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Ohne Stadtplan, wie sich in der Stadt orientieren? Ohne Karte wären wir verloren, im Gebirge wie auf dem Meer und manchmal sogar auf der Straße. Wo sind wir? Was sollen wir tun? Ja, wohin wollen wir, und auf welchem Weg gelangen wir dorthin?Als Sammlung nützlicher Karten kann ein Atlas uns helfen, solche Fragen nach Ort und Weg zu beantworten. Wenn wir uns verirrt haben, finden wir mit seiner Hilfe auf den rechten Weg zurück.Wo werden wir leben? Und mit wem? Wie unseren Lebensunterhalt bestreiten? Wohin sollen wir auswandern? Was sollen wir wissen, lernen, lehren, tun? Wie sollen wir uns…mehr

Produktbeschreibung
Ohne Stadtplan, wie sich in der Stadt orientieren? Ohne Karte wären wir verloren, im Gebirge wie auf dem Meer und manchmal sogar auf der Straße. Wo sind wir? Was sollen wir tun? Ja, wohin wollen wir, und auf welchem Weg gelangen wir dorthin?Als Sammlung nützlicher Karten kann ein Atlas uns helfen, solche Fragen nach Ort und Weg zu beantworten. Wenn wir uns verirrt haben, finden wir mit seiner Hilfe auf den rechten Weg zurück.Wo werden wir leben? Und mit wem? Wie unseren Lebensunterhalt bestreiten? Wohin sollen wir auswandern? Was sollen wir wissen, lernen, lehren, tun? Wie sollen wir uns verhalten?Alles in allem also: Wie sollen wir uns auf diese globale Welt beziehen, die da entsteht und die alte, in wohl unterschiedene Orte eingeteilte Welt zu ersetzen scheint? Selbst der Raum verändert sich und erfordert andere Weltkarten.
Autorenporträt
Michel Serres, geboren 1930 in Agen, ist ein französischer Mathematiker und Philosoph. Er absolvierte die École navale, um eine Laufbahn als Marineoffizier zu beginnen. Ab 1952 besuchte er die École normale supérieure, an der er 1955 seine Agrégation in Philosophie erhielt. Im folgenden Jahr trat er erneut in die Marine ein und fuhr jahrelang zur See. Serres ist seit 1969 Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Sorbonne und wurde 1984 parallel zum Professor an der Stanford University ernannt. Seit 1990 ist er außerdem einer der vierzig "Unsterblichen" der Académie française. 2012 erhielt Serres den "Meister-Eckhart-Preis" der Identity Foundation und der Universität zu Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2005

Ein Atlas als das erste Wort
Sehr französisch: Das Alterswerk des Philosophen Michel Serres

Zum Bild des französischen Philosophen Michel Serres gehört das Meer. Seit er in jungen Jahren als Offizier zur See fuhr, hat diese Erfahrung ihn nicht mehr verlassen. Präzis ist er dem Nietzsche-Wort gefolgt: "Auf die Schiffe, ihr Philosophen!" Nautische Begriffe erscheinen in den Titeln seiner Schriften, die Philosophie hat er als ein Netz im Meer bezeichnet, und einer seiner schönsten Texte ist einem alten Kap-Hoorn-Fahrer gewidmet.

Im Paris der sechziger Jahre muß der junge Dozent für Wissenschaftsgeschichte eine Ausnahmeerscheinung gewesen sein. Er las Leibniz, während andere Marx, Freud und Saussure studierten. Seine Schriften analysierten Werke der Wissenschaft wie der bildenden Kunst, der Mathematik und der Belletristik. Die Kühnheit seines Duktus hat ihn berühmt gemacht. Stilistisch brillant schrieb er fußnotenlose Texte von größter Gelehrsamkeit. Eine ruhelose Bewegung zwischen den akademischen Disziplinen hat Serres' Denken von Anfang an ausgezeichnet, zugleich jedoch die Rezeption erschwert. Hier war einer zwischen allen Stühlen; einer, der nicht in die Debatten um Strukturalismus versus Poststrukturalismus paßte; einer, der nicht auf Heidegger rekurrierte, sondern auf Topologie.

Mit einiger Verzögerung und in verstreuten Verlagen wurden seine Schriften in Deutschland publiziert - etwa das fünfbändige Hermes-Projekt, eine Summe seiner Schriften der sechziger und siebziger Jahre. Hermes als der Götterbote war die Leitfigur des Frühwerks, das sich den Kommunikationswegen des Wissens widmete.

Das Buch "Atlas" von 1994, das nun endlich im Deutschen vorliegt, mag man dem Alterswerk des Philosophen zurechnen. Viele seiner früheren Motive kehren wieder, jedoch ist der Ton verändert. Serres hat sich von Hermes den Engeln zugewandt, denen er 1993 einen Bildband widmete. Diese Wendung spricht sich aus als Überlagerung von Athen und Jerusalem oder, um es mit Serres zu sagen: von Geometrie und Prophetie. Darin liegt die Größe, aber auch die Crux dieses Buches, das in souveräner Kenntnis um die exakten Wissenschaften einen prophetischen Ton anschlägt, der manchen Leser ungewollt skeptisch stimmen wird.

Serres' "Atlas" sucht Karten einer Welt zu entwerfen, die nicht mehr geographisch bestimmt ist. Die alte Geographie der physischen Welt baute stets auf Unterscheidungen von nah und fern, die in Kommunikationsnetzen nicht mehr greifen. Bei einer Videokonferenz über fünf Kontinente sind die Teilnehmer sich nah und fern zugleich. Durch Medien wird nicht etwa Ferne abgeschafft, sondern der Unterschied nah/fern. Eben diesen Zustand nennt Serres "virtuell". Seine Ausgangsfrage lautet: Wie orientiert man sich in einer virtuellen Welt, in der Nähe und Ferne dasselbe sind?

Die klassische Vernunft hatte in Zweifelsfällen die gerade Linie als Orientierungsmittel empfohlen - mit dem Lineal über die Karte fahrend. Im zwanzigsten Jahrhundert jedoch sind andere Linienführungen von Interesse geworden: die chaotische Flugbahn einer hektischen Fliege, der torkelnde Gang eines Betrunkenen, die Brownsche Molekularbewegung. Serres' Vermutung lautet, daß solche Bewegungsformen mehr vom Raum erfassen als ein glatter Durchmarsch und daß sie überdies topologische Modelle für die Netzwerke der virtuellen Welt liefern. Es ist eine Welt, die eher der Wetterkarte gleicht als einem architektonischen Plan und in der die Wissenschaften nicht mehr das Wirkliche untersuchen, sondern das Mögliche: mögliche neue Elementarteilchen, mögliche genetische Verbindungen. Eben deshalb ist Science-fiction der unvermeidliche Doppelgänger moderner Wissenschaft.

Was all dies heißen mag, hat Serres in einer Analyse der Erzählung "Le Horla" von Guy de Maupassant entwickelt. Diese dreiundzwanzig Seiten zählen zu den stärksten Partien des ganzen Buches. Serres betrachtet den Klassiker der phantastischen Literatur im Hinblick auf räumliche Relationen: zwischen, neben, vor, über, durch und so weiter. Gefüge dieser Art werden in der modernen Topologie behandelt. Ihre Anwendung auf Maupassants Erzählung verdeutlicht die Durchschlagskraft eines Denkens, das aus der schroffen Verbindung vermeintlich getrennter Bereiche erwächst. So wie Serres die Chaostheorie mit Lukrez und Tintin mit Leibniz gelesen hat, so verbindet er hier Topologie mit Literatur. Und das Ergebnis ist stark.

Dieser "Atlas" ist ein sehr französisches Buch: sehr stilbewußt, sehr sprachverliebt. Gewiß, mitunter verliert der Autor sich in raunendes Etymologisieren. Und es ist ebenso gewiß, daß er sich wiederholt. Hundertfach umkreist er eine Grundfigur, auf die kein Atlas verzichten kann: die Globalisierung. An einer Weltkarte kommt kein Atlas vorbei und also auch nicht dieses Buch. Es thematisiert eine Vielzahl von Globalisierungen: des Wissens, der Gewalt, der Ökonomie, der Verkehrswege. In der Tat sind dies aktuelle Themen. Für das Schreiben jedoch bergen sie den gefährlichen Hang zu Globalauskünften über allzu vieles. Hier rettet den Autor einzig sein guter Genius, der brillante Detaileinsichten in das überquellende Füllhorn streut.

Michel Serres hat niemals den Ehrgeiz gehabt, das letzte Wort zu sprechen. Im Gegenteil sucht er das erste Wort neuer Diskurse. Auch sein Alterswerk ist in diesem jugendlichen Aufbruchsgeist verfaßt. Auf die Schiffe, ihr Philosophen!

PETER BEXTE

Michel Serres: "Atlas". Aus dem Französischen von Michael Bischoff. Merve Verlag, Berlin 2005. 257 S., br., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Als "spätes Resümee eines Denkweges" beschreibt Rezensent Cord Riechelmann Michel Serres jüngstes Buch. Der Tatsache, dass es nicht mehr "so prägnant und gedrängt formuliert" ist wie frühere Arbeiten des französischen Wissenschaftsphilosophen, kann der Rezensent Positives abgewinnen. Denn Serres sucht aus seiner Sicht "weder Streit noch Kampf", sondern den "gleichberechtigten Austausch", da seinem Credo zufolge Wahrheit nur jenseits von Macht und Gewalt entstehen könne. So gehe es im "Atlas" um diskursive "Orientierungshilfen" im "neuen veränderten Raum" und unser Verhalten unter "den Bedingungen der Globalisierung". Manchmal findet der Rezensent Serres Gedanken wohl eine Spur zu ausschweifend und ungenau. Dennoch sieht Riechelmann nach vollzogener Lektüre "klarer, wohin es gehen kann", und findet schließlich einen Diskurs eröffnet, zu dem das "letzte Wort" aus seiner Sicht allerdings noch nicht gesprochen ist. Schade nur, dass Riechelmann uns in seinen Ausführungen nicht verrät, um was für einen Diskurs es sich eigentlich handelt.

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