nationale Geburt in einem existentiellen Kampf schon hinter sich gebracht hatten. In der Bibliothek Deutscher Klassiker liegt dieses spannend zu lesende Dokument in der Fassung von 1793 wieder vor, zusammen mit Thomas Abbts Schrift über den "Tod fürs Vaterland" (1761), zwei kleinen Essays von Friedrich dem Großen (1758 und 1759) sowie einem antipreußischen Pamphlet des österreichischen Regierungsbeamten Ägyd von Borié (1761).

Die Zusammenstellung dieser heterogenen Texte macht schon deutlich: Es geht dem Herausgeber weniger um die politische Geschichte des Krieges von 1756 bis 1763 und noch weniger um Militärgeschichte im engeren Sinn. Es geht um die kulturelle Verarbeitung, um die je nach Perspektive verschiedene "Erfahrung" des Krieges. Und in dieser Hinsicht verspricht die Sammlung Antworten auf die Fragen: Was ist eine Nation? Was ist Nationalbewußtsein und wie entsteht es? Für das achtzehnte Jahrhundert fallen diese Antworten zwiespältig aus - genauso wie die Sicht der Historiker auf diese Zeit: Der Kulturhistoriker denkt an das Jahrhundert der Aufklärung, der Sozialhistoriker an das "Jahrhundert des Hungers" (Montanari).

Versetzen wir uns in die Lage von Fürsten in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts: Die Heere und ihre Unterhaltskosten wachsen mit der allgemeinen Armut. Denn der Expansionsdrang nimmt zu und mit ihm das eigene Schutzbedürfnis. Es kommt zum Krieg, man gewinnt neue Anbauflächen, Steuerzahler und Rekruten hinzu, oder man entlastet wenigstens seine Kasse, solange man seine Truppen auf fremdem Boden hausen läßt. Den letzten dieser "gehegten" Kabinettskriege, den Bayerischen Erbfolgekrieg von 1778 bis 1779, nannte Friedrich der Große den "Kartoffelkrieg": Die Äcker nach Eßbarem zu durchwühlen war wichtiger als auf dem Feld der Ehre den Tod für die machtpolitische Stellung des Vaterlandes zu suchen.

Die Sinnlosigkeit des Krieges war mit Händen greifbar, wenn General Hunger politisch und militärisch das Regiment führte. Wer wollte schon sterben für einen Staat, dessen Selbstbehauptung die eigene Bevölkerung mehr ruinierte, als daß er sie vor brandschatzenden Horden schützte, seien es Feinde, Verbündete, "Befreier" oder gar die eigenen Leute? Da reichte auch nicht die Aussicht, den mageren Sold bei gelegentlich erlaubten oder befohlenen Plünderungen aufbessern zu können.

Die Lösung des Philosophen Friedrich ist klassisch: Der gemeine Soldat soll mehr Angst haben vor den eigenen Offizieren als vor den feindlichen Salven und Säbelhieben. Der Philosophieprofessor und ehemalige Theologe Abbt hielt dagegen die "Erfindung neuer Mittel" für nötig. Da auch die Verheißung der christlichen Religion nicht ausreiche, müsse die Staatskunst die Liebe zum Vaterland als Mittel gegen die Todesfurcht einsetzen. Dieser Rat war zukunftsweisend. Den Menschen ein Vaterland zu geben war aber auch in anderer Hinsicht opportun. Im Zuge der über hundert Jahre sich hinziehenden sogenannten "Bauernbefreiung" konnte die Nation ein emotionales Vakuum füllen: Die Menschen wurden aus ihren feudalen Einbindungen hinausgestoßen. Sie sollten plötzlich "frei" sein und hatten ihre Fürsorgeansprüche an einen ungewohnt gestaltlosen, weit entfernten Beamtenstaat zu adressieren.

Dieser Modernisierungsprozeß hatte in Deutschland schon begonnen, als sich Frankreich 1788/89 aufmachte, seine Verspätung aufzuholen. Archenholz versucht zu zeigen, daß die "Geistes-Revolution", die aus eigensüchtigen Provinzlern begeisterte Vaterlandsverteidiger machte, in Deutschland mit dem Siebenjährigen Krieg zusammengefallen sei. Dieser Krieg war der Beginn der "Kultur-Epoche" Deutschlands. Archenholz führt eine ganze Batterie geistiger Revolutionäre als Zeugen an. Er nennt Euler, Winckelmann, Mengs, aber vor allem die Dichter: Haller, Bodmer, Gellert, Wieland, Klopstock, Lessing.

Aber was war jenseits der Normalität der Kabinettskriege das Besondere an diesem Völkergemetzel? Für Friedrich ist es vor allem die Wirksamkeit mobiler Artillerie. Der österreichische Pamphletist Borié betont die beispiellosen Verletzungen des Völker-und Kriegsrechts durch die schrankenlose Gefräßigkeit des "preußischen Kriegs". Normal ist es in jener Zeit, Kontributionen in Form von Proviant und Futter einzutreiben. Neu ist die Erpressung von Geld und Rekruten, zumal in unbeteiligten Ländern. Archenholz für sein Teil ist mehr an den moralischen Auswirkungen interessiert, an den exzessiven Grausamkeiten aller Parteien: Plünderungen, rachsüchtige Zerstörung von Nutz- und Kulturgütern, Grabschändungen, Raub, verbrannte Erde, Folter, Vergewaltigung und Mord.

Geldmangel und Hunger betrachtete er als die gemeinsamen Feinde der zivilisierten Kriegsmächte. Friedrich behauptete sich an diesem Nullpunkt der Kultur wie durch ein Wunder gegen die übermächtige Allianz der Österreicher, Russen und Franzosen. Archenholz schildert den Krieg im Spannungsfeld eines Existenzkampfes kriegerischer Horden und der heroischen Größe individueller Taten, zwischen rational kalkulierter Vernichtung und spontan entstehendem "Nations-Eifer". Die Antithese, manchmal bis zur klischeehaften Zuspitzung, ist sein wichtigstes, gezielt eingesetztes Stilmittel. Dies macht die Lektüre auf jeder Seite anregend.

Dem stilisierten Pathos nationaler Selbstbehauptung stand eine berechnende Versorgungsmentalität gegenüber. In Soldatenliedern kam sie zu Wort: "Unser König, der versorgt uns alle gut. Drum lassen wir für ihn den letzten Tropfen Blut." Das unpathetische Nutzendenken des Volks entsprach dem Materialismus des Feldherrn. In seinen Betrachtungen über den schwedischen König Karl XII. äußert Friedrich die Einsicht, Homer habe in der Ilias zu Recht "eine Armee mit einem Gebäude verglichen, dessen Grundlage der Magen ist". Die erste Sorge des Feldherrn müsse der Ernährung seiner Truppen gelten.

Diese allzu aufgeklärte Motivationslage mag den Erfindungsreichtum der Dichter angereizt haben. Steigerten und veredelten die nationalistischen Literaten und Barden von Abbt und Gleim über Herder und Klopstock bis Archenholz und Hölderlin etwas Bestehendes oder Entstehendes? Oder erfanden sie die Idee der Nation, um die unheroische Realität nackter Selbstbehauptung durch ein romantisches Täuschungsmanöver vor sich zu verbergen? In jedem Fall verhalfen sie der politischen Sprache einer späteren Epoche zu höchst anschaulichen Begriffen.

Die Texte sind von einem kompetenten Kommentar begleitet. Trotzdem bleiben Wünsche offen. Das Glossar läßt eine Reihe technischer Ausdrücke unerklärt. Man vermißt einen Vergleich der beiden Fassungen von Archenholz' Buch, dessen zweite Ausgabe von 1793 viel dicker war als die von 1788 - in der Zwischenzeit beobachtete Archenholz als Augenzeuge in Paris die Nationsbildung der Franzosen. Ein letzter Schönheitsfehler erinnert an ein Wort von Carlyle: "Ein Register ohne Buch hat mir manchmal genützt, ein Buch ohne Register nie." CHRISTOPH ALBRECHT

Johannes Kunisch (Hrsg.): "Aufklärung und Kriegserfahrung". Klassische Zeitzeugen zum Siebenjährigen Krieg. Bibliothek der Geschichte und Politik. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 1996. 1054 S., geb., 156,- DM.

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