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Keine ausführliche Beschreibung für "Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Junius 1790" verfügbar.

Produktbeschreibung
Keine ausführliche Beschreibung für "Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Junius 1790" verfügbar.
Autorenporträt
HR Gerhard Steiner, Fachbereich für Internationales Steuerrecht und Verrechnungspreise der Großbetriebsprüfung; befasst mit internationalem Steuerrecht, Prüfungserfahrung im Ausland im Rahmen von Prüferentsendungen in die BRD und die USA, Erfahrungen iVm grenzüberschreitenden Simultanbetriebsprüfungen sowie multilateralen Prüfungen; Vertreter der österreichischen Finanzverwaltung bei Tagungen der IOTA (Intraeuropean Organisation of Tax Administrations) und der OECD; Fachautor und Vortragender.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2016

Kein Gelehrter, der auf seinem Studierzimmer reiset

Von zeitlosem Interesse: Die Andere Bibliothek bringt Georg Forsters "Ansichten vom Niederrhein" in einer opulenten Ausgabe heraus.

An Welterfahrung konnte sich lange kein deutscher Schriftsteller mit Georg Forster messen. Noch kaum volljährig, nahm er von 1772 bis 1775 an James Cooks zweiter Weltumsegelung teil und veröffentlichte anschließend den Bestseller "Reise um die Welt" zuerst auf Englisch, dann auf Deutsch. Als dieses Buch 2007 - erstmals mit sämtlichen Aquarellen des jungen Schiffszeichners - bei der Anderen Bibliothek neu herauskam, überraschte die ungeheure Wissensfülle und perspektivische Beobachtungsgabe des Ethnologen und Naturkundlers ein riesiges Publikum. Forsters zweite große Reise durch Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im Jahr nach dem Ausbruch der Französischen Revolution, den jetzt die Andere Bibliothek als ebenso prachtvollen Folioband vorlegt, stand seit je im Schatten der spektakulären Südseeexpedition. Heute sind dafür vielleicht die weniger exotischen Inhalte verantwortlich, damals aber hielten zahllose politische Nadelstiche größere Leserkreise fern.

Für die politische Brisanz hatte der junge Alexander von Humboldt ein sicheres Gespür. Er begleitete Forster auf dieser Tour. Auf dem Rückweg durch Oxford lässt Humboldt wissen, die Reise hätte "zu keiner glüklicheren Zeit" stattfinden können: Schließlich habe man die Lage in allen belgischen Provinzen beobachten können und sogar "der Gefangennehmung des General van der Mersch, der Flucht des Herzogs von Aremberg, dem Bruch zwischen Brabant und Flandern, ja selbst dem Aufruhr in Lille beigewohnt". Jürgen Goldstein konzentriert sich im Vorwort zur Neuausgabe auf solche ausdrücklichen sowie viele verborgene politische Gehalte dieser Reise durch etliche Krisengebiete der Revolution. Überall keimen im Text Samen der neuen Freiheitsideen: Die Gefangenen auf der Festung Ehrenbreitstein, "Abgötterei" und "schwarzgallichter Fanaticismus" im katholischen Köln, das nationale Selbstbewusstsein des holländischen Volkes beim Stapellauf der Fregatte "Triton" in Amsterdam oder der Erde schippende König Ludwig XVI. auf dem Pariser Marsfeld liefern tatsächlich starke, einprägsame Bilder.

Vor allem eine Metapher hat es Goldstein angetan, weil sie prägnant die These seines preisgekrönten Buches über Forster "Zwischen Freiheit und Naturgewalt" (F.A.Z. vom 14. Juli 2015) fasst: In einem Brief aus Lüttich vergleicht Forster die "göttliche Unabhängigkeit der Natur" bei Vulkanausbrüchen oder Gewitterstürmen mit der menschlichen Selbstbehauptung in Kriegen und Revolutionen, die er als "Selbstentzündungen der Vernunft" deutet. Auf solche Analogien zwischen Naturereignissen und politischen Prozessen kommt es in Goldsteins Buch und Vorwort an. Die "Ansichten" erschöpfen sich aber keineswegs in der Funktion eines "Trojanischen Pferdes", also einer verborgenen Freiheitsschrift des beurlaubten Oberbibliothekars Forster, der sich nach seiner Rückkehr als Mitbegründer der revolutionären Mainzer Republik hervortun wird.

Von viel zeitloserem Interesse ist die besondere Form dieses Reisebuches. Bereits der Titel ist raffiniert, Forsters Schüler Humboldt wird ihn später für die eigenen "Ansichten der Natur" (1808) übernehmen: "Ansichten" postuliert die untrennbare Einheit von Anschauung und Meinung, von Beobachtung und Reflexion. Damit grenzt sich Forster von älteren Modellen ab, etwa von Friedrich Nicolais zwölfbändiger "Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz" (1783 bis 1796), die zwar sämtliche Daten und Fakten entlang der Route festhält, Beobachtungen aber wenig überdenkt und kaum in interessante Kontexte rückt. Forster hält darüber 1784 im Diarium fest, dieses "Buch sey Compilation aus allen andern, und so voll Unrichtigkeit wie jedes andere". Seine Differenz lag auch ohne ausdrücklichen Bezug auf der Hand, die Rezension von Forsters Werk in Nicolais Kampfzeitschrift "Allgemeine deutsche Bibliothek" liest sich entsprechend wie eine Corrigendaliste. Forsters außergewöhnlichen Esprit konnte der Kritiker Georg Schatz aus Gotha aber doch nicht übergehen: "Was einem gewöhnlichen Kopf", heißt es da, "nur nach langem, wiederholten Beschauen, mühsamen Combiniren und Vergleichen sich entdeckt, das entwickelt er in Augenblicken."

Dieser Scharfblick und Scharfsinn, der umsichtige Perspektivismus und die Einordnung von Einzelheiten in die Kultur- und Menschheitsgeschichte, die schon die "Reise um die Welt" prägen, lassen die "Ansichten vom Niederrhein" zu einer faszinierenden Lektüre werden. Darin distanziert sich Forster nicht nur von Faktographen à la Nicolai, sondern auch von seinem Lieblingsgegner Kant, dem Philosophen im Lehnstuhl, der über die London Bridge oder ferne Menschenrassen schreibt, ohne sie je gesehen zu haben. Forster hingegen verkündet gleich im ersten Brief, er werde sich alle möglichen Abschweifungen erlauben und "nicht so zierlich wie ein Gelehrter, der auf seinem Studierzimmer reiset", verfahren.

Doch nicht nur gegen den armchair traveller Kant scheint Forster zu witzeln, sondern auch gegen den Moralphilosophen, der in seiner gerade erschienenen "Kritik der praktischen Vernunft" den "bestirnten Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir" zu den beiden existentiellen Orientierungspunkten zwischen äußerer Natur und innerer Freiheit erklärt. Als Forster in Dünkirchen erstmals nach zwölf Jahren die See sieht, hält er dem keck entgegen: "Die Unermeßlichkeit des Meeres ergreift den Schauenden finstrer und tiefer, als die des gestirnten Himmels." Im wirklichen Leben, so will er sagen, ist nichts so unbeweglich und funkelnd wie die Fixsterne, sondern alles ist durch ein ständiges Auf und Ab, ein Werden und Vergehen zwischen Sein und Nichts geprägt.

Dieses Beispiel ist über Kant hinaus für das gesamte Buch bezeichnend. Über weite Strecken handelt es von ausführlichen Kunstbeschreibungen, vom Kölner Dom über die Düsseldorfer Sammlung bis zu Galerien und Kirchen in Brüssel, Gent, Antwerpen und Haarlem. Nie geht es Forster dabei um interesseloses Wohlgefallen an autonomen Kunstwerken, sondern immer um deren Wirkung auf den Betrachter. Nach geduldigen Versuchen einer Verortung von Forsters Kunstbetrachtungen zwischen Klassizismus, Eklektizismus und Genieästhetik ist die Forschung inzwischen dazu übergegangen, eher die Frage nach dem dargestellten, darstellenden und wahrnehmenden Menschen zum Zentrum von Forsters Kunstinteresse zu erklären, also ein anthropologisches Programm ästhetischer Erziehung.

Dafür ist die neue Ausgabe vorzüglich geeignet. Sie enthält nämlich die meisten beschriebenen Gemälde in hochwertigen Farbreproduktionen, flankiert von zahlreichen Stadtansichten und Kupferstichen erwähnter Gewerke. Der Text folgt der Akademieausgabe von 1958, aber leider ohne Abgleich mit dem Original. So vermisst man auch das von Karl Philipp Moritz gutgeheißene Titelkupfer Asmus Jakob Carstens, mit dem der Verleger Voß gegen Forsters Willen den ersten Band zierte und das der Verfasser aus den Belegexemplaren wieder herausriss. Auch die Nachlassnotizen zu London, Richmond, Birmingham, Castleton, Oxford, Dover - was übrigens der Route von Moritz im Jahre 1782 entspricht - unterscheiden sich vom originalen dritten Band: Das Titelkupfer "Shakespeare's Felsen", die Grabschrift und Vorrede sind ebenso wenig aufgenommen wie die separat publizierte "Geschichte der Kunst in England"; andere Passagen aus dem Anhang hingegen sind einfach in den Abschnitt über London integriert. Auch wenn es hier nicht um eine philologische Edition geht, verzichtet man in dieser aufwendigen Prachtausgabe nur ungern auf solche Passagen und Abbildungen.

ALEXANDER KOSENINA

Georg Forster: "Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Junius 1790".

Mit einem Vorwort von Jürgen Goldstein. Die Andere Bibliothek, Berlin 2016. 480 S., Abb., geb., 79,- [Euro].

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