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Als der Junge aus der mongolischen Steppensiedlung in Deutschland ankommt, gibt es viel zu staunen und zu lernen. Es treten in sein Leben: die verrückten Kommilitonen aus aller Herren Länder auf der Suche nach dem Absoluten. Verena und ihre Kunst, glücklich zu machen. Ein Schriftsteller und Pferdenarr mit Namen Strittmatter, dem der Jurtenjüngling zeigt, wie man ein Pferd mit dem Lasso fängt. Und eine neue Sprache mit wundersamen Wörtern: Topinambur! Nach »Tau und Gras« setzt Galsan Tschinag die Kette seiner Lebensbilder fort: funkelnde Geschichten, in denen er die Zeit und ihren Geist…mehr

Produktbeschreibung
Als der Junge aus der mongolischen Steppensiedlung in Deutschland ankommt, gibt es viel zu staunen und zu lernen. Es treten in sein Leben: die verrückten Kommilitonen aus aller Herren Länder auf der Suche nach dem Absoluten. Verena und ihre Kunst, glücklich zu machen. Ein Schriftsteller und Pferdenarr mit Namen Strittmatter, dem der Jurtenjüngling zeigt, wie man ein Pferd mit dem Lasso fängt. Und eine neue Sprache mit wundersamen Wörtern: Topinambur!
Nach »Tau und Gras« setzt Galsan Tschinag die Kette seiner Lebensbilder fort: funkelnde Geschichten, in denen er die Zeit und ihren Geist einfängt und die Menschen auf seinem Weg unvergesslich werden lässt.
Autorenporträt
Galsan Tschinag, geboren 26.12.1943 in der Westmongolei, ist Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa. Von 1962 bis 1968 studierte er Germanistik in Leipzig, seither schreibt er viele seiner Werke auf Deutsch. Er lebt den größten Teil des Jahres in der Landeshauptstadt Ulaanbaatar und verbringt die restlichen Monate abwechselnd als Nomade in seiner Sippe im Altai und auf Lesereisen im Ausland. Galsan Tschinag wurde mit vielen Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz, geehrt.
Rezensionen
»Erzählt von Erfolgen und Missverständnissen, von Menschen, die er nie vergessen wird, von verwanzten Unterkünften, von ihm völlig fremden Essen und durchgefeierten Nächten mit Kommilitonen.« Christiana Steger Amtsblatt Blumerg

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.04.2007

Der Steppengeist zu Pferde
Ein Dschingis-Khan-Roman und Geschichten von Galsan Tschinag

Zu Beginn treffen wir Dschingis Khan in einer durchaus misslichen Lage. Sein Körper schwach, die Knochen gebrochen. Der Herrscher ist unbeweglich; doch sein Geist ist rege. Galsan Tschinag holt den großen Khan dort ab, wo er am kleinsten ist: in seinen letzten Lebenstagen. "Er erwartete etwas zu hören. Aber es blieb still. So beschloss er, die gespannte Stille zu brechen. ,Ich bin wieder klar im Geiste', sprach der Khan. ,Nun, was ist geschehen?' Er sei vom Pferd gestürzt. Das also, durchfuhr es ihn kalt. Der Kriegsgott zu Ross, der berittene Kriegsdämon ist vom Pferd gestürzt." Nein, das hört sich nicht gut an. Der banale Sturz vom Pferd, der das Sterben des Dschingis Khan einleitet, ist historisch verbürgt. Es müssen Momente voller Scham gewesen sein.

Doch Galsan Tschinag verweilt nicht lange beim sterbenden Khan, sondern bricht die Scham nochmals im Allerkleinsten. Sein Blick schwenkt zu Nebenfiguren: zu Oldoi, dem Zwerg, dem vertrautesten Diener. Ein Findling, ein Spaßvogel, der Sätze voller Tiefgang spricht. Jetzt läuft Oldoi mit dem Arzt auf gleicher Höhe neben der Trage mit dem verletzten Khan her und erweckt den Neid der anderen. Zwischen den Heeresführern und dem Khan gibt es keine Intimität. Nur Ehrfurcht und Angst. Der Diener Oldoi aber sagt dem Herrscher verrätselte Wahrheiten. Er begleitet klug sein physisches Verschwinden aus der Welt. Dschingis Khan und Oldoi - ein ungleiches Paar, grotesk anmutend. Dezent eingesetzt, ist dieser Ton die erzählerische Waffe gegen Mythenbildung. Galsan Tschinag trägt sie locker in der Hand und lässt uns teilhaben an einem dunklen Kapitel der Weltgeschichte.

Sein Roman "Die neun Träume des Dschingis Khans" stützt sich auf die wichtigste historische Quelle der Mongolen, die "Geheime Geschichte". Lange Zeit war sie nur Regierenden zugänglich, da sie Unehrenhaftes nicht verschweigt. Alle Zeitgenossen des legendären Dschingis Khan, seine Brüder, die Eltern bis hin zur wertvollsten Kriegsbeute, den mehrfach vergewaltigten Frauen, lässt Tschinag auftreten. Der Diener Oldoi hingegen ist die einzige fiktive Figur im Roman. Der Autor braucht sie, um sich dem gewaltigen Mythos annähern zu können, der in der Mongolei in siebzig Jahren Sozialismus erst totgeschwiegen, danach aufgebläht wurde. Tschinag schreibt diese Überhöhung nicht fort. Er übersetzt die alten Geschichten in kraftvolle Sprachbilder, blumige Beschreibungen, in lebendige Dialoge zwischen dem "berg- und ozeangroßen Khan" und seinen "läusekleinen" Opfern. Und hält doch immer die Balance.

Für den über sechzigjährigen Autor, selbst Sohn einer Nomadenfamilie in der Westmongolei, ist der Stoff eine Herzensangelegenheit. Seit Jahren versteht sich Tschinag, der in den sechziger Jahren als Austauschstudent im noch kommunistischen Leipzig studierte und viele seiner Bücher auf Deutsch schreibt, als Vermittler zwischen den Welten. Die große Form beherrscht er wie die kleine. Er unterrichtet in Ulan Bator, gibt Heilseminare und hält Lesungen in Deutschland. Viele Monate des Jahres ist er als Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa in der Steppe unterwegs.

Gegen die Idealisierung der Vergangenheit verfolgt er nun die Blutspur des "heiligen" Dschingis Khan; ohne zu bewerten, ohne Chronologie, in wildem Durcheinander vorbeirasender Eindrücke, durchbrochen von sporadisch einsetzender Reflexion. Im Angesicht der Weggefährten lässt er den Khan Einsichten entwickeln und über den Unsinn seines Rauschs sinnieren. Einsam bleibt er bis zuletzt. Und machtlos über das, was man später aus ihm macht.

Dabei lässt Tschinag keinerlei Zweifel aufkommen an der Brutalität dieses Herrschers und seiner Zeit. Millionen Menschenopfer und Stätten voller Schutt und Asche hinterließen die Raubzüge des Khans, der im dreizehnten Jahrhundert ein Großreich formte. Tschinags Buch ist die Biographie eines lebenslänglichen Kräftemessens; eine Geschichte von Angst und Unterwerfung.

Traumatische Ereignisse, Demütigungen in einer kurzen Zeit der Gefangenschaft des kindlichen Khans oder schlicht das selbstverständliche Hineinwachsen in die ihm zugedachte Rolle umranden die blutigen Taten - doch nach letzten Erklärungen verlangt der Roman nicht. Gerade deshalb gelingt ein irritierender Spagat: Tschinag holt den Herrscher würdevoll vom Sockel und zeigt in den Schwächen zutiefst Menschliches. Das Fremde geht ein in den allgemeinen Kreislauf von Werden und Vergehen. Entschuldigt wird dadurch nichts - aber offengelegt.

Zeitgleich erscheinen Erzählungen des Autors unter dem Titel "Auf der großen blauen Straße" im Unionsverlag. Ist es Zufall, dass auch hier ein am Ende des Lebens stehender Erzähler die kurzweiligen Geschichten in Gang bringt? "Die Muskeln sind erschlafft, der Geist ist trübe - ich bin wohl schon im Versinken." Im Verschwinden lässt sich das Leben doppelt nieder. Galsan Tschinags Texte zeugen von dieser Lebensfrische. Noch einmal, wie in vielen seiner früheren Erzählungen, schlägt er einen Bogen von seiner Heimat zum sächsischen Gastland. Er schreibt mit leichter Geste die Geschichte seines Namens nieder, einer im Munde der vielen Anverwandten immer wieder freizügig veränderbaren Lautfolge, passend gemacht für den Träger wie für den Rufenden.

Dass schließlich "Galsan" daraus wurde, scheint einem Schreck geschuldet, der dem Erstklässler den nie verlässlichen Namen aus dem Gedächtnis trieb. Der schnell als Ersatz erfundene Name soll im Tibetanischen nun "das gute Geschick" bedeuten - und das schadete offensichtlich nicht. Denn Galsan Tschinag hat ein Gespür dafür, den Blick des hier ankommenden Studenten in unverbrauchte Bilder zu übersetzen; ihm liegt die Gunst des Staunenden, selbst wenn es um Bürokratie und sture Zugbeamte geht, die keinen Zentimeter weit abrücken vom durch und durch geregelten Leben im Oststaat.

Tschinags Momentaufnahmen sind bizarr - doch nicht nur wegen der Stoffe, sondern wegen der feinsinnigen Art ihrer Schilderung. Wenn er berichtet, wie er auf dem Hofe des Schriftstellers Erwin Strittmatter, der sein Talent entdeckte, vorführen soll, wie man mit dem Lasso Pferde fängt, treffen Klischees und Wirklichkeit in einer Weise aufeinander, die einen schmunzeln lässt. Von seinen Blicken auf die Welt sollte man sich etwas abschauen. "Auf der blauen großen Straße" entführt nicht in diese Welten, sondern an den Ort dazwischen. Hier hat die Prosa des Autors ihren festen Platz.

ANJA HIRSCH

Galsan Tschinag: "Die neun Träume des Dschingis Khan". Roman. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 252 S., geb., 17,80 [Euro].

Galsan Tschinag: "Auf der großen blauen Straße". Erzählungen. Unionsverlag, Zürich 2007. 155 S., geb., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Großes Vergügen hat Rezensentin Anja Hirsch die Lektüre Galsan Tschinags Erzählband "Auf der großen blauen Straße" bereitet. Der in der Mongolei geborene Autor, der in den sechziger Jahren in Leipzig Germanistik studierte, schlage darin - wie in vielen seiner früheren Erzählungen - noch einmal einen Bogen von seiner Heimat zum sächsischen Gastland. Wie er den "Blick des hier ankommenden Studenten" in "unverbrauchte Bilder" übersetzt und staunend das Leben in der durch und durch geregelten DDR beschreibt, scheint Hirsch sehr gelungen. Die dabei entstandenen Momentaufnahmen wirken auf sie immer wieder "bizarr", nicht nur wegen der Stoffe, sondern auch wegen der "feinsinnigen Art ihrer Schilderung".

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